Interview mit dem Fußballer Karl-Heinz Rummenigge 1982



In Ihrem Buch über die Fußball-Europameisterschaft 1980 wird diese Sportart als "Festival der Kniffe und Trit­te", "Wegwerf-Fußball" und "kümmerliche Mißgeburt" bezeichnet. Ist Fußballspielen so häßlich geworden?

KARL-HEINZ RUMMENIGGE: Das Schizophrene ist, daß man Leute wie Günter Netzer, Uwe Seeler oder Franz Beckenbauer bewundert, das waren lauter Fußballästheten, aber herausgestellt werden die harten Burschen. Man bewundert die Ästheten, aber man lobt die Kämpfer. Ich mag den absoluten Kampf nicht im Fußball, sondern mehr die spielerische Eleganz der Brasilianer. Aber das ist auf den deutschen Fußball nicht übertragbar. Der Deutsche ist im allgemeinen konditionell sehr stark. Er hat Durchhaltevermögen, er gibt sich nie auf und ist meist etwas stur. Früher war Fußballspielen langsamer und deshalb schöner.

Ist das nicht schade?

RUMMENIGGE: Was heißt schade? Ich muß mich wohl oder übel damit abfinden, daß man sich als Individualist heute schwerer tut, als es früher der Fall war.

Das heißt, Sie dürfen gar nicht so, wie Sie könnten?

RUMMENIGGE: Ach, doch, ich darf schon. Am Anfang meiner Karriere konnte ich es mir vielleicht nicht so erlauben, denn da stand ich in der Hierarchie des FC Bayern auf der untersten Sprosse. Da gab es ganz oben Franz Beckenbauer, dann kamen Gerd Müller, Sepp Maier, Uli Hoeneß, Paul Breitner, dann die anderen Stammspieler. Ich war ganz unten. Ich war der Wipf. Aber ich habe das nicht als etwas Negatives betrachtet. Es ist nun einmal so, daß man sich Positionen erkämpfen muß. Die Leistung entscheidet. Mein Glück war, daß ich nur positiv auffallen konnte. Denn ich hatte den Verein nur ganze 17 500 Mark gekostet. Deshalb hat man sich von mir gar nichts erwartet.

Man nannte Sie  "Rotbäckchen" und "Rummelfliege".

RUMMENIGGE: Ja, heute lache ich darüber, aber zu der Zeit, als das aufkam, hat es sehr weh getan. Den Begriff "Rummelfliege" hat unser damaliger Trainer Udo Lattek erfunden, das war kurz vor seinem Rausschmiß, als er schon wußte, daß man ihn loshaben wollte. Wir hatten 0:1 gegen Hamburg verloren, und obwohl ich an der Niederlage eigentlich schuldlos war, hat Lattek gemeint, ich sei mit offenem Mund auf dem Platz gestanden und hätte nur zugeschaut, wie mein Gegenspieler das Tor schoß. Ich meine, gut, ich war mit achtzehn Jahren, von einem Amateurverein kommend, bestimmt noch nicht so professionell, wie ich es vielleicht hätte sein sollen. Ich war, sagen wir mal, noch etwas naiv. Ich war auch ein Typ, der sich leicht angepaßt hat. Heute stehe ich in der Hierarchie der Mannschaft ganz oben, so daß ich relativ angstfrei Kritik üben kann, wenn ich sie üben will.

Das geht aber nur, solange Sie das Niveau Ihrer Leistung halten.

RUMMENNIGGE: Das stimmt.

Haben Sie Angst, abzustürzen?

RUMMENIGGE: Natürlich denkt man, daß die Karriere auch einen Knick bekommen kann. Aber ich muß sagen, daß ich solche Gedanken möglichst vermeide. Früher hatte ich Angst davor, alt zu werden und nicht mehr spielen zu können. Aber das hat mittlerweile auch nachgelassen. Ich bin ein optimistischer Mensch. Ich brauche keine Psychologen, wie sie bei manchen Klubs üblich sind, um die Spieler seelisch in Form zu halten. Solange meine Leistung nicht nachläßt, möchte ich auch nicht daran denken, daß sie nachlassen könnte.

