Sie sind die am meisten veröffentlichte Deutsche der letzten zwölf Jahre. Kaiserschnitt,
Brustkrebs, Ehekrach, Facelifting: Da gab es nichts, was geheim blieb. Haben
Sie eine Idee, wonach ich Sie jetzt noch fragen könnte?
HILDEGARD KNEF: Nein, habe ich nicht.
Warum machen Sie, 54-jährig, eine Welttournee, die Ihnen womöglich raubt, was
Sie sich eben erst mühsam wieder erobert haben: Ihre Gesundheit?*
KNEF: Ich muß doch Geld verdienen.
Sind Sie in Schwierigkeiten?
KNEF: Ich hatte leider nie gute Verwalter. Ich bin mit Geld der größte Idiot,
den Sie sich vorstellen können, und es ist mir auch nicht gegeben, sparsam zu
leben. Ich brauche Geld. Auf der anderen Seite muß ich Ihnen aber auch sagen,
daß ich mit so einer Tournee so wahnsinnig viel gar nicht verdiene.
Dann fällt ja die finanzielle Motivation erst recht weg.
KNEF: Ich muß mich wieder mal stellen, mir selbst und den andern. Ich will den
Leuten sagen, so, jetzt habt ihr über mich dauernd gelesen von Krankheiten und
Scheidung** und Blah-blah-blah, jetzt möchte ich mal wieder aufgrund meiner
Arbeit beurteilt werden. Nach all den Jahren, in denen ich nur geschrieben habe
und auch große persönliche Krisen hatte, die man ja leider durch den ganzen
Blätterwald geschleppt hat, da will ich jetzt wieder zeigen, daß ich auch noch
für was anderes gut bin als für Skandale.
Haben Sie die Publizierung dieser Krisen nicht selbst betrieben?
KNEF: Nein, da waren Sachen dabei, auf die ich liebend gerne verzichtet hätte.
Welche Sachen?
KNEF: Na, zum Beispiel diese fürchterlichen Geschichten, die mein geschiedener
Mann dann plötzlich über mich losließ, was dann in diesen Blätterchen drinstand,
ich sei rauschgiftsüchtig und lesbisch, was ich nun wirklich nicht bin. Wissen
Sie, ich finde, daß man in Deutschland seine Schauspieler oder Schriftsteller
oder was auch immer, nennen wir es schlicht Künstler, sehr wenig liebt. In Amerika
wäre so etwas nicht möglich gewesen, ich meine, da gibt es auch Klatschkram,
aber da gibt es eben bestimmte Grenzen. Es gibt ja auch nur im Deutschen das
Wort »Schadenfreude«. Das gibt es in keiner anderen Sprache, ich meine, ich
spreche nicht Suaheli, aber soweit ich weiß, gibt es das nur in Deutschland,
daß man auf jemanden so losballert, wenn es ihm schlecht geht. Das geht ja so
weit, daß man notfalls den Schaden zufügt, um dann die Schadenfreude zu haben.
Ich meine, gut, ich bin eine Deutsche, und ich will jetzt nicht über Deutschland
herziehen, das wäre blöde, aber wenn einer der giftigsten Kritiker in Amerika
schreibt, die Welt wäre ärmer ohne die Knef, dann finde ich es manchmal ein
bißchen traurig, daß man bei uns, außer daß man mir das Bundesverdienstkreuz
erster Klasse ans Abendkleid geheftet hat, so wenig sieht, daß ich als einzige
im Ausland nach dem Krieg, als die Ressentiments gegen alles Deutsche noch ungeheuer
waren, doch eine Bresche geschlagen habe.
Welchen Dank haben Sie denn erwartet?
KNEF: Dank gar nicht, aber doch vielleicht etwas mehr Achtung. Das Schlimme
ist, daß wir durch den Krieg, was das Geistige und Künstlerische anlangt, keine
Hauptstadt mehr haben, denn eine Hauptstadt ist absolut notwendig, um dort einen
Kreis von Menschen zu haben, die sich aneinander hochspielen, sich messen, die
aber auch Respekt voreinander haben, das gehört auch dazu, aber das haben wir
nicht mehr, das verbröselt alles, da sitzt einer in Hamburg und einer in Hannover
und der andere in Frankfurt oder, was weiß ich, auf dem Dorf oder in Berlin
oder München, das verseiert alles, und aus dem sich daraus gebärenden Kleinteichdenken
entsteht dann für ein von der Industrie her doch sehr wichtiges Land auf dem
Gebiet der Kunst eine Kleinlichkeit, die... ich zögere, aber man muß es sagen,
provinziell ist. Ich habe in Amerika gelebt viele Jahre, Amerika hat mich geprägt,
geprägt auch in einer Weise, die heute in Deutschland als Exhibitionismus verkannt
wird. In Amerika zickt man nicht so rum. Der Deutsche schreckt da immer noch
zurück, ich meine vor so einem mentalen Exhibitionismus, zum Beispiel, daß ich
jetzt sage, bitte, ich hab' 'ne Krebsoperation hinter mir, bitte, ich hab' 'ne
Gesichtsoperation, das erschreckt in Amerika keinen, da schreiben die nicht
einmal drüber, weil die das schon viel zu langweilig finden.
So besonders aufregend ist das auch gar nicht. Aber Sie leben doch zum Teil
von diesem, wie Sie es nennen, Provinzialismus. Ihr Agent baut darauf, daß die
Konzertsäle voll sind, weil die Leute darauf gespannt sind, die neue Knef nun
zu sehen, von der sie gelesen haben, daß sie todkrank war und sich hat liften
lassen.
