Interview mit Toni Schumacher



In seiner Erzählung "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" hat Peter Handke vorgeschlagen, man sollte einmal während eines Fußballspiels den Blick nur auf den Torwart richten.

TONI SCHUMACHER: Das wäre langweilig, denn man sieht ja nur eine Figur, die da steht. Man sieht nicht, was die denkt.

Was denken Sie, wenn Sie den Ball nicht haben?

SCHUMACHER: Ich schreie ununterbrochen. Wenn auf der anderen Seite ein Eckball gegeben wird, schreie ich, spiel kurz, spiel lang, weiter links, mehr zur Mitte, obwohl ich ganz genau weiß, es hört mich keiner. Das Schreien ist meine Art, mich auf hundert Prozent zu halten. Ich muß neunzig Minuten
auf gleicher Höhe bleiben. Sinke ich ab, fehlen mir, wenn der Ball kommt, die entscheidenden fünf Prozent.

Sie schreien zur Vermeidung des Denkens.

SCHUMACHER: Ja, ich muß mich in Spannung halten. Anfangs habe ich das noch mit dem Kopf gesteuert. Ich habe gedacht, du mußt schreien, du mußt etwas tun, um nicht einzuschlafen. Heute habe ich es im Blut. Man kann das Schreien trainieren wie einen Ball, mit dem man Probleme hat. Im Training denke ich bei jedem Schuß nach. Im Spiel reagiere ich instinktiv. Ich bin das Raubtier, der Ball ist die Beute.

Der englische Verhaltensforscher Desmond Morris hat das Fußballspiel aus dem Jagdtrieb des Urmenschen abgeleitet.

SCHUMACHER: Dann bin ich der Jäger. Aber ich darf nicht zu gierig werden. Das war mein Fehler bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Im Endspiel habe ich zwanzig Minuten lang keinen Ball bekommen. Ich war hungrig. Dann kam ein Freistoß. Ich dachte, jetzt mußt du endlich die Kugel haben, und bin zu früh aus dem Tor gelaufen.

Der Ball ging ins Netz.

SCHUMACHER: Schrecklich. Wir haben das Spiel verloren.

Was empfinden Sie, wenn Sie ein Tor bekommen?

SCHUMACHER: Es ist wie ein Stich ins Herz. Ich empfinde jedes Tor als persönliche Niederlage. Ich ertrage es nicht, weil ich mir sage, es gibt keinen Ball, der nicht haltbar ist. Wenn ich ein Tor bekomme, habe ich etwas falsch gemacht. Entweder bin ich zehn Zentimeter zu weit vorne gestanden oder zu spät gesprungen. Es ist meine Schuld. Ich möchte eine Maschine sein. Ich hasse mich, wenn ich Fehler mache.

Könnten Sie nicht dazu kommen, das Fußballspiel weniger ernst zu nehmen?

SCHUMACHER: Wer das tut, kann nicht gewinnen.

Wie oft müssen Sie noch auf den Fußballplatz?*

SCHUMACHER: Siebenmal.

So kurz vor Schluß könnten Sie doch ein Schmunzeln riskieren.

SCHUMACHER: Sie meinen, ich sollte es komisch finden, wenn wir verlieren? Das ist ja furchtbar. Dann wäre ja alles umsonst gewesen. Dann hätte ich neunzehn Jahre umsonst gekämpft. Das geht nicht. Das kann ich nicht. Was in dieser Gesellschaft zählt, ist der Sieg. Für den Sieg gibt es keinen Ersatz. Wir sind doch zum Siegen erzogen worden. Wir haben keine andere Möglichkeit. Wie soll ich in einen Wettkampf gehen, wenn ich sage, mir ist scheißegal, wie er ausgeht? Wir leben in einer großen Fabrik. Wenn du nicht funktionierst, kommt der nächste an deinen Platz. Wenn du Zweiter wirst, bist du die Wurst. Da zählt ein schönes Spiel einen Dreck.

Sie haben sich Gedanken gemacht.

SCHUMACHER: Ja, Sie dürfen nicht glauben, daß alle Fußballer doof sind.

In Ihrem Buch "Anpfiff" schreiben Sie: "Nur der Tod scheint Depressionen verjagen, Friedenssehnsüchte erfüllen zu können."

