Interview mit Michel Houellebecq



Ein Gespräch mit Michel Houellebecq, dem Enfant terrible der französischen Literatur, ist ein Kampf gegen das Schweigen. Denn eigentlich will dieser Mann, dem der Skandal vorauseilt wie eine gut inszenierte Werbekampagne, nur schlafen. Murmelnd läßt er die Sätze, die er sich abringt, in das Mikrophon, das der Interviewer unter sein ausdrucksloses Gesicht geschoben hat, tröpfeln. Vor jedem Satz denkt er sehr lange nach. Das Vergnügen, befragt zu werden, das sich gelegentlich in einem verschämten Lächeln verrät, steht im Widerspruch zu der Qual, die ihm das Denken bereitet. Am liebsten würde ihn der Interviewer von der Qual des Denkens befreien, bis er erkennt: Dieser seltsame Mensch, der ihm da kettenrauchend gegenübersitzt, leidet gern.

Mit sanftem Blick wiederholt er den skandalösen Unfug, mit dem er in seinem letzten Roman "Plattform", der soeben auf deutsch erschienen ist, den Wirbel um seine Person aufs neue entfachte: Der Sextourismus in Länder, wo die Armut keine andere Wahl läßt, als den eigenen Körper als Ware in den kapitalistischen Kreislauf von Angebot und Nachfrage einzuschleusen, eröffne die Chance zu einem phantastischen Tauschgeschäft. Frustrierte Europäer bedienen sich auf dem Markt der käuflichen Liebe, und das sei gut so.

Wer das nicht begreifen will, Feministinnen und Moslems zum Beispiel, die das Heil erst im Jenseits erwarten, wird als hoffnungslos rückständig und primitiv beschimpft. Die Welle der Empörung, die solchen Attacken folgt, ist berechenbar. Sie garantiert den Eklat, den der leidende Künstler mit heimlicher Freude genießt.

Houellebecq, 1958 auf La Réunion geboren, hat einen Teil seiner Jugendjahre in psychiatrischen Anstalten verbracht. Bevor er es mit seinen Romanen "Ausweitung der Kampfzone" (1994) und "Elementarteilchen" (1998) zum gefeierten Skandalautor brachte, veröffentlichte der gelernte Informatiker kaum beachtete Lyrikbände, aus denen er neuerdings, getragen von der Woge das Ruhms, das eine und andere Stück in einer Art Sprechgesang vorträgt. Auch eine CD gibt es schon. Er hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe, über den er nicht spricht, weil sich der Sohn das verbeten hat. Seit drei Jahren lebt er mit seiner zweiten Frau, Marie-Pierre, einer ehemaligen Verlagsangestellten, in einem Landhaus bei Dublin.

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Sie beschreiben sich als einen zutiefst depressiven Menschen. Der Lebensüberdruß ist in Ihren Texten das vorherrschende Thema. Haben Sie je versucht, sich das Leben zu nehmen?

HOUELLEBECQ: Nein.

Warum nicht?

HOUELLEBECQ: Weil ich gegen den Selbstmord bin.

Hat Ihnen das Schreiben geholfen?

HOUELLEBECQ: Zweifellos. Jemand, der ein Buch abgeschlossen hat, befindet sich danach in einem völlig anderen Zustand als dem, den er beschrieben hat. Er bannt das Unglück, indem er es beschreibt.

In Ihrem ersten Roman "Ausweitung der Kampfzone" sagen Sie: "Das Schreiben bringt kaum Erleichterung."

HOUELLEBECQ: Ich gebe zu, daß ich da übertrieben habe. Aber, wenn ich mich recht erinnere, sage ich auch, daß das Schreiben das Chaos ein wenig in Grenzen hält. Das ist nicht viel, aber es ist ein kleiner Erfolg.

Auf Ihren Lesungen machen Sie einen fast fröhlichen Eindruck.

HOUELLEBECQ: Ich wirke so gut gelaunt, weil meine Bücher sich gut verkaufen.

Den Helden des Romans, dem Sie Ihren Weltrum verdanken, "Elementarteilchen", bewahrt die Freude am Sex vor dem Selbstmord. "Bis zum letzten Augenblick", heißt es da", würde er um eine kleine Zugabe bitten... Eine gut ausgeführte Fellatio blieb, so nutzlos sie auch auf  lange Sicht war, ein wahres Vergnügen."

