Sie stehen seit Jahren auf der Bestsellerliste des "Spiegel". Was
empfanden Sie, als Sie dort zum erstenmal Ihren Namen lasen?
MICHAEL ENDE: Verlegenheit.
Schämten Sie sich?
ENDE: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Ich fragte mich, was ich so falsch gemacht
habe, daß dieser Erfolg eintreten konnte. Im allgemeinen sind die Bücher,
die Bestseller sind, nicht die wichtigen Bücher, so daß man zunächst denkt,
oh Gott, was für ein Mißverständnis. Aber dann habe ich mich davon überzeugt,
daß es immer wieder Bestseller gab, die auch sehr gute Bücher waren. Auch
"Werthers Leiden" war schon zu Goethes Lebzeiten ein Welterfolg.
Daß Ihre Bücher gut sind, das wußten Sie.
ENDE: Nein, gar nicht. Ich habe an der "Unendlichen Geschichte"
zwei Jahre geschrieben. Ursprünglich sollte das nicht länger als hundert Seiten
werden. Der Stoff explodierte mir unter den Händen, und als das Buch fertig
war, wußte ich nicht, ob es etwas taugt oder ob es der größte Schmarrn ist,
den ich jemals geschrieben habe.
Wenn meine Frau* und mein Verleger nicht gesagt hätten, gib Ruh, es
ist etwas, hätte ich nicht den Mut gehabt, es herauszugeben. Ich konnte zuletzt
nicht mehr beurteilen, ob das irgendjemanden interessieren würde, oder ob
ich mich in einen esoterischen Kitsch hinein verlaufen hatte, den niemand
lesen möchte.
Freuten Sie sich über den Erfolg?
ENDE: Er ist auch eine Last. Ich bekomme noch heute täglich zwanzig Briefe.
Das lutscht einen völlig aus. Das übersteigt Menschenmaß.
Was steht in den Briefen?
ENDE: Ein Brief, über den ich mich gefreut habe, kam von einer Fabrikarbeiterin,
die mir schrieb, lieber Herr Ende, ich wollte Ihnen bloß sagen, ich habe gerade
Ihr Buch gelesen und daraufhin eine halbe Stunde geweint, seither fühle ich,
daß ich eine andere bin, herzliche Grüße. Es kommen auch mehr oder weniger
deutliche Einladungen von älteren Damen, die sich eine seelische Beziehung
zu mir erhoffen.
Ist es Ihnen angenehm, diese Wirkung zu haben?
ENDE: Welche Wirkung habe ich denn? Ich weiß es gar nicht.
Offensichtlich spenden Sie Trost in schwierigen Situationen.
ENDE: Vielleicht bewirke ich etwas, das die Griechen "Katharsis"
nannten. Ein Knoten löst sich, und danach fühlen sich die Menschen gesünder.
Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie ermöglichten dem Leser, in eine Scheinwelt
zu fliehen.
ENDE: Ich weiß. In Deutschland ist jedermann jedermanns Schulmeister. Das
merken Sie schon im Straßenverkehr, da brauchen Sie sich nur falsch einzuordnen,
schon klopft einer ans Fenster und sagt, gell, das wissen Sie schon, daß Sie
hier falsch stehen. Es gab eine Zeit, da fragte man mich in jeder Diskussion
nach der gesellschaftlichen Relevanz meiner Bücher. Selbst im Freundeskreis
habe ich mich ununterbrochen rechtfertigen müssen, bis es mir schließlich
zu dumm war und ich gesagt habe, laßt mir doch meine Ruh, ich verlange ja
nicht, daß ihr meine Bücher lest, ich will auch niemanden belehren, ich will
nur tun dürfen, was mir Spaß macht, und Bücher schreiben, die ich selbst gerne
lesen würde. Wir leben heute in einem total ideologischen Zeitalter, in dem
jeder glaubt, irgendwelche Botschaften verkünden zu müssen.
Aber das tun Sie doch auch.
ENDE: Ja, weil man mich zwingt. Trotzdem habe ich mich, was Theorien betrifft,
sehr sparsam geäußert. Natürlich habe ich eine eigene Weltsicht und eine bestimmten
Art, die Menschen zu sehen. Ich habe auch eine Vorstellung vom Sinn des Lebens.
Mir erscheint die Weltgeschichte nicht als etwas Absurdes.
Sondern?
ENDE: Ich bin überzeugt, daß es außerhalb der mit unseren Sinnen wahrnehmbaren
Welt noch eine andere reale Welt gibt und daß der Mensch von dort herkommt
und dort wieder hingeht. Darüber hatte ich mit meinem Vater** viele sehr ernste
Gespräche. Ihm verdanke ich, daß ich die Welt bis heute als etwas Geheimnisvolles
erlebe. Für mich ist die Natur nicht bloß die Summe aus Chemie und Physik.