SCHUMACHER: Daß man sich Gedanken macht über Tod und Leben, ist doch normal.

Im Jenseits, so schreiben Sie, "kann es nur schöner werden".

SCHUMACHER: Ich stelle mir vor, daß drüben alles in Butter ist. Alle sind zufrieden. Es gibt keinen Neid, keine Mißgunst. Jeder ist des anderen Freund. Alles Böse ist dort vergessen.

Wie sind Sie aufgewachsen?

SCHUMACHER: Wir waren arm. Mein Vater hat Autoschlosser gelernt, aber wegen einer Allergie gegen Öl auf dem Bau arbeiten müssen. Ich habe bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr)mit meiner Schwester ein Zimmer geteilt. Da wollte ich raus. Zum Studieren fehlte das Geld. Also bin ich zum Fußball gegangen. Ich wollte beweisen, daß es auch Kinder von armen Leuten zu etwas bringen können. Mein Vorbild ist Rocky, der Boxer. Den Film mit Sylvester Stallone habe ich mir mindestens fünfzigmal angeschaut.

Aber ein Boxer ist Einzelkämpfer.

SCHUMACHER: Das stimmt. Ich gehöre zu einem Team. Ich habe als Tormann die passive Rolle. Ich kann nicht zurückschlagen. Ich stecke nur ein. Ich bin dafür da, die Fehler der anderen auszubügeln. Ich mache die Drecksarbeit. Angenommen, ich bekomme, wie man so sagt, ein Tor durch die Hosenträger und halte dann zwei Elfmeter, so haben wir, wenn meiner Mannschaft nichts mehr gelingt, trotzdem verloren. Ich kann zwar sagen, hätte ich nicht die beiden Elfmeter gehalten, wäre das Ergebnis noch schlechter. Aber wen interessiert das?

Warum sind Sie nicht Stürmer geworden?

SCHUMACHER: Weil ich nun einmal die Gabe habe, besser als jeder andere Bälle zu fangen, obwohl ich viel lieber an der Front kämpfen würde. Hätte ich Geld gehabt, wäre ich Autorennen gefahren. Dann wäre ich jetzt entweder Weltmeister oder beim lieben Gott.

Sie meinen, tot.

SCHUMACHER: Ja.

Um Weltmeister zu werden, hätten Sie Ihr Leben aufs Spiel gesetzt.

SCHUMACHER: Ja, aber darüber denkt man nicht nach. Ich denke, wenn ich mich dem Gegner, bevor er schießt, vor die Füße werfe, auch nicht, daß er mir vielleicht ein Auge austritt. Ich habe mich mit Leib und Seele dem Sport verschrieben. Ich habe mit gebrochenen Fingern gespielt, gebrochenem Nasenbein, Nierenquetschungen, gebrochenen Rippen. Meine Kreuzbänder sind gerissen, die Menisken herausoperiert. Ich habe eine schwere Arthrose. Das schmerzt ununterbrochen. Ich gehe mit Schmerzen schlafen und stehe mit Schmerzen auf.

Sie haben sich selbst zerstört.

SCHUMACHER: Aber ich habe es doch damit, verdammt noch mal, weit gebracht. Wenn man zur Spitze will, muß man fanatisch sein. Ich habe mich schon als kleiner Junge gequält, bin dreimal in der Woche zum Training gegangen. Andere hatten Freundinnen, sind in die Kneipe gegangen und mit dem Moped herumgefahren. Für mich gab es nur Fußball, Fußball, Fußball. Ich bin viel zu verrückt, um das leicht zu nehmen. Ich habe noch sieben Spiele zu spielen, und ich komme nicht mehr vom Klo herunter. Ich habe Magengeschwüre. Ich bin nicht mehr ich selbst, wenn ich spiele. Mein Ehrgeiz ist ferngesteuert.

Von wem?

SCHUMACHER: Vom lieben Gott.

Dann ist der liebe Gott ein Sadist, denn glücklich hat er Sie nicht gemacht.

SCHUMACHER: Sind Sie glücklich?

Nein.

