Interview mit Heinz Günther Konsalik 1982



Sie haben in den dreißig Jahren Ihrer bisherigen Schriftsteller-Karriere fast hundert Romane geschrieben.

HEINZ G. KONSALIK: Vierundneunzig.

Können Sie verstehen, daß manche meinen, hinter dem Namen Konsalik verbergen sich mehrere Schreiber?

KONSALIK: Auf der einen Seite kann ich es verstehen, auf der anderen wiederum überhaupt nicht. Es ist, wenn man meine Produktion rein rechnerisch ansieht, gar kein Geheimnis dahinter. Ich tue nichts anderes als schreiben. Ich habe, abgesehen von meinen Reisen und Opernbesuchen, keinerlei Hobbys. Ich spiele nicht Golf, ich spiele nicht Tennis, ich bin in keinem Kegelklub, keinem Gesangsverein. Ich habe keinen Stammtisch. Ich lebe entweder hier in Aegidienberg* oder in meinem Haus auf Teneriffa und schreibe, schreibe, schreibe. Das Jahr hat 365 Tage. Wenn ich 65 Tage nichts tue, was noch nie vorkam, bleiben 300 Tage. Schreibe ich pro Tag nur fünf Seiten, was bestimmt nicht viel ist, dann sind es 1500 Seiten im Jahr, das sind drei Romane. Es können auch einmal nur zwei sein und dafür im nächsten Jahr vier. Aber nimmt man den Durchschnitt, dann kann man sich durchaus vorstellen, daß der, der das macht, wirklich nur ich bin.

Rein rechnerisch leuchtet das ein, aber normalerweise ist es doch so, daß ein Schriftsteller nicht jeden Gedanken, den er hat, sofort aufs Papier wirft. Da gibt es doch Krisen.

KONSALIK: Krisen, wie sie andere haben, kenne ich nicht während des Schreibens. Wenn ich einmal merke, daß die Intuition nicht gleich da ist, also wenn es nicht läuft, lasse ich sofort die Finger davon, mache Korrespondenzen, lese, oder ich sage zu meiner Frau, komm, hol den Wagen raus, fahr mich rum. Dann fährt sie mich durch die Gegend, ich weiß manchmal gar nicht wohin, plötzlich sage ich, jetzt nach Hause, und schreibe weiter.

Das bedeutet, daß Ihre Frau immer bereitstehen muß, um Ihnen notfalls als Chauffeuse zu dienen.

KONSALIK: Wir sind dreiunddreißig Jahre verheiratet, und wir machen alles zusammen. Sie ist immer da bis auf die Zeit, wo sie mal einkauft oder beim Friseur ist. Sie erledigt auch meine Leserpost, nur die Autogramme schreibe ich selbst. Wir sind praktisch ein gemeinsames Unternehmen. Als ich aus dem Krieg zurückkam, hatte ich nichts und war nichts, da haben wir davon gelebt, was meine Frau als Lehrerin verdiente. Als ich dann zum erstenmal für einen Roman Geld bekam, habe ich sie aus der Klasse geholt und gesagt, bitte hier, mein erstes Honorar, dreitausend Mark. Da sind wir uns in die Arme gefallen und haben geheult.

1956 erschien Ihr erster Bestseller, «Der Arzt von Stalingrad». Hatten Sie den Erfolg erwartet?

KONSALIK: Nein, überhaupt nicht. Die erste Auflage, achttausend Stück, ist nur gerade so mit Ach und Krach weggegangen. Mehr war nicht drin. Aber dann kam die Verfilmung mit O. E. Hasse, und da liefen innerhalb von drei oder vier Monaten achtzigtausend Bestellungen ein, und der Verlag lag vollkommen flach, weil er nicht liefern konnte. Heute ist "Der Arzt von Stalingrad" mit einer Auflage von drei Millionen das meistveröffentlichte Buch Deutschlands. Ich werde von Journalisten häufig gefragt: Können Sie sich Ihren Erfolg erklären? Darauf sage ich immer: Nein, kann ich nicht. Das Phänomen sind meine Leser, die auf Konsalik fixiert sind. Hätte man mir in den fünfziger Jahren gesagt, ich würde ein erfolgreicher Schriftsteller, hätte ich das durchaus für möglich gehalten, warum auch nicht? Hätte ich aber darauf geantwortet, ich würde einmal der meistgelesene Schriftsteller deutscher Zunge mit einer Auflage von vierundfünfzig Millionen, übersetzt in sechsundzwanzig Sprachen mit über siebenhundert Auslandsausgaben, hätte man mich getrost in ein Irrenhaus sperren können, denn dann hätte ich mich selbst für verrückt gehalten.

Vielleicht sind Sie ja tatsächlich verrückt in der Maßlosigkeit Ihres Schreibens. 

KONSALIK: Ich betrachte mich als einen völlig normalen Menschen.

Stimmt es, daß Sie in Trance geraten, wenn Sie Ihr Arbeitszimmer betreten?

