Rainer Werner Fassbinder 1973



Zum zweitenmal traf ich Fassbinder im Sommer 1973 in Konstanz. Er drehte dort gerade seinen 25. Film, "Martha", mit Margit Carstensen in der Titelrolle. Gleich zu Beginn wurde ich eingeladen, auch an den privaten Zusammenkünften der Filmleute teilzunehmen. Wahrscheinlich geschah das in bester Absicht, mich aber brachte es aus dem Konzept. Schon am ersten Abend erlag ich jener für Fassbinders Umgebung so typischen Atmosphäre, in der die Psyche rasch aufbricht, und bekam einen Heulkrampf. Möglicherweise habe ich gerade durch das Angebot, überall dabeisein zu dürfen, die schmerzliche Tatsache, nicht dazuzugehören, um so stärker empfunden. Während eines Tanzabends in der Hotelbar, als es zwischen den Mitgliedern der Crew besonders locker zuging, befiel mich so starke Migräne, daß ich mich auf mein Zimmer zurückziehen mußte. Im Interview tags darauf erläuterte mir der Filmemacher, warum er mit Leuten, mit denen er privat liiert war, nicht mehr zusammenarbeiten wolle. Er hat es aber dann doch wieder getan. Zum Beispiel nahm er für den Film »Angst essen Seele auf«, den er nach »Martha« drehte, seinen damaligen Lebensgefährten, den Marokkaner EI Hedi Salem, mit dem er in Konstanz zusammen wohnte, als Hauptdarsteller.

-------------------



Sie haben Ihre früheren Filme überwiegend mit Darstellern besetzt, mit denen sie auch privat befreundet waren. Warum wollen Sie das jetzt nicht mehr?

RAINER WERNER FASSBINDER: Weil ich halt mittlerweile mehr Spaß daran habe, Stoffe zu machen, wo es notwendig ist, Profis zu haben. Ich hab' immer mit den Leuten gearbeitet, die für das, was ich gerade mache, die besten waren, und jetzt sind halt für die Dinge, die ich mache, Profis die besten.

Sind da Spannungen weniger möglich?

FASSBINDER: Das auch. Die lesen ein Drehbuch, und wenn es ihnen zusagt und wenn ihnen die Gage paßt, dann machen sie es, und dann steigen sie auch voll darauf ein. Um mit jemandem arbeiten können, muß man ja keinen persönlichen Kontakt zu ihm haben. Ich hatte zum Beispiel zu Ivan Desny und Adrian Hoven persönlich keine Kontakte und konnte trotzdem mit denen gut zusammenarbeiten, während ich mit Schauspielern, zu denen ich sehr intensive Kontakte hatte, oft überhaupt nicht arbeiten konnte.

Mit Ingrid Caven* zum Beispiel?

FASSBINDER: Mit der Ingrid ist es schwierig, weil sie so unheimlich viel Persönliches reintut, so daß dann arbeitsmäßig so unheimlich wenig herauskommt. Es kommen immer wieder nur Konflikte heraus und keine Figuren. Aber sie wollte halt unbedingt etwas machen. Es hat ihr nicht genügt, mit mir verheiratet zu sein, sondern sie wollte als Schauspielerin denselben Stellenwert haben, den meinetwegen Hanna Schygulla oder Margit Carstensen haben, aber den kann sie natürlich nicht haben, schon gar nicht, wenn sie ihn fordert. Das hätte sich höchstens ergeben können, möglicherweise. Ich bin mit der Ingrid tatsächlich viel lieber alleine zusammen. Ich kann mir gut vorstellen, mit ihr allein einen Monat irgendwohin zu fahren oder zu dritt oder zu fünft, das geht auch noch gerade. Aber in der Arbeit ist sie halt noch jemand von früher und in einer Weise auf mich fixiert, wie das früher der Fall war. Die Leute, mit denen ich heute arbeite, sind mehr auf die Sache fixiert, die wir machen, natürlich durch mich gefiltert, klar, das ist nicht so schnell zu verändern, vielleicht nie zu verändern. Aber es ist doch besser geworden.

Heißt das, daß Sie das Kollektiv für gescheitert halten?