SCHUMACHER: Eben. Man kann doch nicht glücklich sein, wenn man sieht, was auf der Welt heute geschieht. Vielleicht haben die Torturen den Zweck, mich abzulenken. Wenn man mit körperlichen Schmerzen beschäftigt ist, hat man für andere Probleme keine Antennen mehr.

Dostojewskij schreibt in seinem Roman "Der Idiot"...

SCHUMACHER: Der Titel paßt gut zu mir.

... körperliche Qualen seien leichter erträglich als Seelenschmerzen.

SCHUMACHER: Ja. Deshalb gehe ich in meinen Kraftraum, bevor ich ins Grübeln komme, und schlage mir am Sandsack die Hände blutig. Nachdenken führt zu nichts. Sie brauchen doch nur den Fernseher anzudrehen. Schon die Nachrichten sind Horror hoch drei. Warum zündet der Saddam Hussein die Ölfelder an? Warum müssen Kinder verhungern, kaum daß sie geboren sind? Warum läßt der liebe Gott so etwas zu?

Das dürfen Sie mich nicht fragen.

SCHUMACHER: Ich denke mir, diese Kinder kommen schneller ins Paradies. Ich lasse mir meinen Glauben nicht nehmen. Wenn ich spiele, brennt im Wohnzimmer hinter dem Papageienkäfig die Osterkerze. Wenn ich mich schlecht fühle, bete ich, lieber Gott, laß uns heute gewinnen.

Das gleiche tun Ihre Gegenspieler.

SCHUMACHER: Das akzeptiere ich.

Gut, aber wenn Sie den Gedanken zu Ende denken...

SCHUMACHER: Man muß aber nicht alles zu Ende denken. Eine befriedigende Antwort finden Sie nie. Meine Mutter hat gesagt, du darfst nicht lügen und du mußt fleißig sein. Daran habe ich mich gehalten. Ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein, und ich hoffe, daß ich, wenn ich gestorben bin, in den Himmel komme.

In die Fußballgeschichte werden Sie durch ein Foul eingehen.

SCHUMACHER: Das wurde falsch dargestellt.

Bei der Weltmeisterschaft 1982 haben Sie dem französischen Spieler Patrick Battiston mit solcher Wucht ins Gesicht geschlagen, daß er bewußtlos zusammenbrach.

SCHUMACHER: Das war keine Absicht.

Trotzdem waren die Folgen fürchterlich.

SCHUMACHER: Ja. Ich dachte, zwischen Frankreich und Deutschland bricht Krieg aus. Es war die Hölle. In Straßburg hing ich als Puppe am Galgen. Man warf mit Kartoffeln, Äpfeln und Tomaten nach mir. Ich hätte einen Gemüseladen aufmachen können. Hätte ich nicht das Talent gehabt, mir aus dem Haß das Positive herauszunehmen, hätte ich nie wieder spielen können. Ein anderer wäre platt gewesen wie eine Maus.

Was ist am Haß positiv?

SCHUMACHER: Daß ich mir keinen Fehler erlauben darf. Ich muß mich noch mehr konzentrieren. Manchmal hole ich mir den Haß. Ich provoziere das Publikum. Man spielt ja nicht nur gegen die feindliche Elf. Man spielt gegen die Zuschauer, gegen den Schiedsrichter, gegen die Presseleute. Ich bin am stärksten, wenn ich von Feinden umgeben bin. Wenn mir die Scheiße bis oben steht, weiß ich, daß ich gut halten werde. Im Spitzensport wird man nicht durch Liebe, sondern durch Haß kreativ.

Das ist ja entsetzlich!

SCHUMACHER: Aber es ist die Wahrheit. Deshalb freue ich mich, daß jetzt bald Schluß ist.

Die Freude wird Ihnen vergehen.

SCHUMACHER: Wieso?

Weil Ihnen die Ablenkung fehlen wird.

