Interview mit Wim Wenders

(anläßlich der  Premiere seines Films "Der Himmel über Berlin")



Endlich, in Ihrem dreizehnten Kinofilm, zeigen Sie zum erstenmal eine Liebesszene. Ein vom Himmel herabgestiegener Engel küßt eine Trapezkünstlerin. Man erfährt, daß er sogar mit ihr ins Bett geht. Haben Sie Ihre Liebesunfähigkeit überwunden?

WIM WENDERS: Ich bin nicht dieser Engel. Aber es stimmt, es ist meine erste, wirklich schöne Liebesgeschichte. Am Schluß meines vorigen Films, "Paris, Texas", umarmt ein noch sehr kleiner Mann seine Mutter. Der Vater gibt die Bühne frei für diese andere Liebe. In "Der Himmel über Berlin" wollte ich weitergehen. Ich wollte etwas als möglich zeigen, statt darauf zu bestehen, daß nichts möglich ist. Das Kino muß wieder versuchen, den Menschen dienlich zu sein. Das Kino könnte der Engel sein.

Es ist Ihr optimistischster und zugleich traurigster Film, denn er hält eine Veränderung zum Guten nur im Märchen für möglich.

WENDERS: Märchen sind ja ganz tief im Menschen verwurzelt, in seinen Träumen. Sie sind die Urform aller Geschichten. Ich glaube, daß man sich durch Märchen den Blick öffnen kann und daß die Wirklichkeit nur mit geöffnetem Blick zu verändern ist. Märchen haben viel mit der Phantasie von Kindern zu tun. Wenn wir lernen könnten, uns zu verwundern wie Kinder, könnten wir mit diesem verwunderten Blick die Probleme neu angehen.

Aber ein Erwachsener weiß mehr als ein Kind und ist desillusioniert durch dieses Wissen.

WENDERS: Das glaube ich überhaupt nicht. Es sind doch nur null Komma null null eins Erwachsene, die wirklich Bescheid wissen um Dinge, um das Sterben zum Beispiel. Der Rest schaut dem Tod nicht in die Augen, so wie Kinder das tun. Ich habe als Kind viel öfter nachgedacht über das Sterben und darüber Tränen vergossen. Ich habe mir vorgestellt, daß die Leute, die ich kannte, einmal nicht mehr da sind. Das hat mich mehr bewegt als mich heute als Erwachsener wirkliche Todesfälle bewegen. Ich glaube, daß sich nur Kinder diese metaphysischen Fragen stellen, warum bin ich nicht du, wo fängt die Zeit an, wo hört der Raum auf. Das fragt kaum ein Erwachsener, aber nicht, weil er die Antworten wüßte, sondern weil er sich daran gewöhnt hat, daß es keine Antworten gibt.

Eben, und dadurch verliert er die Illusionen.

WENDERS: Nicht unbedingt. Er kann sich die kindliche Qualität des Blicks bewahren.

Sie sind katholisch erzogen. Glauben Sie an ein Weiterleben im Jenseits?

WENDERS: Nein. Darauf habe ich schon als Kind nichts gegeben. An der Idee der Ewigkeit bin ich verzweifelt. Nie aufzuhören, also ewig zu leben wie der liebe Gott und die Engel, das war für mich ein grauenvoller Gedanke, weil ich mir unter Ewigkeit nichts vorstellen konnte. Die Ewigkeit hat keine Bilder. Ich erinnere mich, ich bin heulend durch die Wohnung gelaufen mit diesem Gedanken. Wir wohnten in Benrath bei Düsseldorf. Was ich in der Kirche hörte und im Religionsunterricht lernte, hat mich überhaupt nicht befriedigt.

Trotzdem wollten Sie Priester werden.

WENDERS: Ja, weil ich dachte, daß man mit diesem Beruf jemand sei, der einem etwas erklären könnte. Das war ein Irrtum. Der Verlust des Glaubens war der wichtigste Gesundungsprozeß meiner Jugend.

