Interview mit Jörg Haider



Ich möchte mit einem Zitat beginnen. Sie haben unlängst in einem Interview gesagt: "Die Welt will ein paar Symbolfiguren, ich war eine davon."

JÖRG HAIDER: Hab ich das gesagt?

Das fängt ja gut an ... * Ich wollte Sie fragen: Was, Ihrer Meinung nach, symbolisieren Sie?

HAIDER: Ich bin sozusagen eine Symbolfigur für den zivilen Widerstand gegen das Establishment in Österreich und Europa geworden, weil hier plötzlich jemand in der Politik mitgewirkt hat, der nicht in diese starre politische Landschaft paßt.

So niedrig siedeln Sie das an? Ich dachte, als ich das las, eher an Christus oder den Teufel.

HAIDER: Na ja, das muß sich erst noch entwickeln.

Zivilen Widerstand leisten ja viele.

HAIDER: Aber nicht jeder kann zur Symbolfigur werden. Ich bin auserkoren.

Einer, so sagen Sie, "muß die Bürde des Wandels tragen, und das bin ich." Was die Wortwahl betrifft, geht das in eine fast religiöse Richtung.

HAIDER: Nein, das zeigt eine recht pragmatische Sicht der Dinge. In Österreich gab es jahrzehntelang eine rot-schwarze Machtaufteilung ...

Aber Sie haben doch nicht nur lokale Bedeutung. Der amerikanische Präsident würde sich bestimmt nicht mit Ihnen beschäftigen, hätten Sie bloß in Österreich einen Wandel herbeigeführt.

HAIDER: Der hat sich mit mir nur beschäftigt, weil seine Frau Kandidatin gegen den New Yorker Bürgermeister Giuliani ist.

Ach!

HAIDER: Der Giuliani hat mich im Jänner getroffen, und das hat Clintons Frau trefflich ausgenützt, um zu sagen, wir polarisieren jetzt zwischen Gut und Böse: Der Giuliani trifft den bösen Haider, und ich bin die gute Kandidatin, die den Haider ablehnt.

Hat Hillary Clinton auch persönlich was gegen Sie gesagt?

HAIDER: Ja, mehrfach.

Was denn?

HAIDER: Alles mögliche. Ich hab mir das nicht gemerkt, weil es nicht so bedeutend ist.

Sie reduzieren Clintons Kritik auf eine kleine Intrige ...

HAIDER. Er ist auch kein großer Geist.

Ich dachte, die internationale Aufgeregtheit kommt daher, daß man Angst vor Ihnen hat.

HAIDER: Also diese Aufgeregtheit bis hin zu Clinton hat damit zu tun, daß die linke Reichshälfte mehr oder weniger mobilisiert worden ist, weil es einen Wandel gegeben hat, der die Sozialisten aus der Macht gedrängt hat, und die es gut verstanden haben, ihre Freunde gegen mich aufzuhetzen.

Das kann nicht der einzige Grund für die Angriffe gegen Sie sein.

HAIDER: Na selbstverständlich! Wenn eine politische Kraft wie bei uns die Sozialdemokratie, die so mächtig ist, plötzlich Macht verliert, reagiert sie.

Sie machen sich kleiner als Sie sind. Sie sind ein...

HAIDER : ... ganz bescheidener, provinzieller Politiker.

Nein, ich bitte Sie! Sie sind entweder ein undurchschaubares Rätsel...

HAIDER : ... eine Sphinx ...

Oder ein Revolutionär oder ein ...

HAIDER: ... fürchterlicher Bösewicht. Jetzt können Sie es sich aussuchen.

Mich regen Ungenauigkeiten auf.

HAIDER: Bei wem?

Bei Ihnen. Ich nenne ein Beispiel. Sie haben in einem Fernsehinterview gesagt: "Man kann nicht Gleiches ungleich behandeln." Es ging um die Wiedergutmachung, die für die von den Tschechen vertriebenen Sudetendeutschen und die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in gleicher Weise gelten sollte.

HAIDER: Mmmh.

Das würde bedeuten, daß der Völkermord an den Juden nichts Unvergleichliches war. In der von Ihnen unterzeichneten Präambel zum Programm der neuen Regierung aus ÖVP und FPÖ ist aber von der "Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit des Verbrechens des Holocaust" die Rede. Das paßt nicht zusammen.

HAIDER: Na, da müssen Sie aber genau zitieren.**

Sie meinen, ich zitiere falsch?

HAIDER: Es ist darum gegangen, das eine nicht mit dem anderen aufzurechnen, sondern zu sagen, jene, die unter der Verfolgung des Nationalsozialismus gelitten haben, haben einen zeitlich unlimitierten Anspruch auf Wiedergutmachung, und jene, die dann in der Folge vertrieben und von denen auch dreieinhalb Millionen*** liquidiert worden sind, ebenso.

Aber die Art der Liquidierung war doch eine ganz andere.

HAIDER: Also mir ist das ziemlich egal, ob ich aufgehängt oder erschossen werde oder was auch immer, sind S' mir nicht bös. Machen S' doch keine solchen Differenzierungen! Da gibt es also quasi tolerierbaren und nicht tolerierbaren Völkermord. Das ist genau die Sprache der politisch Korrekten, die Sie repräsentieren. Ich akzeptiere jemanden nicht, der in seinem Denken Qualitäten der Vernichtung macht. Völkermord ist Völkermord, nehmen Sie das zur Kenntnis! Ich bin gelernter VerfassungsrechtIer und Völkerrechtler. Ich lasse mich nicht mit jemandem auf einen Disput ein, der versucht, die Qualität von Mord zu differenzieren...

