Sie sind erst fünfundvierzig. Warum haben Sie schon jetzt Ihre Memoiren* geschrieben?
SOPHIA LOREN: Weil seit meinem zwanzigsten Lebensjahr über mich Bücher geschrieben
werden, und in all diesen Büchern hat man aus mir etwas gemacht, was ich nicht
bin. Ich wollte die falschen Bilder nicht mehr.
Welche Bilder?
LOREN: Man hat irgendwelche Interviews hergenommen und ganz willkürlich zusammengesetzt.
Gott weiß, welche echt waren und welche erfunden. Die meisten waren erfunden,
und das Resultat sind diese erbärmlichen Klatschgeschichten, die Sie ja kennen.
Warum, glauben Sie, wird das geschrieben?
LOREN: Weil das der einfachste Weg ist, Zeitungen zu verkaufen. Nichts ist leichter,
als skandalöse Geschichten zu schreiben. Man sieht mich auf einem Flughafen
mit einem Mann, den ich nicht einmal kenne, und schon schreibt man, das sei
mein Liebhaber, mit dem ich meinen Gatten betrüge.
Das wird geschrieben, weil es Leute gibt, die sich dafür interessieren.
LOREN: Ich glaube nicht, daß die Leute an so etwas wirklich interessiert sind.
Ich glaube, daß die Zeitungen die Leute dazu erziehen, sich für solche Geschichten
zu interessieren.
Welche Funktion haben diese Geschichten?
LOREN: Das weiß ich nicht.
Ich nehme an, Sie sollen die Leser von ihrer unerfreulichen Realität ablenken.
LOREN: Eine interessante Erklärung.
Was, glauben Sie, sehen die Leute in Ihnen? Womit identifizieren sie sich?
LOREN: Bestimmt nicht mit den Skandalen. Ich vermute, sie identifizieren sich
mit dem, was ich in meiner Arbeit tue und in meinem Leben, meinem wirklichen,
nicht dem von den Journalisten erfundenen Leben.
Aber das kennt man doch gar nicht.
LOREN: Natürlich kennt man das. Ich bin ja nicht gestern geboren.
Was jeder weiß, ist, daß Sie schön und reich sind und es geschafft haben, Karriere
zu machen.
LOREN: Sie meinen, man identifiziert sich mit meiner Karriere?
Sie repräsentieren Erfolg, Reichtum, Freiheit...
LOREN: Geld ist nicht Freiheit. Das sage ich nicht, weil ich es habe. Für mich
hat Reichtum niemals Freiheit bedeutet. Es kann jemand der reichste und trotzdem
der unglücklichste Mensch auf der Welt sein, wenn er nicht weiß, was er mit
sich anfangen soll.
In Ihrem Buch steht, Sie wollten die Wahrheit über sich finden.
LOREN: Das will doch jeder. Ich glaube, das ist etwas, das jeder versucht, auch
wenn es ihm gar nicht bewußt ist. Das ist doch das, worum wir ein Leben lang
kämpfen.
Haben Sie Fortschritte gemacht?
LOREN: Ich bin immer noch auf der Suche. Man findet sich nie. Aber wenn man
auf der richtigen Spur ist, ist das schon viel.
Hat Ihr Mann, Carlo Ponti, das Manuskript gelesen, bevor es in Druck ging?
LOREN: Nein, hat er nicht. Er wollte es gar nicht lesen. Er liebt mich, aber
er sagt mir nicht, was ich tun und lassen soll. Früher war ich vielleicht jemand,
der es mochte, geführt zu werden, eine Art Puppe. Heute bin ich selbst gern
der Führer.
Ihr Mann ist zwanzig Jahre älter als Sie. In Ihrem Buch sagen Sie: »Ich bin
verheiratet mit meinem Vater.«
LOREN: Ja, und?
Ist das Freiheit?
LOREN: Als Frau frei zu sein, bedeutet ja nicht, sich an niemanden binden zu
können. Man kann doch lieben und trotzdem frei sein. Man ist abhängig von den
Gefühlen, aber man ist nicht unfrei. Freiheit und Unabhängigkeit sind nicht
das gleiche.
