Es gibt Leute, die sich um Ihr Wohlbefinden Sorgen machen.
UDO LINDENBERG: Ich mach' mir auch Sorgen. Deshalb werd' ich nun einiges ändern
müssen. Ich werd' den Privatmenschen und den Kreativmenschen Udo wieder mal
aus dem Keller holen. Ich meine, daß der Kreativling viel intensiver zum Blühen
käme, wenn ich nicht so viel managen würde. Wissen Sie, ich bin über Monate
hinweg mehr Manager als Artist gewesen. Ich werd' das jetzt nicht mehr machen,
mich mehr konzentrieren aufs Wesentliche, also oft monatelang irgendwie weg
sein, nicht in diesem unserem Lande, sondern weltweit irgendwie unterwegs sein
und so kreative Expeditionen machen.
Ist es Ihnen körperlich schlecht gegangen?
LINDENBERG: Ne, das waren so Depressionen, also so 'ne Ratlosigkeit oder Orientierungslosigkeit,
also ich meine, es ist natürlich schon ein gutes Gefühl, wenn man auf der Bühne
steht und sieht, daß ganz viele tausend Menschen mit meinen Songs was anfangen
können, aber das ganz private, das Urego, das muß natürlich auch befriedigt
werden, schon allein aus energietechnischen Gründen. Im allgemeinen ist es ja
so, daß ich Privat und Berufsleben ganz gut kombiniere, nur die Überenergien,
die ich brauche für die Überprojekte, diese Gigantenenergien, für die muß ich
eben andere Energiequellen ausfindig machen.
Was für Projekte?
LINDENBERG: Ich hab' mir vorgenommen, in diesem unserem Lande die Politik ganz
erheblich mitzugestalten, also den Kurs des gesamtgesellschaftlichen Dampfers
ein bißchen herumzusteuern. Ich werde in verstärktem Maße die Belebung der Demokratie
oder eben die Abschaffung der Scheindemokratie in Angriff nehmen. Ich möchte
die Leute in die staatsbürgerliche demokratische Verantwortung hineinmotivieren.
In Ihrem Film »Panische Zeiten« schaut das so aus, daß ein Popstar namens Lindenberg
zum Bundeskanzler gewählt wird. Seine Freunde sind die Minister, und die Fans
sind die Untertanen.
LINDENBERG: Das ist natürlich eine gewisse Filmrealität, also das hat was Symbolisches,
obwohl ich mir durchaus vorstellen könnte, als Kanzler in Bonn zu sitzen. Ich
sehe doch, daß die falschen Leute an den Hebeln der Macht sind, nicht an allen
Hebeln, aber an vielen Hebeln. Da sitzen doch lauter Verbrecher, deren Programm
man nicht gerade als den radikalen Humanismus bezeichnen könnte, und da ich
mich als einen Humanisten verstehe, muß diesen Leuten die Macht eben genommen
werden. Aus vielen, vielen Gesprächen mit Tausenden von Jugendlichen weiß ich,
was das Volk von mir erwartet. Täglich bekomme ich Briefe. Das sind nicht Tausende,
das sind Hunderttausende, die haben ein gemeinsames Programm, das wird immer
klarer, und dafür werde ich fighten, auch gegen die Aussteiger, gegen das Aussteigertum,
gegen die allgemeine Verdröhnung. Wir fighten dafür, daß hier demnächst mit
klarem Kopf die Machthaber abgelöst werden, weil wir die Demokratie für eine
sehr gute Möglichkeit halten, die wir als Geschenk bekommen haben, nachdem die
Deutschen 'ne Riesensauerei gemacht haben, die Nazisauerei, denn da wurde ja
ganz offensichtlich für was anderes gefightet als für die demokratische Ordnung.
Die kam dann als Geschenk und wird heute von vielen mit Füßen getreten. Ich
bin für die Abschaffung des konventionellen Regententums, wie es seit Jahrtausenden
Brauch ist, und ich hoffe, daß bald 'n paar Millionen hinter mir stehen, denn
ich kämpfe ja nicht nur um das eigene Leben, sondern auch um das Leben der anderen
Menschen, auch solcher, die noch gar nicht auf der Welt sind. Ich möchte einfach
mithelfen, diese in vieler Hinsicht unheimlich blöde Welt zu verändern, denn
die richten da zum Beispiel 'ne Rakete auf mich, das seh' ich nicht ein, daß
mir im Kriegsfall hier 'ne Rakete auf die Nase geknallt wird, mir ganz persönlich,
da wehre ich mich, das ist 'ne Frechheit vom Kreml, deshalb habe ich vor, diese
Typen mal an einen Tisch zu bekommen, dann sollen die das via Satellit mal erklären.
Aber das können sie nicht erklären, und daher wird mir nichts anderes übrigbleiben,
als Herrn Schmidt* abzusetzen.
Das erinnert mich an eins Ihrer Lieder, in dem Sie als der neue Messias erscheinen.
Fühlen Sie sich berufen, die Welt zu erlösen?
LINDENBERG: Irgendwie fühl' ich mich schon berufen, und ich hab' auch irgendwie
einen Auftrag, oder ich hab' mir selbst einen Auftrag gegeben, so 'ne Art Sinngebung,
weil ich brauch' irgendwas, wofür ich fighte, ich kann nicht einfach nur so
total für mich sein. Ich bin eben ein ziemlich idealistischer Mensch, und wenn
ich sehe, daß ich da weiterkomme mit einer Sache, für die ich kämpfe, das törnt
mich an, klar. Der Text zu dem Lied ist ja entstanden, weil ich mich wieder
mal über die Kirche aufgeregt habe. Ich hab' mir gedacht, ist doch irgendwie
ganz beknackt, da schicken die einen runter, und dann wird so viel Scheiße gemacht.