Das tue ich doch nicht.

HAIDER: Das ist so ungeheuerlich...

Ich sage nur, daß die von Ihnen unterzeichnete Präambel sehr wohl differenziert.

HAIDER. Welche Präambel? Die zur Regierungserklärung?

Ja.

HAIDER: Da steht doch nicht drin, daß der Völkermord differenziert zu sehen ist. Ich rege mich über Ihre These auf, nicht über die Präambel.

Ich hab doch gar keine These. Ich frage nur, warum Sie folgenden Satz unterschrieben haben: "Die Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit des Verbrechens des Holocaust sind Mahnung zu ständiger Wachsamkeit... "

HAIDER: Ja, weil es eine industrielle Massenvernichtung von Menschen in dieser Form nur einmal gegeben hat.

Nichts anderes wollte ich wissen.

HAIDER: Der Pol Pot hat auch mindestens so viele umgebracht, aber der hat das nicht industriell gemacht, sondern hat sie händisch erschlagen. Soll ich jetzt sagen, das sei von der Qualität weniger fürchterlich?

Nein.

HAIDER: Na also.

Die Art, wie ich dieses Gespräch führen wollte, setzt voraus, daß Sie sich nicht dauernd verteidigen.

HAIDER: Ich bin das nur gewöhnt. Ihr Stil, dieses Interview zu führen, ist gleich wie der von hunderttausend anderen Journalisten, die ein einseitiges Geschichtsbild haben, und die dann sagen, wenn sie das nicht wiederfinden, sind sie nicht einverstanden.

Wenn Sie mich so einstufen ...

HAIDER: Ja .

... muß ich es ertragen.

HAIDER: Ich muß auch viel ertragen.

Ihren Rücktritt vom Parteivorsitz haben Sie unter anderem mit "Schrammen und persönlichen Verletzungen" begründet. Was waren das für Verletzungen?

HAIDER: Es hat eine persönliche Verletzung gegeben, das war 1991.

Damals wurden Sie als Kärntner Landeshauptmann abgewählt, weil Sie im Landtag die "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" gelobt hatten.

HAIDER: Gut, aber das ist ja vom Volk wieder repariert worden.

Angeblich haben Sie sogar geweint.

HAIDER: Das habe ich nicht, aber ich war verletzt, keine Frage, weil es ungerecht war, absolut ungerecht.

Wieso?

HAIDER: Weil nach Ende der Debatte, in der das diskutiert wurde, alle Fraktionen erklärt hatten, das Thema sei damit erledigt, aber einen Tag später hat man diesen einen Satz herausgenommen und ihn zur Grundlage einer Vorverurteilung gemacht. Man hat mir unterstellt, daß ich sozusagen mit dem Nationalsozialismus zutiefst sympathisiere.

Das hat man ja vielfach getan. Der von Ihnen verehrte Bruno Kreisky hat sie "einen jener wirklichen Nazis" genannt, "die lebensgefährlich sind und es immer sein werden".

HAIDER: Ja, der hat auch einen seiner wenigen Prozesse dadurch verloren.

Sie haben gegen ihn prozessiert?

HAIDER: Ja, wegen übler Nachrede.

Auch als "mieser Opportunist" hat er sie einmal bezeichnet.

HAIDER: Na ja, das haben von ihm auch viele gesagt.

Da haben Sie nicht geklagt?

HAIDER: Nein. In der Politik darfst du nicht alles klagen, sonst bist du nur noch bei Gericht. Nach dem Prozeß hat sich unser Verhältnis wieder gebessert. Kreisky hat mich zu sich gebeten, und wir haben ein sehr interessantes, langes Gespräch geführt.

Warum haben Sie sich für Ihren Ausspruch über die "ordentliche Beschäftigungspolitik" entschuldigt, obwohl Sie in Ihrem Buch "Die Freiheit, die ich meine" die Ansicht vertreten, daß es diese Politik ansatzweise schon in der Weimarer Republik gegeben und Hitler das nur übernommen hat?

HAIDER: Wer würde das schreiben, wenn ich es sage? Kein Mensch!

Aber es steht doch im Buch.

HAIDER: Ja, aber das ist schon die einzige verfügbare Stelle, wo es steht.

Sie haben auch in jüngerer Zeit mehrmals betont, daß stimmt, was Sie über die Beschäftigungspolitik Hitlers sagten.

HAIDER: Ja, es stimmt ja auch.

Wer hat Sie auf diese seltsame Entschuldigungstour geschickt?

HAIDER: Ich habe gesagt, falls ich durch die mißverständliche Interpretation meiner verkürzten Aussagen Menschen verletzt haben sollte, entschuldige ich mich. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich das zurückgenommen hätte.

Man kann sich doch nicht im Konjunktiv entschuldigen.

HAIDER: Das müssen Sie aber heute in Österreich tun. Die politisch korrekte Gesellschaft hat da Erwartungshaltungen, und ich habe kein Interesse, in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt zu werden.

