Interview mit Nina Hagen 1987



Zu Anfang Ihrer Karriere im Westen erklärten Sie: «Ich bin die Verwirrung.» Nun war zu lesen*,  Sie wollten die Welt in Ordnung bringen. Ist Ihnen das Chaos über den Kopf gewachsen?

NINA HAGEN: Wenn ich sage, daß ich in der Welt Ordnung schaffe, bedeutet das, daß ich die Droge Ekstase legal machen werde, denn die kennt noch keiner. Die meisten Leute haben ja nicht einmal LSD probiert.

Ekstase ist Rausch, nicht Ordnung.

HAGEN: Paß auf, du sprichst hier mit jemand, der sagt, es gibt Wesen aus einer anderen Dimension, die möchten mit uns Kontakt aufnehmen.** Unsere Vision ist aber gestört. Wir sind zu sehr dem Materiellen verfallen, um diesen Kontakt herzustellen.

Wollen Sie vorschreiben, LSD einzunehmen?

HAGEN: Ich rede nicht von LSD, sondern von einem Glückszustand, der uns angeboren ist, den diese Welt aber zur Zeit nicht erlebt, weil dunkle Mächte überhandgenommen haben, die Gehirnwäsche betreiben, sowohl in kapitalistischen als auch sozialistischen Ländern. Dadurch ist eine totale Unglücksseligkeit ausgebrochen. Wir sind hierhergekommen, um große Wunder zu erleben. Dazu wollen uns die außerirdischen Wesen verhelfen. Es ist an mir, die Menschen zu überzeugen, daß es toll ist, mit denen in Verbindung zu treten.

Soll man Sie als Missionarin bezeichnen?

HAGEN: Das ist mir egal. Ich mache Musik. Rhythmus ist eine Lebensäußerung, eine Glorifizierung Gottes. Ich bin 24 Stunden am Tag ein von Supergott geschaffenes superkreierendes Kunstindividuum, und ich werde immer weiter versuchen, dir meine Erfahrungen anzubieten wie einen Apfel. Über einen Apfel kann man nicht diskutieren. Man muß abgebissen haben, um ihn zu verstehen. Nur durch Erfahrung wirst du begreifen, wo wir hingehen könnten, wenn uns CIA, KGB, Reagan und Gorbatschow nicht den Weg versperren. Ich halte die Politiker, gemeinsam mit Industrie und Militär, für die korruptesten Menschen auf dieser Erde.

Kennen Sie einen persönlich?

HAGEN: Ne, außer mir selber. Aber ich sehe Nachrichten im Fernsehen. Den Willy Brandt finde ich gut, weil der redet so langsam. Da ist nicht diese Hektik dahinter.

Gehen Sie wählen?

HAGEN: Ich war, als das stattfand, immer im Ausland.

Es gibt doch Briefwahl.

HAGEN: Mir hat nie jemand einen Brief zugeschickt und gesagt, Nina, jetzt wähl mal. Also habe ich nicht gewählt. Aber wenn ich Sonnabend oder sonntags zum Flohmarkt gehe und da stehen so Leute mit Listen, unterschreibe ich immer, zum Beispiel gegen die Rassenpolitik in Südafrika. Ich habe auch einmal in Wien, als ich auf Tour war, mit ein paar Freunden den Stadtpark besetzt. Es war verboten, dort auf dem Gras zu sitzen. Das wollten wir ändern, denn es ist so schön auf dem Gras. Die Kinder könnten da viel besser spielen. Als die Polizei kam, trari trara, sind wir weggegangen.

Ihr Ziehvater Wolf Biermann*** hat einmal die Befürchtung geäußert, Sie könnten sich in Nichtigkeiten verlieren. Was sagen Sie dazu?

HAGEN: Gar nichts.

Ist Biermann nicht einer der wichtigsten Menschen in Ihrem Leben?