HOUELLEBECQ: Ja, die Sexualität ist sicher ein guter Grund, sich nicht umzubringen.

Sie sind glücklich verheiratet...

HOUELLEBECQ: Es geht.

... aber in Ihrem letzten Roman, "Plattform", behaupten Sie, der Mensch sei nicht für das Glück geschaffen.

HOUELLEBECQ: Ich sage, er ist physisch nicht für das Glück geschaffen. Es müßte eine neue Art Mensch erfunden werden. Vor hunderttausend Jahren hat sich die Menschheit genetisch sehr rasch entwickelt. Danach geschah bis heute fast nichts, weil die Kultur die Funktion des Fortschritts übernommen hat. Ich hätte nichts dagegen, wenn die genetische Evolution jetzt wieder beginnt. Die Menschheit müßte sich zu einer anderen Spezies fortentwickeln. Ich sehe keinen Grund, diese Möglichkeit auszuschließen.

Wie sähe diese Spezies aus?

HOUELLEBECQ: Das menschliche Gehirn müßte verändert werden, damit wir aufhören, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Ich meine nicht, daß die Welt sinnlos ist, aber die Frage nach dem Sinn muß verschwinden, weil es darauf keine Antwort gibt.

Wie wollen Sie das erreichen?

HOUELLEBECQ: Es ist doch sicher so, daß die Frage nach dem Sinn mit dem Sterben zusammenhängt. Der Mensch hat das Universum erforscht. Er weiß heute, wie sich die Sterne und die Planeten gebildet haben. Das ist doch ganz gut gelungen, und ich meine, daß das genügt. Ich halte die Frage, welchen Sinn das ganze hat, für infantil.

Sie wünschen sich, damit die Sinnfrage entfällt, die Unsterblichkeit.

HOUELLEBECQ: Ja.

Sie wollen durch das Klonen von Menschen den Tod abschaffen.

HOUELLEBECQ: Ja, aber ich fürchte, der menschliche Geist ist so krank, daß nicht einmal die Abschaffung des Todes ausreichen würde, uns glücklich zu machen.

Auguste Comte, auf den Sie sich gern berufen, hat die Menschheitsentwicklung in drei Stadien eingeteilt. Am Anfang steht das religiöse Stadium. Es folgt das metaphysische. Die Krönung ist das wissenschaftliche Stadium, in dem wir nun angekommen sind.

HOUELLEBECQ: Nein, da sind wir noch nicht angekommen. Wir befinden uns noch im metaphysischen Stadium. In das wissenschaftliche werden wir erst dann eintreten, wenn wir aufhören zu fragen, was hinter den Naturgesetzen steht. Wir sollten uns damit zufriedengeben, sie zu beschreiben.

Aber Sie können doch, da unsere Sprache auf dem Vergleich beruht, etwas nur beschreiben, indem Sie das Gegenteil einbeziehen. Glück erleben wir nur, weil wir das Unglück kennen, Frieden nur durch den Krieg. Den Begriff der Unsterblichkeit gibt es nur, solange wir sterblich sind.

HOUELLEBECQ: Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht müßten wir eine neue Sprache erfinden. Ein Tier kann glücklich sein, ohne zu wissen, was Unglück ist. Es kann mit Vergnügen fressen, ohne zu begreifen, was Hunger bedeutet.

Der Mensch ist ein krankes Tier, sagt Rousseau...

HOUELLEBECQ: Dem kann man nicht widersprechen.

Sollen wir uns zu Tieren zurückentwickeln?

HOUELLEBECQ: Das wäre doch angenehm. Wir müssen lernen zu schauen, ohne zu fragen. Aber das sind nur Gedankenspiele. Ich mache Vorschläge. Ich biete keine Lösungen an.

Das heißt, wir müssen uns vorerst damit abfinden, denkbegabte Wesen zu sein, die sich bestenfalls, wie Pascal rät, zerstreuen können.

HOUELLEBECQ: Ja, leider.

Ein Mittel zur Zerstreuung, das Sie nie enttäuscht hat, ist Alkohol.