Was bei Ihnen Irritation auslöst, ist, daß Sie das eine sagen, aber das andere nicht. Sie loben Hitlers Beschäftigungspolitik und setzen sich für die Heimatvertriebenen ein. Aber Sie zeigen keine Erschütterung über eine Dokumentation wie "Shoa" zum Beispiel. Es geht Ihnen immer um die Rechtfertigung der Väter und Großväter, die Nazis waren, als müßten Sie Ihre Identität damit retten. Ich mußte das nicht.

HAIDER: Aber das bleibt doch jedermann selbst überlassen, wie er reagiert. Das würde ich für mich schon in Anspruch nehmen. Wenn Sie anders reagieren als ich, ist das Ihr Kaffee. Ich wehre mich gegen eine ungerechte kollektive Vorverurteilung einer ganzen Generation. Man kann die Biografie der Eltern und Großeltern, die im Weltkrieg, wo auch immer, gestanden sind, nicht als ein einziges Verbrecheralbum gestalten.

Wer tut denn das?

HAIDER: Wir leben in einer Welt, wo diese Dinge sehr pauschal gesehen werden, und ich war einer der wenigen Politiker, der das differenziert gesehen hat.

Sie haben ehemalige SS-Soldaten "anständige Menschen" genannt, "die einen Charakter haben".

HAIDER: Jetzt machen Sie genau das, was alle machen. Aus einem Teilaspekt nehmen Sie was heraus und versuchen, das irgendwie zu beleuchten. Darum geht es überhaupt nicht. Ich sage es Ihnen noch einmal, ich habe es Ihnen zuerst schon gesagt, es geht um eine ungerechtfertigte, pauschale Kollektivverurteilung dieser Generation wie zum Beispiel in dieser Wehrmachtsausstellung, wo versucht wird, pauschal eine Generation schlecht zu machen, die ja durchaus verschiedene Rollen gespielt hat. Da werden Kinder hingeschickt. Da werden Schulen abkommandiert. Da wird sozusagen Gehirnwäsche betrieben, als wäre die ältere Generation eine Ansammlung von Verbrechern. Das kann es nicht sein.

In einem Interview mit der "Zeit" sagten Sie, daß Sie als junger Mensch gewisse Informationen nicht hatten, weil der Geschichtsunterricht in der Schule mit dem Ersten Weltkrieg geendet habe.

HAIDER: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der jüngeren Zeit war in den Schulen bei uns sehr bescheiden. Man wußte vieles nicht. Man hatte auch keine Kenntnis von der politischen Entwicklung in Österreich. Ohne diese Kenntnis kann man aber nicht verstehen, warum so viele Österreicher gejubelt haben, als Hitler kam.

Ihr Vater ist schon früh der SA beigetreten. Wäre es eine Gefahr für Ihre Psyche gewesen, sein Verhalten in Frage zu stellen?

HAIDER: Nein, wieso?

Weil man vielleicht das Gefühl für die eigene Identität verliert, wenn man die Vorfahren angreift.

HAIDER: Hinterfragen kann man alles.

War es ein Schock für Ihre Eltern, als sie nach Ende des Krieges das Ausmaß der Verbrechen erfuhren, die Hitler befohlen hatte?

HAIDER: Ich glaube, daß es für die ganze Generation, mit wenigen Ausnahmen, die vielleicht informiert waren aufgrund einer hochrangigen Funktion, ein Schock war, diesem Regime gedient zu haben. Für einen, der als junger Bub da irgendwo ins Feld geschickt wurde und keine Ahnung hatte, was in der Heimat passiert, ist das natürlich eine enorme Belastung. Davon kommt diese Generation niemals los. Aber daraus müssen wir Jungen die Konsequenzen ziehen und einen Beitrag leisten, damit sich so etwas nicht wiederholen kann, und daher dürfen in einer Demokratie keine verfestigten Machtstrukturen entstehen, die eine Tendenz ins Autoritäre und Totalitäre haben.

Ihr Bundeskanzler, Wolfgang Schüssel, der mit Ihrer Partei die Regierung bildet, hat noch vor einem Jahr eine Zusammenarbeit mit Ihnen ausdrücklich ausgeschlossen. Ich zitiere: "Eine FPÖ, die die EU ablehnt, die Integration torpediert, den Euro mit Schauergeschichten bekämpft und in der Ausländerfrage mit den Gefühlen der Menschen spielt, lehne ich ab ... Haider hat seinen abstrusen Ideen nie abgeschworen ... Also kommt er für uns niemals in Frage." Welche abstrusen Ideen meinte Schüssel?

HAIDER: Da müssen Sie ihn fragen, nicht mich. Wichtig ist, daß offenbar ein großer Teil dieser abstrusen Ideen jetzt Teil eines gemeinsamen Regierungsprogramms geworden ist. Das ist ein Riesenerfolg für uns.

Die Ideen, die Schüssel jetzt selbst verwirklicht, hat er ja wohl nicht als abstrus bezeichnet.

HAIDER: Woher wollen Sie das wissen?

Wenn der Kanzler Ideen, die er für abstrus hält, verwirklicht, ist diese Regierung ein Irrenhaus.

HAIDER: Ja, aber das ist ja eher sein Problem, nichts meins. Ich bin ja überzeugt, daß wir keine abstrusen Ideen haben, sondern gute.

