Sie machen Mode für Frauen.
KARL LAGERFELD: Ja, denn würde ich Mode für Männer machen, würde ich automatisch
an mich dabei denken.
Sie brauchen den Abstand.
LAGERFELD: Genau.
Interessieren Sie die Frauen, die Ihre Kleider dann tragen sollen?
LAGERFELD: Die Models, die das vorführen, interessieren mich schon. Die sollen
ja gut darin aussehen.
Ihr Kollege Yohji Yamamoto sagt, er gebe seine Kleider den Frauen, um sie
in der Männerwelt, die er offenbar für bedrohlich hält, zu beschützen.
LAGERFELD: Das halte ich für prätentiös. Ich liebe die Arbeit von Yamamoto.
Er macht technisch ganz tolle Sachen. Aber was er manchmal redet, ist furchtbar.
Sie schicken die Frauen in hautengen Mikrominis, transparenten Plastikkleidchen
und Schuhen mit nadeldünnen Stiletto-Absätzen ins Leben. Meinen Sie, daß sie
sich darin wohlfühlen können?
LAGERFELD: Eine Frau, die mit der Mode geht, fühlt sich immer wohl.
Aber in diesen Schuhen kann man doch gar nicht gehen.
LAGERFELD: Doch, doch, das ist Trainingssache.
Jean-Paul Gaultier nennt Frauen, die jede Mode mitmachen, "Gänse, die
mit feiner Leberpastete gefüttert werden, von der ihnen schlecht wird".
LAGERFELD: Das ist Quatsch. Gaultier sollte nicht so viel reden. Seine Kleider
sind besser als seine Statements.
Yves Saint-Laurent behauptet, an seinen Kreationen könne man ablesen, was
das wichtigste in seinem Leben sei, "die Liebe zu den Frauen".
LAGERFELD: Aber der hat doch mit Frauen nie etwas anfangen können, sein ganzes
Leben nicht.
Sie meinen, weil er schwul ist?
LAGERFELD: Ja, aber das interessiert mich nicht. Solche Fragen stelle ich
nicht. Die Leute danach einzuteilen, was sie für sexuelle Vorlieben haben,
ist heute doch überholt. Daraus soll man kein Drama machen. Das will ich auch
von meinen besten Freunden nicht wissen, weil man darüber nicht amüsant reden
kann. Das wird dann gleich so persönlich.
Christian Lacroix gilt als einer der wenigen Frauenhelden unter den Modeschöpfern.
LAGERFELD: Wer sagt das? Das kann nur jemand sagen, der nicht informiert ist.
Daß einer verheiratet ist, will noch nichts heißen.
Robert Altman erklärt in seinem Film "Prêt-à-porter" den Unterschied
zwischen Männern und Frauen in der Modebranche so: Frauen entwerfen Kleider
für sich selbst oder für andere Frauen. Ein Mann macht Kleider für die Frau,
die er gern haben möchte, oder, wie in den meisten Fällen, für die Frau, die
er gern wäre."
LAGERFELD: Das ist Unsinn. Um das zu hören, mußte man nicht auf Herrn Altman
warten. Das macht diesen Film so langweilig und so banal. Monsieur Altman
ist ein alter, verbitterter Mann. Ich kenne ihn. Er war bei mir und hat mich
gebeten, in seinem Film mitzuspielen. Als ich ablehnte, hat er Robert de Niro
gefragt. Aber dem war die Gage zu niedrig.
Sie sind gegen den Film gerichtlich vorgegangen, weil eine der Hauptfiguren
Sie darin als "Dieb" bezeichnet. An der Stelle war dann ein Piepston
zu hören.
LAGERFELD: Ja, aber das Komische war, daß ich den Film gar nicht gesehen hatte.
Freunde haben mir davon erzählt.
Sie wollten nicht als Plagiator dastehen.
LAGEFELD: Natürlich nicht. Ich habe mir das nicht gefallen lassen.
Auch Coco Chanel hat sich über männliche Modemacher abfällig geäußert.
LAGERFELD : Ja, Gott, das hat sie aus Wut getan, weil die Männer erfolgreicher
waren als sie. Aber sie haßte Frauen. Sie fand Frauen gräßlich.
Wissen Sie, was sie an den Frauen am häßlichsten fand?
LAGERFELD: Nein.
Die Knie. Deshalb waren ihr Miniröcke ein Greuel.