HAGEN: Wichtig sind alle Menschen in einem Leben. Man fragt mich dauernd nach Biermann, weil der berühmt ist. Dabei war mein richtiger Papi genauso wichtig. Den hab ich immer auf Rollschuhen besucht, heimlich, am Sonntagmorgen. Der war ganz lieb, hat mir Kopfkratzen gemacht und Rückenmassage. Ich bin in sein Bett gekrochen, und Tante Trudchen kochte uns Frühstück. Tagsüber habe ich mich in sein Büro gesetzt, seine Zigaretten geraucht und Schreibmaschine geschrieben. Er war Drehbuchautor und Nationalpreisträger. Seine Filme wurden in der DDR große Erfolge. Mit meiner Mutter war er nur kurz zusammen. Er hat sie geliebt, aber sie ihn nicht. Als ich zwei Jahre alt war, ließ sie sich scheiden. Sie hatte halt andere lover.

Mehrere?

HAGEN: Ja, sicher. Martin Geschonneck, der Sohn des verdienten Staatsschauspielers Erwin Geschonneck, war zum Beispiel für lange Zeit auch mein Vati.

Hat Sie das nicht belastet?

HAGEN: Nein, denn dadurch hatte ich ziemlich viel Freiheit. Ich konnte zu Hause vor mich hin duseln, ohne daß jemand kam und mir eckige Vorschriften machte. Klar, es gab auch Verbote. Ich durfte die Asche vor meinem Ofen nicht liegen lassen. Aber als Kind kann man sich doch nicht nur ums Aufräumen kümmern. Also war es oft dreckig.

Wurden Sie dafür bestraft?

HAGEN: Folterungen habe ich keine erlitten.

Können Sie sich in die Lage weniger frei erzogener Kinder hineinversetzen?

HAGEN: Die kriegen Blutkrebs. Ich kenne krebskranke Kinder, von denen die Eltern, was Benehmen betrifft, zu viel verlangen. Kinder sind auf ihrem eigenen Trip. Die muß man in Ruhe lassen. Ich hab eine Tochter, Cosma, die ist sechs, und die macht, was sie will.

Während Ihrer Schwangerschaft haben Sie angekündigt, Sie würden den neuen Messias gebären.

HAGEN: Habe ich doch getan.

Obwohl es ein Mädchen wurde?

HAGEN: Klar. Das höhere Selbst in uns kann Mann oder Frau sein. Mein nächstes Kind wird auch ein Messias. Ich bekomme nur Wunderkinder.

Weiß Ihre Tochter, wen sie zum Vater hat?

HAGEN: Sie weiß es, und sie weiß auch, daß er Heroin spritzt. Ich kann dir sogar eine Schlagzeile liefern. Der Vater meiner Tochter*** hat Aids, toll, wa?

Warum sagen Sie das so heiter?

HAGEN: Weil das ein ganz schwacher Mensch ist, dem man viele Chancen gegeben hat, vom Heroin wegzukommen. Er hat zweimal Entzug gemacht und ist wieder zurückgefallen. Du kannst dir nicht vorstellen, in welcher Misere der heute sein Leben fristet. Das ist ganz schlimm. Aber was soll ich machen? Da sind böse Geister im Spiel. Solche Leute wollen nicht kämpfen. Die wollen sterben. Für jemanden, der sich alle vier Stunden voll dröhnen muß und nur noch wie ein Zombie dahinvegetiert, ist es doch eine Erlösung, wenn er krepiert.

Haben Sie den Aids-Test gemacht?

HAGEN: Ich mach keinen Test. Ich habe kein Aids. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß ich nicht infiziert bin, denn mir hat mein indischer Guru gesagt, daß ich ungefähr zweiundsiebzig Jahre alt werde. Das ist auf der Reinkarnationstabelle leicht nachzuprüfen.

Wenn Sie so sicher sind, ist es doch unlogisch, den Test zu verweigern.