1994 argumentierten Sie gegen den Beitritt Österreichs zur EU mit folgenden Sätzen: "Wenn wir das Geld, das wir als Mitgliedsbeiträge in die EU hineinzahlen müssen, für eine jährliche Steuersenkung verwenden, dann sind unsere Betriebe in Österreich wesentlich wettbewerbsfähiger gegenüber der EU, als wenn wir dort beitreten und die Nichtstuer im Süden finanzieren müssen ... Bevor mein Geld und das Geld der fleißigen Österreicher dafür verwendet wird, daß die italienischen Mafiosi oder irgendwelche korrupten Bürgermeister in Griechenland ihre Budgetnöte ausgleichen können, stehe ich nicht zur Verfügung." Das gleiche haben Sie vor kurzem wieder gesagt.

HAIDER: Es ist ja auch gerechtfertigt. Damals habe ich gesagt: Warum sollen wir Österreicher, die wir uns sozusagen an Gesetz und Ordnung halten, mit unseren Nettozahlungen den Schlendrian und die Korruption im Süden finanzieren? Und jetzt stellt sich heraus, daß es leider nicht nur der Süden ist, sondern daß die vierzehn anderen Staaten in der EU milliardenschweren Betrug bei der Vollziehung
der Landwirtschaftsförderung zu verantworten haben. Es gibt nur einen Staat, dem der Rechnungshof der EU keinen Vorwurf macht, das ist Österreich. Ein einziger Staat ist ordentlich. Da muß man verstehen, daß die Bevölkerung sagt: Warum tragen wir eigentlich unser sauer verdientes Geld nach Brüssel, wenn wir damit die Betrügereien dort finanzieren?

Sie haben einen ganz bestimmten Begriff von Ordnung.

HAIDER: Das weiß ich nicht.

Andere haben vielleicht einen anderen.

HAIDER: Welcher ist das?

Vielleicht kennen sich die Südländer mit dem Chaos besser aus und sind trotzdem nicht unordentlich.

HAIDER: Es gibt zumindest einen EU-Standard von Ordnung und Unordnung, denn sonst gäbe es ja keine Kritik des Rechnungshofes.

Betrügereien gibt es auch in Österreich.

HAIDER: Ja, aber nicht mit öffentlichen Geldern der EU. Das möchte ich festhalten.

Warum sprechen Sie von "Nichtstuern im Süden"? Warum benutzen Sie diese Worte? Was ist ein Nichtstuer?

HAIDER: Vielleicht fällt es Ihnen leichter, wenn ich sage: einer, der dem Müßiggang frönt, einer, der keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht.

Das ist ein Nichtstuer?

HAIDER: Ja.

Dann bin ich einer.

HAIDER: Das kann schon sein. Unter Journalisten gibt es mehrere solche.

Vielleicht ist Denken schon Tun. Das kann doch auch nützlich sein.

HAIDER: Ja gut, okay. Aber Sie müssen ja nicht unbedingt in einem System leben, wo man das subventioniert. Bei mir würden Sie nicht subventioniert. Die EU fördert Betrügereien, indem Leute, ohne daß sie was tun, also obwohl sie zum Beispiel keine Oliven anbauen, durch betrügerische Antragsstellung und Fälschung von Dokumenten zu ihrem Geld kommen.

Betrogen hab ich noch keinen.

HAIDER: Na gut, solange Sie niemandem zur Last fallen...

Offenbar falle ich jetzt Ihnen zur Last.

HAIDER: Mir gehen Sie höchstens auf die Nerven.

Ist zum Beispiel ein buddhistischer Mönch ein Nichtstuer für Sie?

HAIDER: Nein, denn der erhebt ja keinen Anspruch, subventioniert zu werden, sondern bittet um Almosen bestenfalls. Die Korruption in der EU hat doch so weit geführt, daß vor einem Jahr die gesamte Kommission abgesetzt wurde.

Korruption hat es auch in Ihrer Partei gegeben. Der ehemalige Kassier der Fraktion, Peter Rosenstingl, ist mit veruntreuten Geldern geflohen und wurde weltweit gesucht.

HAIDER: Korruption war das keine.

Aber ein unordentliches Verhalten.

HAIDER: Absolut, und das hat uns sehr weh getan, und da haben wir auch sehr scharfe Konsequenzen gezogen.

Trotzdem kann das wieder passieren.

HAIDER: Machen Sie hier ein Kabarett? Wollen Sie sagen: Ordnung, wer braucht das noch?

Ich meine, man sollte den Menschen die Angst vor dem Chaos nehmen, weil das kommen kann, und weil man dann kreativ damit umgehen muß.

HAIDER: Ich hoffe, daß das, solange ich lebe, nicht kommt.

Sie haben Angst.

HAIDER: Man kann doch schauen, daß eine Demokratie funktioniert, und Demokratie ist Ordnung, oder nicht? Anarchie ist keine Demokratie.

Vielleicht ist aber der Mensch ein anarchisches Wesen.

HAIDER: Sie vielleicht, ich nicht. Ich bin ein demokratisches Wesen. Der Mensch ist ein Zoon politicon, das heißt, er ist auf die Gemeinschaft angewiesen. Gemeinschaft heißt Ordnung. Gemeinschaft heißt auch Rücksichtnahme.

Sie stellen da einen Gegensatz her. Es gibt vielleicht Menschen, die mit dem Chaos keine Probleme haben und auch im Chaos gemeinschaftlich handeln, zum Beispiel die Südländer.