LAGERFELD: Das ist verständlich aus ihrer Zeit heraus. Denn sie hat noch die
Generation der Frauen gekannt, die Korsette trugen. Durch das Korsett wurde
das Fettgewebe vom Bauch zu den Knien geschoben. Die Frauen litten fast immer
an Zellulitis. Es gibt Models, denen das auch noch heute passiert. Aber die
meisten können ihre Knie zeigen. Es gibt heutzutage ganz hübsche Knie.
Sie arbeiten seit 1983 für die Firma Chanel. Ihre frühen Kostüme zeigten noch
die für das Haus typische elegante Linie.
LAGERFELD: Das habe ich absichtlich gemacht. Ich gehe jetzt sogar wieder ein
bißchen zu dieser Linie zurück. Die Mode ist wie des Meeres und der Liebe
Wellen. Man muß zerstören, um etwas Neues zu finden. Man muß alte Elemente
wieder benutzen, dann muß man Sie plötzlich respektlos behandeln, dann wieder
aufgreifen, dann ihnen einen Fußtritt versetzen.
Und die Kundinnen sollen dem folgen?
LAGERFELD: Sie müssen nicht. Ich mache nur Vorschläge.
In einem früheren Interview sagten Sie: "Die Mode braucht Opfer. Wir
leben von diesen Opfern. Kein Mensch benötigt all diese Dinge. Die Frauen
haben mehr Lust, sie zu kaufen, als sie dann zu tragen. So bringen sie ein
wenig Phantasie in ihr langweiliges Leben."
LAGERFELD: Was ich sage, gilt immer nur für den Augenblick. Das zählt sechs
Monate später schon nicht mehr.
Meinen Sie nicht, diese Frauen sollten lieber ihr langweiliges Leben ändern,
als sich durch den Kauf Ihrer Kleider, die sie gar nicht benötigen, abzulenken?
LAGERFELD: Darüber müssen Sie sich mit einer Frau unterhalten. Das geht doch
die Männer nichts an.
Verstehen Sie das Anliegen der Feministinnen, die gesellschaftliche Situation
der Frau zu verbessern?
LAGERFELD: Ich habe es immer betont vermieden, ein Anliegen zu haben, und
hätte ich eines, würde ich daraus kein Gesprächsthema machen, weil das für
die anderen stinklangweilig ist. Ich bin nicht Madame Schwarzer. Ich mag die
Alice im Grunde ganz gern, aber manchmal finde ich sie wirklich grotesk. Sie
will ernster erscheinen, als sie privat eigentlich ist. Sie war vielleicht
Simone de Beauvoirs Sekretärin, aber eine zweite Simone de Beauvoir wird sie
nicht. Die Zeiten sind heute andere. Die Situation der Frau hat sich doch
sehr gebessert.
Sie ist immer noch so, daß sich die Frau ausstaffiert oder ausstaffieren läßt,
um dem Mann zu gefallen. Sie will das Objekt seiner Begierde sein.
LAGERFELD: Ja, warum nicht? Ich kenne viele Frauen, die in einer bestimmten
Situation das Objekt für den Mann sein wollen, weil sie Lust auf ihn haben,
aber danach sind sie wieder ihr eigener Mittelpunkt. Das ist doch nichts Negatives.
Ich kenne keine unterdrückten Frauen. Aber ich kenne wahrscheinlich nur privilegierte
Frauen.
Sie zitieren gern Oscar Wilde. Einer Ihrer Lieblingssätze heißt: "Oberflächlich
zu sein, ist das wichtigste im Leben, was das zweitwichtigste ist, kann niemand
sagen."
LAGERFELD: Ja, ich lasse mich gern als oberflächlich bezeichnen. Ich bin kein
Intellektueller. Wer zu tief denkt, ist in der Modebranche fehl am Platz.
Ich meine, er kann denken, so tief er will. Aber er sollte seine tiefen Gedanken
nicht an die Fetzen hängen, sonst wird es pathetisch. Mode ist oberflächlich.
Das muß man akzeptieren, wenn man sich für diesen Beruf entscheidet. Man braucht
dazu eine leichte Hand. Modemacher, die sich für tiefe Denker halten, haben
oft nichts gelernt. Sie wissen nichts, sie haben keine Kultur, aber sie denken,
sie wären viel zu gut für ihren Beruf. Sie fragen sich, wie sie einen so oberflächlichen
Beruf überhaupt wählen konnten. Ich akzeptiere meinen Beruf. Ich mache kein
Psychodrama aus meiner Tätigkeit.
Wer tut denn das?