Sie schreiben, Sie wollen noch mit achtzig Filme drehen. Ponti wäre dann
hundert. Denken Sie manchmal daran, daß Sie ihn überleben?**
LOREN: Daran will ich nicht denken. Ich fliehe diesen Gedanken. In diesem Punkt
bin ich ganz unfrei. Aber sonst bin ich heute viel freier als früher. Ich kann
selbständig denken, ich kann selbst meine Entscheidungen treffen, ohne zu
fragen, ob es richtig oder falsch ist. Früher war ich abhängig von den
Ratschlägen, die mir andere gaben. Ich habe gelernt, nein zu sagen.
Zu wem?
LOREN: Zunächst einmal zu mir selbst. Früher habe ich immer ja gesagt, weil ich
nett sein wollte, aber in mir meinte ich nein. Das war nicht fair, weder mir
noch den anderen gegenüber.
Haben Sie auch gelernt, zu Filmproduzenten, die Ihnen schlechte Rollen
anbieten, nein zu sagen?
LOREN: Das konnte ich immer schon.
Sie schreiben, Sie hätten sich in ein Klischee pressen lassen.
LOREN: Ja, aber das wußte ich. Ich wußte, daß es, um berühmt zu werden, nötig
war, gewisse Dinge zu machen. Also spielte ich das schöne Mädchen, das nur ein
Objekt ist, ein Nichts ohne Seele. Mit dem Film "Zwei Frauen"*** hat
sich das dann geändert. Das war der Wendepunkt in meiner Karriere. Manchmal
spiele ich auch heute noch Rollen, die ich eigentlich nicht spielen sollte.
Aber es ist dann doch immer meine Entscheidung. Man kann ja nicht andauernd
Filme machen, die einen Wendepunkt bedeuten. So viele Wendepunkte gibt es ja
gar nicht. Manchmal tut man etwas, weil man mit einem bestimmten Regisseur oder
Schauspieler arbeiten möchte, obwohl man weiß, daß die Geschichte ein Mist ist.
Eine Rolle, die Sie sich wünschten, war die von Liz Taylor in dem Film »Wer hat
Angst vor Virginia Woolf?«
LOREN: Ja.
Warum hat Sie gerade diese Rolle gereizt?
LOREN: Weil es ein herrliches Stück ist.
Aber die Frau ist Ihnen ganz fremd. Die säuft, schreit ununterbrochen, bewirft
ihren Mann mit Gegenständen. Wo hätten Sie denn das Material hergenommen, um
das darzustellen? Sie können ja, schreiben Sie, nur spielen, was Sie selbst
durchgemacht haben, Sie müssen es aus der Erinnerung holen. Die Mutter in »Zwei
Frauen« haben Sie nur spielen können, weil Sie sich an das Schicksal Ihrer
eigenen Mutter erinnern konnten ... Verstehen Sie?
LOREN: Ja, ich verstehe.
Warum sagen Sie nichts?
LOREN: Ich höre Ihnen gern zu.
Das geht nicht. Das wird kein Interview, wenn Sie mich so lang reden lassen.
LOREN: Sie meinen, ob ich solche Gefühle, wie sie diese Rolle verlangt, in mir
habe?
Ja, ob Sie sich so eine Situation überhaupt vorstellen können.
LOREN: Ach, wissen Sie, ich habe in meiner Kindheit so viele Kämpfe und
Zänkereien zwischen meiner Großmutter und meiner Mutter erlebt. Da gab es so
viel Geschrei und so viel Haß aufeinander, weil wir ja arm waren und weil die
Menschen durch Armut oft böse werden. In mir ist genug Gepäck angehäuft, um so
etwas spielen zu können. Ich kann das spielen, aber ich möchte es nicht
erleben. Ich möchte nicht erleben, wie es zwischen Liz Taylor und Richard
Burton privat zuging. Denn das war Zerstörung. Ich bin durch so vieles in
dieser Art hindurchgegangen, als ich klein war. Wenn ich heute sehe, daß zwei
Leute sich anbrüllen, gehe ich weg. Ich meide das heute. Das ist die einzige
Bequemlichkeit, die ich mir gönne.
Sie waren durch Ihre uneheliche Geburt schon als Kind eine Außenseiterin.
LOREN: Ja.
In gewissem Sinne sind Sie das heute als Filmstar wieder.
LOREN: Ja, da gibt es sicher einen Zusammenhang. Damit wird man geboren. Es
gibt Leute, die dazu bestimmt sind, sich sozial zu verhalten, und andere, die
ihr Leben lang asozial bleiben. Das ist von Anfang an festgelegt. Das kann man
nicht ändern.
Haben Sie Freunde?