KNEF: Ich hab' ja der Presse gar nicht gesagt, daß ich mich liften lasse, sondern
die haben es rausgekriegt. Die haben mich zehn Minuten, nachdem ich aus Lausanne
vom ersten Gespräch mit meinem Arzt zurückkam, angerufen und gesagt, Sie werden
dann und dann operiert, wir wissen alles, bums. Da ist mir wirklich der Graus
hochgekommen, und da mache ich, wie immer in solchen Momenten, die Flucht nach
vorn. Genauso war es ja auch bei der Geburt meiner Tochter, wo man mir vorwirft,
ich hätte das für meine Karriere vermarktet. Schaun Sie, es war folgendes, meine
Tochter hat fast neun Wochen im Inkubator gelebt, und die Journalisten hingen
um das Krankenhaus rum, und die Ärzte sagten, sie hielten das nicht mehr aus,
sie würden wahnsinnig, da hab' ich denen gesagt, dann müßten sie eben wahnsinnig
werden. Aber dann kam das Kind aus dem Inkubator heraus und durfte nach Hause,
und was sich dann abspielte, war so fürchterlich, das können Sie sich gar nicht
vorstellen. Ich wohnte damals am Starnberger See. Die Journalisten hingen Tag
und Nacht in den Bäumen. Wo immer ich aus dem Fenster guckte, standen schon
Fotografen. Ich kriegte also langsam den Drehwurm. Es war Sommer, aber ich konnte
das Kind nicht mit dem Kinderwagen hinausstellen, denn kaum zeigte ich mich,
gingen die Dinger schon los, bumm, zack, fft, fft. Also wir waren Gefangene,
und da hab' ich gesagt, so geht's nicht weiter, das Kind braucht frische Luft,
es muß raus, wir haben einen großen Garten, das Wetter ist schön, und ich wußte
ja nicht einmal, ob das nur Fotografen waren oder auch manchmal Verrückte, die
sich da anschleichen wollten. Wir hatten zwar einen Leibwächter und viele Hunde,
und es wurden auch dauernd welche von diesen Hunden gebissen, so daß wir ständig
das Gerangel mit der Versicherung hatten, aber kurzum, es war ein Irrenhaus,
und da hab' ich eine Werbeagentur angerufen und gesagt, nu paßt mal auf, ich
zahl' euch so und so viel, wenn ihr das einmal organisiert, dann ist das Kind
fotografiert, und wir haben den Salat vom Hals. Aber die Ärzte haben gesagt,
es darf kein Fremder an das Kind ran, damit es keine Infektion kriegt, auf keinen
Fall, außer die Journalisten tragen Mundschutz, denn es braucht ja nur einer
einen Schnupfen zu haben, nicht wahr? Und so ist dann dieses groteske Foto zustande
gekommen, ich mit dem Kind und um uns herum kniend diese vermummten Gestalten.
War das nicht auch eine gute Reklame zu einer Zeit, als man von Ihnen sonst
wenig hörte?
KNEF: Nein, mir war das nur lästig.
Hatten Sie je Angst, von Ihrem Publikum vergessen zu werden?
KNEF: Daran hab' ich eigentlich noch gar nicht gedacht. Schaun Sie, ich habe
ja vier Berufe, ich kann einigermaßen gut schreiben, ich kann Chansons schreiben,
gegebenenfalls auch für andere, ich kann als Showkind auftreten, und ich bin
'ne einigermaßen gute Schauspielerin. Also was kann mir passieren? Natürlich,
man ist abhängig. Wenn mich mein Publikum nicht mehr will, wäre das ärgerlich.
Aber es will mich. Mein Agent, der ist einundzwanzig Jahre alt, hat fünf Jahre
in Amerika studiert, lebt in Detroit, und der hat 'ne Riesenumfrage gemacht,
wieviel ist der Name Knef heute wert in Singapur, Tokio, Kanada, Argentinien...
und dann ist er zu mir gekommen und hat gesagt, ich möchte mit Ihnen 'ne Welttournee
machen.
Da sind Sie also eine Ware, die auf dem internationalen Markt verkauft wird.
KNEF: Das ist doch jeder. Aber sehen Sie, ich habe ja für diese Tournee auch
eine Menge absagen müssen. Der Boleslav Barlog hat mir angeboten, am Ernst-Deutsch-Theater
in Hamburg die Mutter Courage zu spielen, eine hochinteressante Sache, dann
habe ich einen großen amerikanischen Film absagen müssen, dann wollte Gobert
in Berlin was mit mir machen...
Hätten Sie die Mutter Courage mit Ihrem neuen Gesicht überhaupt spielen können?
Sie sehen doch jetzt viel zu jung aus für diese Rolle.
KNEF: Ach kommen Sie, ich meine, es gibt ja noch Schminke. Da macht man ins
Gesicht ein paar Striche, und damit hat sich die Sache.
Trotzdem die Frage: Ist Ihre künstliche Jugend für die Schauspielerin nicht
ein Nachteil?
KNEF: Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich jetzt viel besser als vorher. Ich
bin ein Ästhet. Ich kann einem Menschen, der dreißig Mark zahlt, um mich zu
sehen, nicht zumuten, daß dann da oben eine häßliche, alte Frau steht.
Warum nicht? Der will vielleicht nur Ihre Lieder hören. Die Piaf war ja auch
keine Schönheit.
KNEF: Die war aber viel jünger. Von der hat man auch nie besonders erwartet,
daß sie schön ist. Gott, ich war auch nie eine berühmte Schönheit, aber von
mir verlangte man, abgesehen von bestimmten Rollen, daß ich ein einigermaßen
angenehmes Aussehen habe. Ich bin überhaupt nicht eitel, das habe ich ja in
meinen Büchern bewiesen, aber ich hasse es, sich so gehenzulassen. Ich hab'
das Gefühl, ich rutsche mir aus den Händen, wenn ich mich gehenlasse, zergleite,
zerfließe. Das ist auch der Grund, warum ich so gerne dünn bin. Ich bin ja an
sich viel zu sensibel für das, was ich mache. Ich muß mir meine Zähigkeit selbst
erschaffen. Mein Leben hat schon damit angefangen, daß ich an Kinderlähmung
erkrankte. Ich kann auf der Bühne nur auf einem Bein stehen. Wenn ich auf dem
anderen stehe, kippe ich um. Ich muß das also geschickt kaschieren.
Warum sollten die Leute nicht akzeptieren, daß Sie auf einer Seite schlecht
stehen können?
KNEF: Das will ich nicht, auf keinen Fall. Die zahlen doch nicht, damit sie
mich dann schlecht stehen sehen. Die sollen mich prachtvoll sehen. Na hören
Sie mal, man gibt doch nicht Geld aus, um jemand zu sehen, der nicht stehen
kann. Ich bin ja kein Greis. Nein, kommt überhaupt nicht in Frage. Das lehne
ich ab. Ich hasse Mitleid. Ich will für die Leute da sein, und zwar total. Ich
werde sogar auf der Bühne tanzen. Ich bin zu Jerome Robbins nach New York gegangen
und hab' gesagt, passen Sie auf, mein linkes Bein ist zwei Zentimeter kürzer,
es ist schwach, außerdem hab' ich einen Meniskusriß, aber ich möchte jetzt richtig
tanzen lernen. Da hat er gesagt, fabelhaft, und dann habe ich jede Woche bei
ihm dreimal getanzt.
Finden Sie es demütigend, wenn jemand für Sie Mitleid empfindet?
KNEF: Das kommt darauf an, von wem es kommt. Wenn Sie in einer Intensivstation
an eine mitleidlose Krankenschwester geraten, gehen Sie vor die Hunde. Da gibt
es Momente, wo Sie wirklich angewiesen sind auf das Mitleid des andern, der
mit Ihnen fühlt, was Sie für Schmerzen haben. Ich bin an Punkte gekommen, wo
die Ärzte es mit Morphium nicht mehr töten konnten. Die mußten mir fünf Wochen
künstlich den Bauch offen halten, weil der so vereitert war, da hatte ich so
wahnsinnige Schmerzen, daß die mich vollgedonnert haben mit Morphium, obwohl
sie gesagt haben, gut ist es nicht, aber das hält kein Mensch aus. Ich bekam
fast einen Herzinfarkt vor lauter Schmerzen. Also in so einem Fall ist es schon
nötig, das Mitleid. Demütigend ist es, wenn Menschen dafür zahlen, mich zu sehen,
zu hören, da finde ich es absolut überflüssig, denn es ist ja meine Aufgabe,
diese Leute für mich zu gewinnen. Ich muß sie kriegen. Der Funke muß überspringen,
telepathisch. Nichts ist so telepathisch wie das Showbusiness. Das basiert auf
Telepathie. Ich singe ungefähr vierzig Songs, und jeder Song enthält eine neue
Geschichte, und für jeden habe ich ungefähr drei Minuten, aber ich muß schon
in der ersten Sekunde die Menschen dazu bringen, mir zuzuhören. Es ist eine
Vergewaltigung. Man steht abschußbereit dort oben, frontal vor dem Publikum,
das kann eine Meute sein, sehr gefährlich, die einen auffrißt. Das ist wie Krieg.
