Begegnung mit Oskar Werner 1975



An der Hotelrezeption sagt man: Er müßte schon da sein.* Ich solle versuchen, seinen Sekretär zu erreichen. Aber das ist ja nicht nötig. Werner hat sein Erscheinen für vier Uhr fest zugesagt. Also warte ich und bereite mich darauf vor, den genialen Funken zwischen Worten und Gesten nicht zu verpassen. Denn irgendwo, daran will ich mit aller Kraft glauben, muß dieser Funke noch sein, trotz der Verrisse, die ich gelesen habe.

Und dann: Er kommt! Ein blonder, zweiundfünfzigjähriger Jüngling**, etwas aufgeschwemmt im Gesicht, durchquert im Laufschritt die Halle, fällt in ein Sofa, richtet den Blick aus Glas in die Ferne und fängt sofort an, eine tiefgekühlte, wie zum Gebrauch aufgetaute Suada über mich auszugießen. Perfekte Show eines Interviews. Sogar das Lächeln bei kleinen Unsicherheiten funktioniert wie geölt.

"Was kann ich Ihnen bieten? Ich habe gerade in Amerika einen Film gedreht, 'Playback'***, einen Krimi, warum nicht? Mit dem Theater bin ich verheiratet, sage ich immer, der Film ist meine Geliebte. Im Augenblick lebe ich mit meiner Geliebten. Stanley Kramer will mit mir über Solschenizyn was machen. Jean Anouilh schreibt ein Drehbuch für mich. Am Theater interessieren mich nur noch die Proben. Wenn man jeden Abend dasselbe spielt, wird es fad. In Deutschland ist es schon fad bei der Premiere. Mit Peter Handke können Sie mich jagen. Masturbierende Primaner interessieren mich nicht. Persönlichkeit ist etwas, das man hat oder nicht hat. Wer sie nicht hat, dem wird sie auch keiner beibringen können. Werner Krauß, Emil Jannings, Spencer Tracy fallen nicht wie die Äpfel vom Birnbaum. Was habe ich in einem Land zu suchen, wo in einer allgemein gelobten Inszenierung der Tasso dem Antonio ins Genick springt?"****

Heißt das: nie wieder Theater?

"Ich werde nächstes Jahr den Mephisto spielen, wo, sage ich nicht."*****

Am Burgtheater?

"Nein, dort bestimmt nicht. Man hat mir schon mehrmals die Direktion dieses Krematoriums angeboten. Aber was macht ein Protestant im Vatikan? Ich bin im selben Monat geboren wie Luther. Ich brauche keinen Papst über mir."

Das kenne ich schon. Das haben Sie schon bei anderer Gelegenheit zum besten gegeben.

"Wenn Sie wollen, kann ich auch etwas Neues sagen."

Sekretär: "Erzähl doch die Geschichte mit den Semmeln!"

Werner: "Ich würde am Burgtheater zuerst einmal Semmeln verteilen lassen, damit die Mägen der siebenhundert Hofbeamten dort was zu arbeiten haben und das Intrigieren vergessen."

Lesen Sie Kritiken?

"Nein, weil ich mit Eunuchen nicht über die Liebe rede."

Nach Ihrem Salzburger Hamlet hat man Ihnen Zügellosigkeit vorgeworfen.******

"Ein Reiter muß beim Springen auch die Zügel loslassen, sonst stolpert das Pferd über den Busch."

Aber er muß es nach dem Sprung wieder unter Kontrolle haben. Er muß auch seinen Verstand benutzen.

"Verstand hat mit Kunst überhaupt nichts zu tun. Schon Schopenhauer hat gesagt, denken soll der Künstler erst, wenn er geschaut hat. Kunst ist eine zwecklose Angelegenheit, erhaben und schön, sagt Kant, erfunden, um das Leben besser ertragen zu können, sagt Nietzsche."

Bringt Ihnen der Film mehr künstlerische Befriedigung als das Theater?

"Ich habe auch im Film mehr abgelehnt als angenommen. Ich bin nicht die Romy Schneider."

Wieso Romy Schneider?

"Na, die macht doch nur lauter pornographische Sachen. Für mich ist ein Walzer immer noch das Erotischste, was es gibt, oder eine Frau im Sari, die sich langsam entblättert. Wir leben heute im Zeitalter des Exkrementismus. Vielleicht hätte ich vor zweihundert Jahren auf die Welt kommen sollen. Mozart, Haydn, Schubert, Shakespeare, Goethe, Schiller, mehr brauch' ich nicht. Da fühl' ich mich wohl. Ich bin vielleicht ein Mann mit einer alten Seele."

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*) Das Interview fand anläßlich einer Lyrik-Lesung mit Gedichten von Goethe, Schiller und Weinheber in Innsbruck statt.
**) Oskar Werner (eigentlich Josef Bschließmayer) erlag am 23. Oktober 1984 einundsechzigjährig einem Herzinfarkt.
***) "Playback", eine Folge der TV-Serie "Columbo"
****) Gemeint ist Peter Steins Inszenierung des "Torquato Tasso" 1969 in Bremen.
*****) Den Mephisto hat Werner nie gespielt.
******) 1970 spielte Werner bei den Salzburger Festspielen in einer eigenen Inszenierung den Hamlet

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Erschienen (Erstfassung) am 11. Januar 1975 in der Münchner "Abendzeitung"