(anläßlich der Premiere ihres Films „Rosa Luxemburg“)
Ihr Film über Rosa Luxemburg ist ein Dokument der Bewunderung. Sie sagten, Sie
könnten dieser Frau nicht das Wasser reichen. Sind Sie mit sich so unzufrieden?
MARGARETHE VON TROTTA: Ich weiß nicht, ob man das daraus schließen kann. Wollen
Sie das ganze Interview an diesem Satz aufhängen? Jedenfalls war das doch eine
Frau, die politisch einiges bewegt hat, zumindest in Deutschland. Intellektuell
war sie mir bestimmt überlegen. Ich bewundere ihre Kraft, sich aus der eigenen
Verzweiflung heraus dem Unglück einer ganzen Klasse zu stellen. Sie versuchte,
die Arbeiter von materieller Not zu befreien, damit sie die Möglichkeit hätten,
ihre Wünsche und Begabungen auszuleben.
Welche Begabungen?
VON TROTTA: Es gab die Arbeiterbildungsvereine. Man las Bücher, sah Filme. Das
allgemeine Bedürfnis nach Kultur war erstaunlich. Die Leute haben ihre finanzielle
Misere ausgeglichen, indem sie sich für Geistiges interessierten. Mich hat überrascht,
wie gut sich die Arbeiter im Vergleich zu heute ausdrücken konnten.
Wie erklären Sie sich diesen Rückschritt?
VON TROTTA: Heute herrscht eine neue Art Unfreiheit. Ich meine die von den Medien
angebotene Freizeitkultur. Die Leute lassen sich steuern. Der Wohlstand hat
sie nicht frei gemacht.
Konnte das eine so kluge Frau wie Rosa Luxemburg nicht voraussehen?
VON TROTTA: Wie hätte sie denn das tun sollen?
Indem sie sich zunächst mit den Gründen ihrer eigenen Verzweiflung beschäftigt
hätte.
VON TROTTA: Das hat sie nie getan, weil sie es ablehnte, sich so wichtig zu
nehmen. Sie hat die eigene Verzweiflung hineingepackt in die Energie, die sie
zum Kämpfen brauchte. Sie wollte insgesamt etwas ändern. Sie besaß ein Sensorium
für das Elend anderer Menschen.
Sie meinen das Elend der Arbeiterklasse?
VON TROTTA: Ja, das Elend der Armut.
Das kannte sie als gutsituierte Bürgerstochter doch gar nicht.
VON TROTTA: Nicht aus Erfahrung, aber sie wußte als Jüdin, was Unterdrückung
bedeutet.
Sie hat sich abgelenkt von ihrer Verzweiflung.
VON TROTTA: Sicher. Das ist doch gut. Soll man sich lieber umbringen, statt
etwas zu tun?
Das nicht, aber muß Tun immer Kampf sein?
VON TROTTA: Nein. Man kann auch Bücher schreiben. Aber die Rosa war nun einmal
Politikerin und keine Künstlerin, obwohl ihre Briefe zeigen, sie hätte auch
Schriftstellerin werden können.
Würden Sie sie als Schriftstellerin genauso bewundern?
VON TROTTA: Wahrscheinlich nicht.
Sie bewundern das, was Sie nicht sind.
VON TROTTA: Das ist doch klar. Wenn wir jetzt zu der Erkenntnis kommen, daß
ich mich selbst nicht liebe, will ich das gern akzeptieren. Es kann gut sein,
daß ein Teil meiner Betriebsamkeit aus Selbsthaß entsteht. Ich hasse mich sicher
in vielem.
Zum Beispiel?
VON TROTTA: Ich hasse an mir die Eifersucht.
Hassen Sie sich, wenn Ihnen die Tränen kommen?
VON TROTTA: Eigentlich nicht, obwohl ich es, wenn ich Filme mache, möglichst
vermeide. Ich weiß, daß meine Kollegin Helma Sanders am Drehort oft weint. Das
tue ich nicht, denn wem würde das helfen? Was würde sich ändern, wenn ich meine
Schwäche zeige?