HAIDER: Ja, es haben auch die Russen geglaubt, sie hätten keine Schwierigkeit mit dem Chaos, und haben Revolution gemacht mit dem Ergebnis, daß sie dann die Freiheit für Jahrzehnte verloren haben.

Die Russen wollten sich von den Zaren befreien. Das ist der Lauf der Geschichte. Das ist gottgewollt. Ich halte es für gefährlich, wenn man den Menschen Sicherheit verspricht, die es nie geben kann. Es kann auch den ewigen Frieden nicht geben, weil der Mensch den Frieden nur durch den Krieg begreift. Daß Sie an die Möglichkeit einer Sicherheit glauben, rührt mich fast. Sie sind ein Idealist.

HAIDER: Ja, das ist halt Ihre Sicht der Dinge.

Waren Sie jemals über ein unlösbares Problem in Ihrem Leben verzweifelt?

HAIDER: Das hat doch nichts mit dem Chaos zu tun.

Doch, denn ein unlösbares Problem kann Sie ins Chaos stürzen.

HAIDER: Betrachten wir es einmal umgekehrt. Es gibt so viele Menschen, die in ihrem Leben, wie man sagt, scheitern, die sich eine Kugel durch den Kopf jagen oder ihre Familie ermorden. Wenn Sie heute die Zeitung aufschlagen, sehen Sie, da hat wieder einer seine Familie liquidiert wegen unlösbarer Probleme, und da glaube ich eben, es ist schon ein bissel die Aufgabe der menschlichen Gemeinschaft, Lösungen anzubieten, um den Menschen, die ein Problem haben, zu helfen.

Sie meinen, das ist die Aufgabe der Politik.

HAIDER: Nein, denn ein funktionierendes Rettungswesen und eine Rot-Kreuz-Organsiation und Pflegeheime haben mit Politik wenig zu tun. Ich meine, daß hier die Gemeinschaft gefordert ist. Nach Ihrer These setzt nur der Starke sich durch, und was nicht lebenswert ist, stirbt ab. Das hat auch der Hitler gesagt...

Nein, nein, so geht es nicht ...

HAIDER: Da haben sie die Behinderten liquidiert.

Jetzt bin ich schon der Hitler.

HAIDER: Na klar.

Jetzt wird's immer lustiger.

HAIDER: Das Dritte Reich hat alle Behinderten liquidiert, weil das unwertes Leben war.

Ich bin doch nicht für die Liquidierung von Behinderten, ich bitte Sie! Ich meine nur, man darf den Bürgern nicht vorgaukeln, es gebe eine Geborgenheit, die der Staat garantieren kann.

HAIDER: Sie sollten nicht dauernd nach möglichen Unterstellungen suchen...

Was habe ich jetzt unterstellt?

HAIDER: ... und dann werden Sie sehen, daß es Differenzierungen gibt, die nicht nur der Jörg Haider macht, sondern die auch ein Helmut Schmidt zum Beispiel gemacht hat. Es gibt einen demokratischen Sozialstaat und es gibt den Versorgungsstaat, und dazwischen liegt die Kunst der Politik, deren Ziel es ist, die Versorgung nicht so weit auszudehnen, daß die Freiheit verloren geht, aber ein solches Ausmaß an sozialer Sicherheit zu ermöglichen, daß auch der sozial Schwächere sich frei fühlen kann.

Dieser demokratische Sozialstaat muß aber Ihrer Meinung nach darauf achten, daß er nicht infiltriert wird durch störende Faktoren von außen.

HAIDER: Wo haben S' denn das wieder her?

Aus Ihrem Buch. Da befürchten Sie als Folge des Ausländerzuzugs eine "massenhafte Landnahme im Kernterritorium der Heimat" und sehen das "Recht auf Heimat", wie Sie es nennen, gefährdet.

HAIDER: Das sagt auch Irenäus Eibl-Eibesfeldt.

Sie brauchen doch keine Schützenhilfe.

HAIDER: Das ist ein sehr angesehener deutscher Wissenschaftler.

Mir genügt, was Sie sagen. Ich frage mich, wo jemand, der darunter leidet, kein Heimatgefühl zu haben, das "Recht auf Heimat" einklagen soll.

HAIDER: Vaterlandslose Gesellen sind einsam.

Ja, das bin ich. Aber wo soll ich mein Recht einklagen?

HAIDER: Sie wollen es ja gar nicht haben.

Das stimmt nicht.

HAIDER: Sie wissen ja nicht einmal, welches Recht Sie einklagen wollen.

Das Recht auf Zugehörigkeit, das Recht auf Geborgenheit.

HAIDER: Ja, wenn Sie das alles einklagen wollen, müssen Sie sich erst einmal überlegen, wo Sie sich heimatlich fühlen.

Ich finde keinen Ort.

HAIDER: Na, dann gehören Sie überall hin und nirgends.

Eben. Aber was macht so einer, wenn er bei Ihnen liest, er habe ein Recht auf Heimat?

HAIDER: Das bezieht sich auf Menschen, die das Heimatgefühl schon haben. Sie sollten davon ausgehen, daß es nicht den genormten Einheitsmenschen Müller gibt, sondern durchaus differenzierte Individuen. Wenn wir die Heimat nicht schützen wollen, brauchen wir keine Landesverteidigung und keine Grenzkontrollen. Dann wäre die EU völlig daneben, die sagt, wir müssen die gemeinsame Außengrenze gegen eine unverhältnismäßig starke Zuwanderung sichern.