KONSALIK: Ja, stimmt. Wenn ich arbeite, bin ich vollkommen abgekapselt, kein Telefon, nichts. Es ist praktisch so wie in einer Klinik, wenn operiert wird, völlige Funkstille. Ich kenne Kollegen, die sagen, wenn sie an die Schreibmaschine denken, dann graut es ihnen. Bei mir ist es umgekehrt. Ich bin glücklich, wenn ich wieder an der Maschine sitze. Zwar ist das, was ich beschreibe, vor allem in den Kriegsromanen, oft grauenhaft. Ich war im Zweiten Weltkrieg Kriegsberichterstatter in Rußland. Da kommen die Erinnerungen. Aber wenn der Schreibfluß einsetzt, dann hält mich nichts mehr. Das ist die Phase, wo das Schreiben wirklich eine Art Trance wird, und das Befreiende ist, daß es herauskommt. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Zeile gestrichen, Seiten weggeworfen oder ein Buch umgeschrieben. Ich schreibe es, wie es kommt, in die Maschine, dann wird es zusammengeheftet und geht weg mit der Post. Nach der Arbeit brauche ich ungefähr eine halbe Stunde, bis ich wieder in der realen Welt bin. Meine Frau reicht mir einen Wodka-Bitter-Lemon, manchmal auch ein Glas Milch, dann sehe ich Nachrichten, dann wird gegessen. Wenn ich in dieser Zurückbesinnung mit Alltagsproblemen behelligt werde wie zum Beispiel, daß der Gärtner etwas ruiniert hat oder das Hausmädchen krank ist, dann kommt eine Explosion. So etwas möchte ich dann nicht hören.

Was geschieht nach dem Essen?

KONSALIK: Das ist verschieden. Wir unterhalten uns. Wenn ich sehr lange gearbeitet habe, gehe ich schlafen.

Und Ihre Frau, so war zu lesen, liegt neben Ihnen und ist noch ganz munter.

KONSALIK: Ach was, das hat so ein Knallkopp vom "Stern" geschrieben, aber das stimmt nicht. Ich bin dann auch, was die Erotik betrifft, keineswegs abgeschlafft, obwohl ich ganz allgemein sagen muß, das Sexuelle wird in der heutigen Zeit zu sehr überbewertet.

Warum ist dann in Ihren Büchern, besonders in den Kriegsbüchern, dauernd von Sex die Rede?

KONSALIK: Da beschreibe ich ja andere Zeiten. An der Front gab es drei Themen: Fressen, Saufen und Weiber. Was anderes gab's nicht. Die Möglichkeiten, Frauen zu haben, waren natürlich begrenzt. Man mußte ins Hinterland, in die Etappe, da war die Lazarettschwester, die Sanitäterin, die Flakhelferin. Unsere Stammdivision war in Posen. Da konnte man Kontakt mit Mädchen bekommen. Es hat auch viele Liebschaften mit russischen Bauernmädchen gegeben. Ich war zu schüchtern, ich habe das nicht gehabt. Aber ich weiß, daß es vorkam. Der Willy Millowitsch, mit dem wir befreundet sind, sagt immer: Mensch, du hast in deinen Romanen so traumhafte Weiber, woher kennst du die alle? Darauf sage ich: Ich kenne keine einzige, aber ich kann sie mir in der Phantasie sehr gut vorstellen.

Waren die Frauen, die Ihnen da begegneten, immer so wohlgebaut wie die Frauen in Ihren Büchern, mit "geilen Hintern" in "knappen Höschen", "strammen Titten" oder Brüsten, "die schaukelten wie weißlackierte Glocken"?

KONSALIK: Habe ich das geschrieben?

Sie erinnern sich nicht an Ihre eigenen Bücher?

KONSALIK: Nein. Wenn ich einmal hineingucke in ein Buch, das ich vor Jahren geschrieben habe, lese ich es wie etwas Fremdes. Ich habe schon in der Schule immer darunter gelitten, daß man fragte, warum hat Schiller in der und der Szene den und den Satz geschrieben. Heute, wo ich selbst Schriftsteller bin, weiß ich, daß der Schiller gar nicht darüber nachgedacht hat, warum er einen bestimmten Satz an eine bestimmte Stelle setzte. Der war einfach da, so wie auch bei mir die Sätze plötzlich da sind, ohne daß ich das näher erklären könnte.

Vielleicht erfüllen Sie sich mit den Frauen, die Sie beschreiben, geheime Wünsche.

KONSALIK: Dann könnte man aber genauso sagen, daß ich mir wünsche, grausam zu sein, weil ich Grausamkeiten beschreibe, oder daß ich unheimlich romantisch bin, weil ich etwas beschreibe, wo einem die Tränen kommen. Da müßte ich in mir sämtliche Charaktere haben.

Das ist doch gut möglich. Der Kritiker Helmut Schödel schrieb in der "Zeit", in Ihnen sei ein Sadist am Werke.

