Haben
Sie Angst vor einem Herzinfarkt?
PETERSEN: Ja, daß mich irgendwann etwas stoppen könnte. Auf der anderen Seite
fühle ich mich so, als könnte mich überhaupt nichts stoppen. Denn ich bin im
Unterschied zu vielen anderen ein relativ gut organisierter Mensch.
Seit wann drehen Sie Filme?
PETERSEN: Als ich vierzehn war, bekam ich zu Weihnachten eine
8-Millimeter-Schmalfilmkamera von meinem Vater. Ich weiß noch genau,
zweihundertneunzehn Mark hat sie gekostet. Mit dieser Kamera habe ich schon
richtige Filme gemacht. Jeden Sonntag bin ich mit meinen Freunden ins Kino
gegangen, da gab es entweder um elf oder um eins eine Kindervorstellung. Der
Eintritt kostete fünfzig Pfennig. Die Western von Howard Hawks und John Ford
haben mich besonders beeindruckt. Nach der Vorführung haben wir dann die Rollen
verteilt und den Film nachgespielt mit Colt und Westernhut und allem, was
dazugehört. Ich war allgemein verschrien als der verrückte Junge, der dauernd
als Cowboy durch die Gegend rennt und mit der Pistole ballert.
Hatten Sie auch schon Mädchenbekanntschaften damals?
PETERSEN:
Nein, dazu war ich zu schüchtern, vielleicht sogar prüde. Die wichtigste Frau
in meinem Leben war lange Zeit meine Mutter, die ich vergötterte. Ich wollte
sie heiraten.
Das könnte man doch schon fast neurotisch nennen.
PETERSEN: Das war ziemlich extrem, ja, und das hatte auch gewisse
Schwierigkeiten zur Folge, als ich dann anfing, die ersten Freundinnen nach
Hause zu bringen. Meine Mutter hat eifersüchtig um sich gehackt, also das war
schon problematisch. Sie meinte, diese Freundinnen liebten mich nicht genug,
sorgten nicht genug für mich, also das reichte immer alles nicht aus, um den
geliebten Sohn zu bekommen. Der Maßstab war für meine Mutter immer ihre eigene
Liebe, da war sie unerbittlich.
Seltsam, in Ihren Filmen gibt es keine einzige bedeutende Frauenrolle.
PETERSEN: Sie haben recht. Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich muß aber
gleich sagen, es ist nicht so, daß ich mit Frauen Probleme habe. Wahrscheinlich
ist da eine gewisse Scheu, sich mit dem Weiblichen im Film auseinanderzusetzen.
Wenn ich über Geschichten nachdenke, sind das tatsächlich immer
Männergeschichten, wahrscheinlich weil ich das Innenleben von Frauen nicht gut
genug kenne. Ich kann mich in die Gefühle einer Frau schwer hineinversetzen.
Vielleicht hängt das damit zusammen, daß ich auch die eigenen Gefühle nicht
gern nach außen kehre. Ich kann zum Beispiel nicht weinen. Ich versuche
manchmal zu drücken. Aber es geht nicht, außer im dunklen Raum eines Kinos. Ich
habe sehr weinen müssen bei dem Film "Kramer gegen Kramer" mit Dustin
Hoffman. Ganz schrecklich passierte es mir auch in "The Last Picture
Show", was ich so wunderbar fand, daß ich am nächsten Tag gleich noch
einmal reinging, und es passierte mir wieder!
Gab es weibliche Filmidole, für die Sie schwärmten?
PETERSEN: Nein, das waren auch immer Männer, Gary Cooper, James Dean, auch John
Wayne, obwohl ich gegen den später erhebliche Einwände hatte, unter den
Jüngeren Al Pacino, Dustin Hoffman, Paul Newman, besonders in seinen frühen
Filmen.
Wie wichtig war Ihr Vater als Vorbild?
PETERSEN: Gar nicht, zunächst schon allein deshalb, weil ich bis zu meinem
fünften Lebensjahr von ihm getrennt war. Er war Oberleutnant bei der Marine.
Ich bin auch politisch viel mehr von meiner Mutter beeinflußt worden. Das sah
so aus, daß alles, was aus Amerika kam, von vornherein gut war. Wir haben nach
dem Krieg bis 1950 in Emden gewohnt, ganz ärmlich in einer Baracke am Hafen.