Da müssen Sie immer auch der Dompteur sein und dürfen sich, auch wenn es gut
geht, toi toi toi, nicht mitreißen lassen, sondern müssen immer die Kontrolle
behalten, denn sonst ist der Text weg, oder Sie verpassen den Einsatz.
Haben Sie Lampenfieber?
KNEF: Lampenfieber ist gar kein Ausdruck. Ich gerate in Panik vor jedem Auftritt.
Mir hat der Karajan mal was Schönes gesagt. Weißt du, Hilde, hat er gesagt,
keiner glaubt, daß ich Angst habe, aber ich habe Angst vor jedem Dirigieren,
das ahnst du gar nicht. Ich kenne keinen Menschen, der versucht, was Gutes zu
machen, der diese Angst nicht hat. Man muß es nur wissen, und irgendwie muß
man dann stehenbleiben und sagen, ach Scheiße, wieso eigentlich?
Was ist der Lohn dieser Angst? Wofür nimmt man das auf sich?
KNEF: Wissen Sie, man bekommt auch viel zurück von den Leuten. Auf der einen
Seite die Meute, auf der anderen Seite eine rührende Anhänglichkeit und Liebe
und Zutraulichkeit. Wenn Sie ahnen würden, was ich jede Woche für Briefe bekomme,
wo mich Menschen einfach anflehen, ihnen zu helfen mit einem einzigen Wort,
einem Gedanken, einem Tip, einem Arzt. Zauberhaft!
In Ihrem Buch »Das Urteil« haben Sie das ganz anders beschrieben. Da ist von
einem maskulinen Triumph die Rede, von der »grandiosen Sekunde«, wenn der Jubel
losbricht, »voll der prasselnden Erotik«. Man hat fast den Eindruck, Sie erleben
einen Orgasmus.
KNEF: Das will ich nicht sagen. Aber es gibt eine geistige Erotik, die sich
abspielen kann zwischen der einen Person da oben und den vielen da unten. Das
ist gar nicht mehr greifbar.
Ein Rausch?
KNEF: Ja, aber ein kurzer.
Schöner als Liebe?
KNEF: Vollkommen anders, nicht miteinander vergleichbar.
Auf was könnten Sie eher verzichten, auf den Erfolg oder die Liebe zu einem
Menschen?
KNEF: Auf keines von beidem.
Welche Rolle spielt die Sexualität in Ihrem Leben?
KNEF: Eine sehr große Rolle. Sex ist ein sehr wichtiger Bestandteil in meinem
Leben. Da kann ich mich herrlich verlieren. Jemand, der nicht ein großes Gefühl
für Sexualität hat, kann gar nicht so schreiben.
Die Schriftstellerin Karin Struck, der Sie 1975 ein Interview gaben, entdeckte
an Ihnen einen »Haß gegen das Weiblich-Sein«. Was sagen Sie dazu?
KNEF: Völliger Quatsch. Die fing ja ihren Artikel schon damit an, sie hätte
geträumt, daß ich tot sei. Ich meine, die möchte ich nun bitte nie wieder sehen,
weil, wenn man solche Mittel braucht, um über einen anderen Menschen zu schreiben,
dann kann man nicht schreiben. Das ist eine so fürchterliche Geschichte. Ich
war ja damals wirklich in einer Situation, wo mir die Ärzte kaum Chancen gaben,
und da schrieb die dann solche Sachen. Da stand ja auch, ich hätte gesagt, das
Aufhören der Menstruation sei für mich der glücklichste Moment meines Lebens
gewesen. Ich schwöre Ihnen, ich habe mit dieser Frau über Menstruation nie gesprochen,
ganz abgesehen davon, daß das ja nicht aufgehört hat, sondern daß man mir das
wegoperierte, mich so gestrippt hat von allem, daß am Ende gar nichts mehr da
war.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper, den Sie einmal, vermutlich scherzhaft,
als »rebellierenden Kadaver« bezeichnet haben?
KNEF: Ich bin ihm dankbar, daß er noch funktioniert. Für das, was ich ihm so
alles geboten habe, ist er noch ganz gut gebrauchbar. Ich bin ja nicht immer
fein mit ihm umgegangen. Die Anstrengungen, die ich ihm zumute, der Streß, diese
Superspannungen, die ich in mir habe, da muß ich doch froh sein, daß er noch
mitmacht. Mein Mann*** behauptet ja immer, ich lebe vom Hals aufwärts und noch
von einigen anderen Sachen, aber sonst sei ich körperlich nicht mehr brauchbar.
Sicher hat sich durch das Schreiben etwas verändert. Ich war früher bestimmt
körperlicher.
Ist für Sie das Schreiben nur ein Vorgang im Kopf? Oder ist daran der ganze
Körper beteiligt?
KNEF: Doch, schon. Ich schubber' da rum wie 'ne Irre. Ich mache folgendes, ich
setz' mich hin um neun und gucke zunächst mal dumm vor mich nieder, dann trinke
ich furchtbar viel Tee, dann putze ich meine Schreibmaschine, was ja vollkommen
sinnlos ist, alles nur, um nicht anfangen zu müssen, dann schreib' ich so ungefähr
eineinhalb Stunden mit der Hand, da hab' ich so 'ne Wäscheleine über dem Schreibtisch,
da häng' ich meine Gedanken hin, obwohl ich sie dann meistens gar nicht verwende,
aber es beruhigt mich, weil es geschäftig aussieht, nicht ganz so leer. Dann
schreib' ich bis Mittag zwei Seiten, die geb' ich einer Sekretärin, damit sie
die sauber abtippt, die kommen in einen Ordner, werden fotokopiert, und dann
guck' ich sie nie wieder an, nur den letzten Absatz, damit ich am nächsten Tag
weiß, wie es aufgehört hat, damit der Rhythmus bleibt. Was für mich sehr wichtig
ist beim Schreiben, ist Rhythmus.
Lesen Sie Ihre Bücher, wenn sie gedruckt sind?
KNEF: Nein, nie. Ich hab' noch nie ein Buch von mir gelesen.
Fürchten Sie, es dann schlecht zu finden?