KONSALIK: Ja, aber warum soll ich mich um so etwas kümmern? Ich habe Millionen Leser, die sind anderer Ansicht. Ich bin immun gegen jegliche Literaturkritik. Diese Leute ärgern sich, weil ich die hohen Auflagen habe, die sie anderen wünschen und die diese anderen niemals bekommen. Wenn Herr Schödel sagt, Herr Konsalik ist ein Arschloch, dann ist das seine persönliche Meinung. Mich zu beleidigen, ist noch keinem gelungen. Was meine Leser über Herrn Schödel sagen, weiß ich im voraus. Idioten gibt's überall, würden die sagen.

Auf der Frankfurter Buchmesse wurde Ihnen von der Fachgruppe Buchhandel der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen der "Kriegspreis" verliehen, weil Sie, so die Begründung, den Krieg in Ihren Büchern verherrlicht hätten.

KONSALIK: Es gibt eine Idiotie, über die kann man nur lachen. Vor allem trifft das auf den Schriftsteller Chotjewitz zu, der die sogenannte Laudatio hielt, in der er von mir Sätze zitierte, ohne den Zusammenhang zu erwähnen, in dem sie standen. Das ist genau die Goebbelssche Art, einen fertigzumachen. Der Chotjewitz hat sich doch nur da hineingehängt, weil keiner mehr von ihm spricht. Der wollte sich profilieren.

Was empfinden Sie, wenn Sie die Grausamkeiten des Krieges beschreiben?

KONSALIK: Welche zum Beispiel?

Zum Beispiel die Szene in dem Roman "Sie waren zehn", in der russische Holzhacker einen deutschen Fallschirmspringer mit ihren Äxten zerfleischen.

KONSALIK: Da kommt die Nüchternheit des Journalisten zum Ausdruck. Darum ist ja diese Versenkung, die ich Trance nenne, nötig. Ich sehe diese Szene während des Schreibens vor mir. Das läuft ab wie ein Film, den ich beschreibe.

Aber Sie haben diesen Film nie wirklich gesehen?

KONSALIK: Nein, aber es ist Schlimmeres vorgekommen, worüber ich nirgends geschrieben habe. Bei einem Vorstoß deutscher Truppen in Gebiete, in denen russische Scharfschützen eingesetzt waren, hat man die Leichen von Deutschen gefunden, denen man, bevor man sie erschoß, die Genitalien abgeschnitten und in den Mund gestopft hatte.

Wie sind Sie über so ein Erlebnis hinweggekommen?

KONSALIK: Da muß ich sagen, in diesem Fall bin ich das, was man knallhart nennt. Ein Arzt, der einen Patienten öffnet und sieht, daß der vollkommen verkrebst ist, fällt auch nicht um vor Entsetzen, sondern muß etwas tun, oder er tut nichts, macht wieder zu und findet gute Worte, um diesen Kranken über die Zeit zu retten, bis er tot ist. Ich kann mich über bestimmte Sachen erschüttern, aber ich habe mich so im Griff, daß ich nicht weggleite unter diesen Erschütterungen, so wie es für mich auch keinerlei Motivation gibt, mir das Leben zu nehmen. Nichts ist so hart, daß man es nicht ertragen könnte. Das ist etwas, das ich von meinem Vater habe. Das Wichtigste, was mein Vater mir beigebracht hat, und eine der Grundlagen meines Erfolgs als Schriftsteller ist die Selbstdisziplin.

Sie brauchen, sagen Sie jetzt, Disziplin, um zu schreiben?

KONSALIK: Ja, damit ich mich an den Schreibtisch setze.

Vorher haben Sie es als Ihr größtes Glück bezeichnet, an der Schreibmaschine zu sitzen. Ihnen würde es doch viel schwerer fallen, einmal drei Wochen lang nicht zu schreiben.

KONSALIK: Nehmen wir an, es bestünde die Möglichkeit, nach Wien zu fahren und in der Oper "Tristan und Isolde" zu sehen, dann sage ich, ich lasse den Tristan sausen, weil ich versprochen habe, ein Manuskript zu einem bestimmten Termin abzuliefern. Ich bin in der Branche dafür bekannt, daß ich mich, wenn ich ein Datum nenne, auch daran halte. Es gibt Schriftsteller, die werden von ihren Verlegern eingefangen und eingesperrt, damit sie schreiben. Bei mir ist das nie nötig gewesen.

Was geschähe, wenn Sie in eine Lage kämen, in der Sie nicht schreiben könnten?

KONSALIK: Würde man mir die Hände festbinden, würde ich lesen. In den Zwischenzeiten, in denen ich weder lese noch schlafe, würde ich singen. Aber es wäre schon eine Qual. Ich hab mal gesagt, ich könnte mir vorstellen, daß ich in dem Moment, wo das Schreiben aus ist, auch körperlich tot bin oder daß zumindest mein körperlicher Verfall sehr beschleunigt würde. Wie gesagt, ich würde nicht Selbstmord begehen, ich kann aber verstehen, daß ein Mann wie Hemingway sich umgebracht hat, als er erkannte, er kann nicht mehr schreiben.

Wie wollen Sie sterben?