Insofern könnte man mich einen Heiden nennen. Ich glaube, daß die nicht wahrnehmbare
Wirklichkeit in die Wirklichkeit, die wir sehen, ständig hineinwirkt.
Zu unserem Vorteil?
ENDE: Das ist die Frage. Ich fürchte, daß wir vor einigen Katastrophen stehen.
Unser Wirtschaftssystem wird in den nächsten fünfzehn Jahren zusammenbrechen.
Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß die Wärme der Erdatmosphäre ständig
zunimmt. Jeder Benzinmotor erzeugt Wärme, die nicht mehr abgestrahlt werden
kann. Wenn die Wärme unserer Atmosphäre im Jahr um zwei Grad durchschnittlich
zunimmt, schmelzen die Polkappen ab, der Meeresspiegel steigt um zweihundert
Meter, dann wird zum Beispiel ganz Florida unter Wasser stehen. Das kann bedeuten,
daß die Gleichgewichtsverhältnisse der Erde sich ändern und die Erdachse ins
Trudeln gerät, was zur Folge hätte, daß die Außenhaut schichtweise nachrutscht.
Dann hätten wir eine Art Sintflut, von der ein paar Menschen übrigbleiben,
die wieder ganz neu anfangen müßten.
Das Problem der Übervölkerung wäre damit gelöst.
ENDE: Ja, obwohl mir bis heute niemand erklären konnte, wieso es dieses Problem
überhaupt gibt. Es ist ein Rätsel. Deshalb kann es genauso gut sein, daß auf
einmal wieder weniger Menschen geboren werden.
Sie haben keine Kinder.
ENDE: Nein.
Wollten
Sie keine?
ENDE: Doch. Aber meine Frau und ich haben nach der Eheschließung feststellen
müssen, daß wir eine Rhesusfaktor-Unverträglichkeit haben. Ich hätte gern
Kinder. Ich habe sehr darunter gelitten, daß wir keine bekommen konnten. Es gab
eine Zeit, da habe ich in keinen Kinderwagen hineinschauen können, ohne daß mir
ein Kloß im Hals saß.
Vielleicht schreiben Sie deshalb Kinderbücher.
ENDE: Ich glaube nicht, denn ich finde die Einteilung in eine Literatur für
Erwachsene und eine für Kinder bedenklich. Ich kann zwischen mir, wie ich heute
bin, und wie ich vor vierzig Jahren war, keinen wesentlichen Unterschied
feststellen.
Vor vierzig Jahren waren Sie dreizehn.
ENDE: Ja, mitten in der Pubertät.
Hatten Sie damit keine Probleme?
ENDE: Eigentlich nicht. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr übergangslos
mit Frauen zu tun gehabt. Denn nackerte Mädel hab' ich im Atelier meines Vaters
genug gesehen. Da wurde einmal wöchentlich Akt gezeichnet. In der Mitte saß das
Modell. Rundherum standen die Malerfreunde, und da wurde durchaus nicht fein
geredet, sondern auch auf den Hintern geklopft und dergleichen. Also habe ich
Hemmungen, was die Sexualität betrifft, nie gekannt.
Außer in Ihren Büchern. Dort kommt sie nicht vor.
ENDE: Das stimmt. Die Darstellung des Sexuellen ist für mich in der Tat
problematisch, und zwar deshalb, weil es mir nicht gelingt, sie in eine
selbständige, künstlerische Realität umzusetzen. Die Beschreibung der
klinischen Tatsachen ist ja etwas völlig anderes als das, was man erlebt, wenn
man mit einer Frau schläft. Man erlebt die Wärme der Haut, die
unterschiedlichen Tastgefühle. Das ist furchtbar schwer darzustellen, weil es
ja mit ein paar Vulgärausdrücken nicht getan ist. Goethe benutzte für den Penis
die lateinische Bezeichnung "Iste". Rilke schrieb phallischen
Sonette. Eine größere Peinlichkeit kann man sich gar nicht vorstellen.
Schreiben Sie Tagebuch?
ENDE: Ja, aber das werde ich bestimmt nicht veröffentlichen.
Weil Sie darin über Ihre erotischen Eskapaden berichten.
ENDE: Unter anderem, ja, denn ich bin durchaus kein Mann, der, sagen wir mal,
ein treuer Gatte ist. Es passiert schon manchmal, daß ich allzu starken
weiblichen Reizen erliege.
Toleriert Ihre Frau das?
