Interview mit Rosa von Praunheim



Seit Jahrzehnten machen Sie Filme, aber als einziger Ihrer Altersklasse* sind Sie immer noch dort, wo Sie am Anfang schon waren, nämlich im Underground. Ist das Absicht oder sind Sie unfreiwillig ein Außenseiter?

ROSA VON PRAUNHEIM: Die Frage stellt sich so gar nicht, denn im Underground bin ich eigentlich nie gewesen. Ich hab ja gleich am Anfang Erfolg gehabt. Schon meinen ersten Kurzfilm hab ich an das Fernsehen verkauft, das war 1967, und der zweite, "Rosa Arbeiter auf goldener Straße", bekam eine Kulturfilmprämie und das Prädikat «Besonders wertvoll». Da hatte ich also gleich einen Batzen Geld zur Verfügung. Ich war bereits etabliert, kaum daß es anfing.

Gut, aber das war ein Erfolg, den Sie einer Minderheit aus Fernsehredakteuren und Filmkritikern zu verdanken hatten. Beim breiten Publikum sind Sie bis heute nicht angekommen.

PRAUNHEIM: Das stimmt, aber daran bin ich auch selbst schuld. Ich hatte meinen Höhepunkt mit den Filmen "Die Bettwurst" und "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt", das ist lange her, und seither ging's bergab, um es mit der Knef zu sagen, das heißt, ich hab Filme gemacht, die wahrscheinlich auch objektiv nicht erfüllt haben, was ich mit den ersten versprochen hatte, und die zurückblickend auch für mich nicht so toll sind, aber halt sehr wichtig für meine Entwicklung.

Entwicklung wohin?

PRAUNHEIM: Ich bin dazu gekommen, diesen Höhenflug, den ich am Anfang erlebte, als etwas Schädliches zu empfinden, denn du lernst ja, wenn du berühmt bist, keine Leute mehr kennen. Die alten Freunde reagieren mit Neid, und neue findest du keine. Das Wort «underground» heißt ja, daß du verwurzelt bist in einer gewissen Subkultur, aber die trägt dich nicht mehr, wenn du abhebst. Ich beziehe sehr viel Vitalität aus anderen Menschen, und die fehlten mir plötzlich. Da war es wahrscheinlich mein größter Wunsch, wieder abzustürzen.

Andere hatten diesen Absturz nicht nötig, Werner Schroeter zum Beispiel, dessen letzte Filme auch kommerziell ein Erfolg sind, von Fassbinder ganz zu schweigen.

PRAUNHEIM: Der Schroeter hat viel mehr als ich angestrebt, so eine lineare Karriere zu machen. Der ist für mich ein typisches Beispiel für jemand, der sich in eine Narrenrolle begibt und die dann durchzieht, und zwar immer in der High Society, wo er als Spaßmacher gut ankommt, aber halt in seiner Funktion ungeheuer begrenzt ist. Diese dekadente Kunsthaltung geht mir wahnsinnig auf die Nerven, dieses Posieren zu pompöser Musik mit diesen pathetischen Gesten, dieses ständige Sich-Aufhalten in höheren Kreisen, um dort den Clown zu spielen. Das finde ich schrecklich. Damit will ich nichts mehr zu tun haben. Solche Leute wie Fassbinder oder Peter Stein oder eben auch Schroeter, die mit einem ungeheuren Zynismus und einer unheimlichen Distanz andere faszinieren, weil diese anderen von der Erziehung her so masochistisch trainiert sind, daß sie jemanden, der kälter ist, um so mehr lieben, solche herzlosen, nur auf sich selbst bezogenen Leute sind mir ein Greuel. Die werden doch nur deshalb geliebt, weil sie sich für niemanden interessieren außer für sich, und weil sie es verstehen, andere zynisch und witzig zu unterhalten. Die finden sich unheimlich toll, und diese Selbstliebe, die natürlich auch eine Kraft ist, wird von Schwächeren als faszinierend empfunden. Bei dem Schroeter ist das ganz deutlich. Der umgibt sich doch nur mit Leuten, die ganz blaß und dumm sind, völlige Idioten. Dem genügt es vollkommen, wenn sieben nackte, dumme Knaben blöde um ihn herum sitzen, da blüht er auf und erzählt tolle Geschichten und wirft sich in Pose. Der ist mehr eine Unterhaltungsfigur, so eine Art Entertainer. Der kann unentwegt produzieren. Ich empfinde mich als viel langweiliger. Ich möchte immer Leute um mich haben, die selber stark sind, zumindest in meiner Arbeit. Ich suche Partner, die mich, aus welchen Gründen auch immer, in Erregung versetzen.