Nun meinen Sie aber die europäische Heimat. Ich gebe ja zu, ich war, als ich zum erstenmal ohne Kontrolle über die Grenze nach Österreich fuhr, wo ich aufgewachsen bin, aus sentimentalen Gründen schockiert.

HAIDER: Vielleicht kommen Sie im Lauf dieses Gesprächs noch drauf, daß Sie doch eine Heimat haben.

Das wäre schön. Dann ginge ich bereichert aus diesem Zimmer.

HAIDER: Als Fremder in der Heimat.

Eine andere These, die Sie vertreten, sagt, daß wir den Soldaten, die für Hitler kämpften, unsere Freiheit verdanken.

HAIDER: Also, jetzt hören Sie auf! Ich habe keine Lust, mit Ihnen da ein Geschichtssymposion durchzuführen, wirklich nicht. Entweder reden wir über gescheite Sachen...

Was ist denn gescheit?

HAIDER: ... und nicht über irgendwelche dahergezogenen Zitate über die NS-Zeit und den Krieg und so...

Aber diese Zitate sind doch nun leider der Grund, weshalb Sie so umstritten sind.

HAIDER: Dann tun Sie sich gescheit vorbereiten, legen S' was Gescheites her, sagen S' konkret, wo es eine solche Aussage gibt! Dann sage ich Ihnen konkret was dazu.

Das ist nicht Ihr Ernst! Sie haben doch immer wieder betont, das Opfer, das die Soldaten der Wehrmacht brachten, sei nicht umsonst gewesen, das sagt auch Ernst Jünger, und eine der Früchte dieses Opfers sei die freiheitliche Demokratie, die wir jetzt haben.

HAIDER: Das sagt vielleicht der Ernst Jünger, aber nicht ich.****

Wenn Sie alles abstreiten, können wir dieses Gespräch nicht weiter führen... Stimmen Sie wenigstens zu, wenn ich sage, daß es Ihnen schwer fiele, zu denken, die Kriegsopfer der Deutschen seien umsonst gewesen?

HAIDER: Ich weiß nicht, wieso ich mich jetzt so abstrakt mit so etwas auseinandersetzen soll.

Weil sie es zum Beispiel in einer Rede vor Kriegsveteranen auch getan haben. Sie sagten, das seien Opfer, nicht Täter.

HAIDER: Sie kennen doch meine These, daß die Österreicher sowohl Opfer wie Täter waren.

Ich spreche von den Soldaten, die in der Wehrmacht kämpften.

HAIDER: Das waren genauso Täter wie Opfer. Da hat es welche gegeben, die sich wissentlich an Verbrechen beteiligt haben, und andere, die zwangsweise eingezogen wurden und ihren Militärdienst geleistet haben.

Für Sie sind das Menschen, die bis heute "auch bei größtem Gegenwind zu ihren Überzeugungen stehen". Welche Überzeugungen meinen Sie?

HAIDER: Die Überzeugung vom Sinn des Lebens, ganz schlicht und einfach, also daß man in einer neuen Entwicklung auch wieder was Positives sehen kann. Die Überlebenden haben ja nur mehr Trümmer vor sich gehabt, die Welt lag in Schutt und Asche, auch die eigene, und da stellte sich für viele die Frage: Was macht das alles noch für einen Sinn, bauen wir wieder auf oder nicht?

Gegen eine solche Überzeugung gab es nie Gegenwind. Kritisiert wird, wenn jemand einen Sinn darin sieht, sich für ein verbrecherisches Regime aufzuopfern.

HAIDER: Das ist mir zu hoch, was Sie da reden.

Jünger unterscheidet zwischen dem freiwilligen und dem unfreiwilligen Opfer. Das freiwillige akzeptiert er.

HAIDER: Ja, und was ist dann der Sündenbock? Ist das auch ein Opfer?

Jetzt sprechen Sie von sich selbst.

HAIDER: Ich weiß nicht. Kennen Sie die Funktion des Sündenbocks? Das ist ein alttestamentarisches Gleichnis. Der Priester legt stellvertretend für die ganze Gemeinschaft die Hand auf den Sündenbock und schickt ihn dann in die Wüste. Damit will man dem Tier die eigene Schuld aufladen. Das ist die einfachste Weise, von Schuld freizukommen.

Sie meinen, Sie sind der Sündenbock, weil Sie das Böse austreiben?

HAIDER: Na, wenn ich es austreibe, bin ich der Priester. Wenn ich ausgetrieben werde, bin ich der Sündenbock.

Vielleicht sind Sie der Teufel, der den Teufel austreibt.

HAIDER: Das wäre ein faustischer Widerspruch.

Stört es Sie, wenn man Sie als Demagoge bezeichnet?

HAIDER: Ich weiß nicht, warum ich ein Demagoge sein soll, nur weil ich verschiedene Dinge enttabuisiere.

Mit der Bezeichnung "Populist" haben Sie keine Probleme.

HAIDER: Na, das ist ja leicht zu übersetzen.

Sie sind volkstümlich.

HAIDER: Ja.

Ihre ehemalige Weggefährtin Heide Schmidt erzählt, Sie hätten in Bierzelten, um die Masse zu mobilisieren, bewußt Dinge gesagt, die Sie für falsch hielten, und ihr, wenn der Applaus einsetzte, spitzbübisch zugezwinkert.