ENDE: Ungern. Aber sie weiß, daß es notwendig ist. In jedem Mann steckt auch
ein Gockel, der will manchmal auf den Mist steigen und krähen. Meine Frau ist,
obwohl sie viel durchgemacht hat, mit einer gewissen Entschlossenheit fröhlich
geblieben. Ich verdanke ihr unheimlich viel. Meine Bücher wären ohne sie gar
nicht entstanden. Denn ich neige zu Depressionen. Das sind unangenehme Zeiten
für jemanden, der dann versuchen muß, den anderen am Kragen über Wasser zu
halten.
Was deprimiert Sie?
ENDE: Meine Depressionen kommen aus dem Gefühl einer totalen Unfähigkeit. Dann
sitze ich rum und sehe alles ganz rabenschwarz. Das sind Zeiten vollkommener
Mutlosigkeit, in denen ich mir sage, wozu das alles? Was du erreichen möchtest,
schaffst du sowieso nie.
Haben Sie nicht genug erreicht?
ENDE: Ich bin mit mir absolut nicht zufrieden. Ich will noch viel weiter.
Wohin?
ENDE: Wenn eine Fee käme und mich fragte, was ich mir wünsche, würde ich sagen,
ich möchte auf eine heutige Art eine so komplette Welt erfinden wie es für
seine Zeit Shakespeare getan hat. Ich versuche, eine Sprache zu finden, die
unabhängig von dem, was sie beschreibt, einfach auch schön ist. Wir starren heute
fortwährend auf die Häßlichkeiten der Welt, und wir meinen, es würde uns
helfen, wenn wir ständig wie eine Gebetsmühle wiederholen, wie krank und kaputt
und zerstört wir sind. Der Mensch von früher besaß ein intaktes geistiges
Weltbild. Das haben wir heute nicht mehr.
Sie ausgenommen.
ENDE: Ja, weil ich Christ bin... Peinlich, nicht?
Nein, beneidenswert.
ENDE: Ich muß aber sagen, daß ich größte Zweifel habe, ob der, den ich Christus
nenne, der gleiche ist, zu dem die christliche Kirche betet. Glauben heißt für
mich nicht, sich in einer total diesseitigen, von den Naturwissenschaften
beherrschten Welt eine jenseitige Welt vorzustellen, also im islamischen Sinn
die Welt Allahs, aus der ab und zu irgendwelche Offenbarungen kommen, sondern
mir geht es darum, bereits die Welt, in der wir leben, als eine Offenbarung
anzusehen. Ich bin überzeugt, daß es über unserer menschlichen Existenz eine
unendliche Hierarchie höherer Intelligenzen gibt, aber nicht, wie Herr von
Däniken meint, als Bewohner anderer Sterne, das ist Blödsinn, sondern als das,
was man früher Engel und Erzengel nannte.
Werden uns diese Engel vor der Selbstvernichtung bewahren?
ENDE: Daran glaube ich.
Warum sollten die ausgerechnet uns Menschen so wichtig nehmen?
ENDE: Weil die Menschheit der Nabel der Welt ist. Für mich schaut die Welt so
aus, daß der gesamte Kosmos wie ein riesiges Amphitheater von Göttern und
Dämonen erfüllt ist, die mit atemloser Spannung zuschauen, was wir hier machen.
Ich halte uns für den Mittelpunkt des Universums. Wenn ich das nicht mehr
glauben könnte, wüßte ich nicht, warum ich überhaupt leben sollte.
Sie würden sich umbringen.
ENDE: Ja, wahrscheinlich. Ich habe es während meiner Schulzeit sogar einmal
versucht. Da wollte ich mich ertränken. Ich war sitzengeblieben und schämte
mich vor meinen Eltern, die damals schon genug Sorgen hatten. Denn mein Vater
galt während der Nazizeit als entarteter Künstler und durfte nicht ausstellen.
Meine Mutter verdiente das Nötigste als Masseuse und Krankengymnastin. Da dachte
ich, wenn ich jetzt auch noch heimkomme mit lauter Sechsern im Zeugnis, ist
alles aus. Das konnte ich nicht verantworten, und so bin ich einen ganzen Tag
lang vor dem Stauwehr an der Isar in München gestanden, konnte mich aber nicht
entschließen hineinzuspringen, sondern hab es immer wieder um weitere fünf
Minuten hinausgezögert.
Weil Sie zu feige waren.
ENDE: Ja, ich dachte, nicht einmal das schaffe ich. In der Schule hatte man mir
beigebracht, und zwar auf sehr drastische Weise, daß ich ein Versager bin und
für's Leben nicht tauge. Nun konnte ich nicht einmal sterben. Danach bin ich
mir wie ein in sich zurückgestauchtes Kind vorgekommen und habe mich in eine
totale Indolenz geflüchtet. Dazu kam, daß auch in meinem Elternhaus nicht eitel
Frieden herrschte, sondern daß es da dauernd Kräche gab.