Ich werde die Bilder nie vergessen, als die amerikanischen Frachter kamen und
wie Raumschiffe in der Schleuse auftauchten. Da rannten wir Kinder immer zur
Anlegestelle, und dann sahen wir auf diesen großen, mächtigen Schiffen die
Amerikaner, die uns zuwinkten und alle möglichen Kostbarkeiten herunterwarfen,
Apfelsinen, Bananen, Kaugummi, auch Fleischstücke manchmal. Amerika war für uns
das Paradies, das reiche Land, wo die Guten wohnten.
Und die Russen waren die Bösen.
PETERSEN: Ja, aber das änderte sich, als ich dann in Berlin die Filmakademie
besuchte, zur Zeit der Studentenbewegung. Da brachen für mich ganz neue Welten
auf. Berlin war ja ein Zentrum der Demonstrationen. Ich war total überrascht
und auch überfordert, weil es für mich vollkommen fremd war, eine bis dahin
kritiklos hingenommene Welt zu überdenken.
Haben Sie mitdemonstriert?
PETERSEN: 0h ja! Eine der größten Aktionen war die Besetzung des Senders
Freies Berlin. Ich war wie im Rausch. Aber ich muß auch sagen, ich war nicht
der Typ, mich mit dem Marxismus groß auseinanderzusetzen. Also ich habe Marx
nicht gelesen. Dazu war ich zu faul. Man hat zwar dauernd die marxistischen
Theorien diskutiert. Es wurden Arbeitszirkel gebildet. Das war unheimlich
aufregend. Aber an allervorderster Front habe ich nicht gestanden.
Was ist geblieben von diesem Einfluß?
PETERSEN: Ich zähle mich heute politisch zum linken Spektrum, also ich wähle
die SPD. Teilweise interessiert mich auch, was die Grünen machen. Ich
befürworte alles, was im weitesten Sinne mit Friedenspolitik und
Demokratisierung der Gesellschaft zu tun hat.
Waren Sie beim Militär?
PETERSEN: Nein, ich war untauglich wegen einer Rückgratverkrümmung, worüber ich
sehr froh war. Ich wollte da auf keinen Fall hin. Ich konnte mir absolut nicht
vorstellen, eine Uniform anzuziehen und ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Ich
hab mal zwei Jahre lang Boxen gelernt. Aber schießen kann ich nicht. Zum Sport
habe ich eine sehr starke Beziehung, weil es im Sport Regeln gibt, einen
definierten Anfang und einen Schluß, also das unterliegt konkret meßbaren
Kriterien. Man hat nach so einem Drama, ob es sich nun auf dem grünen Rasen
oder im Boxring abspielt, das Gefühl, daß der Bessere den Triumph für sich hat.
Das finde ich wunderbar, und das ist im Leben sicher nicht so. Da gibt es keine
Fairneß. Da hat man doch immer den Eindruck, daß es nirgends mit rechten Dingen
zugeht.
Ist Ihnen Unrecht widerfahren?
PETERSEN: Ja, als man sagte, in meinem Film "Das Boot" werde der
Krieg verherrlicht. Das hat mich enorm getroffen. Im Ausland waren die
Reaktionen ganz anders. Dort war die durchgehende Meinung, dies sei ein
Antikriegsfilm.
Sie nannten den Film eine "Mischung aus Faszination und Grauen".
PETERSEN: Ja, dazu stehe ich. Würde ich anders sprechen, wäre das eine total
verlogene Haltung. Wenn Sie beschreiben wollen, wie so eine U-Boot-Fahrt
aussah, mit welchem Weltbild diese Soldaten gefüttert wurden, welche
gefährliche Faszination in die Herzen und Köpfe dieser Neunzehnjährigen
hineingepflanzt wurde, und dabei nur das Grauen, nur das Abschreckende zeigen,
dann sind Sie als Filmemacher nicht ehrlich.
Warum, glauben Sie, gehen die Leute in einen Actionfilm?
PETERSEN: Weil sie Abenteuer erleben wollen.
Aber sie bleiben doch passiv. Sie sitzen da und lassen sich durch die Action in
eine Art Trance versetzen.