Sie würden die Macht verlieren.
VON TROTTA: Ich will keine Macht.
Dann müßten Sie sich nicht so beherrschen.
VON TROTTA: Ich empfinde mich immer als eine Art Psychiater, als jemand, der
Stärke abgeben muß, damit sich die anderen wohl fühlen und arbeiten können.
Glauben Sie nicht, daß sich zum Beispiel viel ändern würde, wenn Helmut Kohl
im Bundestag weinte?
VON TROTTA: Das hat doch der Bahr getan, als Willy Brandt stürzte.
Ja, aber er hat es später bereut.
VON TROTTA: Ach was!
Er hat gesagt, er hätte es unterdrückt, wenn er gewußt hätte, daß er gerade
gefilmt wird.
VON TROTTA: Das ist wieder diese schreckliche Disziplin.
Wie bei Ihnen.
VON TROTTA: Schon möglich. Ich will niemanden zwingen, sich mit meinem Schmerz
auseinanderzusetzen. Ich hasse das Wühlen im eigenen Leiden. Da bin ich vielleicht
wie die Rosa. Ich bewundere ihre Gelassenheit in Situationen, an denen sie nichts
mehr ändern konnte. Sie verfiel nie in ein Jammern über ihr Schicksal oder die
Weltgeschichte, auch nicht im Gefängnis, sondern sie wartete, ohne sich zu zerstören,
auf den Augenblick, wo sie wieder die Möglichkeit hatte, in die Ereignisse einzugreifen.
Sie konnte Unruhe in Energie und Energie in Ruhe verwandeln.
Woher, glauben Sie, nahm sie die Kraft dazu?
VON TROTTA: Aus ihrer Überzeugung, daß sich die Vernunft in der Geschichte durchsetzt.
Darin hat sie sich getäuscht, wie wir jetzt wissen.
VON TROTTA: Gut, aber die Sehnsucht nach dem Paradies bleibt. Die ist auch mir
eingegeben. Ich habe auf der einen Seite den Trieb zur Selbstzerstörung, auf
der anderen Seite einen unglaublichen Lebenshunger.
Was macht Ihnen Hoffnung?
VON TROTTA: Im Grunde gar nichts, außer vielleicht ein paar Frauen. Frauen achten
dadurch, daß sie Kinder bekommen können, mehr auf die lebensbewahrenden Dinge.
Sie haben das größere Lebensverlangen.
Alice Schwarzer würde Ihnen jetzt vorwerfen, Sie betonten zu sehr das Mütterliche.
VON TROTTA: Soll sie doch! Sie hat mir ja sogar vorgeworfen, ich würde mich
bei den Männern anbiedern, weil ich der Rosa, die keine Feministin war, kritiklos
gegenüberstünde. Das fand ich besonders lustig. Gestern noch haben sich die
Männer fürchterlich aufgeregt, weil ich sie angeblich lächerlich mache. Nach
meinem Film "Heller Wahn" hätten sie mich am liebsten gelyncht. Heute
heißt es, ich würde versuchen, mich anzubiedern.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Frauenbewegung?
VON TROTTA: Sehr widersprüchlich. Es gibt da verschiedene Strömungen, eine,
die großen Wert darauf legt, Gefühle zuzulassen, und eine andere mehr zerebrale,
deren Ambition es ist, jedes Gefühl aufzugeben, was mir absurd erscheint, weil
es eine Imitation männlichen Verhaltens bedeutet. Die Männer glauben doch seit
ewigen Zeiten, ihre Gefühle unterdrücken zu müssen.
Sie sagten, das tun Sie auch, zumindest beim Filmen.
VON TROTTA: Das stimmt nicht. Ich habe gesagt, daß ich nicht öffentlich heule.