HAGEN: Logik ist Scheiße. Was uns im Leben passiert, kommt aus dem Glauben. Guck dir einmal den Sathya Sai Baba an. Das ist ein Guru, der kann Sachen aus der Luft materialisieren wie ein richtiger Zauberkünstler, Gold, Edelsteine, Gerüche, heilige Asche. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Wann sind Sie zum erstenmal mit der indischen Philosophie in Berührung gekommen?

HAGEN: In meinem vorigen Leben, als ich in Indien wohnte.

Nein, bitte nicht!

HAGEN: Also das finde ich ungerecht. Kaum sage ich etwas, kommst du mir mit deinen Wellenlängen dazwischen und drehst mich ab. Du bist überhaupt nicht diszipliniert, totally unhöflich. Immer willst du der gute Junge sein, und wenn Mutti mal sagt, du hast unrecht, bist du beleidigt.

Pardon, aber es gibt doch unzweifelhaft einen Zeitpunkt in Ihrem jetzigen Leben, als Sie anfingen, an diese Lehren zu glauben.

HAGEN: Meinen LSD-Trip kann ich dir nicht beschreiben. Ich bin gestorben, und als ich auf der anderen Seite erwachte, ist mir ein Wesen vor die Augen getreten, das war nichts als Liebe, eine nie erahnte, unbeschreibliche Liebe. Ich kann über meine Gotteserfahrung zwar sprechen. Aber das nützt nichts. Man muß es erleben.

Haben Sie die Bücher der Gurus gelesen?

HAGEN: Ja, viele.

Wo haben Sie die gekauft?

HAGEN: In einem Berliner Buchladen.

Von wem hatten Sie die Adresse?

HAGEN: Von niemandem. Der Laden lief mir über den Weg, da habe ich meine Hand ausgestreckt und die Bücher aus dem Regal genommen.

Interessieren Sie sich auch für Literatur aus Europa?

HAGEN: In Ost-Berlin hab ich mir immer die Stücke von Brecht angeguckt. Ich hatte einen Freund, mit dem bin ich jeden Abend ins Theater gegangen. Wir kauften uns für fünfundfünfzig Pfennig Studententickets. Da saß man im zweiten Rang. Nach einem halben Jahr hab ich die Stücke und Lieder alle auswendig können.

Mögen Sie Shakespeare?

HAGEN: Kenn ich nicht.

Dostojewski?

HAGEN: Von dem hab ich als Kind viel gelesen.

Dann erinnern Sie sich vielleicht an den Satz: Geld ist die geprägte Freiheit.

HAGEN: Daran glaube ich nicht. Jemand, der eine Idee im Herzen trägt, braucht kein Geld, weil sich das von allein einstellt. Man darf nicht sagen, wenn ich Geld hätte, würde ich das und das machen, sondern muß einfach loslegen, dann werden sich die Mittel, um die Idee zu realisieren, schon finden. Man muß die Wirklichkeit, die man sich wünscht, selbst kreieren.

Dem Vater Ihres Kindes ist das mißlungen, oder glauben Sie, er wollte zugrunde gehen?

HAGEN: Das weiß nur Gott, denn das hat mit seiner Seele zu tun. Er wollte kein Junkie sein. Er war Gitarrist und spielte in vielen Bands mit. Heute ist er quasi Heroinkünstler. Aber das kommt daher, daß er nicht mehr er selbst ist. Es gibt Leute, die haben ein Interesse daran, andere süchtig zu machen. Die gucken zum Beispiel nach jugendlichen Touristen, machen auf guter Onkel, sind unheimlich nett, besorgen denen eine billige Unterkunft und sagen, jetzt rauchen wir mal einen Joint zusammen. In den streuseln sie schon ein bißchen Heroin rein, und dann kommen sie wieder, und so geht das weiter. Es ist ein Teufelskreis, denn die Dealer hängen oft selbst an der Droge. Also die machen das auch nicht aus Bosheit, sondern die sind auf dem falschen Weg, würde ich sagen.