PETERSEN: Ja, aber Trance kann doch sehr schön sein. Ich kenne viele, die zum
Beispiel in Trance geraten, wenn sie ein Stück von Mozart hören. Ich bin kein
großer Mozart-Fan, aber ich kann das verstehen. Es gibt eine spezielle
Bach-Trance, eine Tschaikowsky-Trance, eine Beethoven-Trance. Ich meine, das
Träumen muß doch erlaubt sein.
Haben Sie je an sich selbst gezweifelt?
PETERSEN: Ich zweifle jeden Tag an mir, also gut, nicht jeden Tag, aber sehr
häufig. Es kommt vor, daß ich nicht schlafen kann, weil ich von Selbstzweifeln
geplagt bin, ob meine Fähigkeit ausreicht für das, was ich tue, ob es einen
Sinn macht, ob andere es vielleicht besser können. Wenn ich zurückschaue, gibt
es eine ganze Reihe von Filmen, die ich lieber nicht gemacht hätte. Oft denke
ich, ich sollte mir auch mal eine Pause gönnen. Dann stelle ich mir mit
Schrecken die Frage: Womit beschäftige ich mich eigentlich außer mit Film? Was
lese ich? Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gern den "Faust" noch
einmal lesen. Ich war als Schüler enorm fasziniert von Goethe. Aber ich habe
die Zeit nicht. Manchmal frage ich mich, wohin mich mein Ehrgeiz im Extremfall
noch führen könnte.
Ganz einfach: nach Hollywood.
PETERSEN: Ja, das war mein Traum. Als ich im Zusammenhang mit dem Film
"Das Boot" häufiger nach Amerika fliegen mußte, dachte ich, aha,
jetzt bist du da, wovon du als Junge immer geträumt hast, und war glücklich und
happy und konnte mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen, als in Hollywood
Filme zu machen. Aber das hat sich gewandelt, denn je mehr ich die Leute dort kennenlernte,
je öfter ich auf den dort üblichen Meetings war, desto deutlicher erkannte ich,
wie oberflächlich die Atmosphäre da ist, diese ganzen Umarmungen und Küßchen
und Komplimente, die einem auf Anhieb natürlich unheimlich gefallen, die mir
aber, je mehr ich dahinterguckte, immer lästiger wurden. Wenn man diesen
american way of life, immer gut gelaunt, immer positiv, immer dynamisch, einmal
abklopft, sieht man schnell, wie brüchig das alles ist. Was heutzutage in den
Studios dort produziert wird, diese Art, Film nur als Ware zu sehen, diesen
Zynismus, nur darauf zu achten, daß die Kasse stimmt, das befürworte ich
absolut nicht. Ich kenne drüben Leute, denen ist es zum Beispiel vollkommen
egal, was die Kritiker schreiben, Hauptsache, der Film bringt sein Geld ein. So
weit bin ich noch nicht. Ich bin jedesmal völlig verstört, wenn einem Kritiker
etwas an einem Film von mir nicht gefällt. Ich möchte, daß mich alle lieben.
Nach meinem ersten Kinofilm "Einer von uns beiden" bin ich ständig im
Kino gehockt, weil ich wissen wollte, wie das Publikum reagiert. Und was
passierte? Leute sind aus dem Film rausgegangen. Ich war am Boden zerstört.
Denn ich bin besessen davon, Filme für alle zu machen. Es soll wirklich jeder
mit meinen Filmen etwas anfangen können.
Das grenzt ja an Prostitution.
PETERSEN: Gut, dann bin ich halt eine Nutte.
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*)
Nach dem Film “Das Boot“ (1981), in den USA der erfolgreichste ausländische
Film aller Zeiten, drehte Wolfgang Petersen mit einem Budget von 50 Millionen
Mark den teuersten deutschen Nachkriegsfilm, „Die unendliche Geschichte“ nach
dem Roman von Michael Ende. Der Science-Fiction-Thriller „Enemy Mine“ (1984)
wurde zwar noch in München produziert, aber schon von Hollywood finanziert.
1986 übersiedelte Petersen nach Los Angeles
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Erschienen 1985 in der Januar-Ausgabe des "Playboy"