Statt Priester sind Sie Filmemacher geworden. Nun zelebrieren Sie Kino.

WENDERS: Der Akt des Fotografierens, noch mehr des Filmens, ist für mich tatsächlich ein zwar nicht heiliger, aber doch besonderer Vorgang. Wenn ein Tourist den Eiffelturm fotografiert, und ich gehe zufällig gerade vorbei, so daß ich dann auf dem Bild bin, ist etwas Bedeutsames geschehen. Denn dieses läppische Touristenfoto hält jemanden fest, der vielleicht in zehn Jahren tot ist. Es hält die Zeit an. Deshalb mag ich es nicht, wenn man Leute beim Vögeln aufnimmt. Der Geschlechtsakt hat nur im Augenblick seine Bedeutung.

Sehen Sie Pornofilme?

WENDERS: Ich habe in Deutschland so ein paar Lederhosendinger gesehen. Da kam ich mir vor, als ob ich Karnickeln zugucken würde, denn da sieht man nur dauernd die Köpfe. Die wackeln dann. Bei einem richtigen Porno stimmt zumindest der Bildausschnitt. In Los Angeles war ich einmal auf einer Party, wo der Hausherr ganz stolz in einem Nebenzimmer Pornos gezeigt hat, ich weiß nicht, ob hart oder weich. Dazu habe ich nicht genügend Erfahrung. Jedenfalls hat es mich angewidert. Aus dem Film "Im Reich der Sinne" von Oshima bin ich hinausgegangen, obwohl ich den eigentlich unheimlich mögen wollte. Ich kann Leuten beim Vögeln einfach nicht zuschauen, so wie ich auch keine Horrorfilme ertrage.

Weil Sie sich fürchten?

WENDERS: Nein, weil es mich langweilt. Ein Film, der mir gefallen soll, muß sein wie eine Autofahrt durch die Sahara.

Die Liebesszene in Ihrem neuen Film gleicht eher einer sakralen Handlung. Die Frau überreicht dem Mann einen Weinkelch und hält eine Rede.

WENDERS: Diese Rede ist mir sehr wichtig. Denn sie steht stellvertretend für alle Reden, die Frauen an Männer richten. Sie ist die kühnste Tat in diesem Film, etwas völlig Außergewöhnliches. Normalerweise sind ja Frauen, die reden, für Männer ein Alptraum. Mir aber gefällt das.

Auch im wirklichen Leben?

WENDERS: Natürlich ist da ein Unterschied. In Wirklichkeit wird das nicht so passieren. Es ist eine sehr überhöhte Szene. Man muß bedenken, daß dieser Engel so etwas nie erlebt hat. Er hat es gesehen, weil er ja alles sieht. Oder soll man sich vorstellen, daß Engel wegschauen, wenn Menschen es treiben? Nein, er hat zugeschaut, aber es hat ihn als Engel nicht aufgegeilt. Also kennt er es nur als eine Art Ritual und verhält sich entsprechend.

War es für Sie eine Erleichterung, daß das Mädchen von Solveig Dommartin*) gespielt wird, die auch Ihre Geliebte ist?

WENDERS: Im Gegenteil, es war eine Belastung. Wir haben eine sehr schwere Zeit gehabt, denn man muß, wenn der Mensch, mit dem man lebt, zugleich Darsteller ist, gewissermaßen heraustreten aus der privaten Beziehung. Trotzdem kann ich im nachhinein sagen, es hat nicht geschadet.

Wollen Sie heiraten?

WENDERS: Ich habe fest vor, es zu vermeiden. Ich war zweimal verheiratet, das erste Mal mit einer Österreicherin, die in Gefahr war, aus politischen Gründen ausgewiesen zu werden, das zweite Mal mit der Schauspielerin Ronee Blakley. In beiden Fällen war es so, daß die Ehe die Gefühle zerstört hat. Ich kenne Paare, die haben zwölf Jahre gut zusammen gelebt und wären glücklich geblieben bis an ihr Lebensende. Dann haben sie geheiratet, und in drei Wochen war alles vorbei.