Meist sind das ältere Damen. In Ihrem Film «Unsere Leichen leben noch» gibt es keine Darstellerin unter fünfzig. Wie erklären Sie sich Ihre Vorliebe für Frauen, die ihre Blüte längst hinter sich haben?

PRAUNHEIM: Das liegt wahrscheinlich daran, daß mich ältere Frauen erotisch unheimlich anziehen.

Haben Sie schon einmal mit einer geschlafen?

PRAUNHEIM: Nein, das ist ja das Dumme. Das war auch die Frage, als ich mit der Berliner Kabarettistin Helga Goetze ein Interview machen wollte. Die war sechzig, und die sagte, sie würde es machen, aber ich müßte zuerst mit ihr ficken. Sicher wäre das toll gewesen, aber irgendwie hatte ich dann doch zu große Hemmungen, weil ich eben wahnsinnig verklemmt bin und diese Verklemmung auch als lustvoll empfinde, diese dauernde Unterdrückung durch die Verklemmung, aus der ich, so unangenehm sie ist, auf der anderen Seite auch sehr viel Kraft beziehe. Es ist doch meistens so, daß man Sachen, die man machen will, nicht schafft, weil man zu viele Ängste hat, und daß es bei diesen Ängsten dann bleibt, bei dieser Lust an den Ängsten. Ich hab mich zum Beispiel oft gefragt, warum ich nicht fähig bin, mir einen Arm abzuschneiden. Das hätte ich gut gefunden, weil ich das Gefühl hab, daß ich, würde ich mir den Arm abschneiden oder die Augen ausstechen, viel intensiver wäre und die Welt viel produktiver erleben könnte. Ich habe eine Freundin, die blind ist, die wäre sicher eine viel tollere Filmregisseurin als ich, weil sie eine viel präzisere Vorstellung hat von dem, was um sie herum vorgeht. Es ist ja weit schwieriger, mit vielen Mitteln was Gutes zu machen als mit wenigen Mitteln. Deshalb glaube ich auch, daß man mit ein paar hundert Mark unter Umständen einen besseren Film machen kann als mit einer Million, weil die wenigen Mittel dich zwingen, sie bewußter und phantasievoller einzusetzen.

Von der Selbstverstümmelung ist es nur ein kleiner Schritt bis zur Selbstvernichtung. Wäre das nicht die einfachere Lösung?

PRAUNHEIM: Doch, sicher. Ich hab sehr oft Selbstmordgedanken. Ich würde mich gerne umbringen, aus Langeweile.

Warum tun Sie es nicht?

PRAUNHEIM: Weil man doch eine unheimliche Energie braucht, um es zu tun, und man diese Energie gerade in den Momenten am wenigsten hat, in denen sie nötig wäre. Ich hab Phasen unglaublicher Todessehnsucht, aber ich bin dann jedesmal viel zu schlaff, um mich zu töten.

Was tun Sie stattdessen?