Das heißt nicht, daß ich keine Gefühle zeige. Ich gebe mich preis in dem, was
ich mache. Sie ahnen gar nicht, wie unkontrolliert das oft ist. In meinen Filmen
ist sehr viel Unbewußtes. Die Leute fragen mich immer, was ich ausdrücken möchte.
Aber das weiß ich meist selbst nicht. Ich habe zum Beispiel während der Dreharbeiten
zu "Rosa Luxemburg" dauernd das Requiem von Verdi gehört. Ich hatte
eine Musikkassette, die lief ununterbrochen. Da stand zunächst gar keine Überlegung
dahinter, bis ich begriff, daß der ganze Film für mich ein Requiem ist. Das
hat niemand verstanden. Ich wollte die unbewußte Verzweiflung dieser Frau deutlich
machen, eine Verzweiflung, die nach Erlösung schreit. Es ist überliefert, daß
sie in der letzten Woche ihres Lebens täglich mindestens vier mal ohnmächtig
wurde. Das beweist, daß sie ihre Machtlosigkeit am Ende erkannt hat. Als sie
nicht mehr den Motor des Glaubens hatte, brach sie zusammen, denn sie war eine
sehr fragile, oft kranke Person, der es nur durch den Willen und diesen merkwürdigen
Glauben an die Geschichte gelang, sich aufrecht zu halten. Ihr Geist stützte
den schwachen Körper.
Jetzt verwechseln Sie Geist mit Glauben.
VON TROTTA: Im Mittelalter war das ein Wort. Wissen und Glauben waren keine
getrennten Begriffe. Rosas Geist konnte glauben. Nur war ihr Körper zuletzt
vielleicht ehrlicher als ihr Geist, indem er ihr die Sinnlosigkeit ihres Kampfes
vor Augen führte. Ich bin im Moment nicht sicher, ob wir überhaupt noch eine
Möglichkeit haben, aus der Ohnmacht herauszukommen und in Richtung auf eine
Veränderung hin tätig zu werden.
Vielleicht ist schon das Eingeständnis der Ohnmacht die Tat.
VON TROTTA: Das glaube ich nicht. Ohnmächtig haben sich zu allen Zeiten sehr
viele gefühlt, Dichter zum Beispiel. Aber was haben sie ausgerichtet?
Wenigstens haben sie nicht die Verblödung beschleunigt.
VON TROTTA: Das ist mir zu wenig, obwohl ich Dichter sehr schätze. Ich lese
gerade Baudelaire. Ich liebe Hölderlin.
Aber die würden Sie nicht als Ihre Vorbilder bezeichnen.
VON TROTTA: Ich habe kein Vorbild, auch keine Lieblingsmusik und keinen Lieblingsmaler.
Das ist auch der Grund, weshalb ich den Fragebogen der FAZ, den man mir schon
zehn mal zugeschickt hat, nie ausgefüllt habe. Auf diese Art von Schwachsinn
reagiere ich nicht. Das ist mir zu absolut. Ich habe mich als junges Mädchen
wahnsinnig für Kunst interessiert, bin in Ausstellungen und Konzerte gegangen.
Aber ich hatte alle zwei Wochen einen anderen Lieblingskünstler, nämlich den,
den ich gerade für mich entdeckte.
Waren Sie gern ein Mädchen?
VON TROTTA: Nein, als Kind wollte ich immer ein Junge sein. Ich fand es schrecklich,
keinen Penis zu haben. Es gab um uns Mädchen einige Knaben, die uns verfolgten
und im Laufen anpinkelten. Die machten das nicht nur im Stehen. Das fand ich
ungeheuer demütigend, weil ich es nicht zurückgeben konnte. Ich bin stundenlang
auf dem Klo gestanden und habe versucht, auch in so einem Bogen zu pinkeln.
Aber es ging nicht. Manchmal frage ich mich, warum ich nicht auf die Idee kam,
einfach hinzufassen und die Waffe gegen den Angreifer zu richten. Heute würde
ich das vielleicht tun. Damals bin ich schreiend davongerannt.
Für einen Psychiater wäre das ein herrliches Thema.