Sind Sie abergläubisch?

RUMMENIGGE: Alle Fußballer sind abergläubisch. Deshalb gibt es vor jedem Spiel bestimmte Rituale. Im Bus, auf dem Weg zum Stadion, sitzt man da, schaut aus dem Fenster, völlig apathisch. Dann wird geduscht, da machen wir, um eine gewisse Lockerheit in die Mannschaft zu bringen, so kleine Spielchen, indem wir abwechselnd den Ball in die Höhe halten. Danach gehe ich auf die Toilette, um befreit auf den Platz zu kommen. Dann ziehe ich die Turnhose an, dann zuerst den linken, dann den rechten Stutzen, dann das Trikot, dann den linken Schuh, dann den rechten Schuh, dann die Trainingsjacke. Dann kommt das Warmlaufen. Manche ziehen die Schuhe mehrere Male aus und wieder an. Uli Hoeneß hat sich, als er noch aktiv war, die Schuhe vor einem Spiel bis zu zwanzigmal an- und ausgezogen.

Beten Sie für den Sieg Ihrer Mannschaft?

RUMMENIGGE: Nein, denn den Ausgang eines Spieles kann ich selbst mitbestimmen. Aber ich mache das Kreuzzeichen, bevor ich auf's Spielfeld laufe, damit es mich vor Verletzungen schützt. Denn darauf habe ich keinen Einfluß.

Sie sind Katholik.

RUMMENNIGGE: Ja.

Gehen Sie sonntags zum Gottesdienst?

RUMMENIGGE: Ich muß zugeben, ich bin, außer zur Taufe meiner beiden Söhne seit Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen, weil mir die Zeit fehlt. Aber ich hoffe, daß ich trotzdem in den Himmel komme.

Jesus sagt, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel komme.

RUMMENIGGE: Ich habe mir mein Geld ehrlich verdient. Deshalb glaube ich, mein Reichtum wird mir nicht schaden.

Sie verdienen, die Einnahmen durch Werbung hinzugerechnet, rund eine Million im Jahr.

RUMMENIGGE: Über Finanzielles will ich nicht sprechen. Ich verdiene nicht schlecht. Ich werde dafür bezahlt, daß ich guten Fußball spiele, daß meine Leistungen über dem Durchschnitt liegen und daß ich einen hohen Wirkungsgrad beim Publikum habe. Ich finde mich nicht überbezahlt. Denken Sie zum Beispiel an Marlon Brando, der für eine Filmszene von fünf Minuten zehn Millionen Dollar kassiert. Ich finde auch Marlon Brando nicht überbezahlt, weil allein schon sein Name Millionen Leute ins Kino lockt. Mein Name lockt nicht Millionen, aber Tausende sicher.

Aber das sagt doch nichts über die Angemessenheit der Bezahlung. Ein Wissenschaftler, der eine Entdeckung macht, die die Welt verändert, lockt niemanden hinter dem Ofen hervor, aber seine Leistung hat trotzdem enorme Bedeutung.

RUMMENIGGE: Dann wird er auch gut verdienen. Alle Leute, die Bedeutendes leisten, verdienen entsprechend. Gute Schriftsteller verdienen auch eine Menge, oder sie werden verehrt und bekommen ein Denkmal.

Ja, aber erst, wenn sie tot sind.

RUMMENIGGE: Stimmt. Ich werde zu Lebzeiten gut bezahlt, dafür bekomme ich sicher kein Denkmal.  Zwar haben vor kurzem die Fans in meiner Heimatstadt Lippstadt dem Denkmal des Stadtgründers, Graf Bernhard, mein Trikot angezogen. Aber das ist von der Stadtverwaltung wieder beseitigt worden.

Paul Breitner sagt, Fußballer werden auch dafür bezahlt, daß sie sich die Beschimpfungen der Zuschauer gefallen lassen.