PRAUNHEIM: Ich onaniere oder seh fern oder eß Schokolade, oder ich leg mich ins Bett. Aber nach einer gewissen Zeit geht mir das so auf die Nerven, daß ich wieder hinausgeh, oder es ruft jemand an. Irgendwie ist das einfach schizophren, ich sitze in meiner Sechseinhalb-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg und langweile mich zu Tode und finde alles wahnsinnig uninteressant, hab aber Angst, nach Kreuzberg zu ziehen, wo ich bestimmt sehr aufregende Sachen erleben würde. Mir ist alles recht, was mich intensiv macht, aber ich hab eben panische Angst vor Aggressionen, vor Hausbesetzern und Steinewerfern. Ich träume ständig von allen möglichen Katastrophen und stelle mir vor, wie toll es wäre, im Atombunker zu sitzen, aber ich weiß natürlich, daß das ganz blöd ist, weil ich mir diese Träume ja leicht erfüllen könnte. Es gibt doch heute genug Kriegsschauplätze. Aber ich fahre nicht hin. Ich mache es nicht. Ich könnte zum Beispiel auch nach New York ziehen, aber jedesmal, wenn ich hinfliege, hab ich wahnsinnige Angst, überfallen zu werden, und halte es vor Nervosität fast nicht aus, und dann sitze ich eben wieder in diesem langweiligen Deutschland, nur weil es hier Subventionen gibt, und weil ich halt deutsch spreche und in Amerika erfolglos bin.

Sehen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma?

PRAUNHEIM: Nein, den sehe ich nicht.

Fühlen Sie sich wohl in Ihrem Unglück?

PRAUNHEIM: Das ist gut möglich. Ich weiß aus Erfahrung, daß ich sehr oberflächlich werde in Glücksmomenten und daß mir dann alles egal ist, während ich in so Gefahrensituationen sehr kreativ bin. Im Grunde wünsche ich mir nichts sehnlicher als Unglück und Kriege. Ich finde es auch immer unheimlich toll, wenn jemand Krebs hat, weil da was passiert. Mich begeistert ungeheuer, wenn junge Leute sterben. Aber das Blöde ist, daß die, die sich solche Krankheiten wünschen, sie am allerwenigsten kriegen.** Meine Großmutter wünscht sich seit zwanzig Jahren, zu sterben, aber sie stirbt nicht. Je dringender sie sterben will, desto länger lebt sie. Genauso wird das bei mir sein, denn ich habe niedrigen Blutdruck. Ich werde sicher sehr lange leben.

Sie könnten doch in diesem Interview darum ersuchen, ermordet zu werden. Vielleicht kommt jemand und knallt Sie ab.

PRAUNHEIM: Das muß ich mir überlegen. Das hat ja der David Bowie gemacht. Der hat gesagt, er will auf der Bühne erschossen werden. Aber ich glaub, ich will gar nicht umgebracht werden, sondern selber umbringen. Ich hab schon immer davon geträumt, ein Massenmörder zu sein, der heimlich durch Vorgärten streift und den Leuten auflauert. Ich fände es unheimlich interessant, zu untersuchen, was da psychisch in einem abläuft. Wenn du jemanden aufschlitzt oder ihm die Kehle zudrückst, das ist für mich wie ein Kunstwerk, eine ungeheuer aktive Geschichte, vor allem, weil du danach von der Gesellschaft total diskriminiert wirst. Das fände ich wahnsinnig spannend.

Aber das ist doch ein alter Hut, sich zum Verbrecher zu stempeln, um sich der Gesellschaft, die man ablehnt, besser entziehen zu können. Das hat Jean Genet längst gemacht und noch dazu hervorragend beschrieben.

PRAUNHEIM: Der Genet ist mir viel zu intellektuell. Den verstehe ich gar nicht. Wenn ich von dem drei Sätze lese, ist das für mich eine solche Anstrengung, als ob ich was Philosophisches lesen würde. Ich hab gar nicht dieses Kulturbewußtsein. Ich lese heute viel lieber so kitschige und triviale Sachen.

War das früher anders?