VON TROTTA: Ich habe sogar einmal eine Analyse begonnen, aber die Analytikerin
sagte, ich sollte es lieber in meine Filme bringen. Der Freud ist für Frauen
vollkommen nutzlos. Es war nicht nur Penisneid, was ich empfunden habe. Wenn
sich ein Mädchen wünscht, ein Knabe zu sein, hat das auch damit zu tun, daß
jahrtausendelang das Männliche für das Wertvolle gehalten wurde. Väter haben
immer Söhne gewollt und die Töchter umgebracht oder als minderwertig behandelt.
Schon bei den alten Griechen wurde über geistige Angelegenheiten allein von
den Männern befunden. Die Frau wurde mit zwölf Jahren verheiratet, saß dann
zu Hause und war der Abputzer für das männliche Sperma. Das ist nicht spurlos
an uns vorbeigegangen. Ich spüre es heute noch. Wenn ich versuche, mit Männern
zu sprechen, stelle ich fest, daß sie mich gar nicht begreifen wollen. Mit Frauen
macht es mir Freude zu reden, weil ich nicht dauernd das Gefühl habe, gegen
eine Mauer zu rennen. Männern will ich mich nicht mehr verständlich machen.
Ich setze bei einem Mann kein wirkliches Interesse voraus. Natürlich ist er
sexuell interessiert, aber meine Verzweiflung, meine Verletzlichkeit, alles,
was mich zu einer schwierigen Person macht, will er nicht wissen. Wenn ich mit
einem Mann über meine Verzweiflung spreche, hat er danach bestimmt keine Lust
mehr, mit mir zu schlafen.
Sprechen Sie gerade über Ihre Ehe mit Volker Schlöndorff*?
VON TROTTA: Nein. Darüber möchte ich mich nicht öffentlich äußern. Der Volker
lebte als Kind mit zwei Brüdern in einem reinen Männerhaushalt. Die Mutter starb
früh. Der Vater war ein autoritärer Patriarch. Daraus sind Verhaltensweisen
entstanden, die man nicht so leicht ablegt. Mich hat auch die Christa Wolf neulich
gefragt, was mich eigentlich noch mit dem Volker verbindet.
Ist es Dankbarkeit?
VON TROTTA: Es ist eine gewisse Loyalität, natürlich auch Liebe. Ich beurteile
manches an ihm vorsichtiger, weil ich ihn nicht verletzen will. Aber dankbar
könnte eher er mir sein, daß ich so lange meine Ideen in seine Arbeit eingebracht
habe. Irgendwann war es für mich an der Zeit, eigene Filme zu machen, nicht,
um zu beweisen, daß ich es auch kann, sondern weil ich es immer schon wollte.
Leicht war es nicht. Die Redakteure vom Hessischen Rundfunk konnten es gar nicht
fassen. Als ich denen das Drehbuch brachte, sagten sie, aber Frau von Trotta,
was wollen Sie, warum lassen Sie es nicht, wie es immer war, Sie spielen die
Hauptrolle und Ihr Mann führt Regie. Der Volker hat mir damals insofern geholfen,
als er dem Sender versicherte, die Inszenierung zu übernehmen, falls ich es
nicht schaffen sollte.
Sprechen Sie mit ihm über die Arbeit?
VON TROTTA: In letzter Zeit wenig. Er hat keinen rechten Zugang zu den Themen,
die mich interessieren.
In einem früheren Interview sagten Sie, er mache die besseren Filme.
VON TROTTA: Habe ich das gesagt? Mein Gott, ich sage so viel, es ist furchtbar.
Aber es stimmt schon, er macht die großen, kommerzielleren Filme, auch die wichtigeren,
auf die Filmkunst bezogen.
Warum die Bescheidenheit?