Warum schicken die nicht einen andern? Also da müßte doch jetzt mal der nächste
kommen, ist doch logisch. Die können doch nicht so 'ne Scheiße anzetteln und
sich dann raushalten aus allem. Ich mein', was die Kirche im Lauf der Jahrtausende
aus Christus gemacht hat, das kann ich doch nur noch als kriminell bezeichnen.
Das ist doch 'ne Organisation aus Verbrechern geworden, die konservative Katholenkirche,
und der Papst ist der größte Verbrecher. Durch sein Pillenverbot werden Babys
geboren, und schon sind sie tot. Was da jetzt an Schmäh in Afrika abläuft, da
wird mir ganz übel, oder was sich da in Südamerika abspielt, wo korrumpierte
Hohepriester mit den schweinischsten Diktaturen zusammenarbeiten, mit so einem
Verein kann ich doch nichts zu tun haben. Wenn ich mir da am Neujahrsmorgen
die Friedensbotschaft anhöre, bekomme ich Kotzgefühle.
Auf Ihrer LP »Galaxo Gang« wird ein rebellischer Rocksänger während eines Auftritts
von staatlich beauftragten Killern erschossen. Kann Ihnen das auch passieren?
LINDENBERG: Die Möglichkeit besteht, ohne Zweifel. Martin Luther King ist ja
auch umgebracht worden. Da kann man eine ganze Reihe aufzählen.
Haben Sie etwas zu Ihrem Schutz unternommen?
LINDEN BERG: Ich hab' 'ne Leibwache, manchmal.
In Ihrem Nachruf auf Elvis Presley steht: »Von Rockstars erwartet man eher exotische
Abgänge, auf der Bühne am Instrument verglühen, mit einem ganz schnellen Auto
irgendwo zerfetzt werden, an einer dreifachen Überdosis Heroin sterben oder
auf einer atemberaubenden Luxusbraut das Leben aushauchen.«
LINDENBERG: Ja, so wird es erwartet. Ich bin aber nicht der Meinung, daß ich
das Volk auch mit meinem Tod noch befriedigen müßte.
Haben Sie Angst davor, alt zu werden?
LINDENBERG: Was die Vitalität betrifft, da hab' ich gar keine Bedenken, nur
Krankheiten, die sich vielleicht mal einschleichen, die hielte ich nicht für
sehr praktisch. Da hätte ich schon lieber, daß es schnell geht.
Bis zu welchem Alter haben Sie vor, auf die Bühne zu steigen?
LINDENBERG: Bis immer. Da gibt's keine Grenze.
Ein fünfzigjähriger Lindenberg mit Schmerbauch und Glatze, läßt sich das denken?
LINDENBERG: Ja, das möchte ich gerne mal vorführen, da bin ich dann wahrscheinlich
einer der ersten, der noch als Fünfzigjähriger auf die Bühne hinaufgeht, vielleicht
mit Kindern, also das ist völlig egal. Ich finde, Jugend ist gar keine Notwendigkeit
für das, was ich mache, vorausgesetzt, daß die Power noch da ist. Also Schwachheit
im Kopf darf natürlich nicht sein, weil ich bin ja jemand, der 'ne Utopie hat,
aus der die Leute ihre Energien beziehen, die sie brauchen, weil viele von denen
sehr jung sind und ständig nur immer eins auf die Nuß bekommen von Eltern, Lehrern,
Lehrherren ... Die brauchen einfach so 'n Vorbild, um diese beknackten Autoritäten
stoppen zu können, und als Vorbild darf man natürlich nicht schwach sein. Schlappmachen
geht nicht. Da sind wir wieder beim Thema: Wo krieg' ich nun ständig diese Kraft
her?
Von »ganz jungen, unbeschädigten Mädchen« zum Beispiel. So haben Sie es einmal
selbst formuliert.
LINDENBERG: Ja, ab und zu mal so Liebesbeziehungen sind schon 'ne Energiequelle,
klar. Aber das passiert ja nicht allzu häufig. Ich hätt' es gern öfter, bin
nämlich sehr gerne verliebt, ist aber schwierig. Manchmal muß ich mir da richtig
bewußt auf die Bremse latschen, denn wenn ich dann auf Tour bin als Rock 'n'
Roll-Zigeuner und hab' da irgendwo so 'n Menschen, dem ich mich sehr verbunden
fühle, dann krieg' ich auf der Stelle schlimmste Entzugssymptome, wenn der nicht
da ist, klar, find' ich ganz logisch. Deshalb muß ich da ein bißchen aufpassen
manchmal. Denn ich bin streckenweise sehr leicht entflammbar, obwohl es nicht
immer gleich die ganz intensive Liebe sein muß, manchmal auch nur so 'n Sexualabenteuer,
ohne das jetzt irgendwie abzuwerten. Kann ja auch schön sein.
Sie meinen, »so ex- und hopp-technisch«, wie Sie das mal ausgedrückt haben,
»so Rumfickereien mit Schnellservicemädels«?
LINDENBERG: ja, obwohl das jetzt immer seltener vorkommt, daß ich so Mädchen
mißbrauche, also diese Groupie-Geschichten, weil das hat ja was mit Menschenmißbrauch
zu tun, mit einer gewissen Mißachtung der menschlichen Würde, ist also Ausbeutung
der Schwäche von Menschen. Ich mach' es eigentlich inzwischen so selten, daß
ich fast sagen kann, ich mach' es schon gar nicht, und wenn ich es mache, dann
rede ich zunächst mit dem Mädchen, weil ich den Eindruck hab', daß da was instabil
ist, wenn sich eine so ranschmeißt. Das muß ja nicht immer eine ausführliche
Diskussion sein. Kann passieren, daß die Diskussion manchmal 'n bißchen kurz
ausfällt und daß ich also auf diese Weise eine nicht ganz so strahlende Dame
im Bett hinterlasse, eine, die sich 'n bißchen kratzt oder so. Aber das finde
ich überhaupt nicht gut, und das will ich mir auch vollkommen abgewöhnen.