KONSALIK: Vollkommen allein. Das ist etwas, was meine Frau nicht versteht. Darüber haben wir schon stundenlange Diskussionen geführt. Ich sage, wenn es einmal ans Sterben geht, möchte ich von der Familie niemanden sehen. Dieses Sich-Auflösen sollen sie nicht erleben. Wenn ich in eine Klinik käme, würde ich vorher den Ärzten sagen, also hört mal, Jungs, wenn ich ins Koma falle, muß die Familie raus. Nur der Arzt dürfte bleiben. Ich bin auch Mitglied der Gesellschaft für Sterbehilfe.

Das Sterben ist Ihnen peinlich.

KONSALIK: Ja, seltsam. Ich bin sonst ganz offen. Wenn mir in der Oper die Tränen kommen, erlebt es meine Frau mit. Ich habe auch geweint, als unser Hund starb. Ich bin ja ein Tiernarr. Ich könnte niemals ein Jäger werden.

Weinten Sie, als Ihre Eltern starben?

KONSALIK: Als meine Mutter starb, war ich vorbereitet. Sie war vierundachtzig. Man hatte gesehen, wie sie zusammenschrumpfte, also das kam nicht überraschend. Ich weinte, aber es war ein anderes Weinen als beim Tod meines Hundes. Man hatte auch viel zu tun mit Begräbnisvorbereitungen, der Beerdigung selbst und so weiter. Als der, grob gesagt, technische Teil des Sterbens vorbei war, habe ich weitergeschrieben. Gravierender war der Tod meines Vaters. Er starb während des Krieges. Ich kam durch Zufall nach Hause, weil in Köln, wo wir wohnten, etwas zu besorgen war für die Truppe. Unser Haus war zu drei Vierteln ausgebombt. Mein Vater lag im Wohnzimmer auf der Chaiselongue, röchelnd. In dem Haus war eine Wirtschaft. Man hatte die Bierfässer geöffnet und das Bier zum Löschen verwendet. Da muß mein Vater Phosphor in die Lunge bekommen haben. Ich hab ihn in die Klinik gebracht, dort ist er sofort an den Tropf gekommen. Zwei Tage später war er tot, Rauchvergiftung. Aber das Begräbnis mußte verschoben werden, denn meine Mutter war evakuiert nach Schlesien, und bis sie nach Köln kam, vergingen mehrere Tage. Da hat man meinen Vater erst mal vereist. Der lag dann einige Zeit da als Eisblock. Zur Beerdigung ist er wieder aufgetaut worden. Das sind natürlich Erlebnisse, die man nie loswird.

Obwohl Sie im Krieg dauernd von Toten umgeben waren.

KONSALIK: Ja, aber der Tod im Krieg ist kein Sterben. Da wurde vom Sterben gar nicht gesprochen. Daran denkt man gar nicht. Der Tod war uns wurst. Wir haben vorne in den Unterständen gelegen und selig geschlafen, während die Artillerie über uns einschlug. Wenn ein Kamerad vor einem umfiel, hat man die Leiche einfach als Deckung genommen, oder man hat Treppen gebaut aus gefrorenen Toten, um in die Lazarettwaggons bei Stalingrad, die ziemlich hoch gebaut waren, hineinzukommen.


Haben Sie als Kriegsreporter über solche Dinge berichtet?

KONSALIK: Ich habe nicht so sehr von den Kämpfen oder vom Vormarsch der Truppen berichtet, sondern bin mehr auf das Psychologische eingegangen. Ich erinnere mich, ein Bericht von mir hieß "Hinter den Fronten stehen die Herzen". Da habe ich geschildert, welche Wirkung Briefe aus der Heimat auf die Soldaten hatten, die wochenlang in vorderster Linie standen. Da hat es welche gegeben, die haben die Briefe ihrer Mütter gelesen, als wär's die Bibel. Das gab ihnen Auftrieb, in diesem ganzen Mist durchzuhalten.

Das heißt, die Briefe hatten eine den damaligen Machthabern willkommene Wirkung.

KONSALIK: Ja, aber die politischen Hintergründe wurden von kaum einem verstanden. Die breite Masse der deutschen Soldaten war unpolitisch. Die hatten ihren Befehl, den führten sie aus. Wenn es hieß, wir marschieren, dann wurde marschiert, ohne zu fragen, warum.

In Ihren Büchern nennen Sie das ganz unverblümt Dummheit.

KONSALIK: Genau das war es. Der deutsche Landser war dumm.

Haben Sie ihn deshalb verachtet?