LOREN: Ich habe nicht viele Freunde, vier oder fünf vielleicht, richtige
Freunde, Menschen, mit denen ich auch über Dinge reden kann, die ich nicht
einmal meinem Mann erzähle. Aber mein bester Freund bin ich selbst.
Sind Filmstars einsam?
LOREN: Man kann sich einsam fühlen unter tausenden Menschen. Etwas anderes ist
es, allein zu sein. Das finde ich manchmal ganz schön und ganz wichtig. Das
sind die Augenblicke, in denen man sich fragt: Wer bin ich? Wer will ich sein?
Was will ich erreichen? Diese Art Fragen, zu denen man keine Zeit hat in der
täglichen Routine des Lebens.
Was machen Sie, um allein zu sein?
LOREN: Ich gehe in mein Badezimmer, sperre zu, setze mich hin und sage: Mal
sehen, was mit dir los ist! Ich überlege, in welcher Lage ich mich gerade
befinde, und dann suche ich einen Ausweg.
Ist das nicht verrückt?
LOREN: Was?
So neben sich zu stehen und sich zuzusehen.
LOREN: Wenn das verrückt ist, wäre ich längst im Irrenhaus. Denn das mache ich
täglich. Ich habe mir schon immer so zugeschaut, auch in angenehmen
Situationen. Da betrachte ich mich von außen und sage mir: Siehst du, so
schlimm ist alles doch gar nicht. Nein, wahnsinnig bin ich nicht ... noch
nicht.
Beobachten Sie sich auch jetzt gerade?
LOREN: Nein, ich beobachte Sie, um herauszufinden, warum Sie so etwas fragen.
Ich finde Sie privat viel interessanter als in Ihren Filmen.
LOREN: Ich bin eben eine sehr vielseitige und deshalb sehr seltene Frau. Ich
wachse nicht auf Bäumen.
Gibt es eine Rolle, die Sie noch gerne spielen würden?
LOREN: Ja, die Anna Karenina. Das war der Traum meiner Mutter, die, als sie
jung war, wie Greta Garbo aussah und sich immer gewünscht hat, daß ich das
einmal spiele, wenn ich berühmt bin, an ihrer Stelle.
Aber das ist doch das Verrückteste: etwas zu spielen, weil die Mutter es nicht
geschafft hat.
LOREN: Sie sind vollkommen irre. Ich habe eine sehr schöne Zeit mit Ihnen. Es
ist unglaublich!
Leider müssen wir uns beeilen, denn gleich kommt das Fernsehen.**** Was ist der
Unterschied zwischen einem Star und einer Schauspielerin?
LOREN: Das weiß ich nicht. Da gibt es dieses gewisse Extra. Es ist magisch.
Schwer zu erklären. Warum ist einer als Star geboren, und ein anderer, der auch
ein guter Schauspieler ist, schafft es nie? Das wird Ihnen niemand beantworten
können. Was würden denn Sie vorziehen, Schauspieler zu sein oder Filmstar?
Am besten beides... Jetzt müssen wir aber zu einem Ende kommen. Ich sollte Sie
noch über Mode befragen, weil das Interview auch in »Vogue« erscheinen soll.
LOREN: Ich trage gerne bequeme Sachen. Ich kaufe etwas nicht, nur weil es
gerade modern ist.
Juwelen tragen Sie nicht mehr, seit Sie zum drittenmal ausgeraubt wurden...
LOREN: Nein, die Klipse sind unecht.
Stimmt es, daß Sie Ihre beiden Kinder aus lauter Angst vor Entführern von einer
Leibgarde bewachen lassen?
LOREN: Alles erfunden.
Aber den Geisteskranken, der einmal in Ihre Villa einbrach und Ihre Kinder
umbringen wollte, den gab es wirklich?
LOREN: Das war ein Zufall. Wenn man so bekannt ist wie ich, gibt es immer ein
paar Verrückte, die einem nachstellen.
Noch eine letzte Frage, die Scheinwerfer werden schon eingeschaltet... Fürchten
Sie sich im Dunkeln?
LOREN: Darauf sage ich: nein. Sonst schreiben Sie, ich sei unfrei.
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* „Leben und Lieben“, erschienen bei Molden
** Carlo Ponti verstarb 94-jährig am 10. Januar 2007
*** In Deutschland lief der Film unter dem Titel: »... und dennoch leben sie«.
**** Ich hatte für das Interview nur 20 Minuten Zeit.
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Erschienen stark verkürzt im April 1979 in der Münchner Abendzeitung