Eine erstaunliche Wandlung, wenn man bedenkt, wie Sie sich früher zu diesem
Thema geäußert haben.
LINDENBERG: Jaja, ich hab' das früher mal stärker betrieben, hatte da einen
gewissen Nachholbedarf, weil ich in jungen Jahren ständig verarscht worden bin
von den Damen. Gibt ja immer noch 'ne Menge Mädchen, die auf der einen Seite
sehr kokett sind, mit riesigen Dekolletes und wahnsinnig kurzen Dingern so völlig
als Reizauslöser rumlatschen, und dann geht man hin, da haben sie's nun geschafft,
daß man irgendwie libidisiert ist, und dann sagt man, nu laß mal los, und will
es nun machen ohne großes Drumrumgerede, und dann sagen die, was fällt Ihnen
Schwein eigentlich ein, also dann ist es eben einfach wieder 'ne Sauerei, und
dann wird es einem nun doch nicht gestattet, und das find' ich eben total beknackt,
und deshalb hab' ich es dann lieber gelassen, weil ich mag mich nicht gerne
verarschen lassen.
Hatten Sie mit Ihrer Potenz mal Probleme?
LINDENBERG: Ne, potent war ich immer. Da gab's keine Probleme.
War also nicht nötig, sich im Bett die Männlichkeit zu beweisen?
LINDENBERG: Ach so, Männlichkeit, doch, das gab's auch, hatte ich früher auch
mal, hab' ja auch angefangen zu rauchen, weil ich dachte, als Mann muß man das
eben, so diese Geschichten, hab' ja auch schon mit dreizehn, vierzehn angefangen
zu saufen. Da bin ich in 'ner Band am Schlagzeug gesessen, die waren alle älter
als ich, und die tranken, und da kriegte ich erst einmal Schokolade, aber dann
sagte ich, Schokolade möchte ich keine, und dann kriegte ich eben auch Bier,
erst ein kleines, dann ein großes und dann immer mehr, und dann fand ich das
ganz interessant, auch ganz normal, und dann wurde da eben immer geballert,
während wir spielten, und 'ne Zeitlang hat mir das auch was gebracht, das heißt,
es hat mir Späße gebracht, hat mich auch etwas enthemmt, machte mich locker.
Ich war ja dann jahrelang ziemlich bedröhnt auf der Bühne, hatte also 'ne ziemlich
intensive Romanze mit Lady Whisky. Als ich dann zu singen anfing, wurde das
immer schlimmer, weil wenn man jahrelang hinter den Trommeln sitzt und dann
irgendwie nur mit einem Mikrofon in der Hand da nach vorne muß, und da sind
nun nicht mehr nur ein paar Hundert, sondern gleich ein paar Tausend Leute,
die nicht nur die Songs hören wollen, sondern auch die richtigen Sprüche und
Kommentare und einfach diese Power, dann kommt man schon in Versuchung, sich
selbst noch bißchen zusätzlichen Treibstoff hineinzuschütten, und ich hab' also
reichlich Treibstoff hineingeschüttet, und so hat sich das mit dem Alkohol bis
zum letzten Jahr in abenteuerlicher Weise gesteigert. Ich war auf zweieinhalb
Flaschen Whisky täglich und hab' dann von einem Tag auf den andern aufgehört
mit dem Trinken, dann noch drei Tage gezittert, und danach war's okay. Ich trinke
jetzt nichts mehr, nehme auch keine Drugs und dergleichen. Ich bin der Ansicht,
daß die beste Droge der klare Kopf ist.
Den Spruch kenne ich schon. Das haben Sie schon mehrfach zum besten gegeben.
Die Frage ist nur: Werden Sie mit dieser Nüchternheit noch zur Wirkung kommen?
Die Rolle des Besoffenen war ja auch Ihre Bühnenrolle. Da wußte man doch nie
so genau, spielen Sie das, oder torkeln Sie wirklich?
LINDENBERG: Sie meinen den berühmten Tanzschritt? Das ist einfach so 'ne Naturbelassenheit.
Ich hab' eben so'n easy Gang drauf, ist teilweise im Suff entstanden, ja, aber
auch, weil ich lange Zeit nur getrommelt hatte, und als ich dann zu singen anfing,
hab' ich eben in Gedanken weitergetrommelt, so als würd' ich noch immer am Schlagzeug
sitzen, daraus ist dann dieser etwas knieweiche Gang entstanden, das ist dann
noch ausgebaut worden, Fallrückzieher und diese Geschichten, die haben sich
dann später entwickelt.
Ihr früherer Saxophonist, Olaf Kübler, behauptet, es sei Ihr besonderer Trick
gewesen, einen Schwächling zu mimen, denn, so Kübler: »Als Kaputter kann man
immer nur positiv überraschen.«
L1NDENBERG: Das ist irgend so 'ne Taktik, die er mir im nachhinein unterstellt
hat. Ich hab' mich auch mal gefragt, war's vielleicht so? War aber nicht. Ich
mime doch den Leuten nichts vor, zumindest nicht bewußt, ich mein', klar, ich
zieh' mir schon mal ‘nen goldenen Frack an, wenn es mir dramaturgisch ins Konzept
paßt, oder schmeiß mal 'ne Flasche oder steig' aufs Klavier, dramaturgisch.
Kübler sagt weiter, Sie hätten ihm die Sprüche geklaut, denen Sie Ihren Erfolg
verdanken, zum Beispiel »Nur keine Panik!«, woraus ja dann die Bezeichnung »Panikorchester«
hervorging.
