Interview mit Joachim („Blacky“) Fuchsberger 1984



Für Sie ist dieses Interview kein Spaß, sondern Arbeit.*

JOACHIM FUCHSBERGER: Für mich ist alles Arbeit, was eine gewisse Seriosität verlangt in Bezug auf Auskünfte über mich selbst.

Ist es nicht auch ein Vergnügen, befragt zu werden?

FUCHSBERGER: Meine Arbeit ist für mich das höchste Vergnügen, und sie wird es immer mehr, seit die Diskrepanz zwischen denen, die arbeiten dürfen, und denen, die keine Arbeit haben, ständig größer wird. Früher hat man gesagt, ich muß arbeiten, heute sagt man, ich darf. Insofern ist meine Arbeit etwas, das mich privilegiert, weil ich genau das tue, was mich erfüllt. Die meisten Menschen sind doch zu einer Arbeit gezwungen, die ihren Neigungen nicht entspricht.

Woran liegt das?

FUCHSBERGER: Das weiß ich nicht. Das ist eine unumgängliche Begleiterscheinung des Zusammenlebens so vieler Menschen. Es gehört aber auch zu den Problemen unserer Zeit, daß wir vom Leben zu viel erwarten. Ich komme aus sehr einfachen Verhältnissen und habe mich hocharbeiten müssen. Aber ich kann mich noch gut erinnern, daß ich mich in einer Arbeit, die man heutzutage als eine der unangenehmsten bezeichnen würde, nämlich als Bergwerkskumpel**, in mancher Hinsicht wohler gefühlt habe als in meiner jetzigen Arbeit. Da sind Hochgefühle entstanden, die sind schwer zu beschreiben. Wenn man sich achthundert oder tausend Meter unter der Erde befindet, und plötzlich wird der Berg unruhig, und es entsteht eine unbeschreibliche Angst, daß das ganze Scheißzeug zusammenbricht, dann geschieht etwas mit der Gemeinschaft dort unten, das ich heute nur selten finde.

Ein Zusammengehörigkeitsgefühl...

FUCHSBERGER: Ja. Das habe ich sonst nur im Krieg erlebt. Da habe ich erfahren, wozu Menschen fähig sind, wenn sie gefordert werden. Heute ist alles so abgesichert. Keiner soll für sich die Verantwortung tragen.

Waren die Anforderungen, die der Krieg mit sich brachte, nur positive?

FUCHSBERGER: Es gab angenehme, und es gab unangenehme. Eine unangenehme Forderung war zum Beispiel der Gehorsam Gleichaltrigen gegenüber. Da war irgend so ein Volltrottel aus derselben Straße, und der durfte nun plötzlich sagen, daß man sich vor ihm in den Dreck legen solle.

Warum ist es leichter, einem Älteren zu gehorchen?

FUCHSBERGER: Ein Älterer ist in der Hierarchie leichter anzuerkennen, weil man voraussetzen kann, daß er schon ein paar Erfahrungen mehr hat. Davon kommt doch auch das Wort "Eltern".

Hatten Sie einen strengen Vater?

FUCHSBERGER: Mein Vater war Vertreter und daher selten zu Hause. Aber wenn er da war, gab es ganz klare Richtlinien, an die man sich halten mußte.

Stimmt es, daß er Sie einmal aus Wut fast erschossen hätte?

FUCHSBERGER: Ja, aber das ist aus einer unerträglichen Enttäuschung entstanden, die ich ihm durch eine kriminelle Handlung bereitet hatte. Ich war acht oder neun Jahre alt und habe gestohlen und Unterschriften gefälscht. Es gab in unserem Haus eine Stahlkassette, die quasi meine Sparbüchse war. Da wurde von Zeit zu Zeit Geld eingezahlt, auch von Gästen des Hauses, die es gut mit mir meinten, also sammelte sich da ein Betrag an, der heute ungefähr einem Wert von mehreren tausend Mark gleichkommen würde. Ich habe diese Kassette aus einem verschlossenen Schrank geklaut, den ich aufbrechen mußte. Dann habe ich sie mit Hilfe mehrerer Klassenkameraden erbrochen und von einer Brücke in den Neckar geschmissen. Das Geld haben wir buchstäblich verjubelt. Es gab in Heidelberg jedes Jahr einen Kirmesplatz, da war ich nun also der big spender und hab meine Kameraden großzügig eingeladen, um denen zu zeigen, seht mal, was ich für ein toller Hecht bin. Als ich mitten in der Nacht nach Hause kam, war das Geld weg. Die anderen hatten sich alle verpißt, und nun stand der Verbrecher alleine da, und es kam die Stunde der Wahrheit. Mir war klar, daß ich das Vertrauen meines Vaters betrogen hatte. Er war ein Choleriker. Er wollte mir sicher nur einen Schreck einjagen. Aber man weiß ja aus der Psychologie, daß sich so etwas potenziert. Eine Grenze wird überschritten. Man kommt in einen Wutrausch. Mit der Hand wollte er mich nicht schlagen, also nahm er zuerst eine Reitpeitsche und schlug mich windelweich im wahrsten Sinne des Wortes. Dann griff er zu einer Pistole und sagte, lieber gar keinen Sohn als einen Verbrecher.