Weswegen?
ENDE: Mein Vater bekam zum Beispiel durch einen Kollegen die Möglichkeit, unter
fremdem Namen an einen Auftrag der Wehrmacht zu kommen, da sollte irgendein
General auf dem Pferd gemalt werden. Dadurch hätte er etwas verdienen können.
Meine Mutter war der Meinung, er sollte das machen, damit sie etwas entlastet
wäre. Aber er machte es nicht. Da haben sie sich halt angeschrien gegenseitig.
Haben Sie die Standhaftigkeit Ihres Vaters bewundert?
ENDE: Ich habe das sehr bewundert. Was Kunst betraf, war er absolut
kompromißlos.
Welche Erinnerungen haben Sie an den Krieg?
ENDE: Ich war zwölf Jahre alt, als ich den ersten Bombenangriff auf München
erlebte. Unsere Straße stand völlig in Flammen. Ich erinnere mich, daß ich wie
ein Betrunkener durch die brennende Straße gelaufen bin und dauernd gesungen
habe. Es war eine Euphorie, die mich erfaßte. Ich kann mir das bis heute nicht
ganz erklären. Es fehlte nicht viel, und ich wäre in das Feuer hineingesprungen
wie eine Mücke, die ins Licht fliegt. Noch schrecklicher aber war der
Bombenangriff auf Hamburg 1943. Ich war dort zu Besuch bei einem Onkel. Das war
wirklich ein Weltuntergang. Das kehrt immer wieder in meinen Träumen, wie wir
die geschmorten Leichen, die auf Babygröße eingeschnurrt waren, geborgen haben.
Ich sehe noch den Heerzug total verstörter Menschen vor mir, die wie in einem
Labyrinth durch die Ruinen irrten. Einer trug völlig sinnlos einen Tisch auf
dem Rücken, wahrscheinlich das einzige, was er gerettet hatte.
Mußten
Sie kämpfen?
ENDE: Nein, denn ich bin ausgebüxt, als sie uns am Ende des Krieges abholen
wollten, um uns den amerikanischen Panzern entgegenzuschicken. Man hat uns
Schulbuben einen Helm aufgesetzt und eine Panzerfaust in die Hand gedrückt.
Drei meiner Klassenkameraden sind noch gefallen. Nur ich bin rechtzeitig
abgehauen und nach Hause gegangen. Damals habe ich mir geschworen, ich nehme
nie mehr ein Gewehr in die Hand. Ich besitze auch keine Waffe. Wenn Räuber
kommen, um uns zu überfallen, bitte, sollen sie alles nehmen, was da ist!
Sie würden sich nicht wehren?
ENDE: Nein.
Würden Sie Ihre Frau verteidigen?
ENDE: Das weiß ich nicht. Würde ihr etwas geschehen, wäre ich natürlich
entsetzt. Ich weiß, wie es ist, wenn Menschen erschossen werden. Ich habe es
gesehen.
Im Krieg.
ENDE: Nein, nach dem Krieg. Wir wohnten damals etwas außerhalb der Stadt. Ich mußte auf dem Heimweg immer eine gewisse Strecke durch einen Wald gehen. Da saßen amerikanische Soldaten besoffen mit ihren Mädchen und machten Zielschießen auf die Leute, die dort vorüberkamen, wie auf Blechbüchsen. Ich bin da immer durchgesaust wie ein Hase. Neben mir ist das Holz von den Bäumen gesplittert, wo die Kugeln einschlugen. Einmal habe ich gesehen, wie jemand getroffen wurde. Das spritzte richtig. Da ist mir das Böse begegnet.
Warum läßt der Gott, an den Sie glauben, das zu?
ENDE:
Weil es nötig ist. Ich denke, daß das Böse genauso nötig ist wie das Gute.
Judas war für die Heilsgeschichte genauso nötig wie Christus. Desdemona ist
genauso wichtig wie Jago. Der geschichtliche und ästhetische Gesichtspunkt
kennt keine Moral.
Interessieren Sie sich für Politik?
ENDE: Das war einmal. Ich gehöre ja noch zu denen, die 1968 gemeutert haben,
bin auf die Straße gegangen und habe mich von der Polizei wegtragen lassen.