HAIDER: Das war vielleicht ihr Eindruck. Für mich bleibt die Tatsache, daß die Frau, die das behauptet, abseits unserer Gesamtlinie in Wien einen der aggressivsten Wahlkämpfe führte. Das Plakat "Wien darf nicht Chicago werden" stammt von Frau Schmidt. Da stellt sich die Frage, wer von uns augenzwinkernd die Stimmung mobilisiert.

Sie haben ein Wahlplakat zu verantworten, das einige Ihnen nicht genehme Künstler und Kulturpolitiker, unter anderem Elfriede Jelinek, an den Pranger stellte. "Lieben Sie Elfriede Jelinek ... ", hieß es da, "oder lieben Sie Kunst und Kultur?"

HAIDER: Irgendwer muß sie ja bekannt machen.

Ihren Humor haben Sie nicht verloren. Frau Jelinek fand das weniger lustig. Sie hat Angst vor Ihnen.

HAIDER: Sie kennt mich doch gar nicht.

Thomas Bernhard haben Sie einen Österreich­Beschimpfer genannt.

HAIDER: Nicht den Bernhard, sondern Herrn Peymann.

1986 sagten Sie in Ihrer ersten Parteitagsrede, die Sie als Obmann hielten: "Wir dulden keine Österreich-Beschimpfung, wie sie üblich geworden ist. Denn es ist traurig, daß subventionierte Schriftsteller in diesem Land ihre Bücher damit füllen - so wie ein Thomas Bernhard kürzlich wieder mit seinem jüngsten Buch 'Auslöschung', in dem er dieser Republik Zensuren erteilt und alles in Grund und Boden verdammt, was die Grundlage auch seiner materiellen und geistigen Existenz in dieser schönen Heimat ist."

HAIDER: Ja, aber der Thomas Bernhard wurde nicht generell beschimpft. Der war schon gut. Der war der einzige kulturelle Politologe in Österreich. Der hat wirklich wahnsinnig viele gute Vorstellungen und Beiträge geliefert. Sein Stück "Heldenplatz" ist großartig. Denn da hat er sich sehr kritisch mit dem österreichischen System auseinandergesetzt. Beim Bernhard konnte man am Schluß fast schon glauben, daß er ein politischer Unterstützer unseres Weges ist.

Vielleicht finden Sie in zehn Jahren auch Jelinek genial.

HAIDER: Vielleicht. Ich finde sie ja nicht schlecht. Sie ist nur leider eine von den vielen, die sich von der linken Schickeria politisch instrumentalisieren lassen.

Elfriede Jelinek war doch immer schon links. Als der Kommunismus zusammenbrach, war sie völlig verzweifelt.

HAIDER: Da kann ich ihr auch nicht helfen.

Das Absurde ist, daß es zu einer Regierungsbeteiligung Ihrer Partei ohne jene Formulierungen, für die Sie sich jetzt aufgrund dieser Regierungsbeteiligung dauernd entschuldigen müssen, gar nicht gekommen wäre.

HAIDER: Das glaube ich nicht.

Sie hätten doch ohne ihre populistischen Äußerungen nicht 27 Prozent der Stimmen bekommen.

HAIDER: Ich glaube, die FPÖ hätte jetzt über 30 Prozent ohne jene Äußerungen, die in Wirklichkeit nur Irritationen geschaffen haben.

Sie haben mit den Ängsten der Menschen gespielt.

HAIDER: Nein, denn es kann nicht sein, daß Menschen, wenn sie uns wählen, Angst haben, und wenn sie andere wählen, ihren demokratischen Überzeugungen folgen. 1986 haben wir 225 000 Stimmen gehabt. Jetzt haben wir 1,2 Millionen. Das heißt, wir haben rund eine Million Wähler von den anderen Parteien gewonnen. Also muß das doch durchaus ein reifes, intellektuelles Potential gewesen sein.

In den letzten Umfragen haben Sie stark verloren. Ihr Kulturberater Andreas Mölzer sagt, nun sei schon "Katzenjammer angesagt". Es schiene so, "als hätten jene recht behalten, die vor der Regierungsbildung gemeint hatten, man müsse die Freiheitlichen nur in die Verantwortung nehmen, dann würden sie sich von selbst entzaubern".

HAIDER: Wir werden ja sehen, ob sich alle diese Vorhersagen erfüllen. Es gibt auch eine self-fulfilling prophecy. Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.

Haben Sie Angst vor einem Attentat?

HAIDER: Nein, denn guten Menschen tut niemand was.

Christus war auch gut und ist gekreuzigt worden.

HAIDER: Ja, darum will ich ja kein Märtyrer sein.

Verletzt es Sie, daß sich nun auch schon Leute aus der Partei Ihres Koalitionspartners über Sie lustig machen? Der Tiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner schlägt vor, man solle Mitleid mit Ihnen haben. Der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger findet Ihre Aussagen "schon langsam fad".

HAIDER: Das muß man aushalten. Das ist wie beim Zahnarzt, wenn man sagt: Er hat gar nicht gebohrt.

Der von Ihnen geschätzte Publizist Günther Nenning schreibt: "Haider ist das saure Aufstoßen aus dem nationalen Herzen, das schon einmal eine Mördergrube wurde."

HAIDER: Ja, aber der meint es nicht wirklich böse. Den kenne ich viel zu gut. Der Günther Nenning ist ja einer, der sich selbst als Großdeutscher empfindet.