HOUELLEBECQ: Ja, aber ich muß zugeben, daß auch der Sex bei mir gut funktioniert. Ein Orgasmus wirkt, wenn er gut ist, wie Morphium. Man muß nur darauf achten, daß der Koitus lang genug dauert, um zur vollen Erschöpfung zu kommen und den ersehnten glücklichen Schlaf zu finden. Wenn es zu schnell geht, ist der Mann danach traurig. Man nennt das die postkoitale Traurigkeit. Ein brauchbares Mittel dagegen sind Präservative, weil sie die Empfindung beim Vögeln verringern und dadurch den Orgasmus verzögern.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie aus dem glücklichen Schlaf wieder erwachen?

HOUELLEBECQ: Schrecklich! Das Erwachen ist schrecklich. Das ist mein größtes Problem. Ich brauche dann sehr viel Kaffee. Es ist wie eine unangenehme Geburt. Kinder hüpfen, wenn sie erwachen, manchmal wie kleine Tiere ganz glücklich ins Leben zurück. Sie freuen sich, die Welt wiederzufinden. Aber im allgemeinen muß man sagen, daß es im Schlaf schöner ist. Die Rückkehr in die Bewußtheit ist kaum zu ertragen. Das ist ein schwerwiegendes Argument gegen das Leben.

In einem Interview mit dem französischen Kunstmagazin "Art press" sagen Sie, Kant zitierend, nur das Pflichtgefühl kann uns am Leben halten. Um sich mit einer praktischen Pflicht zu versehen, müsse man es so einrichten, daß das Glück eines anderen von der eigenen Existenz abhängt.

HOUELLEBECQ: Ja, ich schlage vor, sich einen Hund zuzulegen. Denn es sind ja vor allem alte Menschen, die sich das Leben nehmen. Da kann ein Hund nützlich sein.

Ich bin fünfundfünfzig.

HOUELLEBECQ: Fabelhaft!

Muß ich mir nun einen Hund anschaffen?

HOUELLEBECQ: Nein, fünfundfünfzig ist doch nicht alt. Ich sprechen von Leuten, die schon in Rente sind.

Also habe ich noch zehn Jahre Zeit.

HOUELLEBECQ: Genau! Wenn Sie dann achtzig werden, und Ihr Hund lebt fünfzehn Jahre, sterben Sie gleichzeitig mit ihm. Das ist doch wunderbar.

Wäre Ihre Frau nicht Grund genug, sich nicht umzubringen?

HOUELLEBECQ: Oh, doch. Aber ein Hund ist die bessere Lösung, denn Frauen können sehr gut alleine leben. Was aber macht mein armer kleiner Hund, wenn ich tot bin?

Sie haben schon einen?

HOUELLEBECQ: Ja, einen Corgy. Schopenhauer hatte einen Pudel. Damals gab es noch nicht so viele Hunderassen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

HOUELLEBECQ: Natürlich kenne ich Todesangst, aber schlimmer finde ich, daß der Tod mit Trennung verbunden ist. Die Trennung bezeichne ich als das Böse. Die Tatsache, daß ich durch den Tod jemanden verlieren kann, stört mich sehr. Deshalb war die mutigste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe, mir einen Hund zuzulegen. Der Gedanke, daß ich ihn überleben werde, bedrückt mich mehr als der Gedanke an den eigenen Tod.

Ist Ihnen Ihre Frau nicht wichtiger als Ihr Hund?

HOUELLEBECQ: Doch, schon.

Warum verschweigen Sie das? Warum sprechen Sie dauernd von Ihrem Hund?

HOUELLEBECQ: Weil mein Hund keine Zeitungen lesen kann.

Sie scherzen.

HOUELLEBECQ: Ich versuche es.

In einem Ihrer Gedichte steht: "Ich scherze am Rande des Selbstmords."

HOUELLEBECQ: Oh ja, ich erinnere mich.

In "Elementarteilchen" schreiben Sie: "Humor kann niemanden retten... Egal wieviel Mut, Gelassenheit oder Humor man im Laufe seines Lebens entwickelt hat, am Ende bricht es einem doch immer das Herz."

HOUELLEBECQ: Ja, ich glaube, daß der Humor letztlich nichts nützt. Eine meiner stärksten Obsessionen ist die Überzeugung von der Nutzlosigkeit des Humors. Das Lachen ist oft nur eine nervöse Reaktion auf die Verzweiflung.

Die Verzweiflung ist am fürchterlichsten witzig.

HOUELLEBECQ: Wer sagt das?

Novalis.