KONSALIK: Nein, denn ich war ja nicht besser. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, aufgewachsen im Dritten Reich. Was man sah, war, daß Hitler Ordnung schaffte. Wenn wir vor 1933 spazierengingen oder wenn ich im Sandkasten spielte, standen die Arbeitslosen um einen herum und spielten Karten oder tranken Bier. Die Kommunisten marschierten mit roten Fahnen und Schalmeien durch die Straßen, und dann kam einer, der sagte, ich verspreche euch Arbeit und Brot und sozialen Wohlstand. Daß das auf fruchtbaren Boden fiel, war selbstverständlich, und es ging danach ja auch wirklich aufwärts. Die Idee, die dahinterstand, war an sich nichts Schlechtes, wurde aber verwässert und umgebogen. In dem Wort «Nationalsozialismus» steckt zunächst einmal der Begriff «Sozialismus». Das ist das, was wir auch heute haben, sei es bei den Sozialdemokraten, sei es bei der CDU/CSU, die das Wort «sozial» auch im Programm hat. Zum Sozialismus kam als zweites das Nationalbewußtsein, was auch nicht unbedingt schlecht ist. Warum soll es schlecht sein, sich auf das eigene Volk zu besinnen, auf seine Geschichte? Warum soll ich leugnen, daß wir einen Friedrich den Großen hatten? Die Verbindung von «sozial» und «national» war in der Grundidee eine Idealkombination. Ein Volk, das so auf der Schnauze lag wie wir in den dreißiger Jahren, griff nach so einer Idee wie nach dem rettenden Strohhalm.

Welche Partei wählen Sie heute?

KONSALIK: Das sage ich nicht, weil ich mich nicht politisch festlegen möchte. Ich genüge meiner Wahlpflicht als deutscher Bürger, aber ich würde nie einer Partei beitreten. Ich war in der Hitlerjugend, das reicht mir, obwohl das als Sache für sich auch nicht so schlecht war. Sonntags war man draußen in der Natur. Die Ferien verbrachte man in Zeltlagern, da wurde Kameradschaft geübt, was es ja heute gar nicht mehr gibt. Da lebte man vierzehn Tage in einem Neuner-, Zwölfer- oder Fünfzehner-Zelt, kochte, mußte sich selbst die Strohsäcke füllen. Der eine holte Wasser an der Quelle, der andere machte Kaffee. Heute sagt man, das sei alles vormilitärische Ausbildung gewesen, aber das ist doch Quatsch. Man lernte Freundschaft. Der eine war auf den anderen angewiesen, und vor allem, man hatte nie Langeweile, sang Volkslieder, wanderte. Die Jugend hat nicht auf der Straße herumgehangen. Fragen Sie mal, wie viele aus Ihrer Generation ein Volkslied oder ein lyrisches Gedicht oder eine Ballade kennen. Die schulische Ausbildung unserer Kinder ist doch im Vergleich zu dem, was wir damals lernten, katastrophal, literarisch, geschichtlich und geographisch. Sprechen Sie mal mit einem heutigen Abiturienten über den "Taucher". Der fragt Sie, welchen Sie meinen. Dem fällt vielleicht Hans Hass ein. Oder fragen Sie, ob er schon was von den Satrapen gehört hat. Da sagt der: Welche Attrappen?

Ob einer den "Taucher" von Schiller kennt, ist auch gar nicht so wichtig, wenn er nur genügend Verstand besitzt, einem Hitler nicht hinterherzurennen.

KONSALIK: Glauben Sie, daß die heutige Jugend einem Hitler nicht hinterherrennen würde? Ich glaube das nicht. Der Mensch ist ein Herdentier. Er braucht die Gemeinschaft, und jeder Gemeinschaft ist ein Führer vorangestellt. Der bläst auf der Posaune, und alles läuft hinterher. Das liegt in der Natur des Menschen. Der Befehl ist da und wird ausgeführt. Obwohl ich den schrecklichsten Krieg, den es je gab, hinter mir habe, stehe ich immer noch ratlos vor dem Phänomen des blinden Gehorsams. Wenn heute in Deutschland einer käme wie Goebbels, der die Begabung hat, Menschen mitzureißen, die Massen würden wieder jubeln und schreien, unter Garantie. Es ist Gott sei Dank keiner da. Aber gäbe es einen, was glauben Sie, wo unsere Parteien hinkämen? Die gingen alle die Wupper hinunter.

Traurig.

KONSALIK: Ja, und deshalb schreibe ich Bücher. Ich will die Leute auf andere Gedanken bringen. Ich will unterhalten. Ich will den Menschen für ein paar Stunden Freude geben, indem ich sie aus ihrem grauen Alltag entführe.

Wohin?

KONSALIK: In eine Wunschwelt. Wenn ich wie in "Wer stirbt schon gern unter Palmen?" über die Südsee schreibe, dann sind die Menschen gefesselt und träumen sich da hinein und erleben das mit. Es kommen Briefe, da schreiben mir Männer, daß sie mittags kein Essen bekommen, weil ihre Frauen Konsalik lesen anstatt zu kochen.

Statt ihr langweiliges Leben zu ändern, flüchten sie in Ihre Bücher.

KONSALIK: Sicher, aber diese Flucht ist doch ganz legitim. Das Alltagsleben ist ja größtenteils wirklich zum Kotzen. Stellen Sie sich vor, Sie sind Arbeiter in einer Fabrik, die Federn herstellt, und sitzen jeden Tag acht Stunden lang an der Maschine und machen immer den gleichen Handgriff. Wenn Sie nach diesen acht Stunden nach Hause kommen und greifen nach einem Buch, in dem steht, wie ein Arbeiter an der Maschine sitzt und Federn herstellt, dann werfen Sie dieses Buch in die Ecke. So ein Arbeiter will doch von seinem wirklichen Leben dann nichts mehr wissen.

