Interview mit Hanne Hiob (Bertold Brechts Tochter) 1980

(anläßlich ihrer Beteiligung am sogenannten "anachronistischen Zug", einem politischen Straßentheater, das in mehreren deutschen Städten aufgeführt wurde)



Sie haben sich Interviewern bisher immer verweigert. Warum haben Sie zugesagt diesmal?

HANNE HIOB: Damit Sie schreiben, daß ich mich wie voriges Jahr gegen die Wahl des Bundespräsidenten Karl Carstens so jetzt gegen Franz Josef Strauß* politisch einsetzen werde.

Hat Sie dieser politische Einsatz verändert?

HIOB: Verändert nicht, denn das muß ja schon dagewesen sein vorher. Aber es ist etwas in mir ausgelöst worden durch dieses Ereignis. Die Tatsache, daß ein Mitglied der NSDAP jetzt als Bundespräsident in Bonn sitzt, bedeutet doch die Rehabilitierung des Faschismus in Deutschland.

Sind Sie selbst auf die Idee gekommen, Brechts Gedicht vom »anachronistischen Zug«** gegen Carstens und Strauß zu verwenden?

HIOB: Nein, das wurde mir angeboten. Die Idee kam von den Leuten, mit denen zusammen ich das jetzt mache.

Welchen Leuten?

HIOB: Gemischten Leuten. Das sind... ich sag' immer Kinder, aber so jung sind die gar nicht. Die kommen aus allen Kreisen, das sind Arbeiter, Hausfrauen, Studenten, Organisierte, Nichtorganisierte, alles. Zuerst dachte ich, ach Gott, wie entzückend, was die sich da ausgedacht haben, den Brecht zu benutzen, aber dann fand ich es reizvoll und politisch in Ordnung.

Sind das KP-Mitglieder?

HIOB: Natürlich sind Politische auch darunter. Aber nicht in der Mehrzahl.

Sind Sie Mitglied einer Partei?

HIOB: Nein, überhaupt nicht, nie gewesen, hat mich nie interessiert. Warum sollte ich? Nicht einmal Brecht war in der Partei.

Ein Kommunist würde sagen, nur als Organisation kann man stark sein.

HIOB: Ich hab' nie an so was gedacht, darum kann ich's Ihnen auch nicht begründen. Wenn Sie mich fragen: Sind Sie katholisch oder evangelisch oder gar nichts, könnte ich Ihnen da auch nichts sagen, weil ich nie einen Moment darüber nachgedacht habe, warum ich das alles nicht bin.

Ein Grund könnte sein, daß Sie, wie Therese Giehse das nannte, ein »alleiniger Mensch« sind.

HIOB: Ja, bin ich. Wenn ich in eine Menschenansammlung komme, werde ich unruhig. Im Lift fahre ich am liebsten alleine.

Nun kämpfen Sie aber mit vielen.

HIOB: Ja, natürlich, natürlich, weil es wichtig ist. Diese ganze Sache ist wichtig, und dann steht das zurück, das Persönliche, daß man, wie Sie sagen, lieber allein ist. Das muß ja so sein. Das geht nicht anders. Es macht ja auch Spaß zu kämpfen, obwohl natürlich die ganze Sache kein Spaß ist... Kämpfen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Man setzt sich für etwas ein, das klingt besser. Wir möchten zeigen, daß in Deutschland heute überall die Faschisten hochkommen, wie Brecht das in seinem Gedicht 1947 gesagt hat.

Sie stellen die Absichten von Strauß in direkte Parallele zu Hitler. Macht man es sich nicht etwas zu einfach, wenn man nur diesen Vergleich zieht? Die Voraussetzungen sind doch heute ganz andere. Hitler trat auf in der Wirtschaftskrise, Strauß kommt im Wohlstand.

HIOB: Leute in Not gibt es auch heute, Arbeitslose.