SCHUMACHER: loh weiß, es wird schwierig. Aber kaputt gehe ich nicht, das ist schon mal klar. Es gab in meinem Leben so vieles, woran ich hätte ka­puttgehen können. Ich habe gesagt, daß in der Bundesliga gedopt wird, und obwohl jeder weiß, daß das stimmt, hat man mich zuerst aus der Nationalmannschaft und dann aus meinem Verein** geworfen. Ich habe beide Beine verloren. Nicht einmal von den Ärzten habe ich Unterstützung bekommen. Man will eine heile Welt vortäuschen, die nicht existiert. Ich frage mich, wie viele Amateurspieler auf dem Fußballplatz sterben, weil sie Pillen schlucken, um die Leistung zu steigern. Auf dem Totenschein steht dann nur: Herzversagen. Das wird alles nicht aufgeklärt. Aber ich sage jetzt nichts mehr. Man lebt bequemer, wenn man die Schnauze hält. Sehen Sie sich doch an, welche Leute heute gefeiert werden. Den Lothar Matthäus haben sie zum Fußballer des Jahres gewählt. Mit dem sollten Sie einmal ein Interview machen. Der spricht ohne Punkt und Komma, aber nur blah blah blah. Der würde nie sagen, lieber ein Knick in der Laufbahn als ein Knick in der Wirbelsäule.

Den Knick in der Laufbahn haben Sie auch nicht vorausgesehen.

SCHUMACHER: Aber ich habe ihn zumindest riskiert. Ich habe den Mund aufgemacht. Gedankt hat mir keiner. Die Welt ist ungerecht. Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich nicht verheiratet wäre und keine Kinder hätte, ich würde mich völlig zurückziehen. Ich würde aussteigen wie Howard Hughes und irgendwo in Kanada als Einsiedler leben. Ich würde meine eigenen Kühe haben, mir selbst meinen Käse machen, mein Fleisch selber schießen, essen, wenn ich Hunger habe, schlafen, wenn ich müde bin. Ich wäre niemandem Rechenschaft schuldig. Niemand würde mir Fragen stellen.

Sie wären allein.

SCHUMACHER: :Ja.

Und das glauben Sie auszuhalten?

SCHUMACHER: Ich weiß es nicht. Ich habe es noch nicht ausprobiert.

Interessieren Sie sich für Kunst?

SCHUMACHER: Ich würde gern Klavier spielen können. Aber mit meinen kaputten Fingern geht das ja nicht. Ich würde gern fremde Sprachen lernen oder als Archäologe nach alten Sachen graben. Ich habe schon als Kind gern gebuddelt und in Flüssen getaucht. Ich hätte auch gern studiert und Bücher gelesen. Aber als Fußballer kommt man zu nichts, wenn man seine Arbeit gut machen will. Denn es ist Arbeit.

Kein Spiel.

SCHUMACHER: Nein, obwohl ein bißchen Schauspielerei immer dazugehört. Man läßt sich aus Spaß dreimal abrollen, wenn man den Ball gefangen hat. Man macht Theater nach einem Foul. Das ist gespielt. Aber die Gefühle, die Wut, die Enttäuschung, die Freude, sind echt. Man weiß, daß das in den neunzig Minuten alles passieren wird, aber man weiß nicht, wann. Der Zeitpunkt ist ungewiß.

Haben Sie Angst?

SCHUMACHER: Auf dem Fußballplatz?

Ja, zum Beispiel, wenn der Schiedsrichter für die gegnerische Mannschaft einen Elfmeter gibt.

SCHUMACHER: Dann bestimmt nicht, weil ich in diesem Fall nur gewinnen kann. Die Angst hat der Schütze. Denn normalerweise ist jeder Elfmeter ein hundertprozentiges Tor. Rein rechnerisch hat der Tormann gar keine Chance. Entweder der Ball ist drin, dann habe ich mir nichts vorzuwerfen, oder ich halte und bin der König. Das Entscheidende geschieht vor dem Spiel. Ich führe Buch über jeden möglichen Schützen, zum Beispiel: Augenthaler rechter Fuß halbhoch links. Das wird bis ins kleinste zerlegt. Das ist in meinem Kopf alles schon drin. Wenn der Schiedsrichter dann den Elfmeter pfeift, nehme ich den Schützen sofort ins Visier, egal, wo er steht, egal, was er macht. Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Er nimmt sich den Ball, geht zum Elfmeterpunkt, legt den Ball hin, dreht ihn zurecht, und dann guckt er hoch und schaut einen Augenschlag lang in die Ecke, in die er schießen wird.

Aber er weiß doch, daß Sie das sehen.

SCHUMACHER: Trotzdem.