Finden Sie das gut?

KONSALIK: Nein, das ist nicht gut, aber wie soll es anders sein? Es kann nicht anders sein. Der Alltag der meisten Menschen ist festgefahren in geregelten Bahnen, und viele sind damit durchaus zufrieden. Sie haben ihr Geld. Sie können sich eine Wohnung leisten, ein Auto. Sie können achtundzwanzig Tage in Urlaub fahren, aber das ist nicht der Harz oder der Schwarzwald. Als man noch wenig hatte, war es Mallorca. Nach Mallorca kam Teneriffa, nach Teneriffa Mombasa. Heute fliegen sie nach Colombo. Die Sehnsucht geht in die Weite, und die erfülle ich den Leuten in meinen Büchern.

In Ihren Kriegsbüchern erfüllen Sie die Sehnsucht nach Abenteuer.

KONSALIK: Bei den Kriegsbüchern ist es noch etwas anderes. Da will ich auch nachdenklich stimmen. Aber natürlich muß das auch spannend sein. Am liebsten sind mir die Rußland-Romane. Dieser Stil liegt mir am meisten. Das muß von meiner Abstammung kommen. Die Konsaliks stammen aus dem Bulgarischen. Irgendwie ist die ostische Seele immer noch in mir drin. Das zweite Standbein, auf dem ich stehe, sind die medizinischen Themen. Sie werden kein Buch von mir finden, in dem kein Arzt vorkommt. Es gab für mich drei Berufsmöglichkeiten: Arzt, Schriftsteller oder Sänger. Ich hab als Zehn- bis Zwölfjähriger im Schulchor gesungen. Ich hatte einen silberhellen Sopran. Dann kam der Stimmbruch, da entwickelte sich ein ganz schöner Tenor, aber richtig da war die Stimme erst wieder mit dreißig. Da war ich schon Schriftsteller, habe nur noch für mich gesungen, aber so, daß die Wände wackelten. Die Arie des Sigmund "Ein Schwert verhieß mir der Vater" aus der "Walküre" singe ich Ihnen noch heute. Früher hatte ich öfter den Traum, daß ich auf der Bühne stehe mit einer Stimme, die Gigli geschlagen hätte. Da habe ich beim Aufwachen immer gesagt: Mein Gott, war das schön.

Haben Sie ein literarisches Vorbild?

KONSALIK: Scholochow! Den werde ich nie erreichen. Ich rede schon gar nicht von Tolstoi oder Turgenjew, das sind Welten für sich. Das kann man nicht werden.

Woran, glauben Sie, liegt es, daß Turgenjew und Tolstoi im Vergleich zu Ihnen so wenig geschrieben haben?

KONSALIK: Das war deshalb, weil sowohl Tolstoi als auch Turgenjew mit der Feder geschrieben haben. Die hatten noch keine Schreibmaschine. Hätten die eine Schreibmaschine gehabt, hätten die genauso viel geschrieben wie ich. Aber sehen Sie mal, Tolstoi hat auch ungeheure Werke geschrieben, "Krieg und Frieden", "Die Brüder Karamasow"...

Das ist von Dostojewski.

KONSALIK: Gut, aber da gibt es doch eine ganze Menge. Tolstoi hat eben weniger exzessiv geschrieben, der hat die Sache manchmal zwei, drei Monate liegenlassen, ist herumgereist, das mußte man damals alles noch mit der Kutsche machen, oder er hat mit seiner Frau Krach gehabt und ist ausgerückt. Dann ist sie ihm nachgefahren. Wissen Sie, woran Puschkin gestorben ist? An einem Duell wegen einer Liebesaffäre. So etwas könnte mir nie passieren.

Besitzen Sie eine Waffe?

KONSALIK: Selbstverständlich, und wenn ich verreise wird das Haus von zwei Polizisten bewacht. Die habe ich angefordert als Objektschutz. Vor einigen Jahren ist von der Straße her auf meine Tochter geschossen worden, die sich im Garten aufhielt. Die Polizei ist gleich hochgekommen, aber es hat geregnet. Man hat keine Spuren gefunden.

Haben Sie einen Verdacht?

KONSALIK: Nein, denn ich habe keine Feinde außer den Literaturkritikern, aber die schießen ja nicht.

Fühlen Sie sich Ihres Lebens nun nicht mehr sicher?

