Der die Frau anbetende Mann sei, so bemerkte hellsichtig Simone de Beauvoir,
ihr subtilster Unterdrücker. Denn als Gegenleistung für die eigene Vergöttlichung
läßt auch das feministisch geschulte Weib sich gern einsperren. Erlaubt ist
deshalb die Anbetung nur aus der Ferne. Über meinem Bett, es waren nur zwei
übereinander gelegte Schaumstoffmatten, hing in meinen Jünglingsjahren ein Zeitungsfoto
der göttlichen Jeanne Moreau, heute als Film-Ikone allgemein anerkannt, damals
noch ein Geheimtipp. Wie sie die Mundwinkel melancholisch nach unten zog, wie
sie die Augenbraue allwissend hob, wie sie plötzlich aus dem verhangenen Himmel
ihrer Traurigkeit ein Lächeln hervorzauberte, wie sie ging, wie sie ganz unerotisch
die Hüften schwang, nie wirklich jung, nie eigentlich schön: das beglückte mich
in meiner pubertären Tristesse. Vernarrt in ihre angewachsenen Ohrläppchen,
ihren knabenhaft flachen Busen, der so aufregend war, wenn sie ihn - damals
ein Skandal - wie beiläufig enthüllte, badete ich im Schaum der Vergeblichkeit,
sobald sie auf der Leinwand erschien. Alles an ihr war Abschied noch vor dem
Beginn. Heute weiß ich: Sie war mein Spiegel. Doch die Wirkung hält an. Wenn
ich mich heulend erleichtern will, hole ich meinen wertvollsten DVD-Schatz hervor:
“Moderato cantabile” von Peter Brook, wo sie neben Belmondo eine Frau spielt,
die ihrem Luxusleben entfliehen will, und sei es durch die Zuwendung eines Mörders,
der sie erlöst. Ihr Schrei am Schluß, wenn sie im Chinchilla zu Boden sinkt,
so elend, so glamourös, ist in mir für immer gespeichert als die einzig stimmige
Antwort auf die Katastrophe des Daseins. Die berückende Ausdruckskraft ihres
Rückens - man verzeihe das Wortspiel, ich bin von Sinnen - habe ich erst spät
entdeckt, als sie im Münchner Residenztheater als Magd Zerline von Broch gastierte.
Nach der Aufführung mußte ich mich übergeben. Ein deutlicheres Zeichen meiner
Verfallenheit ist nicht denkbar: Die Kotze als Ejakulat der Erschütterung. Diese
Frau bringt mich um den Verstand. Interviewt habe ich sie nie, denn Göttinnen
befragt man nicht.
(Erschienen am 21. Dezember 2006 in der Züricher "Weltwoche")