PRAUNHEIM: Ja, früher, in meiner Schulzeit, hab ich auch anspruchsvolle Literatur gelesen, vor allem moderne Lyrik. Ich hab mir immer die Kunstzeitschriften gekauft, in denen das abgedruckt wurde. Ich bin sehr stark geprägt durch den Expressionismus der fünfziger Jahre. Ich hab damals so expressionistische Dramen und Gedichte geschrieben, weil mich die Rolle des Künstlers sehr fasziniert hat, diese Aura des Einzigartigen, mit der sich Künstler umgeben. Das habe ich als mein Schicksal empfunden, als so eine Art Fluch. Ich hatte schon in der Pubertät das Bewußtsein, daß ich etwas Besonderes bin, weil meine Interessen woanders lagen als die der anderen Kinder. Meine Mitschüler waren mehr für Fußball und Sport, während ich im Turnen ganz schlecht war, aber auch in den geistigen Fächern das meiste verschlafen habe. Ich war unheimlich verträumt und völlig unlogisch in meinen Gedankengängen. Deshalb bin ich auch so oft sitzengeblieben. Ich dachte, ich sei verrückt, was mir ungeheuer gefallen hätte, weil ich die Hoffnung hatte, man würde mich in eine Anstalt einweisen. Wahnsinn und Irresein war doch der Kult der Expressionisten. Als ich später erfuhr, daß nicht die interessanten Leute in die Irrenanstalten kommen, sondern die Spießer, die völlig verklemmt als Hausmütterchen in der Küche sitzen, war ich furchtbar enttäuscht. Ich hab dann stattdessen versucht, in ein Kloster zu kommen und an die Mönche vom Berg Athos geschrieben. Ich wollte dort als Ikonenmaler mein Leben fristen.

Soll das ein Witz sein?

PRAUNHEIM: Nein, gar nicht. Ich hab das wirklich gemacht und einige Zeit später tatsächlich Bescheid erhalten, daß man mich leider nicht nehmen könne.

Schreckte Sie nicht die Vorstellung, Ihr Leben lang ohne Sexualität auskommen zu müssen?

PRAUNHEIM: Nein, denn ich hatte damals noch nicht den Drang, mich sexuell auszuleben. Sex war mir eklig, oder besser, ich hatte panische Angst vor der Intensität, die ich dabei erlebte. Jedesmal, wenn ich mit jemand geschlafen habe, war das so intensiv und hat für mich so viel bedeutet, daß ich vollkommen abgelenkt wurde von dem, was ich eigentlich wollte, also Kunst machen und kreativ sein. Deshalb habe ich das als eine Gefahr betrachtet. Ich hab ja damals auch noch mit Frauen geschlafen. Ich wußte noch nicht, daß ich schwul bin, oder vielmehr, ich hab es verdrängt. Ich hatte die Illusion, daß ich eventuell doch der Norm angehöre, denn die Homosexualität war ja etwas, das absolut negativ besetzt war. Deshalb wollte ich sie lange Zeit nicht akzeptieren. Erst mit zwanzig, als ich anfing, in Schwulenkneipen zu gehen, merkte ich, daß mir nichts anderes übrigblieb, als mich damit auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite empfand ich das als wahnsinnig exotisch, auf der anderen Seite war es eine sehr qualvolle Erfahrung. Ich fühlte mich ungeheuer verworfen und hatte ganz starke Schuldkomplexe, denn ich bin katholisch erzogen worden. Meine Mutter ist Protestantin, aber mein Vater war gläubiger Katholik und ist mit mir jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Einige Zeitlang, so mit elf oder zwölf, bin ich Meßdiener gewesen, und zwar mit Begeisterung. Diese kirchlichen Rituale, also was da alles abläuft an Gebetsübungen und Gesten und stummen Gebärden, das hab ich unheimlich toll gefunden.

In Ihrem autobiographischen Buch «Sex und Karriere» beschreiben Sie die Rituale, die sich abspielen, wenn Homosexuelle einander zum Geschlechtsverkehr kennenlernen. Das geht meist völlig sprachlos vor sich, in Parks und Toiletten mit den in einschlägigen Kreisen bekannten Erkennungszeichen. Der Austausch von Gefühlen ist überflüssig. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrem Interesse an solchen Ritualen und Ihrer katholischen Herkunft?

PRAUNHEIM: Darauf bin ich noch nicht gekommen, aber sicher kann man da Verbindungen herstellen. Darüber hat ja Genet geschrieben.