Aber als diese ursprünglich sehr hoffnungsvolle Studentenbewegung anfing, in
tausend Splittergrüppchen auseinanderzufallen, von denen jede orthodoxer war
als die andere, und man sich gegenseitig nur noch mit "Arschloch"
ansprach und ständig versuchte, einander mit Psychoterror fertigzumachen, ist
mir die Lust vergangen, weil es mir plötzlich wie Kinderkram vorkam. Ich konnte
nicht glauben, daß diese ewigen Klugscheißer, denen es nur darauf ankam,
möglichst langhaarig herumzuhocken und ihren Marx herzubeten, je in der Lage
wären, irgendeine Art von Solidarität herzustellen.
Sie haben resigniert.
ENDE: Ja.
Auf der ganzen Linie.
ENDE:
Nein. In künstlerischen Fragen entwickle ich auch heute noch Kampfgeist. Da
lasse ich nicht mit mir handeln. Wenn einer daherkommt und sagt, jetzt kriegst
du eine Million, dafür hältst du dein Maul, sage ich, steck dir deine Million
in den Arsch. Da spielt für mich Geld keine Rolle. Ich habe es jetzt wieder
erlebt mit den Leuten, die die "Unendliche Geschichte" verfilmen
wollen.*** Das soll auf eine Art und Weise kommerziell gemacht werden, daß es
mir die Schuhe auszieht. Ich habe Kämpfe hinter mir bis zur totalen
Erschöpfung. Man hat mit ganz üblen Methoden versucht, mich aufs Kreuz zu legen.
Ich habe einen Riesenskandal gemacht. Aber es half nichts.
Sie haben Ihr Urheberrecht eingeklagt.
ENDE:
Ja, aber das greift bei Verfilmungen nicht. Ich konnte mich nur in mein
Schreiben retten.
Was tun Sie, wenn Sie nicht schreiben?
ENDE: Ich welke. Aber ich sterbe nicht. Ich habe auch schon Krisen
durchgemacht, in denen ich mit dem Schreiben ganz aufhören wollte, finanzielle
Krisen. Ich war ja nicht immer erfolgreich. Meine äußeren Lebensumstände waren
so finster, daß ich meine Miete nicht mehr bezahlen konnte. Ich mußte von einem
halben Liter Milch und ein paar Semmeln leben. Deshalb finde ich, eine
bestimmte Geldsumme sollte jedem Menschen, egal, was er macht, von vornherein
zustehen, denn die Leistung, die heute von den Maschinen erbracht wird, ist das
gemeinsame geistige Erbe des ganzen Volkes und sollte nicht nur den
Unternehmern, sondern allen Menschen gleichermaßen zugute kommen. Damit könnten
die Grundbedürfnisse eines jeden befriedigt werden, auch wenn er keinem
Broterwerb nachgeht.
Was sind Ihre Grundbedürfnisse?
ENDE: Was ich jetzt habe, ein Haus, ein Garten. Das sind hier**** fünftausend
Quadratmeter. Das Haus hat sieben Zimmer. Dann brauche ich ein Auto, Bücher,
Kleidung, Essen und Trinken.
Das bedeutet, jeder müßte ein Haus mit Garten und ein Auto umsonst bekommen?
ENDE: Nur, wenn er es braucht.
Wer würde denn sagen, daß er das nicht braucht?
ENDE: Gut, ich korrigiere mich. Man müßte eine gewisse Summe festlegen, sagen
wir zwölfhundert Mark im Monat, die jeder bekommt. Davon kann man leben, ohne
zu frieren und zu verhungern. Ich bin sicher, es würde dann keinen geben, der
nicht trotzdem einer Beschäftigung nachgeht, aber das müßte keine bezahlte
Arbeit sein. Ich behaupte, wenn einer den ganzen Tag turnt, macht er auch eine
Arbeit, aber er kann nicht erwarten, dafür Geld zu bekommen.
Zum Glück bereitet Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen und wird außerdem gut bezahlt.
ENDE: Ich kann nichts dafür.
---------------------
*) Ingeborg Ende, Michael Endes erste Frau, eine ehemalige Schauspielerin, verstarb 1985 an einer Lungenembolie. 1989 heiratete Ende die japanische Übersetzerin Mariko Satō, die einige seiner Werke ins Japanische übersetzte.
**) Michael Endes Vater war der surrealistische Maler Edgar Ende (1901 - 1965).
***) Von der Verfilmung seines Romans „Die unendliche Geschichte“ durch
Wolfgang Petersen (1984) distanzierte sich Ende, nachdem alle Versuche, den
Film gerichtlich zu verhindern, gescheitert waren.
****) Das Interview fand in Michael Endes Haus in Süditalien statt.
---------------
Erschienen 1983 in der Oktober-Ausgabe des „Playboy“ (Kurzfassung)