Haben Sie Kinder?

WENDERS: Nein.

Wollen Sie welche?

WENDERS: Ich kann keine haben. Bei einer Untersuchung vor fünfzehn Jahren hat sich herausgestellt, daß ich infertil bin. So nennt man das. Der Arzt sagte, das käme von einer Mumpserkrankung in meiner Kindheit.

Hat sich dadurch Ihr Sexualleben verändert?

WENDERS: Meine Freundin braucht keine Pille zu nehmen. Aber eigentlich geht Sie das gar nichts an.

Gut, sprechen wir von Ihren künstlerischen Erfolgen. Sie haben in Venedig den Goldenen Löwen bekommen, in Cannes die Goldene Palme, dazu etliche Bundesfilmpreise in Deutschland. Macht es Sie stolz, ausgezeichnet zu werden?

WENDERS: Gleichgültig ist es mir nicht. Es ist eine Befriedigung, besonders wenn man meint, daß man den Preis auch verdient hat, was nicht immer der Fall ist. Es gibt Filme von mir, da würde ich, wenn ich sie sehe, am liebsten im Boden versinken. Das Unangenehme ist, daß so ein Preis auch viel Neid weckt, vor allem bei Leuten, die vorher immer behauptet haben, meine Filme zu mögen. Die sind dann enttäuscht und werden böse, weil eine andere als ihre Anerkennung gekommen ist. Plötzlich fühlen sie sich ganz überflüssig. Die Preise haben mich ihnen sozusagen entrissen. Sicher gibt es auch einige Filmproduzenten, die sich über meine Erfolge geärgert haben.

Zum Beispiel?

WENDERS: Der Luggi Waldleitner hat sich bestimmt geärgert, denn der hat in einem Interview einmal verkündet, ich wäre nicht in der Lage, einen Film zustande zu bringen, den die Leute auch sehen wollen. Das hat mich ungeheuer gewurmt. Dabei hatte ich gegen den Mann überhaupt nichts. Ich habe ihn manchmal in München herumlaufen sehen und finde ihn einen lieben Typen.

Gibt es auch Neid bei Kollegen?

WENDERS: Natürlich.

Herbert Achternbusch hat einmal vorgeschlagen, Sie sollten besser mit der Eisenbahn spielen als Filme machen.

WENDERS: Dem Herbert bin ich zu innerlich und nicht derb genug.

Sie waren vier Jahre in Hollywood. Amerika ist das Land Ihrer Träume. Aber «Hammett», der dort entstandene Film, war ein Mißerfolg. Rat Sie dieses Scheitern verändert?

WENDERS: Ich habe das nicht als Scheitern empfunden, im Gegenteil, mich wundert, mit welcher Starrköpfigkeit ich dieses Ding doch noch hingekriegt habe, obwohl es genug Gründe gab, auszusteigen. Mir ist klar, daß man mich in Hollywood nie wieder wird einen Film machen lassen. Aber das will ich auch gar nicht. Der Verlust an Selbständigkeit wäre zu groß. Die Art und Weise, wie dort eine Fülle von Talent mißachtet und kaputtgemacht wird, ist einfach schrecklich. Die Filme werden nicht von den Künstlern, sondern von ein paar Agenten und Rechtsanwälten bestimmt, die sich wie die Schmeißfliegen auf diesen riesigen Scheißhaufen nicht beschäftigter Leute werfen, um ihn Schicht für Schicht abzutragen. Die Künstler sind nur die Opfer. Hollywood ist das Sündenbabel der Neuzeit, die größte Schmierenindustrie, die man sich denken kann. Dagegen finde ich es fast moralischer, Autos zu bauen, selbst diese kümmerlichen amerikanischen Autos, diese Schrottkisten mit einer Technik aus den sechziger Jahren. Das erscheint mir achtbarer als die Art, wie dort Filme entstehen. Ich habe nach meiner Zeit in Hollywood einen Film gemacht, den mir erst einmal einer nachmachen soll. Ich spreche von "Paris, Texas". So ein Film wäre dort gar nicht möglich.