Woran liegt das?

HAGEN: Das liegt daran, daß es nicht genug zu tun gibt für junge Leute. Es gibt Fernsehen, es gibt Veranstaltungen, die aber viel Eintritt kosten, es gibt Coffeeshops, wo man auch nicht einfach so sitzen kann, ohne was zu bestellen. Irgendwie ist das alles mit Geld verbunden. Der Staat unternimmt zu wenig. Deshalb muß ich jetzt die Ohren steifhalten, um das Nötige selbst in die Welt zu rufen. Ich bin gerade dabei, eine Show, die heißt "Paradise Café", zu organisieren. Da kommen ganz viele Bands aus der neuen Bewegung von Rockmusik. Das sind Leute, die sich nicht verkommerzialisieren lassen, total individuell. Die kümmern sich nicht darum, was in der Popwelt und den Charts gang und gäbe ist, sondern spielen in Kneipen, Schulen, besetzten Häusern. Das ist quasi die wirkliche Weltkultur. Denn der Rock 'n' Roll ist nicht nur in teuren Konzertveranstaltungen von Fritz Rau zu bewundern. Das wird man in meiner fünfundzwanzigteiligen TV -Show, die ich hiermit ganz großkotzig ankündigen möchte, erleben können. Damit mache ich dem Publikum endlich mal eine richtige Fernsehfreude, denn das wird seit «Klimbim» die erfolgreichste Show überhaupt, und zwar weltweit.

Muß man für Ihr Konzert Eintritt zahlen?

HAGEN: Allerdings. Aber was soll die Frage? Ich habe eine Vision, die heißt Fabrik, die muß ich doch finanzieren. Da werden sich junge Leute treffen und Musik machen und Parties non stop, the whole year, nicht nur an Silvester. Das ist ein Zukunftsprojekt. Dort wird man wohnen können, seine Ideen verfolgen, sich vergnügen bis in die Puppen. Also 24 Stunden am Tag immer nur Spaß, Spaß, Spaß.

Wie langweilig!

HATGEN: Bist ja nur neidisch.

Indem Sie den Gewinn aus Ihren Auftritten anderswo investieren, fördern Sie, was Sie abschaffen wollen, nämlich den Kreislauf des Geldes.

HAGEN: Den Teufelskreis der Nichtigkeiten, ich weiß.

Glauben Sie, man kann Phantasie organisieren?

HAGEN: Tu ich doch gar nicht. Ich möchte bloß, daß alle den gleichen Spaß haben wie ich. Die Leute, die in meine Show kommen, kriegen Zustände der Erleuchtung. Mein Akt auf der Bühne ist eine Geisterbeschwörung. Ich gehe in Trance, und die anderen folgen. Ich mache den Geistertanz. Es ist quasi so, als wäre ich ein Mann und würde durch meine Kraft eine Frau beglücken. Ich bin der Kanal Gottes. Ich sage, fuck the system, the system is shit. Die Welt braucht Ekstase. Das hat schon Jesus begriffen. Mit dem verbindet mich eine tiefe Seelenverwandtschaft. Ich war nämlich damals dabei, und ich kann dir sagen, der hat die irrsten Sachen gemacht. Das war ein ganz toller Trip. Wenn Nina Hagen durch Europa tourt, ist es genauso. Da gibt es Fans, die in jeder Stadt vor der Halle stehen.

Ja, weil Sie ein Star sind.

HAGEN: Nein, weil sie mich lieben.

Bei manchen Menschen lösen Sie Aggressionen aus.

