Interview mit dem Filmregisseur Wolfgang Petersen 1984



Sie machen in Europa die teuersten Filme.*

WOLFGANG PETERSEN: Von England wollen wir einmal absehen, also in Kontinentaleuropa.

Sind Sie stolz darauf?

PETERSEN: Ich würde lügen, würde ich sagen, daß es mir völlig egal ist. Das hat schon eine gewisse Bedeutung, daß es jetzt möglich ist, dieses große, auch was die Technik angeht, anspruchsvolle Kino, das sich mit solchen Summen verbindet, hier in Deutschland zu machen.

Welche Begabung ist nötig, um das zu erreichen?

PETERSEN: Das ist bei mir sicher sehr speziell. Ich habe das Medium Film kennengelernt, als ich acht Jahre alt war, und es hat mich sofort begeistert. Mit elf Jahren habe ich beschlossen, ich werde Filmregisseur. Jetzt bin ich dreiundvierzig. Ich habe rund zwanzig Fernsehfilme gemacht, bevor einer kam, der gesagt hat, dem vertraue ich ein großes Projekt an, das war "Das Boot", weil ich überzeugt bin, der kann das.

Kann was?

PETERSEN: Erstens umgehen mit einem so großen Budget, zweitens eine Geschichte so erzählen, daß sie bei einem großen Publikum ankommt.

Der Kritiker Hans-Christoph Blumenberg meinte, mit Kunst hätten Sie erfreulich wenig im Sinn.

PETERSEN: Ich habe mich über diesen Satz nicht geärgert. Da ist schon was dran, denn würde mich jemand fragen, ob ich mich als Künstler empfinde, hätte ich ein komisches Gefühl, denn eigentlich weiß ich das gar nicht. Was ist denn ein Künstler?  Möglicherweise ist das jemand, der etwas sehr viel Intimeres herstellt als Film, also eher ein Komponist oder Schriftsteller oder ein Maler.

Waren Charlie Chaplin und Luis Bunuel keine Künstler?

PETERSEN: Da gibt es Grenzbereiche. Aber wenn Sie sich die amerikanischen Filmregisseure ansehen, die ich bewundere, von Hitchcock angefangen bis, sagen wir mal, John Ford, die würde ich nicht als Filmkünstler bezeichnen.

Nicht?

PETERSEN: Es kommt darauf an, was man unter einem Künstler verstehen will.

Jedenfalls ist das jemand, der eine Obsession hat. Hitchcock war fasziniert vom Verbrechen.

PETERSEN: Gut, diese spezielle Obsession fehlt mir. Meine Leidenschaft ist das Erzählen einer Geschichte.

Egal welcher?

PETERSEN: Sie muß gut sein, und sie muß mir gefallen.

Was gefällt Ihnen?

PETERSEN: An der Vielfalt meiner Filme sehen Sie, daß es eine ganze Reihe von Geschichten gibt, die in Frage kommen. Ich bin jetzt in Verhandlungen mit der 20th Century Fox, nach dem Film, den ich gerade drehe, "Enemy Mine", einen weiteren Film nach demselben Muster zu machen, das ist eine Liebesgeschichte, die von einer Familie handelt, Vater, Mutter und drei Kindern. Der Vater stirbt bei einem Verkehrsunfall, aber er lebt nach dem Tod weiter und versucht verzweifelt, aus dem Jenseits Kontakt mit seiner Frau aufzunehmen. Ich probiere gern Dinge aus, die ich vorher noch nie gesehen habe.

Aber Sie erfinden sie nicht.

PETERSEN: Nein, denn ich empfinde mich aus gutem Grunde nicht als Autorenfilmer, und ich gehöre auch nicht zu dem, was man den jungen deutschen Film nennt. Ich bewundere, was da entsteht, aber ich bin eine andere Art Filmemacher.

Nicht so neurotisch.

PETERSEN: Bestimmt nicht. Ich bin relativ normal. Aber ein bißchen neurotisch ist jeder. Ich habe zum Beispiel Angst davor, krank zu werden, weil ich zu viel arbeite. 

