Interview mit Erika Pluhar 1985



Sie schreiben seit einiger Zeit selbst Ihre Liedertexte. Weshalb nicht schon früher?

ERIKA PLUHAR: Weil ich mit Männern konfrontiert war, die mit Müh und Not noch gerade geduldet haben, daß ich Schauspielerin war. Das hatten sie sogar gern. Als mein zweiter Mann, der Franzi Heller*, zu schreiben begann, habe ich das bewundert. Wenn ich mir von damals Notizen durchlese, staune ich, wie ich mich klein gemacht, mich zu einer Demutshaltung gezwungen habe. Das lag fast schon im Blut. Das ist in Jahrhunderten so entstanden. Jede Zeitung, jedes Buch, jeder Film hat einem jungen Mädchen erzählt, warte, bis der Mann kommt, dann wirst du schauen, dann hat dein Leben einen Sinn. Die fünfziger Jahre waren für mich eine Horrorzeit. Ich hab' schön meine Matura gemacht, war Vorzugsschülerin, hab' die Schauspielprüfung bestanden, kam ans Burgtheater, wollte immer was, hab' mich interessiert, hab geturnt und gefochten und versucht, meinen Körper zu rüsten, weil das mein Instrument war, aber nebenbei gab es da diese Haltung, ich bin eine Frau und bin dumm und kann eigentlich nichts.

War Ihre Schönheit eine Erschwernis, ernst genommen zu werden?

PLUHAR: Ich war gar nicht schön. Als ich Schauspielerin wurde, haben alle gesagt, sie ist schiach, aber begabt. Später hieß es dann, na ja, sie ist ganz apart, da war ich blond gefärbt und hatte Einlagen im Busenhalter. Erst als ich aufhörte mit diesen künstlichen Attributen und sogar schon ein paar graue Haare hatte, sagte man plötzlich, ich wäre schön. Ich war die erste Nackte am Burgtheater. Das Stück hieß "Akrobaten" von Stoppard. In "Fräulein Else" von Schnitzler habe ich meinen Rücken gezeigt, lauter tolle, revolutionäre Taten. Aber Spaß beiseite, ich glaube mittlerweile an eine Form von Schönheit, die anders ist als die in den Journalen erklärte. Als ich voriges Jahr ziemlich lang im Krankenhaus lag, habe ich nackte, uralte Menschen gesehen. Die waren sehr schön. Sicher hätte ich einen anderen Weg gemacht, wäre ich so eine puppige Schönheit gewesen. Vielleicht wäre ich Filmstar geworden. Frauen wie Marlene Dietrich, Greta Garbo oder Ingrid Bergman haben meine Kindheit begleitet wie Märchengestalten. Kino war für mich Wahnsinn.

Wollten Sie deshalb Schauspielerin werden?

PLUHAR: Nein. Zuerst wollte ich Tänzerin werden. Dann hab' ich gesehen, daß man auf der Bühne auch reden kann, nicht nur tanzen, und von da an meine Mitschülerinnen und Spielkameraden unterjocht und gezwungen, mit mir Theater zu spielen.

Eine Zeitlang haben Sie den Schauspielerberuf als verächtlich betrachtet.

PLUHAR: Ja, weil ich ihn verächtlich ausgeübt habe oder ausüben mußte. Ich war in all diesen Krimiserien einmal drin, dann war irgendwann Schluß, da habe ich mir gesagt, das mache ich nicht mehr, irgendwohin engagiert zu werden, guten Tag zu sagen und schnell was zu drehen, obwohl man da schon ein bissel mehr Geld kriegt als am Theater. Ich würde irrsinnig gern einmal in einem wirklich schönen Film eine Rolle spielen. Das ist ein gänzlich unerfüllter Wunsch meines Lebens.

Woran liegt das?

PLUHAR: Ich weiß nicht. Die Filme, die ich gemacht hab', waren nicht gut oder erfolglos. Mir wurde nichts Tolles angeboten. Vielleicht fürchten sich gewisse Filmregisseure vor mir und denken, die quargelt zuviel herum.

Bekommen Sie auch keine Angebote von Frauen, die Filme machen?