HOUELLEBECQ: Dem stimme ich zu. Ich gehöre zu den Menschen, die zum Beispiel in lautes Lachen ausbrechen, wenn sie ein Attentat sehen. Aber das ist nicht außergewöhnlich. Das ist sehr verbreitet.

Mußten Sie lachen, als Sie die Schreckensbilder vom 11. September sahen?

HOUELLEBECQ: Nein, ich war wie erstarrt. Ich war versteinert durch die Ästhetik des Vorgangs. Es gibt Menschen, die, wenn sie einen Vulkanausbruch aus der Nähe sehen, so fasziniert sind, daß sie mitverbrennen, statt sich zu retten. Zu diesen Menschen gehöre ich. Ich brauchte einige Zeit, um mich von den Bildern der brennenden Türme zu lösen. Erst danach konnte ich mir über die politischen Hintergründe Gedanken machen.

Sie mögen die Amerikaner nicht.

HOUELLEBECQ: Es war eine komplizierte Situation, denn obwohl ich die Amerikaner und ihre Werte nicht ausstehen kann, betrachte ich sie als das geringere Übel. Mein Abscheu gegen die Islamisten war größer.

Ihr Angriff auf den Islam hat Ihnen ein Verfahren wegen Anstiftung zum Rassenhaß eingebracht. Trotzdem wiederholen Sie ihn.

HOUELLEBECQ: Das hat wahrscheinlich moralische Gründe.

Sie lassen sich das Wort nicht verbieten.

HOUELLEBECQ: Ich habe eine Begabung, die Selbstzensur auszuschließen. Aber es geht mir nicht gut dabei. Ich fürchte, ein Star im negativen Sinne zu werden. Ich habe Angst.

Angst vor Vergeltung?

HOUELLEBECQ: Ja, ich will nicht gekreuzigt werden. Ich würde das lieber vermeiden, aber das hängt nicht von mir ab. Ich kann nicht anders. Ich bin so größenwahnsinnig, zu glauben, daß man mir irgendwann recht geben wird. Man wird eine Weile schockiert sein, aber dann wird man erkennen, daß ich das Richtige sage. Denn es stimmt doch, daß die monotheistischen Religionen idiotisch sind, und am dümmsten ist der Islam. Es ist doch offensichtlich, daß Gott nicht existiert. Das wird man begreifen. Ich bin ein optimistischer Megalomane.

In Ihrem Roman "Plattform" verüben islamische Terroristen ein Attentat auf westliche Sextouristen, bei dem die Geliebte des Helden getötet wird. Man hat den Eindruck, als wäre das eine verdiente Strafe.

HOUELLEBECQ: Finden Sie?

Sie schreiben: "Als wohlhabender Europäer konnte ich in anderen Ländern für einen geringen Preis Nahrung, Dienstleistungen und Frauen erwerben. Als dekadenter Europäer sah ich... keinen Grund, darauf zu verzichten. Ich war mir aber auch bewußt..., daß Menschen wie ich unfähig waren, das Überleben einer Gesellschaft zu gewährleisten, und im Grunde sogar des Lebens nicht würdig waren." Erinnern Sie sich an die Stelle?

HOUELLEBECQ: Ja, doch. Es ist nicht angenehm, aber irgendwie stimmt es.

Sie propagieren den Sextourismus, aber Sie fühlen sich nicht ganz wohl dabei.

HOUELLEBECQ: Ich bin etwas gespalten.

Das wird übersehen, wenn man Sie attackiert.

HOUELLEBECQ: Man hält mich für einen Provokateur.

In Wahrheit sind Sie ein von Selbsthaß Zerrissener.

HOUELLEBECQ: Das Wort "Haß" ist falsch. Ich verachte mich eher. Das sind sehr verschiedene Dinge.

Sie schämen sich.

HOUELLEBECQ: Ja, immer. Ich bin vielleicht masochistisch. Jedesmal, wenn ich mich beklage, schäme ich mich dafür.

Ihr Freund, der Schriftsteller Frédéric Beigbeder, behauptet, Sie lieben es, bedauernswert und abstoßend zu wirken.

HOUELLEBECQ: Oh ja, das liebe ich sehr.

Sie hätten, so Beigbeder, in Ihrer Kindheit unsagbar gelitten, jeder normale Mensch hätte sich umgebracht.