LAGERFELD: Yves Saint-Laurent zum Beispiel. Sie wissen doch, was der in Interviews
redet.
Er sagt, daß er an Depressionen leide.
LAGERFELD: Ja, das finde ich degoutant, vor allem, weil ich weiß, was er in
Wirklichkeit denkt, wie er in Wirklichkeit handelt. Sein Benehmen im Leben
ist kilometerweit von dem Kram entfernt, den er öffentlich von sich gibt.
Er holt sich arabische Strichjungen in sein Schloß in Marokko.
LAGERFELD: Ja, genau. Darum will ich dieses weinerliche Geseire nicht hören
und diesen Quatsch vom dauernden Leiden.
Warum soll einer nicht leiden, der sich Strichjungen holt? Pasolini hat auch
gelitten.
LAGERFELD: Ja, sicherlich. Aber Saint-Laurent ist nicht Pasolini. Wir sind
in der Bekleidung. Mode ist nicht Kunst. In Pasolinis Werk gibt es eine Dimension,
die es in diesen Taftkleidern nicht gibt. Jeder macht sich sein Leben, wie
er es kann und wie er es will. Man muß auch über sich lachen können. Man muß
neben sich stehen können. Ich kann neben mir stehen und über mich lachen.
Das ist das ganze Geheimnis. Man darf sich nicht zu ernst nehmen. Es gibt
Milliarden Leute auf der Welt. Man steht doch in einem Verhältnis. Man muß
sich sagen, pfrr, ist doch alles gar nicht so wichtig.
Die Schauspielerin Catherine Deneuve, die Yves Saint-Laurents Mode besonders
schätzt, sagt über ihn: "Er ist ein großer Künstler mit einer gequälten
Seele."
LAGERFELD: Oh Gott, oh Gott! Was tut man nicht alles für Geld. Die beiden
kennen sich kaum.
Wollen Sie damit sagen, Catherine Deneuve wird dafür bezahlt, daß sie solche
Sätze sagt?
LAGERFELD: Ja, natürlich. Die hat einen Vertrag. Aber das ist mir egal. Ich
würde so etwas niemals machen. Ich hasse star-fucker.
Star ... was?
LAGERFELD: Star-fucker, Starbumser, das finde ich einen tollen Ausdruck. Das
sind Modeleute, die Stars benutzen, um sich zu schmücken. Wissen Sie, ich
habe Catherine Deneuve schon als Kind gekannt. Ich kenne sie viel besser,
als Yves Saint-Laurent sie kennt. Aber soll Sie doch sagen, was sie will,
soll sie ihn einen Künstler nennen. Das Dumme ist nur, daß dabei immer das
gleiche Kleid herauskommt. Dem ist doch seit zwanzig Jahren nichts Neues mehr
eingefallen.
Ja, weil er Kleider für die Ewigkeit machen will. Ich zitiere: "Mode
für eine bestimmte Zeit zu machen, bereitet mir keinen Spaß. All diese Kleider,
die nach einem Jahr sterben, das ist nichts als eine Gebärmutter und ein Haufen
Gebeine ... "
LAGERFELD: Das ist doch grauenhaft! Grauenhaft!
Es geht noch weiter: "Ich habe einen Strick entworfen, um mich damit
aufzuhängen."
LAGERFELD: Ja, finden Sie das nicht grauenhaft? Ich finde das peinlich und
eingebildet und prätentiös und grotesk.
Vielleicht lacht er darüber.
LAGERFELD: Nein, bestimmt nicht. Früher, ja. Früher, als er jung war; hatte
er noch Humor. Den hat er inzwischen verloren. Dazu ist er nicht mehr luzid
genug. Wissen Sie, ich hasse Selbstmitleid. Ich mag keine Leute, die wohlgefällig
ihr Leid ausbreiten.
Gibt es noch andere Modeschöpfer, die leiden?
LAGERFELD: Ja, Ungaro, der leidet auch.
Leidet Armani?
LAGERFELD: Ja, an Größenwahn.
In der amerikanischen Modezeitung "Vanity Fair" erschien 1992 ein
Interview, in dem Sie auch über die Beziehung zu Ihrem langjährigen Geliebten
Jacques de Bascher, der 1989 an Aids verstarb, sprachen.
LAGERFELD: Er war nicht mein Geliebter. Das war keine sexuelle Beziehung.
Sonst wäre ich ja jetzt tot.
Aber er war der wichtigste Mensch in Ihrem Leben.
LAGERFELD: Ja.