Wie gruselig!

FUCHSBERGER: Natürlich denke ich heute, er hätte nie im Leben geschossen. Aber es war doch ein Schlüsselerlebnis, das entscheidend war für viele Dinge in meinem späteren Leben. Das hat sich in mein Hirn eingemeißelt, das geht nie mehr raus. Wenn man so etwas einmal erlebt hat, ist man gefeit davor, in einer Situation, in der es möglich wäre, auf die leichtere Art zu etwas zu kommen, vom sauberen, ehrlichen Weg, der immer etwas schwieriger ist, abzugehen.

Von da an sind Sie ehrlich und sauber geblieben.

FUCHSBERGER: Ich denke schon. Aber das hört sich jetzt beinahe wie eine Beschimpfung an. Ich weiß, es ist ein kritischer Punkt in der Beurteilung meiner Person, daß man sagt, verdammt noch mal, wo können den Hund auf dem linken Fuß erwischen. Wissen Sie, was das für mich ist? Wahnsinnig enttäuschend! Denn das bedeutet doch, daß das, was für mich ganz normal ist, etwas ganz Außergewöhnliches zu sein scheint.

Die Anständigkeit?

FUCHSBERGER: Ja. Bei mir muß alles in Ordnung sein. Ich muß wirklich jedem in die Augen sehen und sagen können, okay, was willst du?

Als Schauspieler müssen Sie auch das Böse darstellen können.

FUCHSBERGER: Ein Schauspieler bin ich nie gewesen. Das ist jetzt keine Koketterie. Ich kann sehr genau unterscheiden zwischen Schauspielern, Darstellern und Komödianten. Ich habe ja als Chefinspektor von Scotland Yard*** reihenweise Leute erschossen, natürlich immer in Notwehr, klar. Ich war stets auf der guten Seite, how boring! Ich durfte ja die Rollen, die ich spielen wollte, nie spielen. Wir Deutschen haben es immer hervorragend verstanden, an allen unseren Problemen vorbeizugehen. Da wurden meist idiotische Geschichten erfunden und daraus irgendwelche blöden Filmchen gemacht, oder man drehte diese hanebüchenen Kriminalfilme nach dem Romanen von Edgar Wallace.

Was wurde Ihnen in diesen Filmen als Darsteller abverlangt?

FUCHSBERGER: Körperliche Fitneß vor allem, denn es war ja sehr viel Action in diesen Filmen. Keiner hat so gut wie ich gelernt, wie man fällt und wie man schlägt. Ich habe einen sehr guten Freund, den Fernsehproduzenten Helmut Ringelmann, den habe ich einmal gefragt, sag mal, du Miststück, wann bekomme ich endlich in einer deiner Superserien eine Rolle? Darauf hat er geantwortet: Nie, denn was willst du da spielen? Bei mir war es wohl so, daß man gemerkt hat, daß meine Möglichkeiten begrenzt sind.

Sie sind zu sympathisch.

FUCHSBERGER: Man hat offensichtlich erkannt, daß es im Medienbereich ganz bestimmte Wirkungen gibt, für die man nichts kann. Ich bin für die Menschen eine Bezugsperson. Sie haben Vertrauen zu mir. Sie glauben mir, was ich sage. Sie haben ein Gefühl der Sicherheit, daß das, was ich ihnen da vormache, stimmt. Sie bekommen auch keine Angst, wenn sie mir nachts auf der Straße begegnen. Wenn ich da an meinen hochverehrten und geliebten Freund Mario Adorf denke... Das ist ein Mensch, der könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Aber der hat einen Ruf, daß jeder sagt, oh Gott! Die Mädchen haben Angst vor dem. Es gibt einfach Kästen, in die man Sie steckt, ob Sie wollen oder nicht. Du kriegst eine Marke und wirst in die Garderobe gehängt. Da hängen Pelzmäntel und Ledermäntel und Lodenmäntel, und wenn da einer versucht auszubrechen, nimmt man es übel. Selbstverständlich kam auch bei mir die Zeit, als man sagte, jetzt wollen wir das Publikum mal verscheißern, bisher warst du fünfundzwanzigmal der Inspektor, im nächsten Film, ätsch ätsch, April April, bist du der Mörder. Das habe ich abgelehnt, obwohl es mich wahnsinnig gereizt hätte, einen Mörder zu spielen.