HOUELLEBECQ: Das klingt gut. Das gefällt mir. Aber es stimmt nicht. Nietzsche hat über Wagner gesagt, daß er schauspielerisches Talent besäße. Das trifft auch auf mich ein wenig zu. Im Grunde erinnere ich mich an nichts. Ich habe so viel gelogen, daß ich nicht mehr weiß, was wahr ist, was nicht. Je älter ich werde, desto schlimmer wird es. Man erinnert sich an das eigene Leben, wenn man älter wird, wie an einen Roman, den man gelesen hat. Der Respekt vor der Wahrheit wird, wenn man Bücher schreibt, immer geringer.

Stimmt es nicht, daß Sie von Ihren Eltern, als Sie fünf waren, verlassen wurden?

HOUELLEBECQ: Doch, das stimmt. Sie haben mich bei meiner kommunistischen Großmutter abgegeben. Aber die war sehr nett zu mir. Ich jammere gern, weil ich gern bemitleidet werde. Deshalb habe ich meine Kindheit und Jugend ein bißchen dramatisiert.

In einem Gedicht über Ihren Vater schreiben Sie: "Er hat mich behandelt wie eine Ratte, die man vertilgen will."

HOUELLEBECQ: Das ist doch ein starkes Bild. Ich bin zufrieden damit.

Ihr größtes Problem als junger Mann war, daß Sie sich häßlich, mittelmäßig und langweilig fanden. Kein Mädchen wollte mit Ihnen schlafen.

HOUELLEBECQ: Ja, ich fühlte mich, da meine Eltern mich abgelehnt hatten, nicht liebenswert.

Seit Sie ein Star sind, haben Sie keine Schwierigkeiten mehr, Sexpartnerinnen zu finden.

HOUELLEBECQ: Ach, wirklich?

Sie haben es selbst gesagt.

HOUELLEBECQ: Ich habe so viel gesagt. Man sollte dem, was ich sage, nicht immer Glauben schenken. Tatsächlich hat sich, was mein Sexleben betrifft, nur wenig geändert. Aber da man es indezent findet, wenn ein Star sich beklagt, habe ich mir angewöhnt, zu sagen, alles sei gut. Man ist, wenn man berühmt ist, gezwungen, so zu tun, als wäre man glücklich, weil die Leute sonst kommen und sagen, du hast doch alles, warum beklagst du dich? Das ist schade. Ich würde viel lieber immer so weiterjammern.

Die amerikanische Journalistin Emily Eakin hat berichtet, Sie hätten sie, statt sich interviewen zu lassen, zum Geschlechtsverkehr überreden wollen.

HOUELLEBECQ: Ja, aber diese Dame war völlig neurotisch. Ich hatte ihr erzählt, daß ich in Swingerclubs gehe. Zuerst wollte sie mitgehen, dann wieder nicht.

Sie haben sich während des Interviews angetrunken und sind mittendrin eingeschlafen.

HOUELLEBECQ: Ja, diese Frau hat mich wirklich genervt.

Heute sind Sie ganz aufgeweckt...

HOUELLEBECQ: Nicht mehr lange.

... und Sie trinken nicht.

HOUELLEBECQ: Aber bald.

Nehmen Sie Antidepressiva?

HOUELLEBECQ: Zur Zeit nicht. Die Depression ist ein Leiden, gegen das Medikamente nur wenig helfen. Es gibt Angstzustände, gegen die man mit Psychopharmaka vorgehen kann. Doch im Moment brauche ich das nicht. Das beste Mittel gegen die Angst ist die Gleichgültigkeit. Die Gleichgültigkeit ist meine hervorstechendste Eigenschaft. Sie ist ein nützlicher Dämon, weil sie gegen die Hellsichtigkeit schützt, die aus der Bewußtheit kommt.

Gehen Sie noch immer in Swingerclubs?

HOUELLEBECQ: Ja, zur Ablenkung. Es ist ein schöner Zeitvertreib. Ich mag das gern.

Ist Ihre Frau damit einverstanden?

HOUELLEBECQ: Sie ist manchmal eifersüchtig, aber das bin ich auch. Die Eifersucht ist, wenn man liebt, unausweichlich. Man muß nur aufpassen, daß sie nicht für die Beziehung gefährlich wird.

Ihre Kollegin Catherine Millet, die ein Buch über ihre sexuellen Abenteuer geschrieben hat, trennt Sex von Liebe. Sie meint, daß Männer die Sexualität idealisieren.