Sie brachen, so war zu lesen, während dieses Gespräches in Tränen aus. Die
Reporterin beschrieb Ihr Gesicht als eine "Grimasse des Schmerzes".
LAGERFELD: Ja, aber ich weiß gar nicht, wie sie das sehen konnte. Der Raum
war ziemlich dunkel. Wir saßen bei Kerzenlicht. Vielleicht hat mein Gesicht
dadurch einen dramatischeren Ausdruck bekommen.
Schämen Sie sich Ihrer Tränen?
LAGERFELD: Nein, aber ich lege keinen besonderen Wert darauf. Ich halte sie
lieber zurück. Ich verliere nicht gern die Kontrolle. Kann sein, daß ich das
manchmal auch übertreibe. Vielleicht gehe ich zu sparsam mit meinen Gefühlen
um. Aber so ist meine Natur.
Das Sterben Ihres Freundes hat lang gedauert.
LAGERFELD: Ja, jahrelang. Es war entsetzlich. Ich habe mich gewundert, daß
ich das so gut aushalten konnte. Ich habe ja bis zu seinem Tod im Krankenhaus
bei ihm gewohnt. Das war wie im Krieg. Der gute Mann war zuletzt bis auf die
Knochen abgemagert. Danach habe ich mir geschworen, daß ich nie wieder abnehmen
werde, und daß ich das nie wieder erleben möchte, nie wieder. Ich bewundere
Leute, die so etwas können, die ihr Leben damit verbringen, anderen beizustehen.
Aber ich weiß, ich kann das nicht, ich will das nicht, ich bin nicht Dr. Schweitzer,
und wenn ich es wäre, könnte ich keine Mode machen.
Sie sagen: "Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, der Realität
zu entgehen."
LAGERFELD: Einer gewissen Realität.
Welcher?
LAGERFELD: Ich bin ja nicht blind. Ich weiß, was in der Welt vor sich geht.
Ich weiß, es ist grauenhaft.
Aber Sie sehen nicht hin.
LAGERFELD: Genau. Ich baue mir meine eigene Realität. Ich habe mir etwas zusammengebastelt,
mit dem ich ganz gut zurechtkomme im Leben. Ich genieße den Luxus, der Mittelpunkt
meiner eigenen, heilen Welt zu sein.
Werden Sie nicht manchmal von den Gedanken an die schreckliche Wirklichkeit
eingeholt?
LAGERFELD: Nein, denn ich handle, ich denke nicht. Das Denken ist genau das,
was ich vermeide oder zu vermeiden versuche. Ich möchte ein angenehmes Leben
ohne Probleme haben. Ich bin Egoist. Ich will nicht mein Opfer sein und auch
nicht das Opfer anderer Leute. Ich bin mein Anfang und mein Ende, und was
ich erreichen möchte, bestimme ich selbst. Das Glück ist eine Frage des Willens.
Ich bin das Ergebnis dessen, was ich mir ausgemalt und vorgestellt habe, was
ich gewollt habe und was ich beschlossen habe zu sein.
Ich habe gelesen, Sie wollten Maler werden.
LAGERFELD: Das stimmt.
Wo sind Ihre Bilder?
LAGERFELD: Ich hänge mich nicht an die Wand. Ich male zu meinem Vergnügen,
und ich gebe die Bilder dann alle weg. Ich besitze keine einzige Zeichnung
von mir.
Sie wollten Künstler werden, aber Sie sind Couturier geworden.
LAGERFELD: Ja, aber ich bedaure das nicht. Ich habe mich mit mir arrangiert.
Sie müssen nicht um mich weinen.
Sie haben erkannt, daß Sie Ihren Ansprüchen an sich selbst nicht gerecht werden
können.
LAGERFELD: Möglich. Aber ich habe daraus die richtigen Konsequenzen gezogen.
Sie haben schon als Kind so gut gezeichnet, daß Ihre Mutter die Blätter in
die Kunstakademie in Hamburg brachte, damit man Sie dort studieren ließe.
LAGERFELD: Ja, sie hielt mich wohl für begabt. Aber der Direktor sagte, Ihr
Sohn interessiert sich doch gar nicht für Kunst, sondern für Mode, gucken
Sie sich mal die Kostüme an.
Hat Sie das nicht enttäuscht?