LINDENBERG: Ne, also ehrlich, der Spruch ist einfach so aus diesen etwas chaotischen
Gegebenheiten hervorgegangen, in denen unsere Songs und Projekte geboren werden.
Also da gibt es auf der einen Seite die ziemlich glatt gemanagten Schlager
und Disco-Projekte, und dann gibt es so im Underground diese wilden Blumen,
die oftmals wesentlich chaotischer wachsen, zwischen all den Nervenzusammenbrüchen
und altrömischen Partys und all den eigenartigsten Beziehungen solcher Leute,
die eben nicht zur glatten Schlagerretortenwelt, sondern zu dieser rock 'n'
rolligen Undergroundecke gehören, und da bin ich eben der Meinung, daß man dieses
Chaos anerkennen und als ganz natürlichen Bestandteil annehmen muß, um in der
Lage zu sein, diese Panik jederzeit in den Griff zu bekommen. Daraus ist dann
dieser Slogan entstanden. Ich bin ja in solchen Situationen, in denen wirklich
alles schiefgeht, besonders cool und besonnen, so 'ne Art Pate. Die Panikfamilie
ist dann gewissermaßen meine Ersatzfamilie, so 'ne altitalienische Großfamilie,
weil ich bin eben ein Familienfreund, und ich finde, daß diese Kleinstfamilien,
diese Isolierstationen und Soloparzellen nicht so attraktiv sind, denn das hat
ja viel Negatives zur Folge, Vereinsamung im Alter und solche Sachen.
Meine Frage war: Haben Sie geklaut, oder sind die Sprüche von Ihnen?
LINDENBERG: Ich hab' nicht geklaut. Ich denke, daß der Olaf Geld sehen möchte,
also es gibt jetzt natürlich auch Neider, ist ganz normal, und es gibt 'ne Menge
Leute, die keinen richtigen Durchblick haben, gibt ja auch die Schmierenjournaille,
diese Schmutzfinken der Feder.
Würden Sie jemanden, der sich Ihnen in den Weg stellt, so ganz cool, wie es
Ihre Art ist, beiseite schieben?
LINDENBERG: Also, auf meinem Weg nach oben liegt keine einzige Leiche. Leute,
die sich mir in den Weg gestellt haben, wurden natürlich von der Straße heruntergehoben
und an den Rand gestellt, aber dabei ist niemand zu physischem Schaden gekommen.
Die Mafia funktioniert heute anders. Das Syndikat arbeitet mit psychologischen
Mitteln. Jeder, der nicht für die Sache ist, der ist gegen die Sache, und diese
Leute müssen natürlich freundlich, aber bestimmt, von der Straße weggeschafft
werden. Das haben wir immer sehr dezent und galant gemacht, nach Art des Hauses.
Können Sie das näher erklären?
LINDENBERG: Das sind so sizilianische Geheimtricks, die ich für mich behalte.
Ich bin schon in der Schule eher zurückhaltend gewesen, also bin nach taktischen
Überlegungen vorgegangen: nicht auffallen, aber das Ziel nicht aus den Augen
verlieren. Ich hab' schon ganz früh das Gefühl gehabt, daß ich entweder was
ganz Großes werde oder so 'n totaler Gammler. Daß ich ein Radikaler bin, hab'
ich schon früh begriffen. Ich wollte nicht das normale Leben. Ich steh' nicht
auf Mittelmaß, also auf so 'n Leben zwischen allen Extremen. Ich wollte schon
immer die totale Ausgabe haben, raus aus den Normen, weltweit sein, reisen,
die Schatzinsel finden, und dann hab' ich diesen Film gesehen, »Liane, das Mädchen
aus dem Urwald« mit Marion Michael, mit der wär' ich gern mal hingefahren zu
dieser Insel, das waren so die ersten erotischen Kicks, ist an sich 'ne ganz
normale Geschichte, find' ich alles überhaupt nicht außergewöhnlich... Kleinstadt,
wo ich aufgewachsen bin, fand ich überwiegend nicht so interessant, also da
wollte ich raus, und zwar schnell. Käfige sind zum Ausbrechen da. Hat mir mein
Vater erzählt. Ich bin mit fünfzehn schon abgehauen von zu Hause, hab' die Biege
gemacht, wollte mich eben einfach mal umsehen.
Auch Geld haben? Reich sein?
LINDENBERG: Erst nicht, ne, anfangs war mir das gar nicht so wichtig, ich hab'
ja jahrelang in allen möglichen Bands gespielt für fünfzig Mark Gage am Abend.
Natürlich hatte ich wie viele andere auch diese Phantasien, irgendwann wirst
du mal reich sein, irgendwann wirst du mal Millionär.
In einem früheren Interview haben Sie gesagt: »Ich komme aus einfachen Verhältnissen.
Ich wollte immer Kohle haben.«
LINDENBERG: Ja, war auch wichtig, klar. Find' ich angenehm, daß ich viel Geld
verdiene. Ich bin also auch nicht so verlogen und fahr' im 2 CV durch die Gegend
oder wohne im feuchten Keller. Das wär' natürlich verlogen, obwohl manche Leute
das scheinbar gern sehen würden, die sagen, wie kann denn da noch der Basiskontakt
funktionieren, wenn einer so viel Kies hat.
Wieviel ist es denn?
LINDENBERG: Erzähl' ich nicht, weil ich es gar nicht so genau weiß, 'n paar
Millionen sind das, ist ja ganz klar.
Finden Sie sich überbezahlt?
LINDENBERG: Ja, find' ich. Das sind einfach so Systemfehler, die mal korrigiert
werden müßten, also daß manche Leute so wenig verdienen und manche so viel.
Ich bin ja jemand, der dazu aufruft, die Obrigkeiten zu überprüfen, eingeschlossen
die Popstars, eingeschlossen auch mich, also alle, die oben stehen, wo auch
immer.