HOUELLEBECQ: Madame Millet ist eine intelligente Frau, die ich sehr schätze. Aber ihre These, daß es Sex ohne Liebe gibt, ist ein altes Klischee. Sie ist davon besessen, mehrere Schwänze gleichzeitig um sich zu haben. Doch selbst in Swingerclubs ist eine gewisse Sympathie nötig, damit der Sex funktioniert. Das Angenehme an der Sexualität ist, daß sie auf einem sehr simplen Prinzip beruht, nämlich der Übereinstimmung des Begehrens der daran Beteiligten. Mehr ist es nicht.

Und was ist Liebe?

HOUELLEBECQ: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Liebe ist Mitgefühl. Sie ist das einzige, das mich aus meiner Gleichgültigkeit herausholen kann.

In "Elementarteilchen" entwerfen Sie eine Art Religion der Liebe. "Die Liebe verbindet", heißt es da, "und sie verbindet für immer." Seltsamerweise kann die Person, der Sie das in den Mund legen, nicht lieben.

HOUELLEBECQ: Warum ist das seltsam?

Ein zur Liebe Unfähiger malt sich eine heile Welt voller Liebe aus.

HOUELLEBECQ: So ist es doch immer.

Ich halte die aus kranken Hirnen geborenen Heilsversprechungen für gefährlich.

HOUELLEBECQ: Ich auch. Aber alles, was wir entwerfen, ist aus kranken Hirnen geboren. Das menschliche Hirn ist an sich eine Krankheit. Es ist ein wucherndes Krebsgeschwür, und es erzeugt, wenn wir es nicht zügeln, das Böse.

Wissen Sie so genau, was gut und was böse ist?

HOUELLEBECQ: Das ist doch ganz einfach.

Ich bin mir da nicht so sicher.

HOUELLEBECQ: Hitler und Napoleon waren bestimmt böse Menschen.

Das hätten sie aber von sich selbst nicht gesagt.

HOUELLEBECQ: Hitler wollte den Krieg um des Krieges willen, und ich glaube, er hätte das einem Gesprächspartner gegenüber, dem er vertraute, auch eingestanden. Er wäre aber nicht so weit gegangen wie Napoleon, der, als er ein Schlachtfeld voller Leichen sah, sagte: "In einer Pariser Nacht wird das wieder bevölkert werden." Napoleon war schlimmer als Hitler.

Ist das Ihr Ernst?

HOUELLEBECQ: Ich sage das nicht zum erstenmal.

Wie reagieren Ihre Landsleute auf solche Vergleiche?

HOUELLEBECQ: Es hat sich niemand sonderlich aufgeregt. In Deutschland ist das ein Thema, in Frankreich nicht. Die Deutschen haben eine spezielle Begabung für Schuldgefühle. Kein anderes Volk wünscht die eigene Vernichtung so sehr wie die Deutschen, und sie haben es ja beinahe geschafft, sich auszulöschen. Dieser Selbstvernichtungswunsch rührt mich.

Weil Sie sich darin wiedererkennen.

HOUELLEBECQ: Vielleicht.

"Ich werde fallen", schreiben Sie in einem Gedicht, "und zwar von eigener Hand."

HOUELLEBECQ: Das habe ich geschrieben, aber ich werde es nicht in die Tat umsetzen. Ich werde wie ein Tier mein Leben zu Ende leben.

"Meine Hand geleitet mich zum Tod", heißt es an anderer Stelle.

HOUELLEBECQ: Damit meine ich die Selbstbefriedigung. Das ist ein interessantes Thema. Denn jede Selbstbefriedigung ist eine Art Selbstmord. Deshalb mag ich das nicht. Ich mag keinen Sex mit mir selbst. Aber es würde mir sehr gefallen, ein Hermaphrodit zu sein. Es ist schade, daß wir unser Geschlecht nicht wählen können. Ich wäre hin und wieder gern eine Frau. Ich möchte eine Vagina haben.

Sie wollen gebären können.

HOUELLEBECQ: Nein, aber ich verspüre manchmal große Lust, penetriert zu werden.

Leiden Sie unter Imopotenz?

HOUELLEBECQ: Nein, nie, aber das ist kein Wunder in meinem Alter.

Sie meinen, das kommt noch?