Ist nicht wahr!

HAIDER: Doch. Der hat ein Buch geschrieben, in dem er als Linker begründet, warum er eigentlich Deutscher ist und warum die Österreicher endlich aufhören sollten, eine eigene Identität zu suchen.

Das war auch Ihr Standpunkt bis vor wenigen Jahren. Wolfgang Schüssel, der damals noch mit der SPÖ koalierte, warf Ihnen vor, Sie hätten das "Österreich" aus dem Namen Ihrer Partei gestrichen.

HAIDER: Wir haben nur das Logo eine Zeitlang geändert. Da ist statt FPÖ dann nur F gestanden. Ich meine, es ist ja unbestritten, daß die Österreicher eine historische Gemeinsamkeit mit dem deutschen Kulturraum haben. Aber im Statut hat es immer "FPÖ, die Freiheitlichen" geheißen.

Gianfranco Fini von der "Alleanza Nazionale", eigentlich Ihr Freund, behauptet, Sie wollen Südtirol wieder nach Österreich holen.

HAIDER: Na, da ist er halt nicht auf dem neuesten Stand. Österreich hat immer gesagt, wir kämpfen dafür, daß Südtirol auf dem Wege der Selbstbestimmung entscheiden soll, ob es bei Italien bleiben will, bis dann der Streit von der UNO quasi beigelegt worden ist.

Sogar Edmund Stoiber distanziert sich von Ihnen.

HAIDER: Der Stoiber ist ja mit seinem Ehrgeiz auf alles neidig, was mir einfällt, weil er kopiert es ja. Der weiß, daß er immer nur als Kopie lebt. Ich hab noch Zeiten erlebt, wo ich mit dem Herrn Stoiber gemeinsame Veranstaltungen machte und wo er sich sehr gerne mit mir gezeigt hat. Heute, als amtierender Ministerpräsident, hört er es nicht mehr gern, daß er an einem Vortragsabend mit mir in München öffentlich die Meinung vertreten hat, daß die CSU eigentlich lieber mit mir und der FPÖ zusammenarbeiten würde als mit der ÖVP.

Damals haben Sie für eine FPÖ in Deutschland geworben.

HAIDER: Ja, ich glaube, daß es in Deutschland eine Riesenchance für eine freiheitliche Bewegung gäbe, also eine Partei wie wir, eins zu eins auf Deutschland umgelegt. Fünfzehn Prozent wären auf Anhieb möglich.

Wie sieht Ihre Zukunft in Österreich aus?

HAIDER: Ich habe meine Aufbauarbeit geleistet. Die FPÖ ist in der Regierung. Jetzt muß es eine Arbeitsteilung geben, die darin besteht, daß ich mich auf meine gewählte Funktion in Kärnten konzentrieren will und daß die Regierungsmitglieder in Wien ihre Aufgaben erfüllen.

Noch vor kurzem haben Sie gesagt, Sie könnten wie Gerhard Schröder auch aus der Landespolitik heraus Kanzler werden.

HAIDER: Das ist ein Modell, eines von vielen. Aber zunächst kommt es darauf an, daß in Wien gute Arbeit geleistet wird. Es sind ja genug gute Spieler da. Ich hab jetzt zwanzig Jahre wirklich hart gearbeitet, das weiß jeder, der das miterlebt hat. Das soll mir einmal einer nachmachen, zwanzig Jahre lang jeden Wahlkampf mehr oder weniger federführend mitzugestalten, Wochen und Monate aus dem Koffer zu leben. Irgendwann muß man akzeptieren, daß ich sage: Das war's.

Sie geben sich so bedächtig.

HAIDER: Ich bin fünfzig. Jetzt bin ich bedächtig.

Fürchten Sie nicht, daß Sie zu viel Zeit zum Nachdenken haben werden?

HAIDER: Nein, denn es gibt so viele Dinge, die ich noch zu erledigen hab.

Keine Angst vor der Stille?

HAIDER: Nein, Angst vor dem Lärm. Ich brauche jetzt Stille.

Das klingt, als wären Sie ...

HAIDER : ... weise geworden.

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*) Das Zitat stammt aus einem am 10. April 2000 publizierten Gespräch, das die österreichische Zeitschrift "Format" mit Haider führte

**) Auszug aus einem Interview mit Jörg Haider in der ORF-Nachrichtensendung "Zeit im Bild" von 9. September 1998:
Frage: "Sie stellen gleich die Sudetendeutschen und das Unrecht, das an den Juden geschehen ist?"
Haider: "Selbstverständlich, weil ich mich dagegen wehre, daß man Menschenrechtsverletzungen auch noch einmal quantifiziert."

***) Bei der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei kamen 267 000 Menschen zu Tode.

****) Jörg Haider am 7. Oktober 1990 in einer Rede vor ehemaligen Wehrmachtssoldaten am Kärntner Ulrichsberg: "Eure Opfer, Männer und Frauen der Soldatengeneration, sollen für dieses Europa nicht umsonst gewesen sein."
Jörg Haider in einem am 21. August 1995 veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift "profil": "Ich habe gesagt, daß die Wehrmachtssoldaten die Demokratie in Europa, wie wir sie heute vorfinden, ermöglicht haben."

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Erschienen am 11. Juni 2000 im Berliner „Tagesspiegel“