RUMMENIGGE: Der Paul hatte unter Beschimpfungen besonders zu leiden, aber bei ihm hat man auch das Gefühl, er braucht das. Als Tschik Cajkovski Trainer beim FC Bayern war, ist er nach einem verlorenen Spiel einmal von einem Zuschauer als Sau und mieser Jugoslawe bezeichnet worden. Der Tschik ist zu dem Zuschauer hingegangen und hat gefragt: Haben Sie Eintritt bezahlt? Darauf sagte der, ja. Da hat der Tschik gesagt, gut, dann dürfen Sie weiterschimpfen.

Würden Sie auch so reagieren?

RUMMENIGGE: Mir bleibt nichts anderes übrig. In Norddeutschland, wo wir eine verhaßte Mannschaft sind,  haben die Zuschauer unseren Bus bespuckt, und wenn wir ins Stadion kamen, hat man geschrien: Bayernsäue. Ich finde das nicht angenehm, aber man muß berücksichtigen, daß die Leute, die da schimpfen, finanziell und gesellschaftlich, aus der Unterschicht stammen. Ich bin mal in so einen Fan-Klub gegangen. Da erfährt man, daß die Tag für Tag einen unheimlichen Frust erleben, entweder an ihrem Arbeitsplatz, weil sie eine absolut stupide Tätigkeit ausführen müssen, oder zu Hause, wo sie in total zerrütteten Familien leben. Wenn die dann, zum Teil schon betrunken, in die Stadien gehen und durch die Masse noch Mut bekommen, dann ist es verständlich, daß sie solche Schimpfwörter von sich geben.

Sollte man die Lebensbedingungen dieser Menschen nicht ändern?

RUMMENIGGE: Dazu bin ich zu klein, würde ich sagen. Aber man könnte versuchen, die angestauten Aggressionen irgendwie verpuffen zu lassen, indem man diese Leute in Gruppen zusammenfaßt und eine Therapie macht, und sei es nur, indem man sie anregt, Fußball zu spielen. Ich kann mich sehr gut auf dem Platz abreagieren. Wenn ich einmal Streit mit meiner Frau oder Zwist im Geschäftsleben habe, dann gehe ich auf den Fußballplatz und reagiere mich ab, nicht indem ich einen umhaue, sondern durch das Laufen und Spielen. Ich spiele dann oft noch besser, als wenn alles in Ordnung wäre. Wenn ich danach nach Hause komme, bin ich innerlich so befriedigt, daß ich wieder die beste Laune habe.

Schön für Sie, aber wo soll Ihre Frau den Ärger ablassen?

RUMMENIGGE: Das muß sie gar nicht, weil dann ich die Sache bereinige. Unsere Krachs sind ja relativ harmlos. Meine Frau mag nicht, daß ich so viel unterwegs bin. Aber sie akzeptiert, daß der Fußball in meinem Leben die Nummer eins ist, weil ich erstens damit das Geld verdiene und zweitens dadurch eine innere Befriedigung finde, die nichts ersetzen könnte. Würde sie mir jetzt zwei Millionen oder fünf Millionen auf den Tisch hinblättern, würde ich trotzdem spielen, weil ich einfach Spaß daran habe.

Haben Sie vor, später zu einem ausländischen Verein zu wechseln?*

RUMMENIGGE: Früher hätte ich gesagt: Nie! Inzwischen sehe ich die Sache lockerer. Ich hatte mehrere Angebote, darunter eines aus Barcelona, da hätte mein Verein für mich fünf Millionen Mark Ablöse bekommen. Also habe ich mir das überlegt, aber sowohl der FC Bayern, speziell unser Manager Uli Hoeneß, als auch meine Frau und meine Sponsoren haben mich überredet, in München zu bleiben. Andererseits ist es auch reizvoll, einmal ein anderes Land kennenzulernen, eine andere Sprache, eine andere Art, Fußball zu spielen.

Vergessen Sie nicht das Geld! In Barcelona, würde sich Ihr Einkommen verdoppeln.