In Ihrem Bildband «Gibt es Sex nach dem Tode?» gehen Sie noch einen Schritt weiter. Da wird eine Art Jenseits entworfen, in dem die Verstorbenen sich ihre sexuellen Wünsche erfüllen dürfen. Man könnte meinen, die Sexualität sei für Sie zu einer Art Religion geworden.

PRAUNHEIM: Das wäre falsch, denn das Jenseits interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessiert nur das Diesseits, und zwar bis zur letzten Sekunde. Was ich mit so Formulierungen, wie sie in dem Buch stehen, erreichen möchte, ist, dem Tod eine sinnliche Komponente zu geben, so daß man ihn erlebt wie einen Orgasmus, nicht als so was Vergeistigtes, sondern als genauso lebendig und kämpferisch wie einen Geschlechtsakt.

Der Unterschied ist: Das Sterben erlebt man nur einmal, ein Geschlechtsakt läßt sich je nach Potenz beliebig oft wiederholen.

PRAUNHEIM: Das ist richtig, aber das Komische ist, daß sich trotz der Wiederholung und der Tatsache, daß es im Grunde immer das gleiche ist, die Intensität jedesmal von neuem einstellt. Es gibt ja auch Variationen. Man paart sich doch nicht immer mit denselben Leuten. Ich wäre sehr gern eine Nutte geworden, um in einem Hurenhaus arbeiten zu können. Puffmutter, das wäre mein Traum gewesen. Aber ich bin für so was nicht kühl genug, auch viel zu passiv, weil ich eben doch mehr ein Voyeur bin. Ich schaue gern zu, wenn es andere machen.

Männer mit Männern, oder dürfen auch Frauen dabei sein?

PRAUNHEIM: Ich finde auch heterosexuellen Geschlechtsverkehr zum Zuschauen sehr spannend. Ich möchte fast sagen, die Sexualität zwischen Mann und Frau ist für mich noch aufregender als zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, aber eben nur, wenn ich es selbst nicht mache. Ich bin es nicht mehr gewohnt. Das letzte Mal, als ich mit einer Frau gebumst hab, war vor sechs Jahren mit der Schauspielerin Millie Büttner, die in meinem Film "Monolog eines Stars" die Hauptrolle spielte. Wir lagen zufällig im Bett nebeneinander, plötzlich wurde sie scharf und fing auch sofort an, irrsinnig zu stöhnen, aber dann fand ich das Loch nicht. Darüber mußte ich so wahnsinnig lachen, daß wir es lieber gelassen haben. Für mich war es körperlich immer ganz reizvoll, mit Frauen zu schlafen. Aber psychisch hat es mir nichts gegeben. Wenn ich über die Straße gehe, fällt mir sofort auf, wenn ein junger, knackiger Mann vorbeikommt. Da fange ich an zu zittern. Das hat auf mich eine unheimliche Wirkung. Der Sex mit Männern ist für mich eine Droge oder eine Fluchtmöglichkeit, um die Langeweile zu überwinden. Denn er ist ja eine Art Kampf. Die Brust des Mannes ist wie ein Panzer, etwas Ebenbürtiges, dem ich mich dann entgegensetze. Das Zusammensein von zwei Schwänzen, die miteinander stark werden, dieses gemeinsame Bezwingen der Schwachheit ist das einzige, was mich vollkommen ausfüllt.

Muß nicht auch eine gewisse Zuneigung im Spiel sein?

PRAUNHEIM: Sie meinen, ob ich verliebt bin, wenn ich es mache?

Ja, ich meine, es ist doch ein Unterschied, ob Sie jemand nur wegen seines Geschlechts oder auch aus anderen Gründen anziehend finden.