VON TROTTA: Ich empfinde das nicht als bescheiden. Ich mache nur gewisse von
einem Künstler erwartete geniale Gesten nicht mit. Wie ich dastehe, ist mir
egal. Meine Besessenheit beinhaltet nicht, daß ich wie in einem Hahnenkampf
andere ausstechen müßte. Ich brauche auch keinen Oscar, um daran meinen Wert
zu messen. Das Konkurrenzdenken ist eine sehr männliche Haltung. Mir ist es
fremd. Aber wenn das Wohlbefinden eines Menschen daran hängt, sich mir überlegen
zu fühlen, kann ich ihm das doch zugestehen.
Obwohl Sie es gar nicht meinen?
VON TROTTA: Nein, denn das wäre Lüge. Ich finde nicht alles gut, was der Volker
macht. Von Leidenschaftlichkeit hat er keine Ahnung. Was ich bei ihm bewundere,
ist das Handwerk.
Schon wieder Bewunderung!
VON TROTTA: Sie meinen, ich habe einen Komplex? Vielleicht haben Sie recht.
Es könnte von meinem Vater** kommen. Er war Maler und versuchte, mir das auch
beizubringen, indem er mich zwang, sehr kompliziert angeordnete Gegenstände,
die er vor mir aufbaute, abzuzeichnen. Da ich das nicht konnte, sagte er, ich
sei total unbegabt. Das hat mich geprägt. Andererseits habe ich inzwischen auch
ein gesundes Selbstbewußtsein. Ich halte meine Arbeit für wichtig, und ich bin
nicht bereit, irgendwelche Grenzen meiner Fähigkeit anzuerkennen. Ich möchte
noch viel extremer werden, selbst auf die Gefahr hin, daß man mich tötet.
Extremer in welche Richtung?
VON TROTTA: Ich weiß nicht, wo es mich hintreibt.
Hoffentlich
nicht in den Selbstmord.
VON
TROTTA: Davor ist man nie völlig sicher. Aber ich tue es nicht, schon allein
meines Kindes*** wegen, obwohl ich zur Zeit furchtbar deprimiert bin. Dieser
Reaktorunfall**** nimmt mir jegliche Hoffnung. Ich bin vollkommen
niedergeschlagen. Nun werden Sie vielleicht sagen, ich sei hysterisch.
Bestimmt nicht!
VON TROTTA: Es geht auch gar nicht so sehr um mich. Mein Gott, ich habe lange
genug gelebt, und ob ich in zehn Jahren Krebs bekomme, spielt keine Rolle. Aber
denken Sie an die Jungen. Als mein Sohn zu mir sagte, weißt du, Mutti, wir sind
die erste Generation, die keines natürlichen Todes stirbt, war ich erschüttert.
Es gibt doch diese Theorie, daß sich der Reaktorkern, wenn er brennt, in die
Erde bohrt und eine Kettenreaktion auslöst, durch die unter Umständen die ganze
Welt explodiert. Ich komme von dieser Vorstellung gar nicht mehr los. Ich sitze
da wie ein hypnotisiertes Kaninchen und warte darauf, daß es knallt.
Trotzdem lachen Sie.
VON TROTTA: Natürlich. Es ist ja auch komisch. Der Gedanke, daß der vielgelobte
Fortschritt, mit dem eigentlich ein wachsendes Wohlbefinden jedes einzelnen
Menschen gemeint war, nun dazu führen könnte, daß wir alle in die Luft gehen,
hat auch eine groteske Seite. Dieser Fortschrittsglaube war noch zu Beginn des
Jahrhunderts ganz ungebrochen. Es war der Glaube sowohl der Kapitalisten als
auch der Sozialisten. Darin haben sie sich nicht unterschieden.
Es war auch Rosa Luxemburgs Glaube.
VON TROTTA: Ja, sicher, in diesem Punkt war sie mit der Partei völlig einig.
Ein Zeichen von Intellekt ist das nicht gerade.
VON TROTTA: Wollen Sie ihr vorwerfen, daß sie kein Prophet war?
Nein, aber ist es bewunderungswürdig?