HOUELLEBECQ: Das kommt bestimmt. Ich habe noch genug Jahre vor mir, um die Impotenz zu erleben. Aber man muß sich ja nicht darauf versteifen, die Frau mit dem Schwanz zu befriedigen. Ich glaube, die Männer werden impotent, weil sie zu viele Pornos sehen. Sie wollen so perfekt wie die Darsteller in diesen Filmen sein. Das überfordert sie.

Sie fühlen mit den Männern.

HOUELLEBECQ: Ich finde, sie sollten von sich nicht zu viel verlangen.

Über Frauen, die Ihren Ansprüchen nicht genügen, äußern Sie sich wenig verständnisvoll.

HOUELLEBECQ: So?

"Eine schöne, sanfte Möse", schreiben Sie, "willig, geschmeidig und muskulös", finde man bei westlichen Frauen nicht mehr.

HOUELLEBECQ: Ja, aber das sage nicht ich, das sagt eine Romanfigur, die schlechte Erfahrungen gemacht hat mit westlichen Frauen. Es stimmt, daß die Möse der Europäerin oft zu schlaff ist. Aber das kann man ändern. Man kann die Muskeln trainieren. Man braucht nur fünf Minuten pro Tag. Das ist ganz einfach. Das könnten westliche Frauen genauso gut wie die Asiatinnen.

Ich würde mich scheuen, das zu verlangen.

HOUELLEBECQ: Sie haben offenbar Probleme damit, daß Frauen etwas für Männer tun.

Ja, mehr als Sie.

HOUELLEBECQ: Das ist doch furchtbar! Sie dürfen es nicht als Altruismus betrachten, wenn eine Frau einem Mann Freude bereitet. Frauen haben Spaß daran, einen Mann zu befriedigen, weil es ihnen das berauschende Gefühl gibt, über ihn Macht zu haben.

Ach!

HOUELLEBECQ: Wenn die Interessen in die gleiche Richtung zielen, ist das doch wunderbar.

In Ihren Romanen teilen Sie die Frauen in drei Kategorien ein: in solche, die für den Mann unnütz sind, weil sie nicht mit ihm schlafen wollen...

HOUELLEBECQ: So könnte man sagen.

... in solche, die er kaufen kann...

HOUELLEBECQ: Nicht kaufen. Eine Nutte kann man nur mieten. Da muß man genauer sein.

... und in solche, deren einziges Ziel es ist, ihn glücklich zu machen.

HOUELLEBECQ: Was stört Sie daran?

Mich stört, daß Sie den Wert einer Frau nur danach bemessen, welchen Nutzen sie für den Mann gerade hat.

HOUELLEBECQ: Das ist doch nicht schlimm. Ich werde auch gern benutzt. Ich wäre gern öfter ein Sexobjekt. In meinen Romanen erfülle ich mir diesen Traum. Ich erschaffe mir die ideale Geliebte.

Sie sind ein Märchenerzähler.

HOUELLEBECQ: Ja, aber das sind sehr leidenschaftliche Märchen.

Am Schluß müssen Ihre Märchenprinzessinnen, damit der Mann sich bedauern kann, immer sterben.

HOUELLEBECQ: Das habe ich nicht gewollt. Das hat rein formale Gründe. Der Erzähler in "Plattform" sagt am Schluß: "Man wird mich vergessen. Man wird mich schnell vergessen." Das könnte er nicht sagen, wenn die Frau noch am Leben wäre. Es gab keine andere Lösung. Ein glückliches Ende wäre der Geschichte nicht angemessen.

Weil es Kitsch wäre?

HOUELLEBECQ: Nein, dagegen hätte ich nichts. Ich bin nicht gegen Kitsch. Ein Happy End im Kino gefällt mir gut. Von einer gewissen Warte aus betrachtet, können Sie alles als Kitsch bezeichnen. Jedes Gefühl ist, wenn Sie so wollen, Kitsch. Auch Reden ist Kitsch. Eine Meinung zu vertreten, ist Kitsch. Um nicht kitschig zu sein, müßte man eine Geschichte vollkommen steril erzählen.

Das haben Sie in Ihrer früheren Prosa versucht.

HOUELLEBECQ: Jetzt will ich das nicht mehr. Ich möchte erreichen, was Schubert in der Musik gelang, diese herzzerreißende Einfachheit. Einmal ist es mir vielleicht geglückt. Nach dem Tod der Geliebten sagt der Erzähler in "Plattform": "Valérie fehlt mir." Es ist nur dieser eine Satz. Aber darin ist alles enthalten.