HAGEN: Ja, das kommt daher, daß die Liebe, speziell in dieser hohen Dimension, eine so starke Macht ist, daß sie einen positiven und einen negativen Pol hat. Zu diesem Thema kann ich nur sagen, hast du um Gottes willen noch nicht die Autobiographie des Doktor Johannes Greber gelesen? Das war ein katholischer Geistlicher, der mit der guten und bekloppten Geisterwelt im Verkehr stand. In dem Dorf, wo er wohnte, wurde einmal eine Frau von Dämonen befallen. Aus ihrer Hand kamen plötzlich Nägel heraus. Es gibt nämlich umherschwirrende Wesen in erdnahen Bereichen, die dafür verantwortlich sind, daß wir manchmal Gruseltaten begehen oder uns selbst zu sehr hassen. Die stehen ungefähr auf derselben Stufe wie Mörder. Die Psychologen sehen das immer nur von der irdischen Seite, also die sagen, daß etwas mit der Kindheit nicht stimmte. Aber Psychologie muß mit Parapsychologie Hand in Hand gehen.

Kann man diese Wesen vertreiben?

HAGEN: Ja, durch das Licht, indem man hier ein wahnsinniges Licht macht, eine Jugendbewegung, einen Aufstand der Hippies.

Kein Licht ohne Dunkel.

HAGEN: So dachte ich auch vor zehn Jahren. Aber was hat dieser langweilige Skeptizismus hervorgebracht? Daß die meisten Leute morgens um sieben Uhr aufstehen und zu irgendeiner dämlichen Arbeit gehen, um mit der Herstellung irgendwelcher dämlichen Produkte Geld zu verdienen.

Immerhin sind Sie auf diese Weise zu einem Fernseher gekommen.

HAGEN: Das ist auch nicht weiter schlimm. Aber es gibt doch Produkte, die schädlich sind für die Umwelt, Waschpulver zum Beispiel.

Auch ein weggeworfener Fernseher ist schädlich, solange er nicht vermodert.

HAGEN: Nein, denn der ist ein Denkmal, ein Stück Kunst. In Amsterdam gibt es ganz tolle Müllhaufen, wo sich die Leute alle möglichen Sachen holen, um sie in Kunst zu verwandeln.

Haben Sie jemals an sich gezweifelt?

HAGEN: Nein, nie. Jemand, der denkt, er sei Scheiße, geht auf die Schwingungen erdgebundener Geister ein. Dagegen ist Selbstwäsche das beste Mittel.

Wie funktioniert die?

HAGEN: Ich mache es so, daß ich morgens, wenn ich Ruhe habe, Gott zu mir hole, indem ich "OM" singe, die Silbe für das göttliche Selbst. Sobald die Verbindung hergestellt ist, laufen mir automatisch die Tränen herunter und waschen alles weg, die Selbstkritik und die Magengeschwüre. Deshalb muß ich auch nie zum Arzt. Früher bin ich hingegangen, um mir die Spirale herausnehmen oder eine Abtreibung machen zu lassen. Heute bekomme ich meine Kinder. Im Krankenhaus war ich nur ein einziges Mal, wegen einer Blinddarmoperation. Da haben sie mir so wenig Lachgas gegeben, daß ich die Schmerzen fühlte, aber nichts sagen konnte. Das war echt Wahnsinn. Während ich auf dem Operationstisch lag, haben sie die ganze Zeit über meine Mutter geredet, die einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Als ich es ihnen später erzählte, reagierten sie gar nicht, als würde ich spinnen.

Warum wollte sich Ihre Mutter das Leben nehmen?

HAGEN: Wegen einer Liebesgeschichte. Sie war halt eifersüchtig. Durch so etwas gehen viele Leute, bis sie erkennen, daß man den anderen genauso bedingungslos lieben muß wie sich selbst. Ich hatte nie diese Probleme. Der Freund, mit dem ich jetzt lebe, ist siebzehn. Ich hab ihn in Rom kennengelernt. Da hing er nach einer Show hinter der Bühne im Fenster und meinte, oi oi. Zwei Jahre später hab ich ihn in Ibiza wiedergetroffen. Er legte sofort den Arm um meine Schulter, als wären wir schon immer zusammen gewesen.

Stimmt es, daß Sie ihn heiraten werden?