Ja, aber die sind doch materiell abgesichert. Das Problem ist doch nicht, daß die hungern, sondern daß sie sich langweilen, wenn sie keine Beschäftigung haben, und in ihrer Freizeit, mit der sie nichts anfangen können, verführbar sind. Erich Fromm sagt, die Gefahr eines neuen Weltkriegs kommt daher, daß sich die Leute langweilen. Die wollen was erleben. Das bietet Strauß: Polarisierung, Kampf dafür und dagegen. Es ist wieder was los in Deutschland. Man wird abgelenkt von sich selbst, vom Todesgedanken.

HIOB: Todesgedanken? Was heißt das? Was reden Sie denn jetzt für einen Unsinn? Ich bin Realist. Ich kann so nicht argumentieren.

Es gibt einen Satz von Hesse, den hat er an Thomas Mann geschrieben...

HIOB: Ich bin gar kein Hessist. Aber reden Sie weiter!

Hesse schreibt: »Ich bin nach wie vor nicht der Meinung, daß das ganze Leben und die ganze Menschheit politisiert werden müsse, und ich werde mich bis zu meinem Tod dagegen wehren, mich selber politisieren zu lassen. Es müssen doch auch Leute da sein, die unbewaffnet sind und die man totschlagen kann.

HIOB: Ich fühle mich auch unbewaffnet und kann auch totgeschlagen werden, jeden Moment. Das ist meine Meinung. Denn die Gefahr steigt natürlich.

Wenn Ihr Leben bedroht wäre, würden Sie darum kämpfen?

HIOB: Ich würde nicht kampflos sterben.

Also wenn Brecht sagt, nicht um die eigene Sache kämpfen heißt um die Sache des Feindes kämpfen, dann ist jetzt Ihre Sache Ihr Leben?

HIOB: Im Moment, um es ganz klar zu sagen, ist es eigentlich nur der Antifaschismus.

Haben Sie Angst vor Strauß?

HIOB: Und wie! Ich hab' immer Angst. Ich sehe doch, wie es jetzt losgeht. Als ich bei der Demonstration gegen Carstens auf der Bühne stand und das Gedicht von Brecht las, ist hinter mir Polizei aufmarschiert, das war böse. Ich stand daneben, nur einen Meter entfernt, als die zu prügeln anfingen... Mich haben sie natürlich nicht da mit reingezogen, aber wenn Schlägertrupps kommen, warum sollten die Rücksicht nehmen? Daß ich von Rechtsradikalen niedergeschlagen werde, kann ich mir durchaus vorstellen, das ist etwas, was ich nicht so gern hätte. Ich habe jetzt eine Bodyguard, seit ich so Anrufe bekomme: Sie elende Drecksau, verlassen Sie München, und solche Sachen.

Fühlen Sie sich nicht geschützt durch den Ruhm Ihres Vaters?

HIOB: Vor diesen Leuten? Ach wo denn! Der ist doch politisch, da hat man keinen Respekt vor. Außerdem: Die meisten kennen ihn gar nicht. Man muß dann erklären, Dreigroschenoper, dann erst kommt das Erkennen.

Wie erklären Sie sich, daß Strauß in Bayern diese Hausmacht bekommen konnte?

HIOB: Sehnsucht nach dem starken Mann, das wird es sein. Dabei ist Bayern ein so schönes Land. Aber wenn ich da auf der Straße gehe, weiß ich doch, der, der neben mir geht, würde mich, wenn er könnte, verbieten. Sind wir doch einmal ganz ehrlich, jeder zweite, der mir begegnet, ist ein Nazi gewesen und ist es noch immer, wahrscheinlich. Glauben Sie, ich habe mich in diesem Land jemals wohl fühlen können?

Warum sind Sie geblieben?

HIOB: Wohin soll ich denn gehen mit meinem Beruf, der ja an die Sprache gebunden ist? Außerdem trifft man diese Leute doch wahrscheinlich auch in anderen Ländern. Das ist ja sehr verbreitet, das Tausendjährige Reich.

Heißt das: Hitler wäre auch anderswo möglich gewesen?