Warum verrät er sich?

SCHUMACHER: Er kann nicht anders. Er hat es im Blut. Oft dauert es nur eine Zehntelsekunde. Dann geht er zurück, nimmt Anlauf, und nun haben wir Blickkontakt. Er schaut mich an. In diesem Moment gucke ich extra in die andere Ecke, damit er sich sicher fühlt. Ich täusche ihn.

Und dennoch trifft er?

SCHUMACHER: Meistens ja. Entweder er schießt so plaziert, daß ich den Ball nicht erreichen kann, oder er hat mit mir mitgedacht und zielt dann doch in die entgegengesetzte Ecke, oder er haut einfach drauf, so daß man die Richtung nicht voraussehen kann. Das sind dann Verzweiflungsschüsse.

Oder er schießt daneben.

SCHUMACHER: Gut, das ist aber nicht mein Verdienst. Manche Torleute springen dann hoch und freuen sich. Das lehne ich ab. Schadenfroh bin ich nicht.

Sie stellen sich immer so edel dar.

SCHUMACHER: Was soll ich denn sagen?

Ein Mensch hat auch schlechte Seiten.

SCHUMACHER: Ja, aber ich stehe auf der Seite des Guten. Ich bin nicht böse. Ich bin vielleicht zu naiv. Ist das böse? Ich habe mein Leben dem Sport geopfert und dafür nichts bekommen als einen Tritt in den Arsch.

Sie sind Millionär geworden.

SCHUMACHER: Geld ist nicht alles.

Was haben Sie denn erwartet?

SCHUMACHER: Ich habe gedacht, daß es Freunde gibt, die mir den Rücken stärken, wenn es mir dreckig geht. Stattdessen haben, nachdem ich geschrieben hatte, was ohnehin in allen Zeitungen stand, über Doping, Sauferei und Frauengeschichten im deutschen Fußball, sogenannte Freunde hier angerufen, hohe Tiere, und mich beschworen, es niemand zu sagen, daß sie noch mit mir sprechen, so als hätte ich plötzlich die Beulenpest. Ich bin zu ehrlich. Das ist mein Fehler. Die Leute glauben, ich sei kalt, weil ich Schmerzen ertrage. Ich habe mir von meiner Frau eine glühende Zigarette auf dem Unterarm ausdrücken lassen. Aber ich habe das genauso gespürt wie Sie. Die Narbe kann man noch sehen. Ich wollte nur zeigen, daß man es aushalten kann, wenn man den Willen hat. Ich bin kein Marmorblock. Ich bin verletzlich wie jeder andere Mensch. Aber ich kann nicht mit allen Leuten, die mich für ein eingebildetes Arschloch halten, zum Essen gehen, damit sie mich kennenlernen.

Haben Sie es der deutschen Mannschaft gegönnt, daß sie Weltmeister wurde***, obwohl Sie nicht mehr dazugehörten?

SCHUMACHER: Ich habe dem Bodo Illgner, meinem Nachfolger, einen Blumenstrauß vor die Tür gelegt. Ich bin nicht neidisch, obwohl ich mir nichts so sehr gewünscht habe wie den Weltmeistertitel. Ich bin nicht der Unmensch, als den man mich hinstellt. Ich kann nicht einmal eine Spinne töten. Ich bin brutal nur zu mir selbst. Ich habe mir im Leben alles erkämpfen müssen. Ich bin kein Genie wie Beckenbauer. Mir ist nichts zugefallen. Ich stelle mir vor, wir sind hier auf der Erde im Fegefeuer.

Und der Lebenssinn ist das Leiden?

SCHUMACHER: Ja, wenn ich keine Schmerzen mehr habe, dann bin ich tot.

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*) Toni Schumacher spielte von 1988 bis 1991 bei "Fenerbahce Istanbul" und wollte danach seine Laufbahn beenden. Von September 1991 bis Februar 1992 stand er noch einige Male als Ersatz für den verletzten Raimund Aumann beim FC Bayern im Tor.

**)Schumacher spielte von 1972 bis 1987 beim 1. FC Köln

***) 1990 in Italien
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Erschienen am 10. Mai 1991 unter der Überschrift "Ich bin der Idiot" in der ZEIT