Interview mit Nana Mouskouri 1987



Sie sind keine Schönheit, treten mit Brille auf, bewegen sich kaum auf der Bühne und sind trotzdem seit Jahrzehnten erfolgreich.

NANA MOUSKOURI: Ja, weil ich mich um Erfolg nie gekümmert habe. Ich wollte kein Star sein. Heute ist man im Showgeschäft ein Produkt, das für den Markt gemacht wird. Ich habe Sänger kommen und gehen sehen. Mich gibt es noch immer, weil ich unverdorben bin. Ich erfinde kein Bild von mir. Ich zeige, was in meinem Herzen ist.

Manche nennen das Kitsch.

MOUSKOURI: Ich weiß. Man hat mich zerstören wollen. Aber zunächst einmal ist das eine Beleidigung der zwei- oder dreitausend Leute, die in ein Konzert kommen, weil ihnen gefällt, was ich mache. Außerdem gehört Kitsch zum Leben. Man sollte das nicht verachten. Der Mensch, auch ein sehr intelligenter Mensch, braucht manchmal Lieder mit dummen Texten, um sich zu entspannen. Ich kann nicht einen ganzen Abend lang ernste Lieder singen. Ich will Fröhlichkeit schenken. Ich will die Wirklichkeit erträglicher machen.

Auch für Sie selbst?

MOUSKOURI: Sicher. Ich bin oft depressiv. Dann schließe ich mich in mein Zimmer ein und weine und singe für mich ganz allein oder trinke ein wenig, manchmal auch mehr.

Wie weit kann das gehen?

MOUSKOURI: Ich kenne meine Grenzen, und ich hatte es nie nötig, Drogen zu nehmen. Denn das Singen ist meine Droge. Wenn ich singe, kann ich mich so sehr fallen lassen, daß mir die Tränen kommen. Deshalb habe ich auf der Bühne immer ein Taschentuch dabei. Wenn ich singe, liefere ich mich vollkommen aus. Das ist wie eine Selbstreinigung. Ich habe starke Gefühle. Ich bin kein intellektueller Mensch. Ich lese kaum Bücher, nicht einmal Zeitungen. Vielleicht ist es deshalb etwas langweilig, mit mir zu sprechen.

Finde ich nicht.

MOUSKOURI. Es hat sich schon ein wenig gebessert, denn ich bin vielen bedeutenden Menschen begegnet, die mich angeregt haben, Theaterstücke zu lesen von Brecht, Lorca oder Tennessee Williams. Aber meine Herkunft ist schlicht. Mein Vater war Filmvorführer und drückte sich oft sehr vulgär aus, besonders, wenn er wütend war. Meine Eltern stritten oft. Deshalb hasse ich  ordinäre Wörter. Als meine Kinder aus der Schule kamen und plötzlich “Scheiße” sagten, war ich schockiert. Ich bat sie, stattdessen “Blume” zu sagen, das rieche besser. Nun können Sie mich ruhig prüde nennen. Aber gewisse Wörter kommen mir einfach nicht über die Lippen. Ich singe zum Beispiel nie über Sex. Es gibt Dinge im Leben, die ihr Geheimnis verlieren, wenn man über sie spricht. Die Sexualität ist heute so uninteressant geworden, weil sie von vielen rein animalisch betrieben wird.

Sind Sie religiös?

MOUSKOURI: Ich glaube an Gott. Ich bin religiös aufgewachsen. Ich glaube auch an die Wiedergeburt und an den Einfluß der Sterne. Aber bei einem Astrologen war ich noch nie. Ich will nicht wissen, was mir bevorsteht.

Was war im Leben Ihre größte Niederlage?

MOUSKOURI: Die größte private Enttäuschung war meine Ehe*. Sie hat siebzehn Jahre gedauert, aber das lag allein an meiner Erziehung. Ich bin so erzogen, daß ich eine Scheidung für ganz unmöglich hielt. In Griechenland sind die Frauen nicht gleichberechtigt. Ich mußte die Freiheit erst lernen. Meine Scheidung hat mich erwachsen gemacht. Ich weiß heute, daß ich auch ohne Mann leben kann. Ich habe zwar einen Lebensgefährten, der auch mein Produzent ist, und ich bin froh darüber. Ich liebe es, mich an seine starke Schulter zu lehnen. Aber würde ich ihn verlieren, wäre ich nicht so verzweifelt, daß ich sofort auf die Straße liefe, um mir einen neuen zu suchen. Ich habe mich emanzipiert.

Und Sie sind finanziell unabhängig.

MOUSKOURI. Das war ich immer, aber das war nicht ausschlaggebend. Geld ist nicht Freiheit. Ich habe, als ich jung war, Armut erlebt, und ich kann heute angenehm leben. Aber das Entscheidende ist, das jemand gerne tut, was er macht. Auch eine Hausfrau kann kreativ sein oder eine Hure, warum nicht? Hauptsache, man verletzt niemanden und hat Spaß an der Arbeit. Ich halte viel von der Frauenbewegung, aber ich will nicht wie Lysistrata gegen die Männer kämpfen. Ich bin keine Politikerin. Ich bin nicht Melina Mercouri**, obwohl ich mit ihr gut befreundet bin. Sie wurde zur Politik erzogen. Ihr Vater war Politiker. Sie hat es im Blut. Sie ist eine Kämpferin, und sie ist ehrlich. Das gefällt mir. Es gibt heute eine Menge Opportunisten unter den Künstlern, die sich nur deshalb politisch äußern, weil sie denken, es nütze ihrer Karriere. Zu diesen Leuten möchte ich nicht gehören. Ich verschweige zwar nicht, daß ich unseren gegenwärtigen Ministerpräsidenten Papandreou für einen Unglückfall halte. Aber das würde ich nie auf der Bühne sagen. Denn ich stehe nicht da oben, um für eine bestimmte Partei zu werben, sondern ich  möchte Liebe geben.