KNEF: Ich guck' lieber nach vorne. Wissen Sie, wenn ich das lese, würde ich
sagen, hier hast du was vergessen, da wäre es anders besser gewesen, was soll
der Quatsch? Ich hab' jeden Tag gearbeitet wie ein Vieh an zwei Seiten, und
wenn das nicht steht, hab' ich Pech gehabt. Ich rüttle nicht gerne an Dingen,
die vorbei sind. Das hört sich jetzt sehr benebbicht an, aber mein Schicksal
ist es immer gewesen, mich in Neuland zu wagen. Ich war immer Eroberer. Ich
hab' im ersten deutschen Nachkriegsfilm, »Die Mörder sind unter uns«, eine Hauptrolle
gespielt, ich war die erste, die sich auf der schüchternen deutschen Leinwand
nackt gezeigt hat, wo alle verrückt wurden, aber ich konnte gar nischt dafür.
Der Film hieß »Die Sünderin«. Ich hab' als erste angefangen, mir meine eigenen
Texte zu schreiben, was damals alle für schwachsinnig erklärten, also ich bin
eigentlich die Mutter der Liedermacher. Dann war ich die erste, die in einem
Alter, in dem man es gewöhnlich noch nicht tut, ihre Memoiren, nein, nicht Memoiren,
sondern die Geschichte jener Generation zu schreiben versuchte, die so dazwischen
lag, die nicht wußte, was geschah, als Hitler kam, weil sie viel zu jung war,
die dachte, das sei ein Volksfest, und die dann lebte in diesem gefilterten
Leben, in dem die Antifaschisten zu uns nicht sprachen, weil das wäre denen
zu gefährlich gewesen, man hätte ja als Kind irgendeinen Satz sagen können,
der die hätte ins KZ bringen können. Also wir hörten nur die Stimmen der Nazis,
denen wir aber nicht glaubten, weil die waren zu laut, jedenfalls innerhalb
meiner Familie, die ja ziemlich antifaschistisch eingestellt war. Dann verliebte
ich mich in einen NS-Mann, den Chef des größten Filmverleihs damals****, das
war ja nun auch ein sehr grober Fehler, und dann wurden wir nach Kriegsschluß
von den Alliierten zur Verantwortung gezogen, obwohl wir weder emigrieren noch
irgendeine Resistance hätten anfangen können. Was ich damals für Verhöre hatte,
die waren nicht putzig.
Das Buch, von dem Sie sprechen, »Der geschenkte Gaul«, machte Sie zur erfolgreichsten
lebenden deutschen Autorin. Die Auflagenzahlen gingen in die Millionen.
KNEF: Ja, erfreulicherweise.
Sie haben über den Krieg geschrieben, und das wurde als spannend empfunden.
KNEF: Es muß ja spannend sein, sonst liest es ja keiner. Schaun Sie, es war
ja nicht einfach. Als ich die ersten drei Kapitel geschrieben hatte, hab' ich
sie zunächst liegen lassen, weil ich über den Krieg einfach nicht schreiben
konnte. Ich hab' gesagt, ich will diesen Film nicht noch einmal aufrollen in
meinem Hirn, es ist zu furchtbar.
Und wieso konnten Sie dann doch weiterschreiben?
KNEF: Durch einen Tritt.
Wer hat Sie getreten?
KNEF: Ein Freund, der hat das gelesen und gesagt, wenn du nicht weiterschreibst,
erschlage ich dich. Aber die fürchterlichsten Sachen habe ich weggelassen aus
einem Gedanken heraus, den Peter Suhrkamp, als er aus dem Konzentrationslager
kam, seinem Freund Zuckmayer sagte. Zuckmayer fragte: Was hast du erlebt? Und
Suhrkamp antwortete: Das Häßliche in der Welt soll man nicht zu sehr verbreiten.
Was der erlebt hatte, war so grausam, daß er es nicht einmal seinem besten Freund
sagen wollte, und so habe auch ich ein paar Sachen erlebt, die waren von einer
Grausamkeit, daß ich sie nicht geschrieben habe.
Zu dem amerikanischen Interviewer David Frost haben Sie gesagt, Sie glauben,
1945 jemanden erschossen zu haben.
KNEF: Ja, es ist anzunehmen. Ich war ja in den Kämpfen um Berlin als Soldat
eingeteilt, keiner wußte, daß ich eine Frau bin, also ich war da richtig im
Einsatz, wir lagen in den Schützengräben und haben geschossen wie die Verrückten.
Ich weiß noch, einmal sind wir vier Tage in einem Loch gelegen, so für zwei
Mann, und es regnete ununterbrochen, wir standen bis zur Brust unter Wasser,
und jedesmal, wenn wir unsere Stahlhelme, die wir auf die Maschinengewehre draufgesteckt
hatten, hochhoben, um zu sehen, ob die Luft rein war, hatten wir im Helm schon
'ne Delle. Da ließen wir den Kopf lieber unten und kamen erst raus, als es Nacht
war.
Sind das die Erlebnisse, die zu erzählen Ihnen Mühe bereitet?
KNEF: Angenehm ist es nicht. Aber hätte ich das nicht erlebt, wüßte ich jetzt
nicht zu schätzen, was es bedeutet, in Frieden zu leben.
Sie hätten keine Freude am Frieden.
KNEF: Genau.
So hebt sich alles gegenseitig auf: im Krieg die Sehnsucht nach Frieden, im
Frieden der Schrecken der Langeweile.
KNEF: Die ewige Schaukel.
Können Sie den Lebensekel der Nachkriegsgeneration verstehen, die solche Erlebnisse
nie gehabt hat und die deshalb nicht zu würdigen weiß, wie gut wir es heute
haben?
KNEF: Nein. Das finde ich schrecklich.
Aber was sollen die machen, wenn ihnen der Vergleich fehlt?
KNEF: Die sollen froh sein.
Aber mit Frohsein vergeht ja die Zeit nicht.
KNEF: Das füllt nicht aus, nein. Aber die sollten sich dessen bewußt sein, was
das für ein Geschenk ist, und dann sollten sie versuchen, das auszunutzen und
umzusetzen, und sollten mal ausloten, wieviel eigentlich in ihnen drin ist,
wie viele Möglichkeiten sie haben, wie weit das geht mit dem Lernvermögen, dem
Produktionsvermögen. Das find' ich sehr wichtig.
Ja, aber wenn man zu sehr in sich hineinhört, überfällt einen vielleicht der
Gedanke an die Vergänglichkeit...
KNEF: Ja, absolut.
... und man fragt sich: Wozu das alles?
KNEF: Das ist wahr, und ich lasse es mir auch nicht nehmen, es für unmöglich
zu halten, daß sich ein halbwegs intelligenter Mensch mit diesem Gedanken an
die Vergänglichkeit, also mit dem Tod, je wird abfinden können. Ich glaube eben,
das Leben ist zum großen Teil eine Flucht vor diesem Gedanken, und der unbändige
Kampf, trotzdem das meiste daraus zu machen, nein, nicht das meiste, das klingt
schon wieder so gierig, sondern eben die Möglichkeiten, die einem gegeben sind,
zu benutzen im besten Sinne des Wortes.