PLUHAR: Von denen am allerwenigsten. Filmemacherinnen mögen mich überhaupt nicht. Über die Margarethe von Trotta habe ich auf Umwegen erfahren, daß sie mich für eine blöde Kuh hält. Ich habe große Feindinnen in der Frauenbewegung. Auch Alice Schwarzer ist nicht meine Freundin. Die hat mich eine Zeitlang als Zugnummer benutzt und dann versucht, mir Richtlinien zu geben, wie ich auszusehen, was ich zu tun und zu lassen hätte. Ich habe sie eigentlich gern, nur ist sie eine wirklich Gejagte, immer an der Front. Deshalb kann sie auch niemals entspannen. Außerdem, muß ich ehrlich sagen, ist mir das eine zu dichte lesbische Welt, in der ich mich genauso bedroht fühle wie unter Männern, da herrschen die gleichen Eroberungsmechanismen. Ich hab' überhaupt nichts gegen lesbische Frauen, aber das darf nicht zum Tenor der Frauenbefreiung werden. Ich bin gegen jede Art von Kungelei und Vereinsmeierei. Mit einer Frau, die nicht bereit ist, Einsamkeit auf sich zu nehmen, kann ich nicht über Befreiung sprechen. Man muß auch einmal allein in seinem Bett liegen können.

Schafft ein Mann das Alleinsein besser?

PLUHAR: Im Gegenteil, Männer können sehr schwer allein sein. Entweder sie machen ihre Einsamkeit zu einer großen Tat oder sie kriechen irgendwohin, wo sie auch das ungeliebte Fleisch noch zumindest neben sich haben. Ich nehme Erotik sehr ernst, aber ich bin gegen dieses quietschfidele Herumgebumse, wo man sagt, bevor ich niemanden habe, nehme ich irgendwen. Da würde ich mich lieber in die Askese begeben. Ich halte es aus, mit einer gewissen körperlichen Sehnsucht zu leben, ohne die sofort stillen zu müssen.

Schreiben Sie mehr, wenn Sie enthaltsam leben?

PLUHAR: Tagebuch schreibe ich immer**. Es gibt ein Papier, und es gibt eine Feder. Ich muß, um den Tag zu ertragen, nach dem Frühstück etwas notieren, und sei es nur, daß der Baum grün ist und die Vögel singen. Schreiben ist für mich notwendig. Es wendet die Not. Es ist ein Ausdruck meiner Verzweiflung.

Und wenn es Ihnen gut geht?

PLUHAR: Dann schreibe ich auch ein paar Zeilen, die werden vielleicht ganz blöd sein. Natürlich kommt mehr heraus, wenn es einem schlecht geht. Wenn man zerbirst vor Schmerz, entlädt man sich kreativ. So gut geht es mir nie, daß ich nicht in Schächte der Verzweiflung abstürzen könnte. Nur ist das noch herrlich im Vergleich zu der Leblosigkeit und Taubheit, die ich früher empfunden habe. Es gab eine Zeit, an die ich mich fast nicht erinnern kann, so schrecklich war die. Ich war in meiner Mädchenzeit magersüchtig. Es gibt wohl kaum eine größere Ablehnung, in ein Frauenklischee gepreßt zu werden. Offenbar habe ich sehr früh gefühlt, daß mein Frausein mich zwingen könnte, so zu werden wie meine Mutter. Das war eine begabte Frau. Die konnte malen, besuchte die Kunsthochschule. Aber als sie dann verheiratet war, hat sie aufgehört und nichts mehr getan.

Was haben Sie zum Beispiel heute früh aufgeschrieben?

PLUHAR: In den letzten Tagen schreibe ich oft ganz trocken, einfach so: Gestern Lesung, tschinn, tschann, bumm. Oder ich schreibe wie in einem Schulaufsatz oder so idiotische kleine Gedichterln, heißa hei, bald bin ich frei, bald geht's bergauf, wie ich auch rauf', ich werde siegen, mich wieder in die Hände kriegen, und überleben werd ich's auch mit unverletztem Herz und Bauch, man ist viel stärker als man glaubt, nur scheinbar seiner Kraft beraubt, die Seele hält mich an der Hand, führt mich zurück ins wahre Land. So etwas schreib' ich in Blitzeseile und weiß, es ist der größte Stumpfsinn.

Warum, glauben Sie, sind Männer daran interessiert, weibliche Kreativität zu verhindern?

PLUHAR: Weil sie ihnen gefährlich ist, weil das eine Konkurrenz ist, mit der sie Jahrhunderte lang nicht zu rechnen brauchten. Weibliche Kreativität entsteht viel leichter, selbstverständlicher. Ich muß sagen, daß ich mich von der sogenannten Kreativität dieses Mannes Heller, die von der Umwelt immer wichtig genommen wurde, zerquetscht gefühlt habe. Unsere gemeinsame Wohnung war ein einziger Altar, auf dem sein Genie loderte, und da steht man daneben in der Ecke, geht schon ganz früh aus dem Haus und schurlt und schuftet. Ich habe in meinem Leben immer wieder erfahren, daß Beziehungen brüchig wurden, weil die Männer es nicht ertragen haben, daß ich an ihrer Seite nicht an Bedeutung verliere. Ein Mann liebt eine Frau nur, solange sie sein Geschöpf ist, während ich über einen Mann sagen kann, jö, der ist toll, auch wenn er es nicht durch mich ist. Männer sind oft sehr arm. Ihr Selbstbewußtsein steht auf ganz dünnen Beinchen.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

