Liedertexte

(für einen Chansonabend der Sängerin Susan Avilés, der am 8. Februar 1979 in dem Münchner Musiklokal "Marienkäfer" Premiere hatte)



Ich will nicht mehr

(Auftrittslied, Musik: Peer Raben)

Ich will nicht mehr!
Was man von mir verlangt,
die Poesie,
das kotzt mich an
Sogar als Lebensmüde
soll ich noch schön poetisch wirken.
Man sagt:
Nun sei doch eine Kunstfigur,
denk dich hinein in eine Frau,
die einsam ist,
verzweifelt.
Seit Tagen starrt sie auf die Schlaftabletten,
will nicht mehr leben,
hat den Mann verloren...
Zeig, was du kannst!

Ich will nicht mehr!

Man macht mir Puder ins Gesicht
und rote Lippen.
Man sagt, I
beim letzten Wort soll ich ein bißchen heiser sein.
So also ist Verzweiflung, denke ich
und möchte schrein.
Doch man verlangt von mir die schöne Pose.
Mein Kleid hat einen raffinierten Schlitz.
Ich bin die Lebensmüde mit den attraktiven Beinen.
Das Schluchzen ist geprobt,
die Zähne waren teuer.
Sogar beim Sterben
seht ihr an mir noch den verruchten Blick.
Die Dekadenz ist "in",
ich bin jetzt gut verkäuflich.
Ich nütze meine Chance,
ich stelle mich ins Licht
und mache aus der Einsamkeit ein Lied.
Ich reime Herz auf Schmerz
und Leid auf Traurigkeit.
Wie gut das klingt!
Wie das zusammenpaßt!
Wie melancholisch mir da zumute wird!
Ich danke dem Applaus.
Ich bin umarmt von Blumen.
Zu Hause schmücken sie mein Bett wie eine Gruft.

Ich will nicht mehr!

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Es ist kein Unterschied mehr zwischen dem Lachen und Weinen

(Musik: Peer Raben)

Gestern wollte ich sterben,
Es war schon fast Mitternacht.
Ich hatte mein teuerstes Kleid an,
Den letzten Schrei aus Paris.
Auf dem Plattenteller lag die Neunte von Mahler.
Ich fühlte mich feierlich.
Ich dachte: Jetzt bist du die Marilyn Monroe.
Das Glas mit dem Gift stand bereit.
Das Veronal löste sich auf.
Ich sah das Weiße im Wasser.
Ich nahm den ersten Schluck.
Da rief mein Freund Fred an.
Er fragte: „Was machst du gerade?“
Ich sagte: „Ich bringe mich um.“
Er lachte.

Es ist kein Unterschied mehr zwischen dem Lachen und Weinen.

Gestern wollte ich sterben.
Heute stehe ich hier.
Mein Fred hat sich das Leben genommen.
Auf dem Dachboden hängt noch der Strick.
Er hatte sein letztes Hemd an.
Einen Abschiedsbrief fand man nicht.
An seinem Grab wurden keine Reden gehalten.
Man spielte keine Musik.
Es war ein sonniger Morgen.
In den Bäumen sangen die Amseln ihr Lied.
Ich warf einen Erdklumpen hinunter.
Ich tupfte die Tränen ab.

Es ist kein Unterschied mehr zwischen dem Lachen und Weinen.

Gestern wollte ich sterben.
Heute ist ein anderer tot.

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Mir wird so lyrisch

(Musik: Peer Raben)

Mir wird so lyrisch,
wenn die Blätter fallen,
wenn alles nach Untergang riecht.
Ich gehe,
und jeder Schritt
bringt mich näher an ein Geheimnis.
Ich stehe
und bin so voller Gefühl.

Mir wird so chaotisch,
wenn über mir die Krähen kreisen,
wenn die Natur im Nebel steht.
Ich lausche
und höre von fern ein Geflüster.
Ich schließe die Augen,
und der Wind ist ein Kuß.

Ich möchte so gerne wahnsinnig sein.

Doch, ach,
mein Kopf ist so klar,
und alles ist Verstand.
Der Herbst ist nur eine Jahreszeit,
und ein Blatt ist ein Blatt,
und die Angst ist die Angst,
und die Krähen sind schwarze Vögel,
und die Stimmen sind meine Gedanken,
und ich bin nur ich,
und der Wind
Ist nur eine Bewegung der Luft.
Und wo ich stehe,
Ist nur der Mittelpunkt des Nichts.

