Irak (eine Glosse)



"Wenige denken, doch alle haben Meinungen", schrieb der englische Philosoph Berkeley. Dem, der zu den Wenigen gehört, kann es angesichts der wortreichen Debatten um den, wie es scheint, unausweichlichen Krieg des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten George W. Bush gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein leicht die Sprache verschlagen. Er schweigt, und schon steht er ohne jene Beruhigungspille namens Meinung da, die ihn gut schlafen ließe. Das Denken, das sich in keinen Standpunkt hineinpressen läßt, weil es sämtliche Standpunkte in sich vereint, hält ihn wach.

Kein Hell ohne Dunkel, denkt er verzweifelt, kein Glück ohne Unglück, kein Frieden ohne Krieg und, nicht zu vergessen, nichts Gutes ohne das Böse. An dieser Stelle seines betrüblichen Gedankengangs fällt ihm der amerikanische Präsident wieder ein, und er fragt sich, was gefährlicher sei, ein größenwahnsinniges Genie oder ein größenwahnsinniger Trottel. Schon wieder hat er keine Meinung. Er denkt an Napoleon, an Hitler und Stalin, aber das hilft ihm nicht weiter. Nur eines weiß er (davon ist er felsenfest überzeugt): Jemand, der sich so selbstgewiß zum Kämpfer gegen das Böse aufwirft wie dieser Präsident, der schöpft die Denkkapazitäten, die uns verliehen sind, höchst unzureichend aus.

Sonst müßte er wissen: Auch in ihm gähnt ein Abgrund. Der Feind, dessen Tod er wünscht, ist in Wahrheit sein Doppelgänger. In den Mephistos von heute kehrt sich das Dichterwort um. Sie wollen das Gute (oder was sie dafür halten) und schaffen das Böse.

Was also tun? Gibt es noch Hoffnung? Kann den leider mächtigsten Mann der Welt noch in letzter Sekunde jemand zur Umkehr bewegen? Ich glaube, er wartet darauf. Man sehe sich nur einmal sein seltsames Lächeln, wenn er vom Krieg spricht, genauer an! Hilflos und unsicher wie ein ertappter Bettnässer steht er im Fernsehen vor uns.

Das Präsidentenamt hat er sich wie ein Spielzeug ganz dringend gewünscht. Der 11. September hat ihm den Spaß verdorben. Wie eine beleidigte Leberwurst sah er aus, als im einer seiner Berater, während er gerade Kindern in einer Schule in Florida Märchen vorlas, die Katastrophe ins Ohr flüsterte. Nun will er sich rächen. Aber sein Lächeln sagt: Bitte, nehmt mich doch an der Hand und führt mich zurück in die heile Welt meiner Einfalt!

(Erschienen am 29. Januar 2003 in der Münchner "Abendzeitung")