LAGERFELD: Nein, dazu war ich zu jung. Mit zehn, zwölf Jahren hat man noch
keine seriöse Vorstellung von Künstlertum. Ich war als junger Mensch nicht
so selbstsicher, wie ich es heute bin. Meine Zeichnungen entsprachen nicht
dem, was man zur damaligen Zeit unter Kunst verstand. Vielleicht war ich nicht
ehrgeizig genug. Vielleicht war ich zu faul. Aber das ist vergessen. Das ist
im Nebel der Vorgeschichte verschwunden. Ich glaube nicht, daß ich ein großer
Maler geworden wäre. Wahrscheinlich sind die tollsten Bilder schon alle gemalt.
Das ist wie mit der Oper. Ich glaube, die Malerei ist wie die Oper eine vergangene
Kunst, und nichts ist dümmer, als sich gegen den Zeitgeist zu stellen.
Sie haben resigniert.
LAGERFELD: Kann sein, aber unbewußt. Ich empfinde mich nicht als einen resignativen
Menschen.
Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, die Mode aufzugeben?
LAGERFELD: Nein, im Moment habe ich dazu noch keine Lust. Aber ich fotografiere.
Die Fotografie ist mir heute wichtiger als die Mode, weil sie etwas Persönliches
ist. Mit der Fotografie kann ich mich selbst ausdrücken. Das geht mit einem
Kleidungsstück nicht. Ich lasse mir gerade von einem japanischen Architekten
ein Kloster bauen, in dem es ein Fotoatelier geben wird, Arbeitsräume, eine
Bibliothek für meine 230 000 Bücher und Zimmer für meine Mitarbeiter. Das
Grundstück habe ich schon gekauft. Dort wird man keine Kleider probieren.
Dort werde ich zwölf Monate im Jahr mönchisch leben.
Sie meinen, enthaltsam.
LAGERFELD: Ja, aber tätig.
Weltabgewandt.
LAGERFELD: Ja, geschützt gegen die Außenwelt. Das Gebäude wird in einem Wald
stehen, umgeben von Wasser. Die Gästezimmer werden wie Zellen eingerichtet
sein, mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, sonst nichts. Ich selbst werde
in einem Penthouse darüber wohnen als eine Art Pere superieur, der bestimmt,
was zu geschehen hat.
Können Sie das etwas näher erläutern?
LAGERFELD: Ich möchte, daß meine Mitarbeiter in einem Haus mit mir leben.
Zu bestimmten Zeiten wird gearbeitet. Danach kann jeder tun, was er will,
wenn er am nächsten Tag wieder pünktlich zur Arbeit kommt. Er kann seinen
Freund, seine Frau oder Freundin treffen. Das ist mir egal, nur: Ich will
es nicht wissen. Der Alltag, dieser ganze Klimperkram des alltäglichen Lebens
bleibt ausgeklammert. Die nötigen Kontakte nach draußen werden mit dem Computer
erledigt. Mir schwebt etwas vor, das den Fortschritt des Jahres 2000 mit der
Lebensdisziplin in einem mittelalterlichen Kloster verbindet, aber ohne jeden
katholischen Beigeschmack. Die Klöster im Mittelalter waren ja nicht nur zum
Beten da, sondern das waren auch die wichtigsten Kulturträger damals. Pascal
lebte in einem Kloster. Aber er war kein Mönch. Ohne die Kulturleistung der
Klöster wären wir heute noch Analphabeten.
Auf Modenschauen würden Sie dann nicht mehr erscheinen.
LAGERFELD: Das wäre mein Traum.
Aber den können Sie sich doch schon morgen erfüllen. Reich genug sind Sie.
LAGERFELD: Ja, aber ich muß doch das Ding erst mal bauen. Ich muß mich von
all dem Plunder befreien, den ich gesammelt habe, von meinen Häusern, von
all dem unnötigen Zeug, das ich einmal sehr nötig fand. Ich kann nicht von
heute auf morgen alles liegen und stehen lassen, schon allein deshalb nicht,
weil zu viele Leute von meiner Arbeit leben. Das wäre denen gegenüber nicht
nett. Ich bin ein Mensch, der Gott sei Dank, auch Dinge tun kann, für die
er nicht unbedingt schwärmt. Ich meine, ich finde es grauenhaft, nach einer
Modenschau auf den Laufsteg zu müssen. Aber das gehört nun einmal dazu. Es
wäre unhöflich, das nicht zu tun. Ich halte sehr viel von Höflichkeit.
Sie machen nicht den Eindruck, als fiele es Ihnen schwer, sich öffentlich
in Szene zu setzen.
LAGERFELD: Ja, das sieht von außen vielleicht so aus. Die Höflichkeit ist
auch eine gute Schule der Disziplin.