PRAUNHEIM: Wenn es darum geht, ein Abenteuer zu haben, ist es eine rein sexuelle Geschichte. Liebe und Sex sind für mich völlig verschiedene Dinge. Ich hab seit drei Jahren eine feste Beziehung. Insofern kann ich es mir jetzt leisten, alle Verliebtheiten abzublocken, und ich bin wahnsinnig froh darüber, weil ich in meinem Leben so oft unglücklich verliebt war. Es gibt nichts Entsetzlicheres als die Zustände, wenn du in dir diese Intensivität spürst, dieses Hoffen und Bangen, daß einer käme, der dich wie King Kong auf den Arm nimmt und ins Bett trägt und hegt und pflegt, damit du nichts mehr zu tun brauchst. Diese Erwartungen waren für mich immer so quälend. Ich bin jahrelang stumm und steif wie eine Statue rumgestanden und hab mich bewundern lassen und bin auf niemanden zugegangen, weil ich dachte, es reicht schon, wenn ich nur schön bin. Ich hatte doch dieses angepaßt gute Aussehen. Da wartet man Stunden, und es kommen doch dann immer die Falschen. Ich hab ungeheuren Spaß dran gehabt, wenn mir jemand um sieben Ecken nachlief, auch wenn ich mit ihm gar nichts anfangen konnte. Das ist natürlich idiotisch. Da haben es Leute wie Fassbinder, die häßlich sind, leichter. Die können sich das gar nicht erlauben. Die machen es auf andere Art, indem sie jemandem eine Rolle in einem Film anbieten oder mit einem Fünfzig-Mark-Schein wedeln.

Wissen Sie das aus Erfahrung?

PRAUNHEIM: Der Rainer hat auch versucht, es mit mir zu machen. Wir waren in einem Lokal in Berlin. Er war unheimlich scharf auf mich, ging raus, ohne sich zu verabschieden, und wartete, ob ich ihm folge. Das ist so ein Psychospiel, um die Leute von sich abhängig zu machen. Ich bin natürlich nicht mitgegangen. Er hat sich dann öfter gerühmt, mit mir was gehabt zu haben. Aber ich kann mich daran nicht erinnern. Vielleicht hat er mich im Dunkeln irgendwo angefaßt, und ich wußte gar nicht, daß er es war.

Wie muß ein Mann aussehen, damit Sie ihm Avancen machen?

PRAUNHEIM: Ich mag den großen, kräftigen Mann um die Dreißig. Für Jüngere hab ich mich nie richtig begeistern können.

Ist es schon vorgekommen, daß Sie sich für jemanden interessierten, ohne dafür eine Erklärung zu haben?

PRAUNHEIM: Eigentlich nicht, denn man weiß doch, je älter man ist, daß Gefühle nicht abstrakt sind, sondern sehr stark mit psychischen Faktoren zusammenhängen. Man kriegt ein Bewußtsein für die Ursachen, weshalb man jemanden toll findet und weshalb nicht.

Wie erklären Sie sich, daß Sie mit Frauen so wenig anfangen können?

PRAUNHEIM: Ich kann doch sehr viel mit Frauen anfangen. Nur interessiert mich an einer Frau eben mehr die Persönlichkeit. Da schaue ich nicht auf den Busen oder ob sie eine tolle Figur hat, sondern da fällt mir ein kesser Hut auf oder wenn sie sonst irgendwie komisch aussieht. Meine Seele ist weiblich. Als Schwuler identifiziere ich mich mit Frauen. Deshalb habe ich fast nur Frauenfreundschaften.

Ja gut, aber Sex nur mit Männern. Haben Sie versucht, dafür Gründe zu finden?

PRAUNHEIM: Die Margarete Mitscherlich, die mich einmal analysiert hat, ist zu dem Schluß gekommen, mein Vater sei schwul gewesen. Ich weiß, daß er mich sexuell begehrt hat. Aber er hätte das natürlich nie zugegeben. Ich erinnere mich, daß ich als Kind sehr gerne mit seinem Schwanz gespielt hab. Einmal, da war ich schon sechzehn, bin ich mit erigiertem Penis zu ihm ins Bett gestiegen. Er hat es nicht abgewehrt, aber er hat auch nicht gezeigt, daß er Spaß daran hatte. Zwischen uns stand so viel Unausgelebtes. Deshalb war sein Tod für mich sicher traumatisch. Ich plane gerade einen autobiographischen Film, in dem ich das alles einmal durchleuchten möchte, obwohl ich es letztlich gar nicht so wichtig finde, die Gründe meiner Veranlagung aufzudecken. Mir ist irgendwie sympathischer, sie für angeboren zu halten. Das Spezifische an der Homosexualität ist das Moment der Unterdrückung. Das beginnt in der Kindheit, wenn man merkt, daß man einen unheimlichen Kampf abzumachen hat gegen die Moral der Gesellschaft, weil man nicht erfüllt, was von dieser Gesellschaft verlangt wird. Das ist genauso wie mit den Juden oder den Schwarzen, zumindest dort, wo sie als Minderheiten erscheinen. Die kann man auch definieren aus ihrer Erfahrung der Unterdrückung.