RUMMENIGGE: Das ist richtig. Würde ich nur an den materiellen Vorteil denken, würde ich schon lange nicht mehr in Deutschland spielen. Aber ich habe hier alles, was ich mir leisten wollte. Vor einem Jahr hätte ich gesagt, ich will ein eigenes Haus. Das habe ich mittlerweile. Natürlich könnte ich das noch weiterspinnen und mir ein Sommerhaus oder ein Motorboot oder sonst etwas wünschen, aber ich bin im Prinzip mit dem zufrieden, wie es jetzt ist. Ich habe durch meine Bankausbildung zum Geld ein recht differenziertes Verhältnis. Geld ist für mich ein Mittel zum Zweck oder, wenn Sie so wollen, ein Mittel zur Freiheit.

Aber frei sind Sie doch gar nicht. Ihr Terminkalender ist voll. Was Sie in Ihrer Freizeit tun, wird vom Verein kontrolliert. Für Experimente ist kein Platz in Ihrem Leben. Sie haben viel Geld, aber Sie haben Ihre Freiheit verloren.

RUMMENIGGE: In einem gewissen Sinn haben Sie recht. Ich kann nicht immer das machen, was Leute in meinem Alter vielleicht machen würden. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, heute Abend geh' ich mir einen saufen, oder heute geh' ich in eine Diskothek bis zwei Uhr früh. Mein Beruf hat gewisse Nachteile. Das sehen die Leute oft gar nicht. Die sehen nur das Geld und die jubelnde Masse, aber sie sehen nicht, daß man um halb elf ins Bett muß, wenn am nächsten Tag ein Spiel ist. Außerdem darf ich zum Beispiel laut Vertrag nicht Motorrad fahren.

Werden Sie vom Verein überwacht?

RUMMENIGGE: Früher, als meine Frau noch nicht hier war, ist es vorgekommen, daß Dettmar Cramer, unser damaliger Trainer, abends mal bei mir anrief, um zu sehen, ob ich daheim war, aber das lag daran, daß er in seinem Hirn nichts anderes hatte als mei­nen Namen. Denn er hatte mich entdeckt und ist für mich damals zu einer Art Ersatzvater geworden. Heute würde ich mir solche Kontrollanrufe nicht mehr gefallen lassen. In anderen Klubs geht es ja so weit, daß die Spieler kein Coca-Cola trinken und keine Pommes frites essen dürfen. Das wäre für mich ganz unannehmbar.

Fehlt Ihnen das wilde Leben?

RUMMENIGGE: Nein. Denn ich war nie ein lockerer Vogel. Ich bin jetzt acht Jahre in München, aber ich war auf keinen fünf Partys in diesen acht Jahren. Wenn ich von einer Reise mit der Mannschaft nach Hause komme, will ich nur meine Ruhe haben. Ich habe zwei tolle Kinder, eine hübsche Frau. Ich lese gern. Ich sehe unheimlich gern Krimis im Fernsehen. Mehr brauche ich gar nicht.

Das unterscheidet Sie von Franz Beckenbauer, der sich alljährlich bei den Festspielen in Bayreuth zeigt, obwohl er die Musik Richard Wagners, wie er selbst zugibt, nicht sonderlich schätzt.

RUMMENIGGE: Das würde ich nie tun. Ich mag diese Musik nicht. Ich könnte mir das über Stunden hin gar nicht anhören. Deshalb gehe ich eben nicht in die Oper. Ich würde auch nie auf eine Party gehen, nur weil der Herr XY dort ist, der mir irgend­welche Vorteile verschaffen könnte. Es ist doch so, daß man, je bekannter man wird, überall Leute trifft, durch die man Vergünstigungen bekommen könnte. Ich könnte zum Beispiel die tollsten Autos vollkommen gratis fahren.

Ist das nicht ungerecht?

RUMMENIGGE: Natürlich ist es ungerecht, wenn jemand, der schon so viel hat, auch noch alles geschenkt bekommt. Da gibt es ein Sprichwort: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

Interessieren Sie sich für Politik?