Das ist natürlich ganz raffiniert zu sagen, man sei gegen Obrigkeiten, und auf
diese Weise selbst nach oben zu kommen.
LINDENBERG: Wieso raffiniert? Ich will mich ja über niemand erheben.
Aber das passiert doch. Sie stehen oben auf dem Podest, und die Fans stehen
unten.
LINDENBERG: Das muß man ja jetzt nicht von der Bühnenhöhe abhängig machen. Manchmal
spring' ich auch in den Saal hinunter. Ich lege Wert darauf, daß sich das auf
einem gemeinsamen Level abspielt, und zwar über Sprüche, über Gespräche.
Sie können doch nicht gleichzeitig reden und singen.
LINDENBERG: Da werde ich eben künftig über große Talkshows in den Hallen versuchen,
das total zu durchbrechen, diesen Idolcharakter, weil mein Ego findet keine
Befriedigung mehr in diesen onanistischen Eitelkeiten. Mir ist heute wichtiger,
für die Sache zu fighten, also ich setze meine Popularität, die ich natürlich
zunächst mal irgendwie herstellen mußte, ganz ein für die Sache. Ich glaub',
daß einer der Gründe meines Erfolges der ist, daß die Leute anerkennen, da steht
einer auf der Bühne, der mimt uns nix vor, irgendwie so 'n Kumpel, der kann
auch nicht richtig singen, ich meine, mittlerweile hat sich eine gewisse Professionalität
eingeschlichen, aber am Anfang hab' ich doch sehr merkwürdig gesungen, und die
Leute hatten den Eindruck, wenn sie jetzt auch singen würden, dann klänge das
eigentlich ziemlich ähnlich, das ist einer, der das da oben durchzieht mit 'ner
unheimlichen Frechheit, und das war ja auch ziemlich frech, also ich fand es
selber 'ne Frechheit. Ich hab' der Band gesagt, wir sind jetzt die Größten,
darüber brauchen wir ab sofort nicht länger zu diskutieren, das wär' einfach
unpraktisch, wir sind jetzt einfach die Kings, und wer's nicht glaubt, der kriegt
'n doppelten Korn oder so, also wir haben auch Tricks gemacht anfangs, haben
auch unsere eigene Werbung gemacht, bißchen lockerer, witziger formuliert, als
das sonst der Brauch war. Ich bin der Meinung, wenn Jugendliche so 'ne Orientierungsfigur
nötig haben, und die haben sie nötig, weil sie eben einfach noch suchen und
nicht genau wissen, wo's langgeht, dann ist mir schon lieber, sie orientieren
sich an mir als an Heino oder Franz Josef** oder auch Helmut.
Ich habe gar nichts gegen Sie als Orientierung, nur halte ich es für ehrlicher
zu sagen, okay, ich steh' jetzt da oben, und ich hab' auch Spaß daran, oben
zu stehen.
LINDENBERG: Ich will doch gar nicht da allein oben stehen. Ich will, daß alle,
die was zu sagen haben, nach oben kommen. Ich finde, vom Kleinkind bis zum Opa
sollen alle hinauf auf die Bühne.
Und wenn dann keiner mehr Lust hat unten zu bleiben?
LINDENBERG: Dann haben wir eben ein Wahnsinnsangebot an Kultur.
Ja, aber wer konsumiert die?
LINDENBERG: Na, all die anderen oder eben die Macher. Von den vielen anderen
Machern nehmen die dann wieder entgegen. Dann geh' ich wahrscheinlich auch wieder
häufiger in Konzerte. Ich will nur sagen, daß ich dafür bin, daß die Leute selber
kreativ sind, denn das wird ja irgendwie alles wegregiert heute, Kreativität,
Eigeninitiative, Abenteurertum, das ist doch alles unerwünscht heute. Da werden
die Leute zu Nummernfuzzis gemacht, also zu lächerlichen Lochkarten oder lächerlichen
Löchern in den Lochkarten. Das versetzt mich in Sorge.
Wie sieht denn Ihrer Meinung nach die Kreativität des Publikums aus, während
Sie auf der Bühne stehen?
LINDENBERG: Die singen mit und entwickeln ihre Phantasie und erfahren sich als
Energie, als Kraftwerk.
Beim Mitsingen können die nicht besonders viel Phantasie entwickeln, denn die
singen doch Ihre Texte.
LINDENBERG: Dann erfahren sie sich eben irgendwie als 'ne kollektive Power.
Ich hab' auch nichts gegen 'ne Massenbewegung.
Das glaube ich Ihnen. Solange Sie davon profitieren.
LINDENBERG: Also ne, ich hab' Ihnen doch schon gesagt, daß ich gegen die bin,
die oben stehen, daß ich dafür kämpfe, diesen beknackten Autoritäten die Kante
zu geben. Ich singe ja zum Beispiel auch für die Minderheiten, und die kleinste
Minderheit ist der einzelne, das Individuum, und das Individuum steht bei mir
unheimlich groß auf dem Zettel. Aber das schließt 'ne Massenbewegung nicht aus.
Empfinden Sie so etwas wie ein Rauschgefühl, wenn im gefüllten Saal der Jubel
losbricht?
LINDENBERG: Ja, einen Rausch krieg' ich auch auf der Bühne, aber warum? Weil
ich eben mit der Sache abhebe.
Mit der Sache hebt zum Beispiel auch Strauß ab, nur eben mit seiner Sache.
LINDENBERG: Ja, aber Strauß fordert bedingungslosen Gehorsam. Ich fordere das
eben nicht. Ich fordere kreative Unruhe im Lande und die Überprüfung der Obrigkeiten,
und die Leute finden das gut, und dann jubeln sie eben, aber manchmal auch nicht,
dann fragen sie: Warum denn? Wieso denn? Was ist denn nu los? Also da kommen
dann Zurufe, auf die ich eingehe. Während der Songs sind diese Rufe natürlich
etwas schwer hörbar, weil die Brüllboxen zu laut sind, aber zwischen den Songs
kann man ja einiges machen oder nach den Konzerten oder vor den Konzerten, da
kann man dann den sogenannten Basiskontakt intensivieren.