HIOB: Nicht in dieser Form. Er war ja nicht einmal in Italien in dieser Form möglich, denn die haben doch Juden versteckt. Der Mussolini ist nie so losgegangen gegen die Juden. Die deutsche Mentalität ist zum Größenwahn besonders geeignet.

Die Dichterin Marieluise Fleißer hat über Brecht gesagt: »Von einem Genie hat man was aus der sicheren Entfernung, wo die Zerstörung nicht hinkommt.« Kannten Sie an Brecht dieses Zerstörerische?

HIOB: Nein, ich bin ja nicht bei ihm aufgewachsen. Ich war zwei Jahre alt, als meine Mutter*** mit mir von ihm wegging. Also ich hab' es nicht kennen können. Die Fleißer war ja mit ihm liiert eine Weile.

War er rücksichtlos Frauen gegenüber?

HIOB: An sich nicht. Aber vielleicht war er's in diesem Falle.

War er besessen?

HIOB: Wenn Sie vieles Arbeiten als besessen bezeichnen, dann war er's. Denn gearbeitet hat er immer. Ich kann mich nicht erinnern, daß er mal nicht gearbeitet hätte, und er hat die Leute um ihn herum auch eingesetzt für seine Arbeit, aber mit Übereinstimmung, Freundschaft. Er hatte eine starke Ausstrahlung, geistig.

Er war ein Genie.

HIOB: Ja, natürlich, das war er.

Woher kommt dieses Geniale?

HIOB: Das sind eben Menschen mit kleinen Veränderungen im Gehirn, die ein anderer nicht hat... Der Hitler hatte die auch, diese Veränderungen, aber im Großen. Das wuchs und wuchs.

Fromm definiert Destruktivität als die »Kreativität der Hoffnungslosen«.

HIOB: Das sind so Wortspiele. Meinen Sie, daß Hitler ein Genie war?

Ich meine gar nichts. Aber es sind doch offenbar menschliche Möglichkeiten, die da zum Ausbruch kamen. Oder war das ein Monstrum, unverstehbar, wie Rudolf Augstein in einem Brief an die ZEIT schrieb: »Wer dieses Monstrum versteht, hat keinen Verstand«?

HIOB: Das ist natürlich Unsinn. Wir sind ja alle dieselbe Gattung, da kann man nicht einen beiseite schieben. Aber man kann verhindern, daß so jemand an die Macht kommt. Man kann den Anfängen wehren.

Vorausgesetzt, man erkennt sie. Ist Franz Josef Strauß der Anfang von Hitler?

HIOB: Der Strauß sagt doch jetzt schon, daß er Waffen nach Afghanistan und Iran liefern würde, wenn man ihn ließe. Der versteckt sich doch gar nicht. Der will den Krieg.

Ja, aber das Schlimme ist, daß er damit nicht nur bei vielen Leuten gut ankommt, sondern auf der anderen Seite auch so eine kämpferische Widerstandsgesinnung auslöst, also das, was Sie als den Spaß am Kämpfen bezeichnen. Das macht mich ratlos.

HIOB: Sehen Sie, die Jungen, die haben das nicht, diese Ratlosigkeit. Als ich zu denen gesagt habe, Kinder, da wird man jetzt wieder in die Emigration gehen müssen, haben die geantwortet: Wir emigrieren nicht, wir geben nicht auf.

Imponiert Ihnen das?

HIOB: Nein, warum? Ich stelle es fest, aber deshalb muß es mir ja nicht imponieren.

Aber Sie arbeiten doch jetzt mit denen zusammen.

HIOB: Ja, ich gehör' jetzt dazu, aber meine Ratlosigkeit ist geblieben. Man muß ja nicht immer eingleisig fahren. Ich bin nicht mehr jung genug für die Eingleisigkeit, aber ratlos? Ich würde eher sagen, daß man eben mehr weiß und gesehen hat, wenn man alt ist, daß man gesehen hat, wie einiges nicht geht, auch wenn man sich dafür einsetzt, also sagen wir mal, daß man zur Erkenntnis einer gewissen Sinnlosigkeit gelangt ist, weil man doch immer von den Stärkeren überrannt wird und weil die Faschisten immer und überall die Stärkeren waren.