Glauben Sie wirklich, daß Sie das abgeschiedene Leben in einem Kloster, das
ja auch mit Alleinsein verbunden ist, auf die Dauer aushalten werden?
LAGERFELD: Allein werde ich dort so gut wie nie sein. Denn ich bin ja untergeben
von Leuten.
Untergeben?
LAGERFELD: Umgeben! Diesen Lapsus brauchen Sie nicht zu interpretieren. Ich
habe seit mehreren Tagen kein Deutsch gesprochen.
Ich möchte Sie nach Ihrer Kindheit befragen. Sie sind in luxuriösen Verhältnissen
aufgewachsen. Ihre Eltern besaßen in der Nähe von Hamburg ein Gut. Ihr Vater
war Dosenmilchfabrikant ...
LAGERFELD: Ja, die Marke heißt "Glücksklee". Das sagt doch schon
alles.
Wie sind Sie erzogen worden?
LAGERFELD: Überhaupt nicht. Mit Erziehung wurde ich nicht belästigt. Ich habe
mich selbst erzogen. Mein Vater stammte ja noch aus einer Generation, in der
man mit Kindern kaum sprach. Kinder wurden behandelt wie kleine Erwachsene.
Wenn ich meiner Mutter etwas erzählen wollte, sagte sie, sprich nicht so langsam,
der Stuß, den du redest, ist nur zu ertragen, wenn es nicht lange dauert.
Das ist ja furchtbar.
LAGERFELD: Warum?
Eine Mutter sagt ihrem Kind, daß es nur Stuß von sich gibt.
LAGERFELD: Kinder reden doch immer Stuß. Deshalb haßte ich als Kind andere
Kinder. Ich spielte nie mit anderen Kindern, und ich selbst fand mich total
doof als Kind. Klein zu sein, empfand ich als Zeitverschwendung.
Fühlten Sie sich von Ihren Eltern geliebt?
LAGERFELD: Meinen Vater habe ich kaum gesehen. Der hatte ja in der Fabrik
zu tun. Meine Mutter war eine kühle, aber sehr amüsante Frau. Sie war zweiundvierzig,
als ich geboren wurde. Sie hatte bis dahin nur eine Tochter, und sie wollte
unbedingt einen Sohn. Sie haßte Frauen. Also nahm sie die Qual der Schwangerschaft
trotz ihre Alters noch einmal auf sich, um einen Jungen zu kriegen. Unsere
Beziehung war distanziert, aber voll Liebe. Ich wurde verwöhnt mit Freiheit.
Ich habe früh erkannt, daß ich machen kann, was ich will, wenn ich nur meinen
Eltern nicht auf die Nerven falle.
Gab es zwischen Ihrer Mutter und Ihnen auch Zärtlichkeit?
LAGERFELD: Nein, denn körperliche Nähe war ihr zuwider. Das habe ich sicher
von ihr geerbt.
Aber ein kleines Kind will doch gestreichelt werden.
LAGERFELD: An meine Zeit als Säugling kann ich mich nicht erinnern. Ob mich
da jemand gestreichelt hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich zum Beispiel
nicht gestillt worden bin. Muttermilch hat es nicht gegeben. Meine Mutter
sagte, ich habe nicht einen Milchfabrikanten zum Mann, um meinen Busen für
so etwas herzugeben, es gibt ja Dosenmilch. Ich wurde aus der Dose ernährt.
Das erklärt manches.
LAGERFELD: Ja, vielleicht ist das der Grund, warum ich seit dreißig Jahren
keine Milch trinken kann. Ich hasse Milch, besonders warme Milch, wenn eine
Haut darauf ist. Ich werde ohnmächtig, wenn ich nur daran denke.
Für einen Psychiater wären Sie ein spannender Fall.
LAGERFELD: Wahrscheinlich. Deshalb bin ich nie zu einem gegangen. Ich analysiere
mich nicht. Ich analysiere auch nicht meine Träume. Analytiker sind mir ein
Greuel.
Sie offenbaren sich lieber in Interviews.
LAGERFELD: Ich beantworte Fragen. Aber ich spreche nie von selbst über mich.
Über Ihr Sexualleben haben Sie mitgeteilt, daß Sie seit Ihrem vierzigsten
Lebensjahr keines mehr haben.
LAGERFELD: Ja, ich meine, there is time for everything, es gibt für alles
die richtige Zeit. Ich habe in meiner Jugend all das gehabt. Aber es hat mir
nie viel bedeutet.