Die amerikanische Kritik hat ihn aber furchtbar verrissen.

WENDERS: Ja, das war böse. Das hat mich verbittert. Denn das ist ein Film, der die allerklassischsten Mittel des amerikanischen Kinos verwendet, und ausgerechnet so ein Film wird dann als europäischer Intellektuellenkram hingestellt. Das hat mich wirklich getroffen. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb ich nach Europa zurückgekehrt bin. Ich habe meine Wohnung in New York aufgegeben. Seit drei Jahren wohne ich jetzt in Berlin.

Sollten Sie Ihren Freund Volker Schlöndorff, der gerade anfängt, in Amerika Fuß zufassen, nicht warnen?

WENDERS: Ich weiß nicht, ob ich das soll. Ich glaube, das muß er für sich allein herausbekommen. Er macht ja dort eine mehr industrielle Arbeit. Sein Film "Tod eines Handlungsreisenden" war für das amerikanische Fernsehen. Mir kommt vor, daß der Volker ganz froh ist über genau das, was ich nicht ertragen habe, nämlich daß man nicht sein eigener Herr ist, sondern sozusagen nur ein Handwerk ausübt.

Meinen Sie das Handwerk des Entertainers?

WENDERS: Ja, und es sieht so aus, als wäre er geradezu befreit durch diese Unterhaltungsarbeit. Er hat mir den glücklichsten Eindruck gemacht, obwohl er doch sonst nicht gerade ein glücklicher Mensch ist. Da habe ich mir gedacht, um Himmels willen, sag ihm bloß nichts, vielleicht ist das für ihn der richtige Weg. Ich kann doch nicht auf Grund meiner schlechten Erfahrungen überall als Heilslehre verkünden, daß man dort auf keinen Fall hingehen sollte.

Ist von Ihrem amerikanischen Traum wirklich nichts übrig geblieben?

WENDERS: Doch, ein paar Orte. Da kriege ich manchmal schon bohrendes Heimweh. Aber innerlich ist nichts übrig. Das Schlimmste an diesem Land ist ja das Fernsehen, diese Selbstdarstellung im Fernsehen. Das ist ein absolut bestialischer Akt, vollkommen entmenschlicht, der Inbegriff des Bösen, wenn Sie so wollen.

Ist das Fernsehen in Europa viel besser?

WENDERS: Eben nicht! Das ist es ja, was mich verzweifelt macht. Man kommt zurück aus diesem Alptraum, dem man entflohen ist, nach Frankreich zum Beispiel, und guckt mal fern, und plötzlich, man hält es im Kopf nicht aus, ist da auch schon überall erstens Reklame und zweitens diese wirklich trottelige, furchtbar dumme Art der amerikanischen Unterhaltungsprogramme. Man denkt, man sitzt in Paris, was einmal die Kulturhauptstadt der Welt war, und nun wird auch da auf eine hilflos dümmliche Weise dieses Amerikanische, vor dem man geflüchtet ist, nachgebetet. In Italien ist es das gleiche. Also fährt man nach Deutschland, dem einzigen Hort der Hoffnung, schaut fern in Düsseldorf oder in München, und was sieht man? Auch die Bundesrepublik hat nur noch den einen Wunsch, zu diesem großen, furchtbaren Amerika zu gehören, damit sie endlich der 51. Bundesstaat der USA wird.

Haben Sie eine Ahnung, warum das so sein muß?

WENDERS: Das hat ökonomische Gründe. Ich bin überzeugt, daß die wichtigste Industrie der Menschheit, wichtiger noch als die Rüstungsindustrie, früher oder später die Unterhaltungsindustrie sein wird, un daß durch diese Produktion von Unterhaltung auf infernalische Art jede Kultur und jede Identität niedergeknüppelt wird, auch jede Chance zur Selbstbestimmung. Man kann das am besten in amerikanischen Kleinstädten sehen, wo die Leute ein völlig verblödetes Dasein fristen, wie in einem Science-Fiction-Roman, der von Menschen handelt, die unter Drogen gesetzt sind und nur noch wie Zombies verwaltet werden. Aber das gilt eben nicht nur für Amerika. Das breitet sich aus. Das wird man nicht aufhalten können, weder durch Warnungen noch durch Taten.