RUMMENIGGE: Ja, ich frage mich zum Beispiel, wie es weiter geht mit unserer Energie. Schalten wir auf Kohlekraftwerke? Gehen wir auf Kernenergie? Oder passiert gar nichts von beidem? Auch die steigende Arbeitslosigkeit macht mir Sorgen. Aber das komische ist, daß dadurch die Einnahmen bei Fußballspielen überhaupt nicht beeinträchtigt werden. Zunächst dachte man, die Arbeitslosigkeit würde die Zuschauerzahlen herunterdrücken, weil die Leute kein Geld mehr haben. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Die Leute wollen sich von ihren Problemen ablenken.

RUMMENIGGE: Wenn das so ist, dann finde ich das sehr positiv. Fußball ist eine Art Droge. Auch ein Drogensüchtiger erlebt einen gewissen Frust im Alltag, aber er hat eben kein Interesse am Fußball. Deshalb flüchtet er in die Drogen. Ich kann das verstehen, aber ich akzeptiere es mehr bei einem Fan als bei einem, der Heroin nimmt, weil der Fan niemandem etwas tut. Man muß doch sagen, daß die Drogenabhängigen der Gesellschaft oft auf der Tasche liegen.

Wer ist schuld daran, daß die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein sollten?

RUMMENIGGE: Was die Arbeitslosen betrifft, ist eindeutig der Staat am Drücker. Also in dem Fall sind es die Politiker, die dafür zu sorgen haben, daß das Wirtschaftswachstum nicht aufhört.

Gehen Sie wählen?

RUMMENIGGE: Ja, immer.

Welche Partei wählen Sie?

RUMMENIGGE: Die CSU, weil das die Partei ist, in der ich meine Interessen am besten vertreten sehe.

Welche Interessen?

RUMMENIGGE: Meine materiellen Interessen. Ich muß aber sagen, ich bin im Prinzip ein politischer Laie. Daß ich CSU wähle, hat auch mit meinen Eltern zu tun, die mich in dieser Richtung beeinflußt haben.

Wie wurden Sie erzogen?

RUMMENIGGE: Ganz normal, würde ich sagen. Eigentlich sollte ich ja, da ein Junge schon da war, ein Mädchen werden. Ich hatte Locken als Kind, die von meiner Mutter mit Lockenwicklern bearbeitet wurden. Das sah hübsch aus, aber für meine Altersgenossen war das natürlich ein Grund, sich über mich lustig zu machen. Dagegen habe ich mich schon sehr früh gewehrt und war dauernd in Raufereien verwickelt. Mein Selbstwertgefühl kam aus meiner körperlichen Überlegenheit und später durch den Sport. 

Wie reagieren Sie, wenn Sie ein Spieler der gegnerischen Mannschaft auf dem Spielfeld beleidigt?

RUMMENIGGE: Ich habe bis jetzt nur eine einzige rote Karte bekommen, das war im Spiel gegen unseren Lokalrivalen 1860 München, als die Mannschaft noch zur ersten Liga gehörte. Ich hatte den Spieler Hofeditz im Strafraum gefoult. Der Schiedsrichter gab Elfmeter. Ich sagte zu Hofeditz, steh doch auf, du hast ja gar nichts. Darauf hat er mich als rotes Schwein oder rote Sau bezeichnet. Rot ist die Vereinsfarbe des FC Bayern. Jedenfalls hab ich ihm, impulsiv, zack, eine geknallt. Ich habe das damals nicht bereut und bereue es auch heute nicht, obwohl ich es nicht mehr so machen würde. Wenn mich einer beleidigt, spornt mich das nur zu einer noch größeren Leistung an. Da kommt bei mir ein wahnsinniger Ehrgeiz, diesen Mann durch mein Spiel lächerlich erscheinen zu lassen. Da stelle ich irgend etwas auf dem Platz an, damit die Zuschauer über den lachen.

Eine rote Karte haben Sie auch bekommen, als Sie in Madrid in einem Spiel gegen Dynamo Tiflis einfach den Platz verließen.