HAGEN: Ja, auf der Bühne, in einem ganz schicken Kleid, mit Johnny Rotten als Priester.

Sind Sie ihm treu?

HAGEN: Only god knows. Auf so eine Frage würde ich nie eine Antwort geben, denn das wäre genauso, wie wenn ich erklären wollte, was mich mit meiner besten Freundin Nena verbindet. Sie macht andere Musik, Sprechpop, würde ich sagen. Aber das hat nichts mit unserer Liebe zu tun. Ich hab sogar ein Lied darüber gemacht, das heißt, ich hab auch was mit Nena, nur wat es is, weeß keena.

Singen Sie jetzt wieder deutsch?

HAGEN: Ja, denn ich mag Deutschland, und ich habe den Leuten hier ein paar messages vorzutragen.

Zum Beispiel?

HAGEN: Der Text, den ich gerade geschrieben habe, geht so: Komm mit mir nach Indien, in den Himalaya, triff den großen Guru, vergessen sind die Sorgen, wir gleiten in das Morgen, wir rufen seinen Namen, begießen seinen Samen, amen, du sollst nicht stehlen, ihn nicht verhehlen, er steht an deiner Tür, jetzt liegt es nur an dir, Buddha Gautama, Fata Morgana, es sind die schwarzen Raben, die wollen alles haben, wenn ich mich so vergleiche, ich bin wie eine Eiche, ich steh hier fest und stark, am Ende bin ich mein eigener Sarg. Gefällt's dir?

Ganz neue Töne im Vergleich zu Ihren früheren Texten.

HAGEN: Daran siehst du, man kann immer wieder von neuem beginnen, wenn man den Mut hat zu glauben, daß man geliebt wird und nicht umsonst gelandet ist in dieser Sphäre. Früher habe ich nicht immer gemacht, was ich wollte, weil ich dachte, ich bräuchte einen Manager, der sich um meine Karriere kümmert, die Gelder unter Kontrolle hat, und was alles dazugehört. Heute weiß ich, daß das alte Sprichwort seine Gültigkeit hat, man soll seinen Dreck nicht von anderen wegkehren lassen. Ich will selbst am Telefon sitzen, und zwar gegen die Meinung von Managern, es sei schädlich für einen Künstler, selbst zu verhandeln. Ich bin jetzt mein eigener Produzent wie Diana Ross, und ich finde es Quatsch, was mir andere Leute erzählen.

Wieviel verlangen Sie für einen Auftritt?

HAGEN: Unlängst sollte ich für 1500 Mark auf einer Münchner Modenschau singen. Eine Unverschämtheit! Unter 5000 geht gar nichts. Eigentlich ist das auch ganz schön billig. Also sagen wir 10 000. Dafür hätte ich "Carmen" und ein paar Lieder von Brecht gesungen. Ich muß doch für all die Künstler, die ich nach Berlin holen will, Wohnungen mieten und Stockbetten kaufen.

Hatten Sie als Mädchen den Ehrgeiz, berühmt zu werden?

HAGEN: Ich war doch berühmt.

Immer schon?

HAGEN: Ja, sicher, im Freundeskreis. Zwischen privat und nicht privat gibt es für mich keinen Unterschied. Die ganze Welt ist privat, denn überall leben Menschen. Als ich noch keine Band hatte, habe ich Kabarett gemacht. Das hieß "Die Knoblauchraspel". Damit sind wir auf privaten Veranstaltungen aufgetreten, denn öffentlich wäre so etwas in der DDR nicht möglich gewesen. Wir haben zum Beispiel Operetten verscheißert. Die Leute haben sich eingepißt, so komisch war das.

Warum hat man Sie aus der FDJ***** ausgestoßen?

HAGEN: Wegen Biermann. Mit mir hatte das gar nichts zu tun. Ich war Teil der Gemeinschaft wie andere Kinder auch, die ganz normale Nina Hagen, wie man sie kennt und liebt.