Warum machen Sie keinen Film, in dem das gezeigt wird?

WENDERS: Den mache ich ja. Das wird mein nächster Film sein. Der heißt "Bis ans Ende der Welt". Darin gibt es eine Szene, die in Australien spielt, wo ein Volk lebt, das schon am Boden liegt, vollkommen am Ende, niedergemacht. Ich meine die Aborigines. Die wohnen in Hütten, weil sie Nomaden sind, kochen am offenen Feuer. Diese Hütten sind völlig leer. Nur irgendwo hinten brummelt ein Generator, und das einzige, was es gibt, ist ein Fernseher und ein Videogerät und davor im Staub so ein Stapel von fünfzehn oder zwanzig Videokassetten. Dieses Volk hatte eine wunderbare Kultur, eine eigene Mythologie. Alles vorbei! Ich fürchte, in fünfzig Jahren wird es bei uns genauso aussehen, außer es kommt weltweit die große Kulturrevolution, die Abschaffung jeglichen Fernsehens. Das wäre ein erster Schritt.

Dazu müßte man eine Diktatur einrichten.

WENDERS: Schon möglich. Ich muß Ihnen sagen, ich schaue mir tausendmal lieber das Fernsehen der DDR an. Diese Diktatur ist mir wesentlich angenehmer als die Diktatur des Werbefernsehens.

So eine zornige Radikalität paßt gar nicht zu Ihnen.

WENDERS: Das stimmt. Eigentlich ist es nicht mein Naturell, wütend zu werden. Ich mag lieber, wenn es freundlich zugeht.

Sind Sie in Ihrem Leben je gewalttätig gewesen?

WENDERS: Ich bin ein paarmal verprügelt worden und habe mich gewalttätig gewehrt. In Los Angeles wurde ich einmal nachts überfallen. Die Angreifer zogen ein Messer. Da habe ich rot gesehen. Also das hat mich gewundert, wie ich da austeilen konnte. In so einer Situation könnte ich sogar jemanden töten. 1968 bin ich in München verhaftet worden, weil ich bei einer Demonstration gegen Springer, die aus den Fugen geriet, durchgedreht habe. Ich war mit der Kamera dort, weil ich einen Film über die Polizei drehen wollte, und bin Zeuge geworden, wie Polizisten einen Bekannten von mir richtig verdroschen haben. Der war vollkommen hilflos. Da habe ich mich dazwischengeworfen. Es kam zum Prozeß. Ich wurde wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Peter Handke, der zu einigen Ihrer Filme, auch Ihrem letzten, das Drehbuch verfaßt hat?

WENDERS: Mit dem Peter habe ich mich noch nie geprügelt.

Haben Sie manchmal Streit miteinander?

WENDERS: Es kommt schon vor, daß der eine zum anderen sagt, was der von sich gebe, sei nackter Blödsinn. Da gibt es auch Meinungsverschiedenheiten. Aber die lösen wir spielerisch. Ich kenne den Peter seit zwanzig Jahren, und ich weiß, welche physische und psychische Leistung das Schreiben für ihn bedeutet.

Was machen Sie, wenn Ihnen nicht gefällt, was er für Sie geschrieben hat?

WENDERS: Ich kürze, oft sogar ziemlich drastisch. Manchmal, so scheint mir, wird der Peter in den Dialogen zu überschwenglich.

Können Sie sich erklären, weshalb sowohl seine Bücher als auch Ihre Filme von Feministinnen so erbittert abgelehnt werden?