Benutzen wozu?
KNEF: Na, wenn Sie so fragen, dann machen wir gar nischt mehr, dann legen wir
uns alle hin, rauchen Hasch und sagen Gute Nacht.
Es gibt von Ihnen den Ausspruch, Widerstände seien dazu da, um beseitigt zu
werden. Waren Sie je in der Situation, ohne Widerstände leben zu müssen?
KNEF: Ich kann mich nicht erinnern.
Sie haben immer gekämpft.
KNEF: Ja, wie ein Tiger. Ich bin geprägt durch zwei, nein drei sehr entscheidende
Dinge. Ich hatte keinen Vater, mein Vater starb, als ich sechs Monate alt war,
er war achtundzwanzig, meine Mutter mußte arbeiten, mein Großvater hat mich
erzogen, ich hatte einen herrlichen Großvater, aber es war eben doch ein seltsames
Verhältnis, Familie kannte ich nicht. Dann wurde ich von ihm weggenommen, das
war der erste tierische Schock meines Lebens, dann kam der Krieg, dieses Ununterbrochen-in-Kellern-Rumsitzen
und Die-Bomben-um-die-Ohren-Haben, dieses immer wieder Raus-aus-den-Löchern,
dieses Zittern, hoffentlich platzen die Röhren nicht, dieser wahnsinnige Kampf,
und dann später, in Amerika, diese unglaublichen Schwierigkeiten beim Filmen,
diese tägliche Mühsal, davon bin ich ja auch kurzsichtig geworden, weil ich
in New York trotz Masern und vierzig Grad Fieber auftreten mußte, sonst wäre
die Show, in der ich da spielte*****, im Eimer gewesen, und Tausende Dollar
wären den Bach runtergegangen.
Aber Sie können doch Ihre Film- und Theaterarbeit nicht mit dem Zweiten Weltkrieg
vergleichen. Das eine war Schicksal, das andere Ihre freie Entscheidung.
KNEF: Nein, nein, schaun Sie, ich hab' dort einen Vertrag unterschrieben, aber
ich wußte ja nicht, was da auf mich zukommt.
Sie hätten ja, um ein ruhigeres Leben zu haben, auch Sekretärin in einem Büro
werden können.
KNEF: Na, also dieser Gedanke, der bringt mich um.
Stimmen Sie zu, wenn ich sage, Sie haben sich Ihr Leben lang mehr oder weniger
freiwillig in schwierige Situationen begeben, um die dann bestehen zu können?
KNEF: Sie meinen, ins Chaos?
Ja, wenn Sie so wollen, in die vorderste Reihe.
KNEF: Ich hab' einen guten Freund, der sagt, ich sei der einzige Mensch, den
er kenne, der keine Ferien mache. Ich fange in Ferien an, völlig marode zu werden,
oder ich lulle so rum oder mach' mir Notizen, fang' an, Gedichte zu schreiben
oder moderne Lyrik, oder ich male. Ich hab' ja zwei Jahre Malen gelernt.
Was würde geschehen, wenn Sie einmal nichts zu tun hätten?
KNEF: Dann wäre das Chaos immer noch da, nur eben in mir. Da würde ich in einer
schönen psychiatrischen Klinik meine Tage verbringen, und die Psychiater würden
nett mit mir reden, und ich würde zu überhaupt nichts kommen.
Was würden Sie denn den Psychiatern erzählen?
KNEF: Wahrscheinlich gar nichts, ich weiß nicht. Natürlich kann ein chaotisches
Innenleben, wenn es sich nicht ausdrücken kann, katastrophale Folgen haben.
Ich hab' große Spannen, in denen ich sehr introvertiert bin, so plötzliche Schübe
von Einsamkeit, das kann tagelang dauern, da ziehe ich mich zurück wie 'ne Schnecke,
das sind streckenweise gefährliche Zeiten, in denen ich nicht mal mehr lesen
kann, weil ich alles auf mich beziehe und plötzlich denke, daß alles, was da
geschrieben steht, auf mich gemünzt ist. Das hasse ich. Da hab' ich das Gefühl,
ich sitz' auf 'ner Tellermine, und wenn ich aufstehe, dann explodiert die.
Gibt es jemanden, mit dem Sie darüber sprechen?
KNEF: Nein, darüber spreche ich mit niemanden.
Nicht einmal mit Ihrem Mann?
KNEF: Nein.
Warum nicht?
KNEF: Weil ich das große Bedürfnis habe, die Menschen, mit denen ich lebe, nicht
zu verletzen, so weit ich kann.
Wieso würde es jemanden verletzen, wenn Sie sagen: Ich sitz' auf 'ner Tellermine?
KNEF: Weil alle um mich herum, mein Mann, selbst mein Kind, sich bemühen, fröhlich
zu sein, und ich es gerne habe, wenn die das Gefühl haben, daß ich ihre Heiterkeit
teile, weil diese Heiterkeit ja auch für mich dargestellt wird.
Das ist ja furchtbar. Da spielt also jeder jedem was vor, nämlich die Heiterkeit.
KNEF: Nicht immer. Ich bin zum Beispiel der berühmteste Morgenmuffel, den es
je gab. Wenn Sie mich morgens ansprechen, kann ich der grauenhafteste Mensch
sein, muffle so rum, krieg' gerade noch die Tasse Tee an den Mund, die man mir
hinstellt.
Und
wie geht das vorüber?
KNEF: Ich hab' eine ungeheure Selbstdisziplin. Schaun Sie, ich will mich nicht
rühmen, aber ich hab' eine furchtbare Entziehungskur hinter mir, weil man mir
soviel Morphium gespritzt hat, daß ich zum Schluß ohne das Zeug nicht mehr
leben konnte, nicht weil ich süchtig war, sondern weil sich der Körper so daran
gewöhnt hatte, daß ich nichts essen konnte. Es flog mir alles gleich wieder
raus. Das liegt jetzt sechs Jahre zurück. Ich drehte gerade einen Film in
Berlin, »Jeder stirbt für sich allein«, ein sinniger Titel, und der Manager des
Hotels, in dem ich wohnte, sah mich, rief sofort einen Arzt an und sagte, um
Gottes willen, mit der Hilde ist was los, die sieht aus, das gibt's ja gar
nicht...
Und am nächsten Tag stand's in der Zeitung.
KNEF: Ja, ich muß leider sagen, das hat mein geschiedener Mann gepfiffen...
Warum passiert das gerade Ihnen, dieses dauernde Hineinschlittern in
Klatschgeschichten?