Darüber haben Sie sich früher anders geäußert.

HAGEN: Wie denn?

Sie sagten, Sie hätten sich rebellisch verhalten.

HAGEN: Das kam dazu. Ich hab meine weiblichen und spiritistischen Fähigkeiten zur Geltung gebracht, denn ich war schon mit dreizehn eine richtige Frau. Mit zwölf hatte ich meinen ersten boyfriend. Also ich hab unglaublich rumgefickt, auch mit westdeutschen Männern, zum Beispiel mit Ulli aus Wuppertal. Der hatte einen Vollbart wie Karl Marx und brachte mir immer ganz tolle Geschenke.

Haben Sie Heimweh nach drüben?

HAGEN: Ich habe einundzwanzig Jahre im Osten gelebt, und ich komme auch wieder rein. Ich verkehre mit Leuten, die drüben wohnen, auf einer unsexuellen, aber hochspirituellen Ebene. Der Rock 'n' Roll in der DDR ist nicht tot. Es gibt dort in ganz tollen kleinen Kaschemmen Punkveranstaltungen, die sich herumsprechen von Person zu Person durch Mundgymnastik, damit es die Geheimpolizei nicht erfährt. Ich habe die nötigen Kontakte schon angebändelt. Ist doch bullshit, mich nicht mehr hineinzulassen, nur weil ich mich damals mit Biermann identifizierte und auf meinen ersten Platten im Westen Wörter gebrauchte, die im DDR-Songbereich nicht vorkommen dürfen. Man muß doch verstehen, daß sich ein junges Mädchen auch mal darüber äußern möchte, daß man Frauen nicht als Fickmaschinen behandeln sollte. Ich habe als Sängerin in der DDR jahrelang das Wort Scheiße auf der Bühne nicht sagen dürfen. Im Westen
konnte ich das endlich tun, ohne andauernd Angst haben zu müssen, daß ich meine Auftrittserlaubnis verliere.

Gefällt es Ihnen hier besser?

HAGEN: Mich stört auch vieles. Was mit wahrer Freiheit gemeint ist, wird mißverstanden, sonst würde man nicht so viel Elektrizität benutzen, sondern mehr im bäuerlichen Menschsein aufgehen, Gärten pflanzen, Theater machen. Es würde mehr Bäume geben und keine Atomkraftwerke. Die Menschen würden sich nicht gegenseitig bekämpfen. Es gäbe keine Leute, die Tiere töten oder kleine Kinder mißbrauchen. Es gäbe auch keine Skinheads, die sich mit rechtsradikalen Kräften verbünden, um zu besprechen, wen sie als nächstes zusammenschlagen.

Sind Sie schon einmal selbst in Gefahr gewesen?

HAGEN: Wenn sie meinen Freund überfallen, gehen sie auch gegen mich los.

Was machen Sie dann?

HAGEN: Ich bete, und die Feinde weichen von meiner Seite.

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*) Im "Stern"

**) Nina Hagen war mit mir, obwohl wir uns noch nie getroffen hatten, sofort per Du. Das Interview fand in Berlin statt, wo sie einen ausrangierten Zirkuswagen bewohnte. Sie hatte Haschisch geraucht und mußte sich mehrmals der Gelüste ihres jungen Freundes ("I want to have Sex with Nina") erwehren.

*** Nina Hagens Mutter ist die Schauspielerin Eva-Maria Hagen, ihr Vater der Drehbuchautor Hans Hagen. Ihr Ziehvater wurde der Liedermacher Wolf Biermann, der zeitweilig mit der Mutter zusammenlebte. 

**** Ferdi Karmelk, holländischer Pop-Musiker, verstarb 1988.

***** „Freie Deutsche Jugend“, staatlich geförderte Jugendorganisation in der DDR

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Erschienen am 8. Mai 1987 unter der Überschrift "Ich bin der Kanal Gottes" in der ZEIT