WENDERS: Das finde ich eine Sauerei, und zwar deshalb, weil doch die Frauen es waren, die damit begonnen haben zu sagen, wir wollen selbst unsere Geschichten erzählen oder Filme über uns machen, die Männer sollten sich das ruhig einmal ansehen. Dieser sicher notwendige radikale Prozeß der Selbstdarstellung wurde genau von jener Frauen erfunden, die jetzt den Männern vorwerfen, daß sie das gleiche versuchen, nämlich sich und ihre Männerwelt zu erkunden. Das stört mich unheimlich.

In Ihrem Film «Der Himmel über Berlin» wird die traurige, von Ängsten geplagte Heidin durch einen irdisch gewordenen Engel, den Bruno Ganz spielt, gleichsam errettet. Glauben Sie, Männer sind nötig, um Frauen glücklich zu machen?

WENDERS: Ich glaube eher, daß es umgekehrt ist. Die Frau will den Mann erlösen.

Kennen Sie einen Frauenfilm, in dem so etwas vorkommt?

WENDERS: Nein, aber ich hatte bei der Beobachtung von Freunden oft das Gefühl, daß gerade solche Männer die unverschämtesten Erfolge be Frauen haben, denen es gelingt, deren Mitleid zu wecken.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Liebeserlebnis?

WENDERS: Zuerst versucht habe ich es mit neunzehn. Ich bin in ein Puff gegangen. Das war lange geplant, weil ich fand, es sei überfällig. Meine Freunde hatten das alle schon hinter sich. Aber es endete furchtbar. Ich habe einen traumatischen Schock erlitten.

Waren Sie impotent?

WENDERS: Ja, es war absolut nichts zu machen, weil mich die geschäftsmäßige Art dieses Vorgangs ungeheuer entsetzt hat. Ich fühlte mich als Ware, obwohl ich der Käufer war. Bloß es gelang mir nicht, mich als Ware behandeln zu lassen. Ich wurde nur immer verschreckter und habe buchstäblich wie eine Schnecke meine Fühler nicht herausstrecken können. Plötzlich hat die Frau angefangen zu lachen und mir auf den Kopf zugesagt, daß ich noch nie mit einem Mädchen geschlafen und mir das wohl zu lange vorgestellt hätte. Damit hatte sie vollkommen recht. Das war wie eine Erlösung. Sie sagte, ich sollte mir keine Sorgen machen. Sie hatte wirklich Humor. Was mich am meisten beruhigte, war, daß sie mir das Geld nicht zurückgab. Sonst hätte ich mich noch mehr als Versager empfunden.

War das Geld selbst verdient?

WENDERS: Ja, das war lange Erspartes. Ich bin damals Taxi gefahren, habe in einem Verleih gearbeitet und auch als Krankenpfleger gejobbt.

Sind Sie später je wieder zu einer Nutte gegangen?

WENDERS: Nein, nie. Ich war aber in mehreren Peepshows als Vorbereitung für meinen Film "Paris, Texas".

Hat Sie das, was dort geschieht, nicht erschreckt?

WENDERS: Eigentlich nicht. Mich hat beeindruckt, was für harte Arbeit das ist, richtige Sklavenarbeit zum Broterwerb. Das fand ich beachtlich. Ich habe mir die ganze Zeit vorgestellt, wie diese Mädchen, wenn Schluß ist, nach Hause gehen und was sie dort machen als Hausfrau oder Studentin.

Erregt waren Sie nicht?

WENDERS: Nein, überhaupt nicht. Denn in diesen Buden stinkt es doch wie die Pest. Sexuelle Gefühle konnten da nicht entstehen, sondern ich fand das recht traurig.

Ihr sehnlichster Wunsch, das haben Sie oft geäußert, wäre es, eine Filmkomödie zu schreiben. Weshalb dieser Ehrgeiz?

WENDERS: Weil es das Schwerste ist, und weil es auch vom moralischen Standpunkt nichts Schöneres gibt, als jemand zum Lachen zu bringen. Auch diesmal sollte es ja eine Komödie werden. Aber es wurde ein großes Scheitern.

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*)  verstarb 44-jährig am 11. Januar 2007

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erschienen am 19. Oktober 1987 im SPIEGEL