RUMMENIGGE: Ja, aber diese Entscheidung hat das Sportgericht wieder zurückgenommen. Das ganze Spiel war ein Skandal ohnegleichen. Der Schiedsrichter, ein Spanier, hat von Anfang an katastrophal gepfiffen, und dann gab er völlig unberechtigt für die Russen einen Elfmeter, wogegen Paul Breitner Protest einlegte. Dafür bekam er die gelbe Karte und hat sich, um keinen Platzverweis zu riskieren, auswechseln lassen. Das Spiel ging weiter. Der Schiedsrichter hat seinen Mist weitergepfiffen, da bin auch ich mit ihm ins Gerangel gekommen. Der Paul hat mich zur Seitenlinie gewunken und gesagt, bitte hör sofort auf zu schimpfen, der schmeißt dich vom Platz. Im selben Moment kam der Schiedsrichter angerast und zeigte uns beiden die rote Karte, worauf ihm der Paul den Vogel zeigte. Nun ging es erst richtig los. Unser Trainer ist auf das Spielfeld gerannt. Plötzlich deutete der Schiedsrichter auf mich. Zwei Polizisten kamen. Einer packte mich links, einer rechts. Die wollten mich in die Kabine zerren. Da hat unser Manager gesagt, das lassen wir uns nicht gefallen, wir spielen nicht weiter. So war es dann auch.

Sind Sie mit Paul Breitner befreundet?

RUMMENIGGE: Wir sehen uns privat überhaupt nicht, aber ich glaube, wir verstehen uns. Bei der WM in Spanien, bin ich mit ihm auf einem Zimmer gelegen, da sind wir fünf Wochen Tag und Nacht zusammengewesen, haben sogar zusammen geschlafen. Da ist ganz von selbst ein sehr intimes Verhältnis entstanden. Vorher hatten wir kaum miteinander gesprochen, aber in Spanien ist es fast so etwas wie Freundschaft geworden.

War es Ihr Wunsch, mit Breitner das Zimmer zu teilen?

RUMMENIGGE: Nein. Der Jupp Derwall, unser Nationaltrainer, hat mich darum gebeten, weil der Paul doch ein Typ ist, mit dem man, sagen wir mal, einen speziellen Kontakt haben muß, um mit ihm auszukommen. Von 1978 bis 1981 ist in der Nationalmannschaft Hansi Müller mein Schlafgenosse gewesen. Dann ist der Paul wieder in die Mannschaft gekommen, und da wir im selben Verein sind, war es ganz logisch, uns zusammenzulegen. Es ist ja nicht so, daß sich der DFB, der sicher der finanziell stärkste Verband der Welt ist, Einzelzimmer für seine Spieler nicht leisten könnte. Man legt die Leute zusammen, damit sie sich über das Spiel unterhalten, zum Beispiel Breitner und mich, weil wir ein Duo im Angriff sind.

Ist es für Sie nicht befremdlich, mit einem anderen Mann das Bett teilen zu müssen?

RUMMENIGGE: Angenehm ist es nicht. Man möchte lieber bei seiner Frau sein. Was ich hasse wie die Pest, ist, wenn einer einen unruhigen Schlaf hat. Ich habe zum Beispiel einmal eine Nacht mit Peter Briegel verbringen müssen. Seither hat der ein Einzelzimmer. Der schnarcht so abartig, daß kein Mensch das aushält. Ich meine, er kann nichts dafür. Der Peter ist ein unheimlich lieber, netter, sympathischer Kerl. Aber deshalb kann ich mir nicht den Schlaf um die Ohren hauen.

Wer ist in den Trainingslagern des FC Bayern Ihr Zimmerpartner?

RUMMENIGGE: Im Augenblick habe ich mit Udo Horsmann ein Doppelzimmer. Vorher war es Kurt Niedermayer, der jetzt in Stuttgart spielt. Davor war ich ein Jahr mit Bernd Dürnberger und drei Jahre mit Uli Hoeneß im selben Zimmer. Vier Schlafgemeinschaften in acht Jahren, das ist relativ wenig. Andere wechseln oft innerhalb eines Jahres. Damit soll das Verhältnis der Spieler untereinander verbessert werden. Man unterhält sich vor dem Einschlafen über alles mögliche, über intime Dinge, die man anderswo nicht so gern breittreten möchte, über Mannschaftsinterna, über die Familie, über Privates, Themen, über die man vielleicht sonst mit seiner Frau sprechen würde.