Verletzt es Sie, wenn man Ihre literarischen Qualitäten in Zweifel zieht?

HOUELLEBECQ: Nein, überhaupt nicht.

Alain Robbe-Grillet nennt Sie "vollkommen mittelmäßig". Ich zitiere: "Was dieser Houellebecq mit seinen Nutten aufführt, das ist doch grauenhaft. Dieser Mann kann nicht schreiben."

HOUELLEBECQ: Das berührt mich nicht sonderlich. Ich habe mir von Robbe-Grillet ein paar Bücher gekauft, weil die Titel ganz gut sind. Aber ich habe es nicht geschafft, sie zu lesen. Sie langweilen mich.

Welche zeitgenössische Literatur lesen Sie?

HOUELLEBECQ: Ich lese alles außer Robbe-Grillet. Am liebsten würde ich nur noch lesen. Ich bin jetzt so reich, daß ich sehr lange gut leben könnte. Ich denke manchmal, ich werde nie wieder schreiben.

Sie haben es in einem Interview angekündigt.

HOUELLEBECQ: Das war nicht ernst gemeint. Wenn ich so etwas sage, rede ich wie ein Alkoholiker, der sagt, daß er nie wieder trinken wird.

Jean Genet hat, als er berühmt wurde, seine Kreativität eingebüßt.

HOUELEBECQ: Ja, aber das war kein großer Verlust.

Genet gilt als bedeutender Dichter.

HOUELLEBECQ: Das habe ich noch nie gehört. Man sagt das von Aragon, Claudel oder Ponge. Manche seltsame Leute halten auch Breton für bedeutend. Aber Genet? Der hat wirklich nur Kitsch geschrieben. Das ist ein ganz kleiner Autor.

Darf ich ihn trotzdem zitieren?

HOUELLEBECQ: Ja, bitte.

Er sagt: "Ich möchte, daß sich die Welt nicht verändert, damit ich gegen die Welt sein kann."

HOUELLEBECQ: Das ist einer der vielen dummen Sätze, die er von sich gegeben hat.

Sie wollen die Welt verändern.

HOUELLEBECQ: Nein, ich beschreibe sie. Aber ich kann mir sehr gut eine Welt vorstellen, in der alle glücklich sind. Ich kann mir auch eine Kultur vorstellen, die auf dem Glück beruht. Man muß nicht unglücklich sein, um Kunst herzustellen. Es gäbe vielleicht in einer glücklichen Welt keine Romane mehr. Aber die Poesie gäbe es trotzdem, weil sie aus einem positiven Antrieb entsteht. Der Poet kann auch die Schönheit besingen.

Sie überraschen mich.

HOUELLEBECQ: Warum?

Weil Sie dem Bild, das ich aus den Medien von Ihnen hatte, so wenig entsprechen.

HOUELLEBECQ: Ich werde oft mißverstanden.

Sie sind ein Idealist.

HOUELLEBECQ: Sie nicht?

Sie wünschen sich das Paradies auf Erden, das der Kommunismus versprochen hat.

HOUELLEBECQ: Ja, ich bin Kommunist. Ich glaube, daß man das Experiment des praktischen Kommunismus in einigen Jahren wohlwollend beurteilen wird. Es ist zwar gescheitert. Aber es war ein ehrenvoller Versuch. Der Kapitalismus, der heute herrscht, ist viel brutaler. Ich glaube auch, daß man Stalin einmal anders beurteilen wird.

Wie?

HOUELLEBECQ: Man wird sehen, daß er Ordnung geschaffen hat. Ich sage das nicht gern, aber ich bin mit Goethe einverstanden, der meinte, die Ungerechtigkeit sei der Unordnung vorzuziehen. Die Sowjetunion hat immerhin funktioniert. Das Chaos, in dem Rußland versinkt, ist zweifellos schwerer erträglich.

Sie verteidigen einen Massenmörder?

HOUELLEBECQ: Ich bin vielleicht etwas müde. Ich fürchte, wir werden in diesem Gespräch die Versöhnung zwischen dem Schönen, Wahren und Guten nicht mehr erreichen.

Sind Sie ein guter Mensch?

HOUELLEBECQ: Nein.

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Erschienen am 28. Februar 2002 in der Züricher WELTWOCHE