Hätten Sie sich das zugetraut?

FUCHSBERGER: Kommt darauf an, welche Art Mörder, einen Triebmörder, nein, einen Affektmörder, ja, denn das ist für mich kein Mörder mehr, sondern ein Racheengel. So eine Frau wie die Marianne Bachmeier**** kann ich verstehen. Das hat vielleicht damit zu tun, daß ich für meine Brüder, die sieben und neun Jahre jünger waren als ich, so eine Art Ersatzvater wurde. Ich entwickelte einen Beschützertrieb und fühlte mich verantwortlich für die Familie, wenn der Alte nicht da war. Ich sage immer, ich kann nicht verantwortlich sein für die Lage, in der sich die Welt befindet, aber ich bin verantwortlich für die Zelle um mich herum. Wenn man meiner Frau oder meinem Sohn etwas antut, wäre bei mir Schluß mit Gemütlichkeit. 

Sie würden zuschlagen.

FUCHSBERGER: Ja, natürlich.

Haben Sie es schon einmal getan?

FUCHSBERGER: Ja, während des Krieges, 1943, nach dem schweren Bombenangriff auf Düsseldorf. Meine Eltern feierten silberne Hochzeit und sind zu diesem Zweck aus dem zerstörten Düsseldorf nach Heidelberg, in den noch etwas friedlicheren Süden, geflüchtet. Dort lebten Verwandte und Freunde. In der Stadthalle von Heidelberg redete Joseph Goebbels über den Bombenkrieg. Mein Vater hatte das Bedürfnis, dort hinzugehen. Der Andrang war groß. Als wir hinkamen, drängten Tausende von Menschen da rein, und wir waren in so einem Schlauch drin und kamen nicht mehr heraus. Meine Mutter wurde mit den Menschenmassen an eine bestimmt Stelle gedrückt, wo man Ausweise verlangte. Mein Vater und ich befanden uns etwas seitlich und sahen plötzlich, wie sich zwei Männer, die, wie ich erst später erfuhr, von der Gestapo waren, in höchst rüder Weise mit meiner Mutter beschäftigten. Sie sollte zurück, aber sie kam nicht heraus und fing an zu heulen. Mich packte die Wut. Ich hatte damals schon das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern, war also hoch dekoriert und entsprechend stolz, ein deutscher Junge, dessen deutsche Mutter da angegriffen wurde. Also habe ich mich durchgeschlagen, bin über die Barriere gesprungen und habe die beiden Burschen niedergebügelt. Zu deren Pech war ich gerade vier Wochen davor Gebietsmeister im Judo geworden und hatte meinen ersten Meistergürtel bekommen. Mein Vater und ich wurden verhaftet und in einen Keller gebracht, wo wir mit dem Gesicht zur Wand stehen mußten, von bewaffneten SS-Leuten bewacht. Was uns gerettet hat, war die Tatsache, daß mein Vater als anerkannter Motorsportler eine ziemlich hohe Position beim Kraftfahrkorps innehatte. Sonst wären wir wohl im KZ gelandet.

War Ihr Vater Parteimitglied?

FUCHSBERGER: Mein Vater war seit 1934 Parteigenosse, ein ausgesprochener Nationalsozialist. Ich kann mich gut erinnern, daß wir schreckliche Auseinandersetzungen hatten, als es gegen Ende des Krieges darum ging, meinerseits in die Partei einzutreten, was er befürwortete, ich aber nicht, weil ich mittlerweile Vorfälle gesehen hatte, die in meinem jugendlichen Gehirn Zweifel erregten. Ich habe Dinge erlebt, von denen Gleichaltrige heute behaupten, sie hätten es nicht gewußt, was ich schlicht nicht begreife.

Zum Beispiel?

FUCHSBERGER: Zum Beispiel die Reichskristallnacht 1938. Da war ich elf Jahre alt. Ich habe gesehen, wie man das Hab und Gut von Menschen durch die Fenster aus ihrer Wohnung gefeuert hat, und die lagen unten am Boden und schrien vor Verzweiflung und wurden getreten. Ich habe gesehen, daß Menschen plötzlich mit so einem gelben Stern durch die Straßen liefen und vom Bürgersteig runtermußten, wenn einer kam, der eine Uniform hatte. Ich habe gesehen, wie man sie aus den Straßenbahnen hinausschmiß. Ich habe als kleines Kind immer gefragt, wo ist der Onkel Hirsch, das war mein Kinderarzt, der mir immer Lakritze brachte. Deshalb liebe ich bis heute Lakritze. Das war ein Jude, und der war plötzlich weg. Ich habe gefragt: Wo ist der denn? Warum bringt er mir keine Lakritze mehr? Meine Eltern wußten dann nie, was sie sagen sollten. 