KNEF: Das passiert anderen doch genauso. Denken Sie nur an diesen Mist, der
jetzt über Marlene Dietrich in einer deutschen Illustrierten gedruckt wird,
weil da ein Dienstmädchen, das zwanzig Jahre bei ihr gearbeitet hatte, zu
plaudern anfing. Ich bin ja mit ihr sehr befreundet, wir telefonieren jede
Woche zweimal. Sie ist stocksauer auf diese Geschichte, weil das ein Mädchen
ist, für das sie sehr viel getan hat. Sie ist ein sehr großzügiger Mensch. Wenn
ich einen Menschen kenne, der großzügig ist, dann ist es Marlene. Sie hat ihr Geld
für andere ausgegeben in einer Weise... Ich erzähle Ihnen nur ein ganz kleines
Beispiel. Ich war in Hollywood und mußte nach Europa, um einen Film zu machen.
Aber ich hatte kein Geld, um zu fliegen. Mein Astrologe Carroll Righter sagte,
mach den Film, und zahlte das Ticket. Aber man mußte damals noch in New York
zwischenlanden, und Marlene wartete auf mich in der Halle und sagte, mit den
Kleidern kannst du nicht nach Europa. Ich hab' gesagt, Marlene, hör auf, du
bist verrückt, wird doch wohl gehen. Da hat sie einen ganzen Karton Kleider für
mich gekauft, und als ich in die Maschine stieg, kam mir die Stewardeß entgegen
und sagte, Frau Knef, das wurde von Frau Dietrich für Sie abgegeben. Das war
ein Riesenpaket, da stand drauf, wenn du ankommst, trägst du diesen Hut, dieses
Kleid, diese Schuhe. Also ich meine, die kümmert sich wirklich um ihre Freunde.
Warum, glauben Sie, hat Ihr geschiedener Mann private Informationen gegen Ihren
Willen an die Presse gegeben?
KNEF: Aus Zorn und verletzter Eitelkeit. Der hat da natürlich auch wahnsinnig
viel hineingedichtet.
Können Sie ihm heute, vier Jahre nach der Scheidung, verzeihen?
KNEF: Nein, kann ich nicht, weil ich es nicht verstehe. Ich würde so etwas
niemals tun. Ich bin nicht bösartig, nie gewesen, das hab' ich wirklich
ausgetestet bei dieser Wahnsinnsentziehungskur, die drei Wochen dauerte, in
denen man kein Glas Wasser bekommt, keine Zigarette, nichts zu trinken und
nichts zu essen, sondern einfach nur schreit. Da haben die Ärzte immer gesagt,
komm, beiß in meinen Arm, wenn du es nicht mehr aushältst. Aber ich hab'
gesagt, das kann ich nicht, ich kann keinen verletzen. Ich hab' in dieser Zeit
nie jemanden geschlagen oder gebissen. Sonst tobt man da rum, schlägt um sich,
haut alles in Trümmer. Wissen Sie, mein geschiedener Mann hat mich in einer
Zeit hängen lassen, in der ich es wirklich sehr schwierig hatte. Er konnte mit
diesen Schicksalsdonnerschlägen, die auf mich niedergingen, nicht fertig
werden.
Hat er daran geglaubt, daß Sie den Krebs überleben würden?
KNEF: Ich glaube nicht. Also jedenfalls, so wie er sich benommen hat, würde ich
sagen, nein. Ich habe ihn sehr geliebt. Es war wirklich eine ganz große Liebe,
wenn man das so pathetisch sagen kann. Man bleibt nicht siebzehn Jahre bei
einem Mann, um hinterher Dreck zu reden oder schmutzige Wäsche zu waschen. Aber
er hat ja leider sehr viel schmutzige Wäsche gewaschen, was ich sehr übel nahm,
nicht so sehr meinetwegen, aber des Kindes wegen.
Haben Sie selbst daran geglaubt zu überleben?
KNEF: Ich habe eine Nacht gehabt in Basel, auf der Intensivstation, da dachte
ich, es ist aus.
Hat Sie der Gedanke an Ihr Kind am Leben gehalten?
KNEF: Möglich.
In einem Ihrer Bücher schreiben Sie, daß Sie ohne das Kind nicht mehr leben
könnten, und in einem Interview fiel der Satz: »Meine Tochter ist meine
Existenz.« Das bedeutet, daß das Weiterleben, wäre das Kind nicht, für Sie
keinen Sinn mehr hätte.
KNEF: Kann sein. Bestimmt wäre ich ein völlig anderer Mensch ohne das Kind,
weniger drahtig. Als meine Ehe auseinanderging, war ich für kurze Zeit wirklich
so unten, daß ich dachte, ich schaff es nicht, ich mache Selbstmord, aber dann
war da sofort der Gedanke: Du bist wohl wahnsinnig geworden, du lebst für einen
Menschen, du hast Verantwortung, du kannst dich jetzt nicht so durchhängen
lassen. Ich halte meine Tochter für ein unglaublich wunderschönes, fabelhaftes,
intelligentes Wesen, ich bin stolz auf sie, und obwohl durch einen verpfuschten
Kaiserschnitt die wahnsinnigsten Krankheiten und schrecklichsten Operationen
ausgelöst wurden, möchte ich keine einzige Stunde missen, die ich mit ihr
erleben durfte.
Ertragen Sie den Gedanken, daß Sie, wenn sie erwachsen ist, von ihr verlassen
werden?
KNEF: Nein, daran kann ich nicht denken, da werd' ich verrückt. Natürlich weiß
ich, daß sie ihren Weg gehen wird. Ich bin auch eine ganz uneifersüchtige
Mutter, lasse ihr Freiheiten in vielen Dingen, quatsche nicht rein, mache auch
keinen Erziehungskram, also die erzieht mich viel mehr, als ich sie erziehe.
Aber ich hab' eben panische Angst, daß ihr was zustößt. Wenn sie sich in den
Finger schneidet, rufe ich einen Arzt. Da werd' ich hysterisch.
Ist es für ein Kind nicht belastend, zu wissen: Die Mutter wird wahnsinnig,
wenn ich nicht bei ihr bleibe?
KNEF: Schaun Sie, auf der einen Seite gibt es diese bestialische Angst, diese
animalische Angst, denn die ist ja absolut animalisch und nicht mehr steuerbar,
also wenn das Kind einmal hinfällt und sich weh tut, dann weiß es, Muttern
sitzt da als Weihnachtsengel und macht schon. Auf der anderen Seite kann es
jetzt über meine Angst auch schon lachen, weil ich sie zugebe, sie nicht
verdränge. Ich sage, gut, ich bin nun mal so hysterisch, tut mir leid, ich
schnappe über bei jeder Kleinigkeit. Aber man muß auch verstehen, ich hab' mit dem
Kind vier Monate im Rollstuhl gelebt. Es hat ja diese wahnsinnig schwierige
Hüftoperation hinter sich, die hat achteinhalb Stunden gedauert, beide
Hüftknochen wurden durchsägt, eine Sehne im Bein wurde verlängert. In diesen
achteinhalb Stunden bin ich um zehn Jahre gealtert. Das ist auch der Grund,
warum ich mich habe liften lassen.
Warum wollten Sie denn das Kind so unbedingt haben?