In Brechts späten Gedichten, schon in dem Gedicht »An die Nachgeborenen«, kommt ja auch eine gewisse Resignation zum Ausdruck, also das, was Sie das Erkennen der Sinnlosigkeit nennen. Sind Sie sicher, daß er heute dieselben kämpferischen Mittel gegen Strauß anwenden würde wie seinerzeit gegen Hitler?

HIOB: Ich bin nicht sicher, aber ich glaub', es zu wissen. Sie dürfen wegen eines Gedichtes nicht gleich darauf schließen, daß er den Kampf scheuen würde, den Kampf mit der Feder. Er würde nicht persönlich mitmachen. Er würde es wahrscheinlich auch nicht gerne sehen, daß ich auf die Barrikaden steige, aber nur, weil er Angst haben würde, weil er ja körperlich feig war, Gott sei Dank, was ich ja auch bin. Er würde sagen, da geht die Hanne aber nicht hin.

Hat das damit zu tun, daß Sie eine Frau sind?

HIOB: Nein, bestimmt nicht.

Ist Kämpfen nicht Männersache, und sind die Frauen nicht eher die, die sich, wie Hesse schreibt, totschlagen lassen?

HIOB: Ach was! Da hätten Sie mal die Frauen bei Hitler sehen sollen, wie die ihn angebetet haben, wie die sich zwar für ihn hätten totschlagen lassen, aber auch jeden totgeschlagen hätten, der gegen ihn vorgeht. Ich bitte Sie! Was hat die Annie Rosar**** gesagt: Der Hitler ist mein Himmivater. Die wäre doch sofort in den Volkssturm gegangen. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern.

Können Sie sich eine Frau als Hitler vorstellen?

HIOB: Ich weiß nicht, ob das damals gegangen wäre, heute schon eher, als Emanze... Schönen Dank! Die sind doch sehr kämpferisch eingestellt, kämpfen gegen die Männer anstatt mit ihnen zusammen.

Oder: anstatt überhaupt nicht. Vielleicht würden die Angreifer die Lust verlieren, wenn der Gegner ausfällt.

HIOB: Wieso denn? Seit wann denn? Wir sind doch keine Tiere. Die Tiere hören auf zu kämpfen, wenn kein Widerstand da ist, aber die Menschen... Also ich hoffe, daß Sie dieses Wischi­waschi, das Sie da jetzt zusammenreden, nicht in Ihr Interview nehmen.

Das ist doch kein Wischiwaschi. Schon Marx hat begriffen, daß der Mensch, der ganz frei ist, ohne äußere Zwänge, ohne die Notwendigkeit, gegen oder für etwas zu kämpfen, es schwer haben wird, weil er nicht gelernt hat, aus sich selbst heraus etwas zu schaffen.

HIOB: Ja, sicher, aber das liegt doch an der Erziehung. Die Freiheit hat doch noch lang nicht begonnen.

Haben Sie Kinder?

HIOB: Nein, nein, auch nie welche gewollt.

Warum nicht?

HIOB: Da kommt viel zusammen. Ich hab' nicht das Gefühl, mich fortpflanzen zu müssen, weiterleben zu müssen in Kindern, überhaupt weiterleben...

Haben Sie Selbstmordgedanken?

HIOB: Aber nein, nie. Ich bin kein Mensch, der sich ein Leben nimmt, vielleicht aus Feigheit, ich weiß nicht. Ich finde es eine ungeheure Tat, wenn man es tut, ich lehn' es nicht ab. Jeder Mensch soll mit sich tun können, was immer er will: völlige Freiheit.