FASSBINDER: Ich hab' immer noch die Idee, daß es irgendwie gehen müßte, etwas zu machen, ohne daß einer der Leithammel ist, und die anderen nur immer das tun, was der sich ausdenkt, aber ich weiß im Augenblick nicht, wie das gehen soll. Ich arbeite gern kontinuierlich mit denselben Leuten zusammen, aber das müssen halt Leute sein, die nicht von mir abhängig sind, die jederzeit auch woanders arbeiten könnten und deren freie Entscheidung es ist, mit mir was zu machen. Solche Abhängigkeiten, auf die ich mich besten Wissens und Gewissens eingelassen habe, obwohl ich's besser hätte wissen müssen, will ich jetzt nicht mehr. Ich weiß heute, daß ich auf niemanden angewiesen bin, um arbeiten zu können. Das hab' ich lange Zeit nicht gewußt. Da hab' ich gedacht, ich könnte nur in dieser bestimmten Gruppe was machen und bin angewiesen auf diese Gruppe, aber dann hab' ich herausgefunden, was auch ganz schmerzlich war, aber halt für mich positiv, daß ich mir ein Team ganz neu aufbauen kann, mit Leuten, die ihren Beruf gelernt haben, und daß ich mit diesen Leuten wesentlich besser auskomme und zu schöneren Ergebnissen komme als mit den Leuten, mit denen ich die letzten fünf Jahre gearbeitet habe. Es war ja nicht nur so, daß die anderen von mir abhängig waren. Abhängigkeit ist ja etwas Gegenseitiges, ein fluktuierendes Spiel. Ich hab' halt zu wenig nachgedacht damals. Ich hab' gedacht, es sei schon alles richtig so, wie es ist. Es war ja einesteils auch schön für mich und befriedigend, aber andererseits hat man halt halbe Tage lang mit Irm Hermann** nicht reden können, weil sie, als unsere private Beziehung zu Ende war, dauernd versucht hat, den Kontakt über die Arbeit weiterzuführen. Da mußte man zuerst immer die privaten Probleme ausräumen, bevor man zu arbeiten anfangen konnte.

Auch Hanna Schygulla ist aus dem Kollektiv ausgeschieden.

FASSBINDER: Ach Gott, wir haben siebzehn Filme zusammen gemacht in vier Jahren. Es ist einfach von mir aus genug gewesen, und von ihr aus war ein Stadium erreicht, wo sie sich fragte, ob sie auch ohne mich etwas ist oder nicht. Ich hoffe, daß sie feststellen wird, daß sie etwas ist, nur halt etwas anderes, als sie bei mir war.

Wie haben Sie Margit Carstensen*** kennengelernt?

FASSBINDER: Die saß in der Wohnung ihres Mannes in Bremen und hatte ganz schlimme Migräne und wollte gar nicht mehr spielen und dachte daran, überhaupt aufzugeben. Als sie dann durch mich wieder anfing, etwas zu machen, hat sie ganz große Konflikte mit ihrem Mann bekommen, weil der halt wie jeder Man nicht wollte, daß sie sich für ihre Arbeit mehr interessiert als für ihn und auch noch Erfolg hat. Das ist doch immer das Problem, wenn man einen Beruf hat, der einen ausfüllt, und außerdem eine feste Beziehung.

Haben Sie keine?

FASSBINDER: Doch, hab' ich, aber ich möcht' es nicht haben. Ich möcht' es nicht brauchen. Das ist ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, und wenn es so bleibt, dann bin ich halt zu schwach, es zu ändern. Mir wäre lieber, ich müßte das nicht mehr haben. Ich möchte nicht mehr auf eine einzelne Person fixiert sein, weil da ja wieder Abhängigkeiten entstehen, weil ich selbst abhängig werde und den anderen abhängig mache. Beides ist schrecklich.

Meinen Sie die sexuelle Abhängigkeit?

FASSBINDER: Nein, das ist nicht das Problem. Sexuell habe ich überhaupt keine Probleme. Das ist ein Punkt, wo ich echt keine Komplexe und keine Hemmungen habe. Seit ich mich entschlossen habe, nichts mehr dabei zu finden, auch mit Männern zu schlafen, und ich hab' damit sehr früh angefangen, gibt es da für mich überhaupt keine Schwierigkeiten. Man hat geschrieben, ich hätte in dem Film "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" meine Homosexualität zu sublimieren versucht. Aber das ist ein Irrtum. Man hat aus dem Film etwas Falsches herausgelesen. Das war schon der Versuch, eine ganz konkrete Beziehung, die ich hatte, zu sublimieren, aber das Problem war nicht, daß diese Beziehung homosexuell war, sondern daß ich es nicht geschafft habe, sie einfach zu nehmen, so wie sie war, sondern viel mehr daraus machen wollte. Ich hab' diesen Mann als alles genommen, als Vater, als Kind, als Mann, als Frau, und das ist halt völlig in die Binsen gegangen.

Mich verblüfft Ihre Offenheit. Sind Sie zu jedem so ehrlich?

FASSBINDER: Ich hab' schon jedesmal eine andere Art Ehrlichkeit. Das hat auch mit Sympathie zu tun.

Gibt es verschiedene Ehrlichkeiten?

FASSBINDER: Es gibt eine ganz ehrliche Ehrlichkeit und eine fast ehrliche Ehrlichkeit und eine halbehrliche Ehrlichkeit und eine fast unehrliche Ehrlichkeit, und dann erst beginnt die Lüge. Ich erzähl' halt nicht immer die ganze Wahrheit. Aber lügen tu ich eigentlich nie.

-----------------

*) seit 1972 von Fassbinder geschieden

**) Irm Hermann war Sekretärin beim ADAC, als sie 1966 Fassbinder kennenlernte. 1975 übersiedelte sie nach Berlin, um als Theater- und Filmschauspielerin eigene Wege zu gehen.

***) Margit Carstensen spielte in Hamburg und Bremen Theater, bevor Fassbinder sie für den Film entdeckte

---------------



Aus: André Müller, "Entblößungen", Goldmann, 1979