KNEF: Mein geschiedener Mann wollte es nicht. Da war also eine große
Auseinandersetzung. Ich war zweiundvierzig und gerade zu Dreharbeiten in
London, wir drehten immer in so künstlichem Nebel, und ich dachte, ich hätte
'ne Rauchvergiftung und ging zum Arzt, einem deutschen Juden, den ich gut
kannte, der hieß Max, also ich rief den an und sagte, Max, ich komm' mal vorbei,
mir ist sauübel, die müssen da Giftgase reinsprühen, es ist zum Verrücktwerden,
vielleicht kannst du mir irgendwelche Vitaminpillen geben. Und er machte also
einen Test, und zwei Tage später rief er mich an und sagte, sag mal, du alte
Kuh, du hast keine Rauchvergiftung, du bist schwanger. Aber jetzt kommt eine
wirklich bizarre Geschichte. Mir hatte der Carrol Righter, mein Astrologe,
immer gesagt, ich darf keine Kinder haben, ich würde sterben, und ich rief also
sofort in Hollywood an und sagte, Carroll, ich krieg' ein Kind, und er sagte,
ich ruf' dich in zwölf Stunden zurück, und er rief mich zurück und sagte, es
ist das erste Mal, daß du ein Kind haben kannst, es wird nicht einfach sein,
aber du wirst es haben. Und wissen Sie, was in der Zwischenzeit entdeckt worden
war? Homogenes Fibrin, das ist ein Blutgerinnungsmittel, ohne das wär' ich
gestorben.
Wollte Ihr Mann das Kind, als es da war?
KNEF: Ja, da war er hingerissen. Aber das war zu spät. Ich hatte es ja nun
gegen seinen Willen bekommen, stur wie ein Panzer. Ich hab' gesagt, nein, das
Kind will ich haben. Das war ein völlig animalisches Wollen, Animalismus hoch
zehn, und das Wissen, es ist meine letzte Chance, ich bin zweiundvierzig,
danach ist Schluß. Mir hatten ja vorher alle gesagt, daß ich keine Kinder mehr
haben könnte, deshalb hatte ich auch die Pille nicht mehr genommen.
Da gibt es also in Ihnen auf der einen Seite dieses animalische Frau-Sein,
dieses tierische Mutterleben, und auf der anderen Seite diesen männlichen
Siegeswillen, wenn Sie auf der Bühne stehen und die Menschen, wie Sie sagen,
mit "maskuliner Gewalt" zu bezwingen versuchen.
KNEF: Ja, total schizophren, absolut schizophren. Also der schwierigste Mensch,
mit dem ich lebe, bin sicher ich selbst.
Sind Sie sich trotzdem sympathisch?
KNEF: Nicht besonders. Aber ich muß mich immerhin genügend gern haben, um
arbeiten zu können. Ich kann sehr über mich lachen. Also ich hasse mich nicht.
Ich kenne Leute, die mir weitaus ekelhafter sind, als ich mir selbst bin.
Gabriele Wohmann, die über Sie in der ZEIT schrieb, hat an Ihnen vermißt, daß
Sie sich auch mal selbst kritisieren. Die Bösen, das sind in Ihren Büchern
immer die andern.
KNEF: Nicht alle.
Nein, aber nie Sie.
KNEF: Ich bin ja das Opfer.
Andererseits aber auch sehr herrschsüchtig manchmal.
KNEF: Da kommen wir auf ein Thema, über das wir sechsunddreißig Stunden lang
reden könnten. Es gibt im Deutschen ein Wort, das ich fürchterlich hasse, und
das heißt »Ehrgeiz«. Denn ich finde Ehrgeiz etwas sehr Positives, weil es den Menschen
aus den mistigsten Situationen wieder herausreißen kann, weil es ihn produktiv
macht. Im Englischen heißt das »stamina«, also Kraft, Widerstand. Wenn Sie
fragen, ob ich ehrgeizig bin, dann antworte ich, ja, ehrgeizig bin ich. Ich
habe gelernt zu tun. Ich kann nicht gottergeben dasitzen und warten, bis mir
von irgendwo eine Lösung zufliegt.
Dazu fällt mir ein Satz von Max Frisch ein: "Männlich ist der Drang zu
tun, weiblich ist der Drang zu sein."
KNEF: Ein dämlicher Satz, wie das meiste von Frisch. Also den kann ich nun
überhaupt nicht leiden.
Warum nicht?
KNEF: Weil ich seine Trockenheit nicht ertrage. Ich mag gern barocke Schreiber,
einen Blaise Cendrars, einen Henry Miller. An Salinger kann ich mich dumm und
dösig lesen. Ach, ich hab' die ganze Literatur rauf und runter gelesen, denn
ich hatte das große Glück, als ich zwanzig war und nach Amerika kam, aufgekauft
von Selznick, dem Filmproduzenten, also wirklich gekauft wie so Gefrierfleisch
und dann auf Eis gelegt, weil die Amerikaner zunächst mit mir gar nicht filmen
wollten, sondern mich nur geholt hatten, um der deutschen Filmindustrie die
Stars wegzunehmen, damit die nicht wieder eine marktbeherrschende Stellung
bekäme... Also damals, als ich mit meinem ersten Mann, Kurt Hirsch, mit dem ich
noch heute befreundet bin, dasaß wie Nulpe, mit so 'ner Wochengage, für die ich
täglich bei der Produktion antanzen mußte, um so ungefähr die Karte zu lochen,
da hatte ich das große Glück, Ludwig Marcuse kennenzulernen, und der sagte, sag
mal, ihr habt doch in der Schule in Nazideutschland gar nischt gelernt, worauf
ich sagte, du sagst es, und er: Na, dann paß mal auf, da du sowieso hier nichts
zu tun hast, sondern nur dumm in der Sonne rumsitzt und ich wahnsinnigen Spaß
daran habe, Menschen, mit denen ich deutsch sprechen kann, zu unterrichten,
gebe ich dir jede Woche ein Buch, und du schreibst mir einen Essay darüber. Das
erste, was er mir gab, war »Doktor Faustus« von Thomas Mann, da fiel ich also
gleich rückwärts den Stuhl hinunter. Er ist manchmal sehr hart mit mir
umgegangen, aber heute bin ich froh, daß er mich so durchgedroschen hat durch
die ganze Literatur, die deutsche, die amerikanische, Salinger, Hemingway,
Faulkner...
Mögen Sie Hemingway?
KNEF: Also nein, der hat doch den Adjektivknall, der schreibt nie Adjektive,
die ich so liebe, weil sie eine Geschichte erst ausmalen und griffig machen.
Ich bade in Adjektiven, denn ich hab' jetzt über 300 Chansontexte geschrieben,
und die zwingen einen zu größter Kargheit. Da schreiben Sie eine herrliche
Kurzgeschichte, und dann müssen Sie die bis auf die Knochen zusammenstreichen,
weil es musikalisch nicht hinpaßt. Deshalb bin ich froh, wenn ich mich mal
austoben kann in Worten und Formen. Das ist ganz irre und wächst auch oft über
die Ufer hinaus, wird größer und größer. Deshalb hat mir der Günter Grass auch
geraten, moderne Lyrik zu schreiben, weil das zwingt zu einer gewissen Bremse.