Die Giehse hat über Sie gesagt, Sie seien dauernd damit beschäftigt, Rollen, die Sie angenommen haben, wieder zurückzugeben, eine Meisterin im Absagen.

HIOB: Ja, stimmt. Es gibt nichts Schöneres, das verstehen Sie sicher. Aber daß ich das Leben absage, so weit geht's bei mir nicht, obwohl ich es manchmal gern täte, aber das ist doch nichts Besonderes, das hat doch jeder.

Sie haben seit vier Jahren nicht mehr Theater gespielt. Haben Sie den Glauben an die Wirkung von Theater verloren?

HIOB: Im Moment ja, aber das kann sich ändern.

Würden Sie gerne mit Peter Stein zusammenarbeiten?

HIOB: Ich schon, aber er nicht mit mir. Das kommt daher, daß er vor Jahren einmal »Die Maßnahme« von Brecht machen wollte, was ich verstanden habe, und ich hätte ihm das Stück auch gegeben, aber die Barbara*****, meine Halbschwester, hat es ihm nicht gegeben, und da war er halt bös' und hat es leider auf mich übertragen. Da kann man nichts machen. Ich würde furchtbar gerne mit ihm zusammenarbeiten, obwohl... Im Moment geht es in eine Richtung, wo ich nicht mehr so unbedingt dazu stehen könnte. Psychologisch ist alles ganz herrlich, aber politisch... Für mich ist das nur noch allererstes Boulevardtheater, was nicht abwertend gemeint ist. Es ist so eine gewisse Standpunktlosigkeit, die sich da breit macht. Irgendwie hängt da alles im Nebel.

Mögen Sie Thomas Bernhard?

HIOB: Finde ich ungeheuer reizvoll, was der schreibt, wunderbar dekadent. Das liebe ich sehr, also ein kleiner Teil von mir liebt das, mein Intellekt, nicht wahr? Man ist ja nicht einseitig. Man mag doch vieles. Muß ich Ihnen das sagen?

Mir nicht, aber den Leuten, die so selbstsicher auf irgendwelchen Standpunkten hocken und von einer Versammlung zur anderen rennen, anstatt sich ihre eigenen Gedanken zu machen.

HIOB: Also nun reden S' kan Mist. In der augenblicklichen Situation ist es halt nötig, etwas enger zu denken. Das war ja auch gegen den Hitler nötig. Da mußte man sich entscheiden, entweder dafür oder dagegen, da sind dann eben auch die Kommunisten mit den Monarchisten zusammengegangen, das ist ja klar, das hat sich dann wieder aufgelöst nachher. Wenn Sie mit Brecht geredet hätten, so hätte der auch seinen Spaß mal gehabt an so was wie Bernhard. Das war auch in seinen Gedichten plötzlich irgendwo da und noch dazu genial. Es ist ja auch Humor, das zu haben. Das ist doch ein Spaß auch, das Ganze. Nur hatte Brecht eben seine Liebe zum Volk, die habe ich gar nicht, das unterscheidet uns völlig. Ich hab' überhaupt kein Heimatgefühl, bin überhaupt keine Patriotin. Das kommt, weil ich als Kind das nicht hatte. Als Kind waren's die Feinde, also woher sollte ich's nehmen? Bei Brecht war das anders. Er fühlte sich ungeheuer zugehörig zu Deutschland. Er hat ja auch angenommen, es gäbe viel mehr Antifaschisten. Das war sein Wunschdenken. Für diese Leute hat er geschrieben.

Hatten Sie mit ihm darüber Auseinandersetzungen später?

HIOB: Nein, über Politik haben wir wenig gesprochen, und während des Krieges war's ja nicht möglich. Ich lebte bei meiner Mutter und ihrem zweiten Mann, Theo Lingen. Brecht emigrierte.

Haben Sie ihm die Scheidung von Ihrer Mutter übel genommen?