Sie meinen, während Sie Autogramme verteilen?
LINDENBERG: Ne, Autogramme gebe ich äußerst ungern. Ich steh' doch nicht stundenlang
und schreib' Autogramme. Ich schreib' dann mit links vielleicht 'n paarmal den
Namen, hab' aber gleichzeitig mit den Leuten Gespräche. Die fragen dann alles
mögliche, wie sie mit ihrem Freund oder der Freundin klarkommen oder ob sie
aus der Kirche austreten oder ob sie Terrorist werden sollen. Ich glaub', daß
viele Leute aus diesen Konzerten mit 'ner neuen Energie hinausgehen, daß die
bei mir ihre Batterien aufladen, das glaub' ich. Aber ich bin nicht der einzige,
da sind auch andere, Konstantin Wecker, Nina Hagen, zum Teil Georg Danzer, die
attackieren die Spießer genauso wie
ich, mit der Handkante im Kopf, mit der Gedankenpeitsche. Sie müßten mal checken,
was meine Songs so alles bewirken, da sind schon einige drunter, die richtig
Bewegung schaffen, so systemanalytische Dinger, »Raketen-Rocker«, »Born to be
wild«, »Daniels Zeitmaschine« oder »Guten Tag, ich heiße Schmidt, und ich mache
alles mit, bei jeder Mode stramm dabei, vom ersten Tango bis zum letzten Disco-Schrei
... «.
Eine Mode sind Sie inzwischen ja auch geworden. Was mir auffällt, ist, daß sich
in einigen Ihrer neuen Texte eine gewisse Melancholie oder Traurigkeit breitmacht.
LINDENBERG: Klar, manche Situationen oder Tatbestände stimmen mich traurig,
machen mich manchmal auch etwas verzweifelt, aber der Optimismus steht bei mir
mindestens genauso hoch auf dem Zettel und die wilde Entschlossenheit weiterzupowern,
um wirklich fundamentale Veränderungen herbeizuführen. Ich bin ein sehr praktischer
Mensch, weil ich finde, daß man unheimlich praktisch denken muß, wenn man was
ändern will. Wenn man in den Leidenskeller hinabsteigt und sich aufmacht für
so schwache Talfahrten, dann nimmt man sich nur die Power, also so 'ne Schwäche
kann ich dann nicht gebrauchen, das erkläre ich für unpraktisch, da hab' ich
so 'ne Art Selbstschutz, damit ich nicht immer tiefer in diese Sackgasse latsche.
Man kann das Leiden in begrenztem Maße auch stoppen. Man kann dafür sorgen,
daß man nicht allzuviel reinrutscht in so Depressionen. Wenn es mir richtig
mies geht, komm' ich mit 'ner Beruhigungsspritze besser klar, also dann kann
mir überhaupt keiner mehr helfen. Wenn ich heule, heul' ich für mich ganz allein.
Mein einziger Zuschauer bin dann ich selbst, also ich bin immer zu zweit, einmal
der lose, lockere Larry-Vogel und dann eben der Besonnene, Coole, an dessen
Schulter ich mich lehne, ab und zu mal.
Ist das in Ihrem Film der Mann mit dem Hut, der ausschaut wie Humphrey Bogart?
LINDENBERG: Ich finde nicht, daß das unbedingt was mit Humphrey Bogart zu tun
hat, klar, 'n bißchen Detektiv-Klassizismus ist schon dabei, weil Bogart das
eben meisterlich vorgeführt hat, aber ich hab' ihn nicht kopiert oder so, sondern
bin ihm schon immer verwandt gewesen, weil es da eben auf der einen Seite einen
Udo gibt, das ist der Flippi, und auf der anderen Seite den Registrierenden,
Nachdenklichen, der die großen Projekte durchzieht. Solche Projekte erfordern
ja eine unheimlich genaue Logistik. Da darf man nicht die Kontrolle verlieren.
Da gibt es also sozusagen einen Karriere-Udo und einen privaten, der für sich
allein heult, Nervenpillen schluckt und gelegentlich ausflippt?
LINDENBERG: Das Ausflippen kommt immer seltener vor. Also das gab's früher mal,
den Fernseher aus dem Fenster schmeißen und solche Sachen, das gibt es jetzt
nicht mehr.
Was hatte das für Ursachen damals?
LINDENBERG: Meistens so Eifersuchtssachen, so Ängste, Verlassensängste, als
ich noch der Ansicht war, daß man unbedingt jemanden zum Anklammern braucht.
Das waren so amouröse Abhängigkeiten, die hab' ich mir abgewöhnt, das mach'
ich jetzt nicht mehr, also ich weiß nicht, ob ich's noch mache, aber ich halte
es eben für sehr riskant, weil ich hab' einfach die Erfahrung gemacht, daß in
solchen Beziehungen enorm viel Energien auf der Strecke bleiben, wenn's nicht
so läuft, wie man's braucht.
Das klingt ja, als wären Frauen für Sie nur so Tankstellen, die dazu da sind,
Ihnen Kraftstoff zu liefern.
LINDENBERG: Klar, ich will doch, daß die Power noch mehr wird. Aber ich seh'
da keinen so großen Unterschied zwischen Frauen und Männern, also ich kann genauso
mit 'nem Jungen befreundet sein, das kann genauso kräftigend wirken. Nur hab'
ich da eben bis jetzt wenig Erfahrung. Meine letzte Intensivbeziehung liegt
Jahre zurück, also so echte Beziehungen, so Romeo-und-Julia-mäßig, hab' ich
schon lang nicht gehabt. Das waren eher so Kurzfilme.