Warum sind Sie trotzdem ein so fröhlicher Mensch geworden?

FUCHSBERGER: Ich bin halt so, ich kann nichts dafür. Wahrscheinlich habe ich mich immunisiert durch eine Art Schutzwall, den ich um mich herum aufgebaut habe, weil ich, frivol ausgedrückt, genug nutzlose Versuche, die Welt zu verbessern, hinter mir habe.

Welche Versuche?

FUCHSBERGER: Das fing an, als ich sagte, ich wehre mich gegen diesen Hitler-Staat, ich wehre mich gegen die Vergewaltigung, auf Menschen schießen zu müssen, die ich nicht einmal kenne. Aber es hat doch alles nichts genützt. Wir mußten es tun. Ich war Fallschirmjäger im Osten. Wir waren im Nahkampf. Ich habe sicher viele Menschen erschossen. Mein Gott, es ist so schwer, jemandem das zu erklären, der es nicht miterlebt hat. Über die großen Zusammenhänge kann ich nicht reden. Ich kenne sie nicht. Für mich blieb nur die Entscheidung, das zu tun, was alle taten. Mich hat man mit vierzehn Jahren von der Schule zu einer sogenannten Brandwache auf dem Düsseldorfer Rathausturm abkommandiert. Ich war dort mit einem Klassenkameraden eingesetzt als Beobachter und Melder und habe dann mit fünfzehn diesen schon erwähnten, für damalige Verhältnisse sehr hohen Orden von irgend so einem Parteijodler an die Brust geheftet bekommen, was zur Folge hatte, daß ich nun plötzlich im Blickfeld stand und mißbraucht wurde als einer von diesen Kinderhelden. Aber ich wollte auf keinen Fall zu einer nationalsozialistischen Eliteeinheit, denn das bedeutete: verheizt und weg. Also habe ich mich als Reserveoffiziersbewerber gemeldet, da war man schon ein bißchen aus den Niederungen heraus, und so bin ich dann Flieger geworden.

Haben Sie Ihre Versuche, die Welt zu verbessern, nach dem Krieg aufgegeben?

FUCHSBERGER: Nach dem Krieg bestand überhaupt keine Veranlassung zu solchen Versuchen.

War da die Welt plötzlich in Ordnung?

FUCHSBERGER: Na selbstverständlich! Der Krieg zu Ende, die Nazis weg. Nun kam dieses unglaubliche Luftholen. An jeder Ecke, wohin man auch guckte, gab's was zu tun. Da konnte man nur sagen... Wie heißt dieser Schlager? Und jetzt wird wieder in die Hände gespuckt...

Wir steigern das Bruttosozialprodukt.

FUCHSBERGER: Ja, so war es.

Aber das ist doch ironisch gemeint.

FUCHSBERGER: Natürlich, wie heute alles ironisch gemeint ist. Ich rufe doch heute nur noch ein mitleidiges Lächeln hervor, wenn ich sage, nach dem Krieg gab es etwas, was sicher nie wieder zu erreichen sein wird ohne eine entsprechende Katastrophe. Je weiter wir in die ungute Lage kommen, alles zu haben, abgesichert zu sein, keine Not leiden zu müssen, nicht zu frieren, nicht zu hungern, integriert zu sein in die Gesellschaft, als wären das im menschlichen Leben verbriefte Rechte, desto größer wird die Gefahr, daß das alles wieder von vorn losgeht.

Sie meinen Krieg?

FUCHSBERGER: Aber ja.

Wird es denn nach dem nächsten Krieg auch ein großes Luftholen geben?

FUCHSBERGER: Das weiß ich nicht. Aber ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß der Weltuntergang bevorsteht. Die Angst, mit der wir heute zu leben haben, geht für mich keineswegs über die Angst hinaus, die ich im Krieg erlebt habe. Daher kommt vielleicht bei mir dieser innere, viel gescholtene Optimismus. Ich bin schlicht und einfach nicht in der Lage, Todesangst zu empfinden.

Halten Sie das für eine emotionale Mangelerscheinung?

FUCHSBERGER: Ja, sicherlich. Man kann sich an das, was weniger Geprüfte als Angst empfinden, gewöhnen. Wenn Sie als Vierzehnjähriger sehen, wie eine Stadt in die Luft fliegt, wird die Angst überdeckt durch die Sensation, die das mit sich bringt. Sie haben keine Zeit, Angst zu haben. Diese permanente Konfrontation mit dem Tod, der nie eintritt, weil man persönlich immer davonkommt, führt zu einer Immunisierung. Sie sehen zwar Tausende von Toten auf den Straßen liegen, Sie sehen in den Kriegsgefangenenlagern Tausende verhungern und sterben, aber Sie selbst bleiben verschont. Das stumpft ab.