Auch Liebe bekommen?

MOUSKOURI: Ja, sicher. Alles, was der Mensch tut, tut er, damit er geliebt wird. Auch wenn Sie ein Interview schreiben, tun Sie es, um geliebt zu werden. Selbst mein Friseur möchte, daß ich ihn dafür liebe, daß er mir die Haare schneidet. Man muß nur bereit sein, die Liebe anzunehmen. Dazu war ich lange Zeit nicht bereit. Ich hatte Angst. Zu Beginn meiner Karriere trug ich eine Sonnenbrille beim Singen, um mich zu verstecken. Meine Hände hatte ich am Rücken mit einer Schnur  zusammengebunden, weil ich nicht wußte, was ich mit ihnen anfangen sollte. Ich war scheu wie ein wildes Tier. Heute bin ich gezähmt. Das Publikum hat aus mir eine zutrauliche Hauskatze gemacht.

Sie haben sich angepaßt.

MOUSKOURI: Nein, nicht angepaßt. Ich habe Vertrauen gewonnen. Das ist etwas anderes. Angepaßt war ich nie. Als man mir sagte, ich könnte mich unmöglich auf der Bühne mit Brille zeigen, habe ich es trotzdem getan, weil ich von Haftschalen brennende Augen bekomme. Ich war ein kleines, dickes, häßliches Mädchen. Da dachte ich, Ella Fitzgerald ist noch dicker und Maria Callas nicht weniger häßlich. Ich habe gelernt, mich zu akzeptieren, so wie ich bin. Ich bin weder Marilyn Monroe noch Tina Turner. Ich habe nur meine Stimme.

Die Brille ist heute Ihr Markenzeichen.

MOUSKOURI: Ja, ich bin ein wenig der Sklave meiner Brille geworden. Aber ich versuche zu variieren. Zu hellen Kleidern trage ich eine helle Fassung.

Was mögen Sie an sich selbst am wenigsten?

MOUSKOURI. Ich sollte öfter nein sagen können. Es gelingt mir nicht immer, meine Autoren davon zu überzeugen, was ich ausdrücken möchte. Aber ich kann durch die Art meines Gesangs auch einen Text, der mir nicht gefällt, so singen, daß er gehaltvoll klingt. Man hat gesagt, ich  könnte auch das Telefonbuch singen und es würde gut klingen.

Warum schreiben Sie nicht selbst Ihre Texte?

MOUSKOURI: Dazu bin ich nicht genug selbstbewußt. Ich mache mir manchmal Notizen, schreibe einen Gedanken auf. Aber das zeige ich niemandem. Meist sind das traurige Sätze. Ich trage, obwohl ich ein optimistischer Mensch bin, die Probleme der ganzen Welt auf meinen Schultern. Ohne meine Musik würde ich unter der Last zusammenbrechen. Die Musik ist meine Therapie. Außerdem habe ich zwei herrliche Kinder. Wenn ich daran denke, daß mein Sohn Nicolas, als ich 1967 zum erstenmal im Pariser “Olympia” auftrat, in meinem Bauch war, und jetzt ist er neunzehn, kann ich es fast nicht glauben. Ich war schwanger im sechsten Monat. Mein Arzt sagte, mit dem Singen aufzuhören, wäre gefährlich, weil ich dann zu viel nachdenken würde. Ich hatte vorher drei Fehlgeburten.

Weil sie zuviel dachten?

MOUSKOURI: Ja, es hatte psychische Gründe. Ich kenne Frauen, die sich innerlich das Glück der Schwangerschaft nicht erlauben. Auch ich glaubte damals, nicht das Recht zu haben, glücklich zu sein. Ich hatte Schuldkomplexe. Noch heute bestrafe ich mich, wenn es mir gut geht, indem ich auf der Bühne die Stimme verliere. Das hat mit meiner Kindheit zu tun. Ich bin im Krieg aufgewachsen. Griechenland war von den Deutschen besetzt. Ich habe viel Leid gesehen. Man darf doch eigentlich gar nicht glücklich sein, wenn man daran denkt, ich welch einer schrecklichen Welt wir leben.

Können Sie wütend sein?

MOUSOURI: Ja, auf mich selbst, wenn ich Fehler mache. Dann stelle ich mich vor den Spiegel und schimpfe mit mir. Ich kann auch schreien. Ich habe sogar einmal ein Mikrophon zertrümmert.

Kaum zu glauben!

MOUSKOURI: Doch, es stimmt. Ich bin sehr extrem. Wäre ich Opernsängerin, würde ich am liebsten die Tosca oder die Traviata singen. In mir schlummern Leidenschaften, die ich gern ausleben würde. Aber dazu reicht meine Stimme nicht. Ich habe nicht das Volumen. Meine Stimmbänder vibrieren nicht richtig. Das ist eine angeborene Deformation. Ärzte, die meinen Hals untersuchen, fragen mich immer, wie es möglich war, mit so häßlichen Stimmbändern diese Karriere zu machen.

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*)  Von 1960 bis 1977 war Nana Mouskouri mit dem Gitarristen und Komponisten Georgios Petsilas verheiratet.


**) Melian Mercouri (1925 - 1994), Filmschauspielerin und Sängerin, von 1981 bis 1989 und von 1993 bis 1994 Kulturministerin Griechenlands

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Erschienen am 11. Februar 1987 in der Zeitschrift „Brigitte“