Wie viele Nächte im Jahr können Sie denn mit Ihrer Frau verbringen?

RUMMENIGGE: Etwa die Hälfte, maximal, die andere Hälfte in Trainingslagern.

Erinnert das nicht ein wenig an das Soldatenleben?

RUMMENIGGE: Doch, das ist vergleichbar.

Haben Sie Ihren Wehrdienst geleistet?

RUMMENNIGGE: Ja, als Ersatzzeugwart in der Kleiderkammer.

Dachten Sie daran, daß Sie man Sie da für den Krieg ausbildet?

RUMMENIGGE: Eigentlich nicht. Man denkt, es ist eine Pflicht, die jeder deutsche Junge erfüllen muß, aber man denkt nicht an Krieg. Heute denke ich darüber öfter nach, denn ich habe einige Bücher über den Zweiten Weltkrieg gelesen. Mein früherer Schlafgenosse, Kurt Niedermayer hat sehr viel über die Judenvernichtung gelesen, und wir haben uns darüber auch unterhalten. Ich bin heute sicher, daß die Deutschen durch das, was damals geschehen ist, gefeit sind gegen alles, was mit Krieg zu tun hat.

Zivildienst kam für Sie nicht in Frage.

RUMMENIGGE: Nein, weil sich in mir vieles sträubt gegen die Tätigkeiten, die ich da hätte verrichten müssen. Ich gebe zu, ich kann zwar meinen Söhnen den Arsch auswischen, aber bei fremden Leuten hätte ich einen Widerstand.

Johan Cruyff** sagt, Fußballspielen sei eine Art von Krieg.

RUMMENIGGE: Ja, irgendwie ist es schon kriegerisch. Aber ich habe, wenn meine Mannschaft siegt, nie das Gefühl des Triumphs über den Gegner oder der Schadenfreude. Ich weiß nicht, wie es im Krieg war, also was da in den Siegern vorging. Im Fußball ist das mit einem einzigen Wort auszudrücken: Stolz. Ich bin stolz, wenn wir gewonnen haben.

Stolz auf die Mannschaft?

RUMMENIGGE: Und auf mich. Denn jeder Fußballspieler ist in einem gewissem Sinne auch Egoist. Er weiß, er kann den Erfolg nur mit der Mannschaft haben, aber er will auch über der Mannschaft stehen, und das erreicht er, indem er Tore schießt oder tolle Pässe schlägt wie Günter Netzer oder einfach nur durch seine Leistung auffällt wie Franz Beckenbauer, der fast nie Tore schoß.

Was haben diese Spieler, das anderen fehlt?

RUMMENNIGE: Das weiß ich nicht.

Intelligenz?

RUMMENIGGE: Nein, Fußball hat mit Intelligenz nichts zu tun, zumindest nicht mit normaler Intelligenz. Fußball ist eine Sache des Instinkts. Jemand, der auf dem Platz sehr intelligent spielt, ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit einem intelligenten Menschen.

Der Trainer Max Merkel sagt, die besten Fußballer sind oft im Leben die größten Idioten.

RUMMENIGGE: Das ist durchaus möglich.

---------------------

*)  Karl-Heinz Rummenigge, gelernter Bankkaufmann, spielte von 1974 bis 1984 als Stürmer beim FC Bayern, wechselte dann zu Inter Mailand und beendete seine Spielerkarriere 1989 bei Servette FC Genf. 1991 wurde er Vizepräsident, 2002 Vorstandsvorsitzender des FC Bayern

**) Johan Cruyff, niederländischre Fußballspieler, später Trainer bei Ajax Amsterdam und dem FC Barcelona

----------------



Erschienen 1983 in der Februar-Ausgabe des "Playboy"