Was schlagen Sie vor, damit die Menschen wieder aus ihren Sicherheiten geworfen werden?

FUCHSBERGER: Sie Teufel! Ich werde doch hier keine Vorschläge machen. Ich stelle bloß fest, daß die Leute nicht zufrieden sind mit dem, was sie haben, obwohl sie doch sehen, was in der Welt um sie herum vorgeht. Ergo sage ich, daß sich das irgendwann Luft machen wird. Das Problem unserer Gesellschaft, ganz unabhängig davon, ob im Kommunismus oder im Kapitalismus, besteht doch darin, daß wir nicht in der Lage sind, das Zeug, das im Überfluß da ist, dorthin zu transportieren, wo es gebraucht wird, weil es nicht genug Gewinn bringt. Ich bin nicht klug genug, das zu lösen.

Haben Sie überhaupt den Ehrgeiz, so klug zu sein?

FUCHSBERGER: Manchmal stört es mich ganz entsetzlich, daß ich nicht in der Lage bin, zu entscheiden, wer nun recht hat. Ich denke mir immer, verdammt noch mal, wer bemüht sich denn eigentlich um die Dinge, denen ich folgen kann, wo ich sagen kann, das ist mir begreiflich? Ich begreife zum Beispiel nicht, warum es Jugendliche gibt, die Drogen nehmen. Warum nimmt mein Sohn keine Drogen? Warum bin ich glücklich?

Weil Sie die Gabe haben, sich anzupassen.

FUCHSBERGER: So einfach ist das nun auch wieder nicht.

Sie sagen doch im Fernsehen nie etwas Gewagtes.

FUCHSBERGER: In meiner Samstagabend-Show***** mit Kandidaten, die irgendwelche lustigen Begriffe zu finden versuchen und am Schluß eine Treppe hochgehen, um was zu gewinnen, halte ich es für fehl am Platz, mich zum Beispiel politisch zu äußern. Die Verantwortung, die ich da habe, sehe ich darin, mich gegen jeden Einfluß zu wehren, diese Show zu etwas anderem zu machen, als sie ist, nämlich eine Sendung zur Unterhaltung. Jegliche Art von politischer Bekundung fände ich hier unangemessen. Und genau das ist es, was man mir vorwirft.

Im Gegenteil! Man wirft Ihnen vor, daß Sie eine ganz bestimmte politische Wirkung haben.

FUCHSBERGER: Ja, aber für die kann ich nichts. Da gibt es den schönen Satz, nichts, was man tut, ist vollkommen unpolitisch. Natürlich wirft mir ein bestimmter Kreis von Journalisten vor, ich sei zu positiv. Aber das ist genau das, was ich sein will. Ich habe es nach alldem, was ich erlebt habe, wirklich satt, nur noch alles pessimistisch zu sehen. Ich habe die große Angst, daß wir vor lauter Herumsielen im Morast keinen Blick mehr für das andere haben, und daß diese resignative Haltung zu einer gefährlichen Kraft wird.

Sich gegen Mißstände zu wehren, ist doch nicht resignativ.

FUCHGSBERGER: Davon rede ich nicht.

Die Leute, die vor der Glotze sitzen, um zu sehen, wie Sie im Nachthemd auftreten, sind doch viel resignativer.

FUCHSBERGER: Ach Gott, nun kommen Sie mir mit dem Nachthemd!******

Natürlich, denn das war doch ein nationales Ereignis.

FUCHSBERGER: Was mich auf eine gewisse Art mit meinem Volk wieder versöhnt hat.

Wieso?

FUCHSBERGER: Weil doch jeder, der in meinem Beruf arbeitet, weiß, wie schwierig es ist, speziell in unserem Land, Humor unter die Leute zu bringen.

Einen Auftritt im Nachthemd halten Sie für humorvoll?