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Wenn nur der Tod nicht so gewöhnlich wäre

(Musik: Peer Raben)

Wenn nur der Tod nicht so gewöhnlich wäre,
ein Schweben,
ein Vergehen,
ich würde jeden Abend sterben,
noch eine letzte Zigarette rauchen
und Rotwein trinken aus Kristall,
ein weißes Kleid anziehen
und vor dem Spiegel sitzen
im Kerzenlicht.
Mein Hals wäre ein Schwanenhals,
mein Haus ein Schloß,
und Sommer wäre Herbst
und Einsamkeit nur eine Pose.
Der Schmutz wäre ein Staubgedicht,
die Hand aus Elfenbein,
und all die Gegenstände
wären nur Spuren in die Vergangenheit.
Ich wäre still zu Ende,
und niemand hätte Macht,
mir die Bedeutungen zu stehlen,
Mit denen ich mich schmücke.

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Du bist das Glück, das mich zerbricht

(Musik: Peter Ludwig)

Du bist das Glück, das mich zerbricht.
Du zeigst mir, wie ich wirklich bin.
Du bist ein Spiegel.
Darin seh ich mich.
Doch das will ich nicht,
und darum bitt ich dich:
Hau ab!

Laß mir die Illusion der Fröhlichkeit!
Nimm mir die Lügen nicht!
Ich lache gern,
und manchmal weine ich.
Ich bin nicht so gescheit.
Ich kenne nicht die Freiheit, die du meinst.
Du machst mich krank.
Ich habe Angst vor dir.

Du bist das Glück, das mich zerbricht.
Du zeigst mir, wie ich wirklich bin.
Du bist ein Spiegel.
Darin seh ich mich.
Doch das will ich nicht,
und darum bitt ich dich:
Hau ab!

Schreib nicht, daß du mich liebst.
Ich bin zu schwach dafür.
Ich war schon so gewöhnt an das Alleinesein.
Ich war so aufgeräumt.
Die Freude hatte ihren Platz.
Der Schmerz war lächerlich.
Ich war mit mir im Lot.
Ich hoffte nichts.
Du hast mich aufgeweckt.

Du bist das Glück, das mich zerbricht.
Du zeigst mir, wie ich wirklich bin.
Du bist ein Spiegel.
Darin seh ich mich.
Doch das will ich nicht,
und darum bitt ich dich:
Hau ab!

Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich...

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Morgen werden wir uns amüsieren

(Musik: Peer Raben)

Morgen werden wir uns amüsieren, Freunde.
Morgen ist alles neu.
Morgen sind wir Millionäre.
Morgen hat sich die Sehnsucht erfüllt.
Wir haben keine Wünsche.
Wir haben keine Wut.
Wir haben uns geschworen,
wie es ist, ist es gut,
wie es ist, ist es gut.

Wir geben uns die Hände
und tanzen auf Wolken im Kreis.
Wir sind so glücklich,
wir sind so immun.
Wir fühlen keinen Schmerz.
Wir haben uns gefunden.
Wir fliegen himmelwärts.
Wir fliegen himmelwärts.

Morgen werden wir uns amüsieren, Freunde.
Morgen ist alles erklärt.
Wir haben keine Fragen.
Wir fürchten uns nicht mehr.
Kein Warten macht uns ungeduldig,
und nichts fällt schwer,
und nichts fällt schwer.

Die Sphinx hat uns zum Tee geladen.
Die Mona Lisa lächelt uns zu.
Wir sagen uns von morgens bis abends die Wahrheit.
Wir sind zufrieden.
Wir kennen keinen Neid.
Man hat uns die Liebe versprochen
in alle Ewigkeit,
in alle Ewigkeit.

Morgen werden wir uns amüsieren, Freunde.
Morgen sind wir im Paradies.
Morgen brauchen wir keine Drogen.
Morgen sind wir uns selbst genug.
Wir haben keine Launen.
Wir haben keine Lust.
Wir haben die Träume verpfändet,
und alles ist bewußt,
und alles ist bewußt.

Die Schatten sind beleuchtet.
Die Zukunft ist zerplatzt.
Im Ruhepunkt der Hoffnungslosigkeit
tut nichts mehr weh.
Wir haben keine Langeweile.
Wir sind nicht alt, nicht jung,
kein Anfang und kein Ende: ein Wort im Wind.
Doch keiner hört es mehr,
weil wir gestorben sind,
weil wir gestorben sind.