VON TROTTA: Was mir an Rosa gefällt ist, daß sie nie in Lamentation oder
Selbstmitleid endet, während es in mir immer die Tendenz gibt, mich aus der
Welt zu schaffen. Wenn ich unglücklich bin, habe ich sofort den Gedanken, mich
umzubringen, was niemandem nützen würde.
Haben Sie es versucht?
VON TROTTA: Nein, aber als Gefühl hat es mich immer begleitet. Warum sonst
hätte ich so viele Filme gemacht, in denen Menschen vorkommen, die mit dem
Gedanken an Selbstmord spielen? Schon meine erste Kurzgeschichte, die ich als
junges Mädchen geschrieben habe, handelt von einem Mann, der dauernd an
Selbstmord denkt, es aber nie tut, bis es eines Tages geschieht, weil er sich
zufällig auf einer Brücke befindet.
Der Mann sind Sie.
VON TROTTA: Natürlich bin ich das. Bei mir kommt immer, wenn ich auf einer
Brücke stehe, ein Moment der Faszination, wo ich denke, jetzt springe ich, auch
wenn es mir in diesem Moment gar nicht schlecht geht. Ich möchte mich fallen
lassen. Ich würde mich nie aufhängen oder erschießen. Zu diesen aggressiven
Akten der Selbstzerstörung, die viel Vorbereitung erfordern, wäre ich nicht
imstande. Ich habe eher die Vorstellung, mich von einem hohen Turm in die Tiefe
zu stürzen.
Würden Sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?
VON TROTTA: Daran habe ich nie gedacht, da ich ohnehin sehr viel schreibe. Man
würde mein Tagebuch finden. Also das Motiv wäre klar. Wenn ich es tue, dann
nicht aus einem bestimmten Anlaß, etwa aus Eifersucht, sondern sozusagen als
Schlußakt eines gesamten Lebens.
Mögen Sie es eigentlich, so befragt zu werden?
VON TROTTA: Sonst schon. Nur heute würde ich lieber schweigen. Es gibt Tage, an
denen man den Mund gar nicht mehr aufmachen möchte. Ich sehe keinen Sinn darin,
mich noch darzustellen. Können wir das Interview nicht verschieben?
Wir sind doch fast fertig.
VON TROTTA: Aber es ist nur lauter Geschwätz, ein hilfloses Gestammel. Ich bin
so uneins mit mir. Ich weiß nicht mehr, was ich von der Welt halten soll, wer
ich bin, was ich will, was ich wollen soll. Ich habe das Gefühl, ich löse mich
in Teilchen auf, die ich nicht mehr zusammenkriege. Normalerweise macht es mir
Spaß, in mir herumzustochern, um herauszubekommen, was ich empfinde und denke.
Ich bin wie ein kleines Schülerlein, das immer noch lernen will. Ich strebe
nach Weisheit. Aber im Moment führt mich das immer tiefer in die Verzweiflung.
Zu Ende gedachte Gedanken führen ins Nichts.
VON TROTTA: Wer sagt das?
Sartre.
VON TROTTA: Heißt das, wenn man nicht unglücklich sein will, muß man
verdrängen?
Ja, oder lieben.
VON TROTTA: Gut, ich bin vielleicht nicht entspannt genug. Der Fassbinder hat
einmal gesagt, ich solle in Interviews nicht immer versuchen, intelligent zu
erscheinen, sondern einfach nur dasitzen und ich sein. Aber ich bin doch nicht
radioaktiv. Ich muß etwas tun. Ich kann nicht warten, daß ich abstrahle, was
ich mitteilen möchte.
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*) Die Ehe mit Schlöndorff dauerte von 1971 bis 1991
**) Von Trottas Vater ist der Maler Alfred Roloff.
***) Der Sohn, Felix, geboren 1966, aus erster Ehe (mit dem Journalisten Felice
Laudadio)
****) In Tschernobyl in der Ukraine (damals Sowjetunion), ereignete sich am 26.
April 1986 die schwerste Kernreaktorkatastrophe der Geschichte.
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