FUCHSBERGER: Gut, wenn Sie das Wort "Humor" definieren, wird es natürlich schon etwas fragwürdig, daß eine so läppische Sache eine Nation, die ganz andere Sorgen hat, derart in Aufruhr versetzen kann. Ich hätte das nie für möglich gehalten. Ich hatte eher erwartet, daß man sagt, oh Gott, how disgusting! Ich kann nur versuchen, Ihnen zu erklären, wie es entstanden ist. Ich hatte ein ungutes Gefühl, zu sehen, was sich die sogenannten Prominenten immer ausgedacht haben für den Fall, daß sie in der Sendung „Wetten daß…“ ihre Wette verlieren. Der eine machte Aerobic am Kurfürstendamm, der andere radelte von Saarbrücken nach Berlin. Das wurde immer mehr zu einer Art Leistungssport. Also habe ich mir vorgenommen, das wieder in den Bereich der Unterhaltung zurückzuführen, und dann fiel irgendwann der Satz, ja wenn du lustig sein willst, dann zieh dir Bermudashorts an und einen Ringelpullover. Aber das fand ich nicht komisch. Ich in einem Ringelpullover, what for? Lieber wollte ich, der als eitel Verschrieene, etwas machen, was mir wirklich wahnsinnig schwerfällt. Deshalb machte ich die Aktion mit dem Nachthemd. Ich war mir absolut unsicher über die Akzeptanz, und es hat bei mir eine ungeheure Befriedigung ausgelöst, daß eine so unbedeutende Geschichte eine Zuschauerzahl vor den Fernseher brachte, wie ich sie mir, obwohl an hohe Zuschauerzahlen gewöhnt, in meinen kühnsten Träumen nicht hätte einfallen lassen. Für mich war das schlicht und einfach ein Zeichen dafür, daß die Leute froh waren, einmal nichts über Mord, Totschlag und Krieg hören zu müssen.

Das bedeutet, es gibt eine Sehnsucht nach Ablenkung, weil man die Realitäten nicht aushält.

FUCHSBERGER: Ja, nach Läppischkeiten, nach just fun.

Ist das nicht besorgniserregend?

FUCHSBERGER: Nein, überhaupt nicht. Warum denn? Warum soll es falsch sein, ein erkennbares Bedürfnis von Millionen von Menschen erfüllen zu wollen? Ich sage Ihnen ganz keß, ich bin kein Verhaltensforscher, ich bin ein Entertainer. Das ist mein Beruf.

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" haben Sie gesagt, Ihre Lieblingsbeschäftigung sei das Nichtstun.

FUCHSBERGER: Na ja, es gibt von mir eine ganze Reihe von dußligen Antworten auf dußlige Fragen. Ich arbeite wie ein Pferd, seit ich denken kann, und brauche Gott sei Dank nur vier Stunden Schlaf am Tag, da kommt man dann irgendwann dahin, zu sagen, daß man auch gerne mal nichts tut.

Was verstehen Sie unter Nichtstun?

FUCHSBERGER: Mich hinzusetzen, mich in mich zu versenken, einen Baum anzugucken, Musik zu hören, ein Buch zu lesen. Ich kann, wenn ich Zeit habe, vier Stunden in der Sonne liegen und mir die aufs Hirn brennen lassen.

Um braun zu werden?

FUCHSBERGER: Ja, um braun zu werden.

Glauben Sie, daß Ihr Erfolg etwas mit Ihrem guten Aussehen zu tun hat?

FUCHSBERGER: Ich weigere mich, das in irgendeiner Form von mir aus zu kommentieren. Für meine Fresse kann ich nichts. Ich kenne ungeheuer viele Leute, die nach den allgemeinen Regeln der Physiognomie häßlich sind und trotzdem glauben, sie seien unheimlich schön. Wo sind da die Kriterien?

Eine Zeitung hat Ihnen sogar Sex-Appeal zugesprochen.

FUCHSBERGER: Also da muß ich Ihnen sagen, dass ich das einfach für Schwachsinn halte. Da stellt sich in irgendeiner Redaktion einer die Frage, du lieber Gott, was könnten wir denn noch machen, das Scheißding muß auf den Markt, und dann kommt der auf die Idee, jetzt suchen wir die drei schönsten Männer. Da sind Sie doch ausgeliefert. Da sind Sie der Spielball.

Haben Sie Feinde?

FUCHSBERGER: Ja, sicher. Es gibt Entführungsdrohungen, Morddrohungen. Ich habe fünfunddreißig Folgen von „Auf los geht's los“ unter Bombendrohung gemacht. Man hat mir auch schon Exkremente in Paketform geschickt und geschrieben, friß die Scheiße, du Schwein. Man hat mich eine rot-schwarze, scheißliberale Judendrecksau genannt, was mich besonders beeindruckt hat, weil da alles drin ist. Ich habe zwei Waffen im Haus.******* Ich muß auch des öfteren Leute darauf aufmerksam machen, daß ich der Selbstverteidigung mächtig bin, Leuten, die Streit suchen. Man kennt oft die Motive nicht. Viele schreiben, wegen dir, du Arschloch, ist mir meine Freundin davongelaufen, wenn ich dich irgendwo sehe, trete ich dir in die Eier. Ich werde beschimpft und angegriffen, aber von einem erfreulich geringen Teil. Wahnsinnig viele Menschen schreiben mir, wir möchten nichts anderes als Ihnen danken für die schönen Stunden, die Sie uns bereitet haben. Die legen dann eine kleine Blume dazu, eine platt gedrückte Zigarette oder eine Briefmarke. Das kann doch nicht nur Larifari sein. Da sage ich mir, aha, meine Arbeit hat einen Sinn. Man hat in manchem Medien, zum Beispiel im „Spiegel“ versucht, mich kaputtzumachen, indem man mich in die rechte Ecke stellte. Aber das hat mir eher genützt aös geschadet.