Wünschen Sie sich eine lange Beziehung?
LINDENBERG: Doch, wünsch' ich mir schon, aber ich halt' es eben für schwierig,
weil ich ja auch sehr konservativ bin in so 'ner festen Beziehung. Die Frau
muß treu sein. Ich würd' zwar nicht sagen, du darfst jetzt nur mit mir und mit
keinem andern, also diese Art Chauvinismus läuft bei mir nicht, aber die müßte
eben total von selber draufkommen, ohne daß ich's verlange, und müßte mich jeden
Tag aufs neue in Flammen setzen, so daß auch ich keinerlei Interesse hätte,
mit 'ner anderen Partnerin was zu machen. Also die müßte irgendwie auch sehr
idealistisch begabt sein.
Stimmt es, daß Sie gern dreizehn Kinder hätten?
LINDENBERG: Können auch vierzehn sein.
Sind Sie sicher, daß Sie nicht schon welche haben?
LINDENBERG: Ne, bin ich nicht sicher, aber ich glaub' nicht, daß was passiert
ist.
Ist es schon vorgekommen, daß Frauen, mit denen Sie Sex hatten, Ihnen dann eine
Vaterschaft anhängen wollten?
LINDENBERG: Ja, ist ab und zu schon mal vorgekommen, hat mich schon manche Frau
so 'n bißchen beflaxt, sich so Scherzchen erlaubt, gesagt, sie sei schwanger
von mir, Privatdetektive losgeschickt und solche Sachen, aber ich mag diese
Scherzchen überhaupt nicht, weil ich das gar nicht gut fände, wenn ein Kind
käme auf diese Weise, also das hätt' ich dann schon lieber auf die klassische,
sizilianische Art, voll bewußt, mit 'ner Frau, zu der ich voll stehen könnte.
Denn, wie gesagt, ich hab' viel Familiensinn, hab' auch sehr intensiven Kontakt
gepflegt mit meiner Familie.
Ende Februar 1979 starb Ihre Mutter. In einem Zeitungsinterview sagten Sie:
»Sie war die einzige Frau, die ich je geliebt habe im Leben.«
LINDENBERG: Ja, meine Mutter war für mich 'ne große Energiequelle und 'ne große
Motivation, was zu machen. Vieles, was ich gemacht hab', hab' ich für sie gemacht,
damit sie 'n gutes Gefühl hat, damit sie sich freut nach dem harten Leben, das
sie mal hatte, denn sie hatte 'nen harten Job und 'ne Riesenfamilie. Ich wollte,
daß es ihr gut geht.
Sind Sie nach dem Begräbnis noch einmal am Grab gewesen?
LINDENBERG: Ne, das Grab pflegen meine Verwandten. Würde mich stressen. Ich
hab' die Verbindung auch so. Ich brauch' keinen Stein, auf dem ihr Name draufsteht,
brächte mir einfach nur Depressionen und 'ne Traurigkeit, die ich sowieso in
genügendem Maße schon selber habe. Also das will ich nicht auch noch steigern.
Was ist an die Stelle der Motivation durch Ihre Mutter getreten, seit sie tot
ist?
LINDENBERG: Diese persönliche Motivation ist entfallen, und das macht mir die
Arbeit ein bißchen schwerer. Aber ich hab' eben diesen schon erwähnten Idealismus.
Hätte ich den nicht, müßte ich kapitulieren, und Kapitulation hieße, daß ich
schwächer bin als die, die jetzt an der Macht sind, das könnte ich überhaupt
nicht akzeptieren, denn das wär' 'ne Beleidigung meinen Eltern gegenüber. Ich
werd' jetzt um so kräftiger diesen Herren da oben die Sporen geben, also auch
ziemlich deutlich in den Wahlkampf eingreifen. Im September mach' ich 'ne Fünf-Wochen-Tournee,
weil wenn die Parteisänger in den Riesenhallen ihre schauerlichen, verlogenen
Texte bringen, ich mein' die Parteisprecher, wenn die mit ihren Sprüchen kommen,
um da irgendwie den Wahlausgang zu programmieren, dann werd' ich es mir nicht
nehmen lassen, auch 'n paar Texte zu singen, werd' mich also nicht zurückhalten,
sondern diesen Leuten ein herzhaftes Ständchen bringen.
Unterstützen Sie eine bestimmte politische Richtung?
LINDENBERG: Ich verfolge mit großem Interesse die Entwicklung der Grünen, aber
da sind natürlich noch so Formierungsprozesse, also die rangeln sich immer wieder
mal auseinander, da ist es natürlich schwer, ein stabiles Programm zu machen.
Jedenfalls werde ich dazu aufrufen, Herrn Strauß nicht zu wählen.
Glauben Sie, daß Sie noch auftreten dürfen, wenn Strauß Kanzler wird?
LINDENBERG: Glaub' ich schon, zumindest noch eine Weile: als Hofnarr.
Der Hofnarr sind Sie doch jetzt schon.
LINDENBERG: Da könnte ich Ihnen was erzählen über die mögliche Effektivität
solcher Hofnarren, denn die sind ja sehr wirksam, über die Gigantenpower, die
in so etwas drinsteckt. Solche Leute, für die wir die Schmeißfliegen sind oder
die roten Ratten***, die würden uns aus so 'ner Scheinliberalität noch 'ne ganze
Weile durch alle möglichen TV-Shows hindurchgeistern lassen, und dann würden
sie irgendwann sehen ... also das käme darauf an, wie närrisch wir bleiben oder
wie konkret wir dann würden, dann würden die wohl versuchen, was gegen uns in
die Wege zu leiten, und dann ist eben die Frage, wie stark so 'ne Gegenpower
dann sein kann, da würde dann bei einigen das große Erwachen beginnen.