KONSALIK: Also wenn ich sehe, wie die Verhältnisse ausufern in gewissen Bereichen, empfinde ich das schon als bedrohlich. Früher war es möglich, daß eine Frau nachts durch den Park ging. Das ist heute nicht möglich. Aber das schlimmste ist, daß der Mörder gar kein Risiko eingehen würde. Vorgestern stand in der Zeitung, daß jeder Lebenslängliche nach fünfzehn Jahren den Antrag stellen kann, freigelassen zu werden, ja, mein Gott, der riskiert doch gar nichts. Stellen Sie sich vor, ich zöge jetzt die Pistole und schösse Sie nieder, bumm bumm. Sie wären tot. Aber was würde mir schon passieren? Ich würde mir einen Staranwalt nehmen, was ich mir leisten könnte. Der würde irgendein frühkindliches Trauma entdecken. Also ich bekäme, sagen wir mal, zwanzig Jahre, ginge in den Knast, aber da ich Schriftsteller bin, würde man mich in kürzester Zeit in der Gefängnisbibliothek unterbringen. Das wäre der erste Aufstieg. Dann hielte ich mich gut mit dem Pfarrer, besuchte jeden Sonntag den Gottesdienst in der Gefängniskirche. Da ich singen kann, würde ich dort einen guten Eindruck machen, und nach fünf oder sechs Jahren würde der Pfarrer sagen, der Mann hat sich grundlegend gebessert. Dann würden die Anträge gestellt, und nach einem Jahr wäre ich frei, obwohl ich Sie umgebracht habe.

Sind Sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe?

KONSALIK: Wenn ich an die Kindesentführungen und Kindsmorde denke, dann sage ich: ja. Einen Mann, der ein Kind lebendig eingräbt, um zu erpressen, müßte man, wenn man ihn erwischt, genauso eingraben. In Arabien ist es ja so, daß Dieben die Hand abgehackt wird. Stellen Sie sich mal vor, wie viele hier in Deutschland ohne Hand herumlaufen würden. Ich erinnere mich an eine Sache im Dritten Reich, da gab es die Gebrüder Götze, das waren Autobahnmörder. Die spannten über die Autobahn ein Drahtseil, und wenn nachts ein Auto dagegen knallte, sprangen sie hin, rissen die Tür auf, schossen die Insassen nieder und raubten sie aus. Das ist vier- oder fünfmal passiert. Es gab auch Nachahmungstäter. Dann hat man den einen Bruder erwischt. Der hat nach einiger Zeit ausgesagt, daß noch andere Brüder dabei sind. Wahrscheinlich hat man ihn so fertiggemacht, daß er nicht anders konnte. Jedenfalls hat man die Täter in einem Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet, gleichzeitig aber die sogenannte «Lex Götze» erlassen, die besagte, daß sämtliche ähnlich gelagerten Fälle sofort mit dem Tod zu bestrafen seien. Von dem Moment an war mit einem Schlag alles vorbei, kein Autobahnmord mehr, nichts, gar nichts. Das ist das beste Beispiel, daß solche Maßnahmen eine durchaus abschreckende Wirkung haben. Ich habe ja auch ein Buch geschrieben, das heißt "Ich beantrage die Todesstrafe". Da schildere ich eine Reihe markanter Fälle und frage den Leser: Todesstrafe ja oder nein? Achtzig Prozent der Leser, die mir geschrieben haben, haben mit «ja» entschieden.

Haben Sie etwas anderes erwartet?

KONSALIK: Nein, absolut nicht, denn ich kenne den gesunden Menschenverstand. «Gesund» ist hier ein verdammt hartes Wort, aber so ist es doch. Einer hat etwas gemacht, also muß er weg. Schon in der Bibel steht, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das sind Gottes Gesetze. Deshalb nennt man das den gesunden Menschenverstand. Den habe ich auch. Ich denke genauso wie meine Leser. Würde meiner Familie jemand etwas antun, würde ich den erst einmal jagen, und wenn ich ihn hätte, bräuchte man mich nur drei Minuten mit dem allein zu lassen, ich würde schießen.

Wie erklären Sie sich, daß die Kriminalität in Deutschland ohne Todesstrafe niedriger ist als in Ländern mit Todesstrafe?

KONSALIK: Wir sind nie in solchem Maße eine Gesellschaft aus Verbrechern gewesen wie die Amerikaner. Ich habe unlängst gelesen, daß allein in der Bronx in New York jährlich vierhundertachtzig Menschen ermordet werden. So ist es bei uns nie gewesen. Das deutsche Volk war nie ein Volk von Mördern.

Bis Hitler kam.

KONSALIK: Das war ja befohlen, eine Ausuferung der Ideologie. Von der Judenvernichtung hat das deutsche Volk nichts gewußt, und es hätte sie auch nicht gutgeheißen.

Aber die, die das gemacht haben, waren doch Deutsche.

KONSALIK: Ja, sicher. Deshalb kann ich das auch so wenig begreifen. Daran war die Politik schuld. Ich betrachte die Politik als das schmutzigste Geschäft, das es überhaupt gibt. Ein Politiker muß immer lügen. Denn in dem Moment, wo er die Wahrheit sagt, ist er schon weg vom Fenster. Es gibt Schuldige, aber die deutsche Globalschuld lehne ich ab. Ich fühle mich durchaus nicht schuldig an dem, was mit den Juden passierte. Unser Hausarzt vor dem Krieg war ein Jude, Dr. Goldberg. Der konnte bis 1939 seine Praxis behalten. Dann hat er sich von uns verabschiedet und ist für unsere Begriffe verzogen. Daß der abtransportiert wurde, das haben wir gar nicht mitbekommen. Er war weg und kam nie mehr wieder.