Sie sind CSU-Anhänger.

FUCHSBERGER: Ich bin rechtsgerichtet, das bestreite ich gar nicht.

Wie schlimm war für Sie die Schlagzeile in der Bild-Zeitung "Verliert Blacky einen Hoden?"

FUCHSBERGER: Das fand ich so unbeschreiblich dumm, daß es mich nicht mehr tangiert hat. Mich treffen die intelligenteren Dinge. Ich habe furchtbar gelacht. Was ich so wahnsinnig komisch fand, war, daß das ausgerechnet am Tag der Regierungsumbildung veröffentlicht wurde. Da stand: Regierung gestürzt. Und oben drüber meine Eier! Der sachliche Hintergrund war ein höchst unangenehmer Unfall, bei dem ich eine Unterleibsverletzung erlitten hatte. Der Samenstrang war angerissen. Die Frage war, ob operiert werden sollte. Das hätte man auch in seriöser Form schreiben können. Aber so wurde doch etwas impliziert, was gar nicht der Fall war.

Der Verlust Ihrer Potenz.

FUCHSBERGER: Eben. Aber das hatte doch damit gar nichts zu tun.

Ihre Ehe dauert jetzt dreißig Jahre.

FUCHSBERGER: Ja, und zwar gute Jahre. Es hat schon mal gefunkt und gefetzt. Denn natürlich sind mir sehr viele Damen begegnet, wo ich gesagt habe, Donnerwetter! Man sieht eine andere Frau, man sagt, mmh, aber dann fragt man: Was dann? Was kommt danach? Ich bin treu nicht aus moralischen, sondern aus kalkulatorischen Gründen, weil ich mir sage, was gewinne ich letzten Endes? Es ist einfach ein ungeheures Glück, um nicht zu sagen, eine Vorsehung, wenn alles, was zu einer Ehe gehört, auch die animalische Seite, noch funktioniert. Es wäre blasphemisch, zu sagen, ich danke Gott, weil ich an Gott nicht glaube. Ich bin alles andere als religiös. Aber ich glaube an die Liebe, an Vertrauen und Freundschaft.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

FUCHSBERGER: Darauf kann ich nur sagen, daran denke ich gar nicht. Was bei mir ungeheuer ausgeprägt ist, ist ein Verdrängungsmechanismus. Wenn ich merke, ich komme an Grenzbereiche, für die mein Hirn nicht mehr ausreicht, höre ich auf. Meine Frau hat dafür eine sehr schöne Definition. Sie sagt, ich lege die Ohren an, wenn ich mit dem Denken nicht weiterkomme. Da fällt ein Relais. Das ist eine Art Selbstschutzanlage. Ich rechne mich zu den eher einfachen Gemütern und bin weit davon entfernt, mich für einen Intellektuellen zu halten.

Haben Sie eine Aversion gegen Intellektuelle?

FUCHSBERGER: Ja, weil sie so viel Unheil anrichten und mit Problemen rumschmeißen, die der einfache Mensch nicht versteht. Es sind mehr Menschen durch Worte als durch Kugeln getötet worden. Es sind wesentlich weniger Menschen auf Schlachtfeldern gefallen, als durch Worte kaputtgemacht wurden.

Gegen Worte können Sie sich doch wehren, wenn Sie die Sprache beherrschen.

FUCHSBERGER: Ja, aber die meisten Menschen beherrschen sie eben nicht.

Weil sie das Fernsehen verblödet.

FUCHSBERGER: Ich verblöde niemanden. Ich halte die Wortspiele in meiner Samstagabend-Sendung für eine der intelligentesten Formen auf diesem Sektor.

Sie nennen es intelligent, wenn einem zu Näherin "saumselig" oder zu Masseur "handgreiflich" einfällt?

FUCHSBERGER: Ja, sicher, denn das schult das Assoziationsvermögen. Ich will zeigen, es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, mit der Sprache amüsant umzugehen. Aber, lieber Freund, haben Sie nicht gemerkt, daß ich zwei Sendungen habe? In meiner Talkshow******** gebe ich mir Mühe, nur das Wort gelten zu lassen und die Menschen dazu zu zwingen, sich verbal darzustellen, und das geschieht, indem wir, mein Gesprächspartner und ich, uns möglichst gewählt ausdrücken, damit man uns auch verstehen kann.