Sie waren umschwärmt von Männern.
LAGERFELD: Auch von Frauen.
War Ihnen das lästig?
LAGERFELD: Es war mir nicht angenehm. Wissen Sie, als Modeschöpfer sind Sie
doch dauernd von Leuten umgeben, die über nichts anderes sprechen als über
Sex. Die Sexualität ist in diesem Milieu ein Gebrauchsartikel der schlimmsten
Sorte. Das allein genügt schon, daß man die Lust verliert.
Onanieren Sie?
LAGERFELD: Darüber zu spekulieren, überlasse ich Ihnen.
Alberto Moravia vertrat die These, die Selbstbefriedigung sei für einen kreativen
Menschen das Ideale, weil sie allein auf der Phantasie beruht.
LAGERFELD: Ja, das finde ich interessant. Aber das ist für eine amüsante Unterhaltung
kein Thema. Wenn das nicht zerebral bleibt, kommt der Moment, wo es
Lagerfeld peinlich wird.
Alles Körperliche ist Ihnen peinlich.
LAGERFELD: Genau.
Aber Sie können es doch nicht unterdrücken.
LAGERFELD: Man kann alles, wenn man will. Um das zu verstehen, sind Sie vielleicht
noch zu jung. Sie müßten sich mehr zusammennehmen.
Sie sehen Ihr Leben als einen "Triumph des Willens".
LAGERFELD: Das klingt wie von Leni Riefenstahl.
In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" haben Sie es auf
sich bezogen.
LAGERFELD: Ja, aber das war ein Witz.
Eine andere Selbstbeschreibung, die Sie gern wiederholen, lautet: "Ich
habe alles ausprobiert. Ich habe alles genossen. Jetzt bin ich ein erkalteter
Stern."
LAGERFELD: Das ist von Paul Klee. Das habe ich nur zitiert.
Aber Sie haben es auf sich angewendet.
LAGERFELD: Ja, mir gefiel das. Ein erkalteter Stern ist etwas Dauerhaftes.
Der kann nicht mehr verglühen.
Haben Sie Angst vor dem Sterben?
LAGERFELD: Ich habe Angst vor Krankheit, aber keine Angst vor dem Tod. Als
Kind hatte ich Angst vor Krüppeln. Gegenüber dem Landsitz meiner Eltern befand
sich ein Bad für Rheumatiker. Dort ging ich nie hin, weil ich all diese Leute,
die da mit dem Stock spazierengingen oder im Rollstuhl gefahren wurden, nicht
sehen wollte. Ich dachte, daß ich mich anstecken könnte. Als ich so vier oder
fünf Jahre alt war, wurde meine Schwester am Blinddarm operiert. Danach drohte
mir meine Mutter immer, na, vielleicht nehmen wir ihn dir auch heraus, weil
sie wußte, daß ich mich davor fürchte. Wenn es an der Haustür klingelte, versteckte
ich mich im Garten, weil ich Angst hatte, es könnte der Hausarzt sein. Wenn
ich einen Krankenwagen sah, lief ich schreiend davon.
Waren Sie schon einmal in Todesgefahr?
LAGERFELD: Ja, ich wäre in New York mit einer Concorde einmal fast explodiert.
Die war schon gelandet, aber auf der Rollbahn stand noch ein anderes Flugzeug.
Das war praktisch das Ende. Die Leute um mich herum wurden hysterisch. Meine
Nachbarin hat mir den Jackenärmel herausgerissen. Aber ich blieb ganz ruhig.
Mir war es egal. Seither weiß ich, daß ich keine Todesangst habe. Ich fühlte
mich wie die Herzogin von Berry, die mit ihrem Mann in der Kutsche saß und,
als die Pferde scheuten, die Unterhaltung seelenruhig weiterführte. Als der
Herzog sie fragte, ob sie nicht sehe, daß sie sich in Todesgefahr befänden,
sagte sie: Ich bin nicht der Kutscher. Das finde ich eine tolle Antwort.
Ist es Ihnen gleichgültig, auf welche Art Sie sterben?
LAGERFELD: Mit dem Flugzeug abzustürzen und zum kollektiven Hamburger zu werden,
halte ich für keine sehr appetitliche Perspektive. Das fände ich unromantisch.
Wenn Sie tot sind, spielt es doch keine Rolle, wie Sie gestorben sind.