Haben Sie Angst vor einem Herzinfarkt?

PETERSEN: Ja, daß mich irgendwann etwas stoppen könnte. Auf der anderen Seite fühle ich mich so, als könnte mich überhaupt nichts stoppen. Denn ich bin im Unterschied zu vielen anderen ein relativ gut organisierter Mensch.

Seit wann drehen Sie Filme?

PETERSEN: Als ich vierzehn war, bekam ich zu Weihnachten eine 8-Millimeter-Schmalfilmkamera von meinem Vater. Ich weiß noch genau, zweihundertneunzehn Mark hat sie gekostet. Mit dieser Kamera habe ich schon richtige Filme gemacht. Jeden Sonntag bin ich mit meinen Freunden ins Kino gegangen, da gab es entweder um elf oder um eins eine Kindervorstellung. Der Eintritt kostete fünfzig Pfennig. Die Western von Howard Hawks und John Ford haben mich besonders beeindruckt. Nach der Vorführung haben wir dann die Rollen verteilt und den Film nachgespielt mit Colt und Westernhut und allem, was dazugehört. Ich war allgemein verschrien als der verrückte Junge, der dauernd als Cowboy durch die Gegend rennt und mit der Pistole ballert.

Hatten Sie auch schon Mädchenbekanntschaften damals?

PETERSEN: Nein, dazu war ich zu schüchtern, vielleicht sogar prüde. Die wichtigste Frau in meinem Leben war lange Zeit meine Mutter, die ich vergötterte. Ich wollte sie heiraten.

Das könnte man doch schon fast neurotisch nennen.

PETERSEN: Das war ziemlich extrem, ja, und das hatte auch gewisse Schwierigkeiten zur Folge, als ich dann anfing, die ersten Freundinnen nach Hause zu bringen. Meine Mutter hat eifersüchtig um sich gehackt, also das war schon problematisch. Sie meinte, diese Freundinnen liebten mich nicht genug, sorgten nicht genug für mich, also das reichte immer alles nicht aus, um den geliebten Sohn zu bekommen. Der Maßstab war für meine Mutter immer ihre eigene Liebe, da war sie unerbittlich.

Seltsam, in Ihren Filmen gibt es keine einzige bedeutende Frauenrolle.

PETERSEN: Sie haben recht. Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich muß aber gleich sagen, es ist nicht so, daß ich mit Frauen Probleme habe. Wahrscheinlich ist da eine gewisse Scheu, sich mit dem Weiblichen im Film auseinanderzusetzen. Wenn ich über Geschichten nachdenke, sind das tatsächlich immer Männergeschichten, wahrscheinlich weil ich das Innenleben von Frauen nicht gut genug kenne. Ich kann mich in die Gefühle einer Frau schwer hineinversetzen. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß ich auch die eigenen Gefühle nicht gern nach außen kehre. Ich kann zum Beispiel nicht weinen. Ich versuche manchmal zu drücken. Aber es geht nicht, außer im dunklen Raum eines Kinos. Ich habe sehr weinen müssen bei dem Film "Kramer gegen Kramer" mit Dustin Hoffman. Ganz schrecklich passierte es mir auch in "The Last Picture Show", was ich so wunderbar fand, daß ich am nächsten Tag gleich noch einmal reinging, und es passierte mir wieder!

Gab es weibliche Filmidole, für die Sie schwärmten?

PETERSEN: Nein, das waren auch immer Männer, Gary Cooper, James Dean, auch John Wayne, obwohl ich gegen den später erhebliche Einwände hatte, unter den Jüngeren Al Pacino, Dustin Hoffman, Paul Newman, besonders in seinen frühen Filmen.

Wie wichtig war Ihr Vater als Vorbild?