Das mag sein, nur ist der Schwarze zunächst mal dadurch definiert, daß er schwarz ist. Woran aber erkennt man ein schwules Baby?

PRAUNHEIM: Das erkennt man erst später. Das begann in meinem Fall mit der Schule, wo ich das Verweichlichte an mir sehr stark erlebte. Die anderen haben viel mehr ihren Körper entwickelt. Ich hab erst nach der Schulzeit versucht, in dieser Richtung etwas zu machen, als ich eine Weile die Vorstellung hatte, Tänzer zu werden. Aber das waren immer nur Ansätze, die zu nichts führten.

Sind Sie, was Ihre Gefühle betrifft, noch nie vor einem Rätsel gestanden?

PRAUNHEIM: Das will ich nicht sagen. Mein jetziger Freund ist für mich so ein Rätsel, denn er hat ganz schwarze Augen, in die ich nicht hineinsehen kann. Das ist jemand, der sich entzieht, und dieses Entziehen, das reizt mich, weil er sich nicht von mir auffressen läßt. Da muß also schon eine große Kraft sein, denn es ist meine besondere Eigenschaft, andere bis ins Innerste auszuforschen. Da bleibt in den meisten Fällen wenig Geheimnis.

Ist Ihnen diese Kraft bei Frauen noch nie begegnet?

PRAUNHEIM: Doch, schon. Meine Mutter hat das auch in gewissem Maße, weil sie sehr kühl ist und eine große Distanz schafft. Das finde ich toll, obwohl ich es als Kind dadurch viel schwerer hatte. Ich wurde mit den Dingen, die mich damals beschäftigten, ziemlich alleingelassen. Ich hab zwar versucht, mit meinen Eltern darüber zu sprechen, aber das waren sehr amusische, kulturell wenig interessierte Leute. Mein Vater war Ingenieur. Da herrschten so kleinbürgerliche Verhältnisse. Man ist halt ein guter Nazi gewesen, hat aus dem Eintopf gelebt, also Sparsamkeit immer hochgehalten. Meine Mutter hat es sich auch nie anmerken lassen, wenn es ihr schlecht ging. Sie hat das Leiden nicht akzeptiert, weder ihr eigenes nach dem Tod meines Vaters noch das anderer Leute. Eines der erschütterndsten Erlebnisse, das ich je mit ihr hatte, war, als sie mir einmal erzählte, was sie während des Krieges gemacht hat. Da hat sie im Garten Mohrrüben gezogen, und als die Russen kamen, hat sie noch schnell ihre Strümpfe gewaschen. Darüber bin ich unheimlich schockiert gewesen, weil sie diese Intensität und die Spannung, die ein Krieg doch mit sich bringt, gar nicht erlebt hat, sondern sich abgelenkt hat mit so völlig trivialen Sachen.

Vielleicht hatte sie nicht diese bei Ihnen so stark ausgeprägte Begabung, Zerstörung als etwas Aufregendes zu empfinden.

PRAUNHEIM: Bestimmt nicht, und ich respektiere das auch. Als ich in meiner schlimmsten Zeit, nach dem Mißerfolg meiner Filme und dem Scheitern meiner ersten dauerhaften Beziehung, über ein Jahr lang mit ihr zusammen wohnte, wurden auch meine Schwierigkeiten vollkommen ausgeklammert. Ich hatte damals eine ältere Freundin. Die war praktisch mein Mutterersatz. Bei der hab ich mich aussprechen können. Es gab in meinem Bekanntenkreis immer einige ältere Frauen, mit denen ich meine Probleme bereden konnte.