Sie hatten vor Jahren einmal den Plan, einen Film zu machen, in dem ein Sohn
Hitlers vorkommt, der aus Protest gegen seinen Vater ein Freak wird. Gibt es
für die Nachkommen der Nazigeneration nur diese eine Möglichkeit: Ausflippen,
Revolte?
LINDENBERG: Leider nicht, denn die Söhne und Töchter, zum Teil sind es auch
schon die Enkel, sind doch genauso bescheuert wie ihre Großväter und Väter,
also viele von denen sind genau die Mitlatscher und Mitmarschierer, die es in
den dreißiger Jahren auch gab. Für die bin ich fast schon ein Terrorist. Da
gab's mal hoffnungsvollere Zeiten mit Willy****, Studentenrevolte und so, da
hat man wirklich gedacht, es ließe sich einiges ändern, aber dann sind die meisten
beim langen Marsch durch die Institutionen kleben geblieben, total abgeschlafft.
Die laufen jetzt als Hängematten überall durch die Gegend.
Ist die DDR für Sie eine Alternative?
LINDENBERG: Ne, auch nicht.
Sie haben sich mehrmals vergeblich darum bemüht, dort auftreten zu dürfen. Was
haben die Ihrer Meinung nach gegen Sie einzuwenden?
LINDENBERG: Die haben Angst vor Tumult und Emotionen, die da frei werden könnten,
also vor dieser bewußten Power. Alle möglichen Leisetreter lassen sie rüber,
auch Udo Jürgens war dort mit »Buenos Dias Argentina«, im Band der Harmonie
und alle diese beknackten Geschichten, die laufen da vor selektiertem Publikum,
schön säuberlich, da kann nix passieren, aber Klartext ist unerwünscht. Dabei
bin ich doch nun wirklich nicht einer, der den Westen über alles lobt und den
Osten verdammt, sondern ich meine, daß hier wie drüben vieles nicht stimmt,
aber daß hier wie drüben streckenweise gute Ansätze da sind. Ich halte mich
für einen Entertainer, und ich finde die Songs, die ich mache, von gediegener
Qualität, und ich glaube, daß ich Spaß mit Inhalt sehr fein verbinde und daß
das gut funktioniert. Ich hab' die Naivität, das noch glauben zu können.
Ihr Kollege Wolf Biermann hat Sie als »Baby mit Zigarre« bezeichnet. Der findet
es sympathisch, daß Sie nicht höher hinauswollen und mit Ihrer, so Biermann,
»vergleichsweise niedrigen Bildung« trotzdem schöne und politisch nützliche
Lieder schreiben.
LINDENBERG: Ich finde so 'ne Versuchsintellektualität auch überhaupt nicht erstrebenswert.
Es gibt schon zu viele, die da in unheimlich elitären Ecken rumfliegen und offiziell
schlauere, aber völlig uneffektive Sachen herstellen. Ich finde den Biermann
in Ordnung, denn es kann ja vieles nebeneinander geben. Ich finde auch gut,
daß Studenten Flugblätter verteilen, auch wenn das genau die Leute sind, die
mir vorwerfen, daß ich Politinhalte mit Spaß verbinde. Es gibt bei meinen Songs
solche und solche, natürlich auch easy songs, klar, also Songs für 'ne etwas
einfachere Stimmung.
Peter Zadek, der Ihre letzte Deutschlandtournee inszeniert hat, zeigte sich
begeistert von Ihrer »Schizophrenie und Verrücktheit«. Fürchten Sie manchmal,
Sie könnten wahnsinnig werden?
LINDENBERG: Ja, früher mal hab' ich das stark befürchtet, so in meiner nachpubertären
Periode, als ich anfing, bewußt zu leben, da fand ich das eben unheimlich komisch,
so 'n Gehirn, wie das funktioniert, das hat mir echt Angst gemacht, da denkst
du, jetzt hebst du mal 'n bißchen den kleinen Finger, und dann geht der tatsächlich
hoch, also einfach dieser Mechanismus, wie so was abläuft, das fand ich einfach
gigantisch, das war so 'ne Kombination aus höchster Bewunderung für die Schöpfung
oder den Urknall und einer gewissen Befremdung. Ich hab' auch schon mal gedacht,
mich psychiatrieren zu lassen. Aber ich glaub', da hätt' ich auch nicht viel
mehr herausgefunden, als ich selber schon wußte.
Noch eine letzte Frage: Können Sie sich erklären, warum Sie so häufig für ungewaschen
gehalten werden?
LINDENBERG: Das ist die schmutzige Phantasie mancher Leute. Die haben auch geschrieben,
ich zertrümmere Klaviere und schmeiße mit Hähnchenknochen. Ich bin immer lupenrein
supersauber, höchstens mal an der Jacke 'n Schnapsfleck oder Dreck unter den
Fingernägeln.
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* Helmut Schmidt, deutscher
Bundeskanzler von 1974 bis 1982, befürwortete den sogenannten NATO-Doppelbeschluß,
der vorsah, neue amerikanischer Raketen in Westeuropa zu stationieren,
falls die Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion scheitern sollten.
** gemeint sind Heino, bürgerlich Heinz Georg Kramm, Schlagersänger, und Franz
Josef Strauß, CSU-Politiker, der 1980 als Kanzlerkandidat gegen Helmut Schmidt
antrat und verlor.
*** Anspielung auf das gegen den Schriftsteller Bernt Engelmann gerichtete Zitat
von Franz Josef Strauß: "Mit Ratten und Schmeißfliegen führt man keine
Prozesse.«
**** Willy Brandt, deutscher Bundeskanzler von 1969 bis 1974
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Erschienen im Juli 1980 in dem Männermagazin „Penthouse“