HIOB: Nein, denn es war ja meine Mutter, die von ihm wegging. Die hat das scheinbar nicht ausgehalten, die vielen Freundinnen, die er hatte. Die Frauen sind ja auf ihn geflogen. Außerdem: Private Gespräche hatten wir nie. Das gab's nicht. Er war kein Mensch, mit dem man so plaudern konnte. Als Kind hab' ich ihn »Papo« genannt. Das hätte ich aber dann später nicht mehr getan. Er hatte schon Zärtlichkeit, aber anders. Wenn ich einen Erfolg hatte, wischte er sich plötzlich ein Auge oder so was, da war er gerührt, zeigte Gefühle. Natürlich war er auch sentimental. Welcher Mensch ist das nicht?

Waren Sie als seine Tochter in Hitlerdeutschland gefährdet?

HIOB: Nicht wirklich. Der Lingen war ein guter Schutz, auch für meine Großmutter, die Jüdin war, die konnte auch bleiben. Die Verwandten von ihr wurden alle vergast, aber sie konnte bleiben. Uns hat man in Ruhe gelassen.

Erinnern Sie sich, auf welche Weise Sie Hitler rein gefühlsmäßig erlebten, seine Reden, seine ausstrahlende Wirkung?

HIOB: Es ist bei mir von Kindheit an ein ungeheurer Haß dagewesen, das ist ganz klar, weil meine Eltern ja ausgesprochen antifaschistisch eingestellt waren und weil man dadurch ja informiert war. Die Eltern waren so gescheit, uns Kindern von Anfang an alles zu sagen und damit zu rechnen, daß wir's für uns behalten. Die Gefahr einer Verführung durch Hitler gab's für uns nicht. Also wir standen von vornherein auf der richtigen Seite. Das war natürlich ein Vorteil.

Gustaf Gründgens, unter dessen Regie Sie 1959 »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« spielten, stand auf der falschen Seite. Haben Sie ihm das vorgeworfen?

HIOB: Er war ein Konjunkturritter, durch und durch. Das habe ich ihm natürlich schon vorwerfen müssen.

Wie war die Zusammenarbeit unter diesen Umständen möglich?

HIOB: Die ersten vierzehn Tage haben wir uns gehaßt wie die Pest, denn ich war etwas für ihn, das er noch nie erlebt hatte vorher, im Aussehen und überhaupt. Er hat auch mit meiner Art zu spielen nichts anfangen können. Aber er war ja ungeheuer geschickt, ein großer Theaterleiter, das muß man sagen, und er hat das dann benutzt, was ich ihm brachte, ist auf mich eingestiegen. Er war ja nicht dumm. Bei der Premiere waren dann alle erstaunt, daß er Brecht überhaupt inszenieren konnte.

Wenn über Sie geschrieben wird, steht immer: Hanne Hiob, Brechts Tochter. Hat Sie das niemals belastet?

HIOB: Es ist schon mal hier und da vorgekommen, daß es gefehlt hat. Da dachte ich: Was ist denn nun los? Nein, belastet hat mich das nie. Sich einem Genie unterzuordnen, das ist doch etwas... Das ist doch ganz selbstverständlich.

-------------------------------

*) Franz Josef Strauß war 1980 Kanzlerkandidat der CDU/CSU gegen Helmut Schmidt und verlor.

**) "Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy"

***) Hanne Hiobs Mutter war die Opernsängerin Marianne Zoff (1893 - 1984), mit Brecht von 1922 bis 1928, danach mit dem Schauspieler Theo Lingen verheiratet, dessen Beliebtheit die Halbjüdin und deren Tochter, die später den Künstlernamen "Hiob" annahm, vor der Verfolgung durch die Nazis schützte.

****) Annie Rosar (1888-1963),  Wiener Volksschauspielerin

*****) Barbara Brecht-Schall, Schauspielerin und Kostümbildnerin, Tochter von Bert Brecht und Helene Weigel, heiratete 1950 den Schauspieler Ekkehard Schall, Verwalterin der Brecht-Erben GmbH.

-------------------------

Erschienen am 4. Juli 1980 in der ZEIT