Die Schlagersängerin Evelyn Künnecke haben Sie sogar geheiratet.

PRAUNHEIM: Ja, aber das war ihre Idee. Das ging nicht von mir aus. Sie hat einfach in die Zeitung gesetzt, daß wir verheiratet seien und wie glücklich wir wären. Ich fand das natürlich toll, diese Unverfrorenheit, daß jemand so stark etwas will und das auch durchsetzt. Sie ist eine deutsche Jane Mansfield. Für Publicity macht sie alles, ob sie sich nun lächelnd neben ein totes Kind setzt oder einen Schwulen zum Mann nimmt. Da geht sie wie ich über Leichen. Ich hab dann gedacht, okay, auf diese Weise kann ich vielleicht demonstrieren, wie blöd ich die Ehe finde, also indem ich sie ad absurdum führe, und hab in Interviews gesagt, Schwule und ältere Frauen seien gleichermaßen diskriminiert, die müßten sich nun zusammenschließen.

Das ist Ihnen erst bei dieser Gelegenheit eingefallen?

PRAUNHEIM: Ja, und ich war unheimlich erstaunt, daß alle darauf hereinfielen. Ich hab überhaupt keine Hemmungen in solchen Sachen. Mir wird doch auch andauernd vorgeworfen, daß ich die Leute ausnütze, die in meinen Filmen auftreten, also daß ich sie lächerlich mache. Man nennt mich doch schon den Reporter des Satans. Ich sehe das nicht so. Ich finde solche Darstellungen, in denen sich Menschen psychisch entblößen, ganz legitim, solange sie den Zweck erfüllen, eine bestimmte Realität einzufangen oder eine knallharte Analyse zu liefern. Da nehme ich auf Sympathien keine Rücksicht. Man muß mit den Leuten, mit denen ich arbeite, auch gar kein Mitleid haben, denn es weiß inzwischen doch jeder, was für Filme ich mache, so daß alle, die mitspielen, schon oft gewarnt und auch beschimpft worden sind, weil sie ausgerechnet mit einem so grauenvollen und auch persönlich ekelhaften Schwein zusammenarbeiten.


So grauenvoll sind Sie doch gar nicht, nur ein bißchen verzweifelt.

PRAUNHEIM: Das sagen Sie. Aber in der Berliner Subkultur bin ich einer der Meistgehaßten. Eine Freundin von mir hat mich einmal als Mephistopheles der Bourgeoisie bezeichnet. Das ist jemand, der äußerlich ganz harmlos und lieb ist, aber, wenn es darauf ankommt, wahnsinnig gefährlich sein kann. Die Bezeichnung ist sicher richtig, denn das Harmlose und Liebe hat mich nie interessiert. Ich hab Spaß an der Aggression und am Kämpfen. Für mich ist auch die Punk-Bewegung sehr faszinierend, weil sie wahnsinnig aggressiv ist. Problematisch wird es erst, wo es zum richtigen Krieg wird, also körperlich, nicht mehr nur theatralisch. Das fände ich nicht so erfreulich.

Diese Einschränkung haben Sie aber zu Beginn dieses Interviews nicht gemacht.

PRAUNHEIM: Natürlich nicht. Das ist eben so eine provokative Haltung, die man einnimmt gegenüber dieser bürgerlichen, lahmen Umgebung, in der wir leben. Mir ist es aber schon lieber, wenn fünf nackte, ältere Damen um mein Bett herumtanzen, als wenn das fünf Flugzeuge sind, die Bomben herunterschmeißen. Nur sehe ich halt, wie ich selbst immer impotenter und vollgefressener und etablierter werde. Da sagt man dann manchmal so überspitzte Sätze.

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*) Rosa von Praunheim (bürgerlich: Holger Mischwitzky) wurde am 25. November 1942 in Riga geboren.

**) Damals war Aids noch kein Thema

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Erschienen am 11. Dezember 1981 in der ZEIT