Warum schreiben Sie nicht über so etwas in Ihren Büchern?

KONSALIK: Ich habe andere Themenkreise. Aber Sie werden sich wundern, in meiner Themenmappe liegt etwas, womit ich wahrscheinlich wieder bei meinen Kritikern anecken würde, was aber wirklich geschah, nämlich daß einer der SS-Bewacher in Dachau eine ganze Reihe von Juden gerettet hat, indem er sie aus dem Lager schleuste. Wenn ich das schreibe, wird mir das doch so ausgelegt, als ob ich die Deutschen als positiv hinstellen wollte. Aber warum soll ich verschweigen, daß bei all den Grausamkeiten auch ein Funke deutscher Menschlichkeit da war?

Weil es bei der Schilderung deutscher Konzentrationslager nicht primär darum geht, zu beschreiben, wie gut die Deutschen waren.

KONSALIK: Aber so etwas gab es.

Bei Ihrer Darstellung russischer Gefangenenlager hatten Sie keine Hemmungen, sich über die russische Grausamkeit auszulassen.

KONSALIK: Ja, aber ich liebe die Russen. Sie werden es nicht glauben, jedes dieser Bücher ist eine Liebeserklärung an Rußland. Der russische Mensch ist seinem Wesen nach grausam. Ein Boris Godunow oder ein Iwan der Schreckliche wären im westlichen Kulturkreis gar nicht möglich gewesen. Der Russe ist geprägt durch die Landschaft, das weite asiatische Land. Die asiatische Grausamkeit ist ein Begriff. Der Asiate ist im Erfinden von Grausamkeiten unschlagbar. Wer wäre denn bei uns auf die Idee gekommen, einem Gefangenen Bambusstäbchen in die Finger zu treiben und anzuzünden als Foltermaßnahme? Gut, in den deutschen Konzentrationslagern gab es auch wunderbare Foltermethoden. Aber das war noch harmlos. Als der Russe in Ostpreußen einmarschierte, hat er die Pastoren an den Türen ihrer Kirchen lebendig festgenagelt. Der russische Mensch ist von der Mentalität her ein gespaltenes Wesen, einerseits der Weiche, Sentimentale, andererseits der Unbeherrschte, Brutale. Das macht auch seine Vitalität aus. Der Westen ist in höchstem Maße degeneriert und verfault. Der Russe ist eine so unbändige Kraft, der rechnet über Generationen. Der braucht nur zu warten, bis sich der Westen von selbst zerstört.

Was verstehen Sie unter Westen?

KONSALIK: Ich meine das nicht politisch. Ich meine unsere Kultur, zu der ich ja auch gehöre.

Also gehören auch Sie zu den Degenerierten.

KONSALIK: Möglich. Denn auch ich habe alle Hoffnung verloren. Überall ist Krieg, überall Elend. Ich sehe das, aber ich kann nur den Kopf schütteln und sagen, schreib weiter, denk nicht darüber nach, sondern versuche, in dieses Elend etwas Schönes hineinzubringen mit deinen Büchern. Wir sind eine beschädigte Generation. Wir haben Dinge erlebt, die Sie sich nicht ausmalen können. Wenn einer vier Jahre vorne im Dreck lag, dann sind das Erlebnisse, die immer wieder nach oben kommen. Das ist in die Tiefenpsyche hineingerutscht.


Was war das Schlimmste?

KONSALIK: Es gab eine Situation, als ich verwundet wurde, in der ich vollkommen allein war und nicht wußte, bleibt dieses Nichts oder kommt noch jemand. Ich hatte noch Glück gehabt. Der Schuß hatte nur meinen Arm zertrümmert. Hätte ich eine andere Bewegung gemacht, wäre er direkt ins Herz gegangen. Ich bin dann auf einem Schlitten von der Front zum Gefechtsstand geschoben worden. Da lag ich nun, blutverschmiert, auf diesem Schlitten, eingewickelt in Decken. Man hatte mich einfach da abgestellt, aber der Krieg ging weiter. Ich lag da, konnte mich nicht bewegen und wußte nicht, bleibt das so? Krepierst du jetzt? Dann kam eine gewisse Gleichgültigkeit. Man wird irgendwie wurstig. Ich habe die Augen zugemacht und gedacht, was soll's, schreien hilft nichts, wegkriechen kannst du nicht. Wohin mitten in Rußland? Was willst du machen? Entweder sie holen dich, dann bist du gerettet, oder du stirbst hier. Sie haben mich dann geholt und zum Verbandsplatz gebracht. Von da an war alles wieder wie vorher. Ich lebte.

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*) Das Interview fand in Konsaliks Haus in Aegidienberg, einem Stadtteil von Bad Honnef in Nordrhein-Westfalen statt.

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Erschienen in 1982 in der September-Ausgabe des „Playboy“