LAGERFELD: Das ist richtig. Nur wäre es mir lieber, wenn das ästhetischer
vor sich ginge. Ich möchte spurlos verschwinden wie die Tiere im Urwald. Ich
bin auch gegen Beerdigungen. Ich habe schriftlich festgelegt, daß hinter meiner
Asche niemand hergehen darf. Es wird kein Begräbnis geben. Meine Überreste
werden im Wind verstreut.
Was tun Sie, wenn Sie zum Pflegefall werden?
LAGERFELD: Das weiß ich nicht. Soweit bin ich noch nicht. Oder finden Sie,
daß ich schon in einem gefährlichen Stadium bin?
Nein, aber ich dachte, Sie hätten vorgesorgt, weil Sie es doch so verabscheuen,
von Menschen berührt zu werden. Das wäre ja dann nicht zu vermeiden. Sie müßten
es zum Beispiel ertragen, daß Ihnen jemand den Po abwischt.
LAGERFELD: Ja, aber, Gott sei Dank, gibt es Leute, die ihre Berufung darin
sehen, das zu tun. Ich könnte es nicht, weil ich es erniedrigend finde, und
ich würde es anderen gern ersparen.
Sie könnten sich vorher das Leben nehmen.
LAGERFELD: Dagegen habe ich nichts. Nach einem angenehmen Leben finde ich
es nicht schlimm, Schluß zu machen. Aber daran denke ich jetzt noch nicht.
Im Französischen sagt man: d'etre au pied du mur. Das entscheide ich erst,
wenn es nötig ist.
Wie möchten Sie von der Nachwelt beurteilt werden?
LAGERFELD: Das ist mir egal. Was nach mir kommt, ist mir vollkommen egal.
Pierre Cardin wurde in die Academie francaise gewählt.
LAGERFELD: Ja, dort kann er sich jetzt mit seinen Strumpflizenzen aus dem
Supermarkt für unsterblich halten.
Modenschauen macht er keine mehr.
LAGERFELD: Das ist auch besser so, denn er hat sich doch zuletzt nur noch
selbst wiederholt.
Über die Herzogin von Windsor, die Sie bewundern, weil sie ihrer Häßlichkeit
den Willen zur Eleganz entgegensetzte, haben Sie in der „New York Times"
geschrieben: "Wir werden niemals wissen, was sie wirklich fühlte und
dachte. Nur auf ihr Gesicht, auf ihre Kleider und auf ihren Schmuck können
wir uns verlassen. Keine intimen Bekenntnisse haben überlebt, nur oberflächliche
Interviews, wenige Wahrheiten und eine Menge Klatsch."
LAGERFELD: Ja, ich hoffe, daß man das auch über mich schreiben wird.
Sie treten seit zwanzig Jahren nur noch mit Mozartzopf, Fächer und dunkler
Brille auf. Eine Umfrage ergab, daß über neunzig Prozent der Deutschen Sie
zwar beschreiben könnten, aber nur ein Teil davon weiß, was Sie beruflich
tun.
LAGERFELD: Das ist doch toll.
Sie stilisieren sich zum Geheimnis.
LAGERFELD: Ja, aber vielleicht ist gar nichts dahinter. Das Geheimnis ist
ja im Grunde das Nichts, le mystere est le neant, sonst wäre es ja kein Geheimnis.
Vielleicht sitzt Ihnen das Nichts gegenüber.
Das Nichts im schwarzen Anzug.
LAGERFELD: Das bewußte Nichts, ja.
Das Nichts hinter der Maske.
LAGERFELD: Genau.
Erinnern Sie sich an einen glücklichen Moment in Ihrem Leben?
LAGERFELD: Ich führe kein Tagebuch. Wissen Sie, wenn man weiß, daß man glücklich
ist, ist man es ja schon nicht, weil dieser Moment sich nur einstellt, wenn
man nicht daran denkt. Ich habe mich an mich gewöhnt. Mein Motor ist der Selbsterhaltungstrieb.
Vielleicht ist die Maske zu meinem wahren Gesicht geworden. Man denkt sich
etwas aus, und zum Schluß glaubt man selbst, was man sich in den Kopf geschrieben
hat. Jede Entscheidung ist zugleich die Verweigerung aller anderen Möglichkeiten,
sagt Spinoza. Man kann nicht alles haben. Il faut faire avec ce qu'il y a.
Ich habe mich zu dem entschieden, was ich heute bin, whatever it means. Ich
fürchte, im Grunde bin ich total banal.
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Erschienen am 23. Februar 1996 unter der Überschrift "Ich will nicht
mein Opfer sein" in der ZEIT