Haben Sie vor, nach der Tournee wieder ein Buch zu schreiben?
KNEF: Ich hab' noch kein Thema.
Vielleicht stößt Ihnen was zu.
KNEF: Der liebe Gott soll mich davor bewahren, daß mir ununterbrochen was
zustößt, um ein Buch schreiben zu können. Ich weiß gar nicht, wie ich das
aushalten sollte.
Haben Sie Angst vor dem Alter?
KNEF: Ich hab' Angst davor, krank zu werden und kraftlos, also das fände ich
gräßlich. Ich finde diesen Verfall des Menschen eine Zumutung der Natur. Wenn
ich zum Beispiel an Carlo Schmid denke, den ich sehr geliebt habe, und dann sah
ich plötzlich diesen unsäglichen, unsagbaren Verfall, da packte mich solcher
Zorn, da dachte ich, mein Gott, ein solcher Kopf, ein solcher Mensch, eine
solche Kraft, und das muß nun plötzlich so verkrümeln, das läßt die Natur
einfach zu, daß man da so wieder in die Erde reinrutscht. Ich hatte ja schon
sehr früh dieses Erlebnis des verfallenden Körpers, weil ich ein Stipendium an
der Zeichenschule der Ufa hatte, wo man uns, da die jungen Männer alle an der
Front waren, nur so uralte Greise als Aktmodelle vorsetzen konnte. Da dachte
ich, du großer Gott, wenn das dein Schicksal ist, das ist ja entsetzlich.
Messen Sie mal mit einem Zirkel den Penis eines 70-jährigen, frierenden, alten
Herrn aus, ich meine, das war so grauenhaft, dieser Schrumpelkram, zum
Verrücktwerden. Da hatte ich zum erstenmal diesen Horror vor dem Altsein, wie
das alles so welkt und vertrocknet, das fand ich eine Infamie der Natur. Was
hat sich der liebe Gott dabei bloß gedacht, daß er den Menschen das antut, daß
er sie so schrumpeln läßt und dabei ja auch gar nicht etwa vergeistigt, denn
man wird ja auch noch dämlich, das ist ja das Fürchterlichste. Wenn man nun
sagen könnte, gut, der Körper schrumpelt, aber dafür kommen da jetzt die
größten Geistessprünge heraus. Aber Käse! Da geht es dann wirklich nur noch um
die Verdauung und darum, was es zu essen gibt. Schrecklich!
Ein Glück, daß Sie reich sind und sich mit Geld Ihre Schönheit erhalten
konnten.
KNEF: Na, alt und arm, das fände ich nun wirklich zum Wahnsinnigwerden. Gerade
Berlin, wo ich wohne, ist doch eine so überalterte Stadt. Wenn ich da sehe, wie
sich diese Rentnerinnen mühsam mit ihren Wägelchen zum Supermarkt schleppen, da
könnte ich heulen, also da muß ich wirklich aufpassen, daß ich nicht zu heulen
anfange. Das geht mir wirklich so an die Nieren, das haut mich so völlig
zusammen, daß ich manchmal, wenn ich im Auto sitze, an den Rand fahren muß, um
nicht irgendwo reinzudonnern. Ich bin eben so erzogen, daß ich Häßlichkeit
schwer ertrage, das hat mit meinem Großvater zu tun, der ein Superästhet war,
der hat mir das eingehämmert, der haßte das, wenn Leute so herumludern mit
ihrem Aussehen. Mit einundachtzig Jahren hat er sich das Leben genommen, also
er hatte Tabletten gesammelt, hat sie geschluckt, aber bevor er starb, hat er
sich ein Tuch um den Kiefer gebunden, damit der nicht herunterfällt, wenn er
tot ist. So ist das, wenn einer als Ästhet stirbt. Ich bin ein großer Liebhaber
der Schönheit. Ich finde Schönheit etwas sehr Wichtiges, genauso wichtig wie
gute Manieren. Ich mag Leute nicht, die schlechte Manieren haben.
Manieren kann man lernen, Schönheit ist Zufall.
KNEF: Das stimmt, und ich bin meinem Körper sehr dankbar, daß er so gut gebaut
ist, weder zu hoch noch zu breit, mit langen Beinen, sehr guten Schultern,
guten Armen, und meine Hände haben auch nie gezittert, wie die Zeitungen schrieben.
Ich war mir der Schönheit meines Körpers immer bewußt, denn ich hatte einen
sehr schönen Körper, einen Körper, den ich nicht pflegen mußte, der immer
fabelhaft aussah, mit dem man also ungeniert nackt rumlatschen konnte, der
nicht aufdringlich war, sondern einfach ästhetisch.
Deshalb war die Zerstörung ihres Körpers durch die Krankheit so schlimm für
Sie.
KNEF: Ja, das war furchtbar. Als die Chirurgen da mit ihren Bäckerkitteln
ankamen und sagten, Frau Knef, wir müssen Ihnen leider mitteilen, Sie haben ein
Karzinom, da hab' ich wörtlich gesagt: Nu wird es albern. Da kriegte ich also
wirklich eine Sauwut, und als ich dann aus der Narkose erwachte, hab' ich meine
Puderdose und alles, was ich fand, an die Wand geknallt.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie spürten, daß Ihre linke Brust nicht mehr da
war?
KNEF: Meine erste Reaktion war: Du mußt das nächste Jahr überleben. Es war
weniger der Gedanke an den Verlust als das Wissen, ich muß überleben. Wenn ich
das erste Jahr überlebe, habe ich noch eine Chance. Das hatten mir die Ärzte
auch ganz klar gesagt.
Da war es Ihnen also völlig gleichgültig, wie Sie aussahen.
KNEF: Ja. Da war nur der Gedanke: Ich will nicht sterben.
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Hildegard Knef hatte wegen mehrerer Krankheiten, darunter Krebs, Meningitis und
eine Bauchfellentzündung, insgesamt 56 mal operiert werden müssen. Die Premiere
ihrer Chansontournee, die am 15. September 1980 in der Berliner Philharmonie
Premiere hatte und die sie auch nach Asien und Amerika führen sollte, wurde ein
Mißerfolg. Schon in Deutschland sang sie vor halbleeren Sälen.
**) Scheidung von ihrem zweiten Mann, dem britischen Schauspieler und Regisseur
David Cameron, im Juli 1976
***) Von 1977 bis zu ihrem Tod war die Knef mit dem um fünfzehn Jahre jüngeren
Paul Rudolf Freiherr von Schell zu Bauschlott verheiratet.
****) Ewald von Demandowsky, Leiter der TOBIS-Film in Berlin
*****) "Silk Stockings«, Musical von Cole Porter, Broadway, 1955
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Erschienen (gekürzt) am 18. September 1980 im STERN