PETERSEN: Gar nicht, zunächst schon allein deshalb, weil ich bis zu meinem fünften Lebensjahr von ihm getrennt war. Er war Oberleutnant bei der Marine. Ich bin auch politisch viel mehr von meiner Mutter beeinflußt worden. Das sah so aus, daß alles, was aus Amerika kam, von vornherein gut war. Wir haben nach dem Krieg bis 1950 in Emden gewohnt, ganz ärmlich in einer Baracke am Hafen. Ich werde die Bilder nie vergessen, als die amerikanischen Frachter kamen und wie Raumschiffe in der Schleuse auftauchten. Da rannten wir Kinder immer zur Anlegestelle, und dann sahen wir auf diesen großen, mächtigen Schiffen die Amerikaner, die uns zuwinkten und alle möglichen Kostbarkeiten herunterwarfen, Apfelsinen, Bananen, Kaugummi, auch Fleischstücke manchmal. Amerika war für uns das Paradies, das reiche Land, wo die Guten wohnten.

Und die Russen waren die Bösen.

PETERSEN: Ja, aber das änderte sich, als ich dann in Berlin die Filmakademie besuchte, zur Zeit der Studentenbewegung. Da brachen für mich ganz neue Welten auf. Berlin war ja ein Zentrum der Demonstrationen. Ich war total überrascht und auch überfordert, weil es für mich vollkommen fremd war, eine bis dahin kritiklos hingenommene Welt zu überdenken.

Haben Sie mitdemonstriert?

PETERSEN: 0h ja!  Eine der größten Aktionen war die Besetzung des Senders Freies Berlin. Ich war wie im Rausch. Aber ich muß auch sagen, ich war nicht der Typ, mich mit dem Marxismus groß auseinanderzusetzen. Also ich habe Marx nicht gelesen. Dazu war ich zu faul. Man hat zwar dauernd die marxistischen Theorien diskutiert. Es wurden Arbeitszirkel gebildet. Das war unheimlich aufregend. Aber an allervorderster Front habe ich nicht gestanden.

Was ist geblieben von diesem Einfluß?

PETERSEN: Ich zähle mich heute politisch zum linken Spektrum, also ich wähle die SPD. Teilweise interessiert mich auch, was die Grünen machen. Ich befürworte alles, was im weitesten Sinne mit Friedenspolitik und Demokratisierung der Gesellschaft zu tun hat.

Waren Sie beim Militär?

PETERSEN: Nein, ich war untauglich wegen einer Rückgratverkrümmung, worüber ich sehr froh war. Ich wollte da auf keinen Fall hin. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, eine Uniform anzuziehen und ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Ich hab mal zwei Jahre lang Boxen gelernt. Aber schießen kann ich nicht. Zum Sport habe ich eine sehr starke Beziehung, weil es im Sport Regeln gibt, einen definierten Anfang und einen Schluß, also das unterliegt konkret meßbaren Kriterien. Man hat nach so einem Drama, ob es sich nun auf dem grünen Rasen oder im Boxring abspielt, das Gefühl, daß der Bessere den Triumph für sich hat. Das finde ich wunderbar, und das ist im Leben sicher nicht so. Da gibt es keine Fairneß. Da hat man doch immer den Eindruck, daß es nirgends mit rechten Dingen zugeht.

Ist Ihnen Unrecht widerfahren?

PETERSEN: Ja, als man sagte, in meinem Film "Das Boot" werde der Krieg verherrlicht. Das hat mich enorm getroffen. Im Ausland waren die Reaktionen ganz anders. Dort war die durchgehende Meinung, dies sei ein Antikriegsfilm.

Sie nannten den Film eine "Mischung aus Faszination und Grauen".

PETERSEN: Ja, dazu stehe ich. Würde ich anders sprechen, wäre das eine total verlogene Haltung. Wenn Sie beschreiben wollen, wie so eine U-Boot-Fahrt aussah, mit welchem Weltbild diese Soldaten gefüttert wurden, welche gefährliche Faszination in die Herzen und Köpfe dieser Neunzehnjährigen hineingepflanzt wurde, und dabei nur das Grauen, nur das Abschreckende zeigen, dann sind Sie als Filmemacher nicht ehrlich.

Warum, glauben Sie, gehen die Leute in einen Actionfilm?

PETERSEN: Weil sie Abenteuer erleben wollen.

Aber sie bleiben doch passiv. Sie sitzen da und lassen sich durch die Action in eine Art Trance versetzen.