Ihre Talkshow läuft kurz vor Mitternacht.

FUCHSBERGER: Ja, aber da bin ich ganz uneitel. Für mich ist ein Sendetermin nachts um halb zwölf genauso wichtig wie einer um Viertel nach acht, besonders heute, wo ich um diese Zeit einen Teil jener Leute erreiche, die am nächsten Morgen nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie arbeitslos sind. Denen kann ich in der Nacht, wo die Sorgen bekanntlich am meisten drücken, noch etwas geben, zum Beispiel ein ganz normales Gespräch mit einem berühmten Filmstar.

Ein Arbeitsloser hat doch ganz andere Sorgen.

FUCHSBERGER: Eben. Das ist genau der Grund, warum ich das mache. Ich lenke ihn ab von seinen Sorgen. Ich kenne das von mir selbst. Ich bin auch manchmal zugenagelt, und dann kommt irgend jemand und sagt, denk mal an was ganz anderes, ich zeig' dir jetzt einen Bach oder ein schönes Bild oder sonst was, und plötzlich merke ich, ahh, es geht weg, und dann sage ich, ffft, ist doch alles gar nicht so schlimm.

Gibt es etwas, ohne das Sie nicht leben könnten?

FUCHSBERGER: Ja, ohne meine Frau könnte ich mir nicht vorstellen weiterzuleben.

Dann müssen Sie vor ihr sterben.

FUCHSBERGER: Na gut, bitte wollen wir das jetzt in einem erträglichen Rahmen halten. Meine Frau ist schon einmal klinisch tot gewesen. Wir haben dabei bedauerlicherweise unsere Tochter verloren. Es war eine Totgeburt. Meine Frau verblutete fast nach innen. Damals habe ich versucht, mir darüber klarzuwerden, wie es wäre, wenn man sie nicht mehr zurückgeholt hätte.

Ihre Frau ist von Beruf Schauspielerin.

FUCHSBERGER: Ja, aber Sie hat ihren Beruf aufgegeben.

Ihnen zuliebe.

FUCHSBERGER: Ja, und ich muß Ihnen ehrlich sagen, ich begreife nicht, was daran ungewöhnlich sein soll, wenn eine Frau sagt, ich verzichte auf meine Eigenständigkeit und ordne mich meinem Mann und der Familie unter. Meine Frau hat nie zuvor in ihrem Leben eine solche Bedeutung gehabt wie in dem Bereich, den sie jetzt ausfüllt. Das, was ich bin, ist genauso meine Frau. Ich habe nie einen Film gedreht, zu dem sie nicht ihre Genehmigung geben mußte. Selbstverständlich ist Verzicht nötig, auch bei mir, und im Verzicht liegt ein Stück Unfreiheit. Aber das ist für mich nie ein Verlust gewesen. Ich sage, ich fühle mich wohl in den Fesseln, und mache mir damit den Knebelungszustand erträglich. Es gibt einen Satz, den mir der Schriftsteller Ernst von Salomon*********, mit dem ich befreundet war, einmal sagte. Er sagte, er habe nie eine so wohltuende Ordnung erlebt wie im Gefängnis.

PLAYBOY: Sie sind der geborene Häftling.

FUCHSBERGER: Jawohl. Denn im Gefängnis herrscht eine gewisse Klarheit.


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*) Fuchsberger gab das Interview nur gegen ein vorher mit dem „Playboy“ vereinbartes Honorar.
**) 1946 arbeitete Fuchsberger einige Monate in einem Kohlebergwerk in Recklinghausen.

***)  Zwischen 1961 und 1970 spielte er in mehreren eher mittelmäßigen Kriminalfilmen („Die toten Augen von London“, „Der Fluch der gelben Schlange“, „Der Hexer etc.) den Chefermittler.

****) Mariannen Bachmeier (1950 - 1996) erschoss am 6. März 1981 während der Gerichtsverhandlung in Lübeck den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter Anna.

*****) Von 1977 bis 1986 leitete Fuchsberger die Samstagabendshow „Auf los geht‘s los“.

******) Aufgrund einer verlorenen Wette moderierte er am 22. Oktober 1983 seine Show im Nachthemd.

*******) Das Interview fand im Freienhaus des Entertainers am österreichischen Grundlsee statt.

********) Die Talkshow „Heut‘ Abend“ lief von 1980 bis 1991.

*********) Ernst von Salomon (1902 - 1972), Schriftsteller, wurde 1922 wegen Beihilfe zur Ermordung von Außenminister Walther Rathenau zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt

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Erschienen im November 1984 im „Playboy“