PETERSEN: Ja, aber Trance kann doch sehr schön sein. Ich kenne viele, die zum Beispiel in Trance geraten, wenn sie ein Stück von Mozart hören. Ich bin kein großer Mozart-Fan, aber ich kann das verstehen. Es gibt eine spezielle Bach-Trance, eine Tschaikowsky-Trance, eine Beethoven-Trance. Ich meine, das Träumen muß doch erlaubt sein.

Haben Sie je an sich selbst gezweifelt?

PETERSEN: Ich zweifle jeden Tag an mir, also gut, nicht jeden Tag, aber sehr häufig. Es kommt vor, daß ich nicht schlafen kann, weil ich von Selbstzweifeln geplagt bin, ob meine Fähigkeit ausreicht für das, was ich tue, ob es einen Sinn macht, ob andere es vielleicht besser können. Wenn ich zurückschaue, gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die ich lieber nicht gemacht hätte. Oft denke ich, ich sollte mir auch mal eine Pause gönnen. Dann stelle ich mir mit Schrecken die Frage: Womit beschäftige ich mich eigentlich außer mit Film? Was lese ich? Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gern den "Faust" noch einmal lesen. Ich war als Schüler enorm fasziniert von Goethe. Aber ich habe die Zeit nicht. Manchmal frage ich mich, wohin mich mein Ehrgeiz im Extremfall noch führen könnte.

Ganz einfach: nach Hollywood.

PETERSEN: Ja, das war mein Traum. Als ich im Zusammenhang mit dem Film "Das Boot" häufiger nach Amerika fliegen mußte, dachte ich, aha, jetzt bist du da, wovon du als Junge immer geträumt hast, und war glücklich und happy und konnte mir eigentlich nichts Schöneres vorstellen, als in Hollywood Filme zu machen. Aber das hat sich gewandelt, denn je mehr ich die Leute dort kennenlernte, je öfter ich auf den dort üblichen Meetings war, desto deutlicher erkannte ich, wie oberflächlich die Atmosphäre da ist, diese ganzen Umarmungen und Küßchen und Komplimente, die einem auf Anhieb natürlich unheimlich gefallen, die mir aber, je mehr ich dahinterguckte, immer lästiger wurden. Wenn man diesen american way of life, immer gut gelaunt, immer positiv, immer dynamisch, einmal abklopft, sieht man schnell, wie brüchig das alles ist. Was heutzutage in den Studios dort produziert wird, diese Art, Film nur als Ware zu sehen, diesen Zynismus, nur darauf zu achten, daß die Kasse stimmt, das befürworte ich absolut nicht. Ich kenne drüben Leute, denen ist es zum Beispiel vollkommen egal, was die Kritiker schreiben, Hauptsache, der Film bringt sein Geld ein. So weit bin ich noch nicht. Ich bin jedesmal völlig verstört, wenn einem Kritiker etwas an einem Film von mir nicht gefällt. Ich möchte, daß mich alle lieben. Nach meinem ersten Kinofilm "Einer von uns beiden" bin ich ständig im Kino gehockt, weil ich wissen wollte, wie das Publikum reagiert. Und was passierte? Leute sind aus dem Film rausgegangen. Ich war am Boden zerstört. Denn ich bin besessen davon, Filme für alle zu machen. Es soll wirklich jeder mit meinen Filmen etwas anfangen können.

Das grenzt ja an Prostitution.

PETERSEN: Gut, dann bin ich halt eine Nutte.

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*) Nach dem Film “Das Boot“ (1981), in den USA der erfolgreichste ausländische Film aller Zeiten, drehte Wolfgang Petersen mit einem Budget von 50 Millionen Mark den teuersten deutschen Nachkriegsfilm, „Die unendliche Geschichte“ nach dem Roman von Michael Ende. Der Science-Fiction-Thriller „Enemy Mine“ (1984) wurde zwar noch in München produziert, aber schon von Hollywood finanziert. 1986 übersiedelte Petersen nach Los Angeles

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Erschienen 1985 in der Januar-Ausgabe des "Playboy"