PLUHAR: Sicher hat es mit dieser Kopflastigkeit, dieser Isoliertheit zu tun in ihrem ständigen Denken, sich zu verwirklichen. Sie können, um es schlicht auszudrücken, viel schwerer Leben und Arbeit verbinden. Sie schuften sich entweder zu Tode, glauben zwischendurch dann mal kurz zu leben, knapsen sich dieses Leben aber gleich wieder ab, oder sie stürzen sich in eine Liebesgeschichte, und wenn die vorbei ist, müssen sie gleich eine neue bauen, weil sie nicht damit atmen, atmend damit umgehen können. Männer habe keine Kühnheit mit ihrem emotionalen Leben, sondern immer dieses Gewurschtel mit einer Frau, die zu Hause ist, und einer Geliebten daneben. Aber das klingt jetzt alles so furchtbar pauschal. Wenn ich Männer sage, meine ich immer den männlichen Menschen. Wir sind ja von einer Dualität bewohnt. Die Männer sollten ihr eigenes weibliches Potential freigeben. Was ich so schrecklich finde, ist diese verflixte, verdammte Männereinstellung, daß der Körper und das Fleisch und die Erde unwichtig seien. Deshalb haben sie unsere Welt so zugrunde gerichtet, denn der Leib ist die Natur. Ich bekomme jedesmal eine Fuchsteufelswut, wenn es als Negativum beschrieben wird, daß der Mensch seinen Leib beachtet. Ich bin sehr bereit anzunehmen, daß ich ein narzißtischer Mensch bin, weil ich glaube, jeder sollte der Freund seines Körpers werden.

Gerade in dieser Eigenliebe sieht Simone de Beauvoir den Grund dafür, daß es so wenig weibliche Genies gibt.

PLUHAR: Die Beauvoir ist eine arme, verkarstete Frau, weil sie neben dem Sartre, einem sehr kopflastigen Mann, ihre Natur nicht hat leben können. Es gibt heute schon viel mehr Männer, die ihren Leib wichtig nehmen, ganz egal, ob das der Genialität förderlich ist oder nicht. Damit hat das gar nichts zu tun. Es hat ja vor langer Zeit auch einmal ein tolles Matriachat gegeben, da sind die Männer im Gras gelegen, und es hat auch immer geniale Frauen gegeben, die Clara Schumann zum Beispiel, nur hat man auf diese Genialität keine Rücksicht genommen, denn die Frau mußte Kinder kriegen, Windeln waschen, außerdem auch noch schön sein, und sie hatte oft nicht einmal ein eigenes Zimmer, ich denke an Virginia Woolf, die auch eine geniale Frau war. Was ist überhaupt Genialität? Wahrscheinlich ein so hohes Maß an kreativer Begabung, daß es ein ganzes Leben aus den Normen des Alltags herauslöst. Genie kann nur entstehen. Ich glaube nicht, daß es einen Menschen schon als Baby behaust, oder doch? Ich wende diesen Begriff nicht auf Lebende an, und ich bin nicht damit befaßt, mit Wehmut oder Trotz oder sonst einem Gefühl zu überlegen, ob mir die Tür zur Genialität offensteht oder nicht. Es gibt Menschen, die haben eine besondere Energie, die sich umsetzt, um ein Werk zu erschaffen, und sei es auch nur das eigene Leben, wenn es etwas mit Bewußtheit zu tun hat.

Hat eine Frau das Hervorbringen von Werken weniger nötig, weil sie, wie Friedrich Dürrenmatt es einmal formuliert hat***, mehr an den Leib gebunden ist und sich nicht bestätigen muß durch geistige Leistung?

PLUHAR: Das ist eine blödsinnige Äußerung. Wenn jemand so etwas sagt, macht mich das rasend. Warum können Männer nicht endlich aufhören, Frauen zu definieren? So wie dieser Herr Dürrenmatt hat schon mein erster Mann**** zu mir geredet. Der hat gesagt, sei doch froh, die Frau ist die Ebene, der Mann will den Gipfel, und ich hab es geglaubt und bin fast krepiert daran, weil es nicht stimmt, glauben Sie mir! Mir hat mein weiblicher Leib meinen Drang, mich auszudrücken, nicht abgegommen. Es gibt etwas, das Mann und Frau in gleicher Weise besitzen, und das ist Menschlichkeit, die ist nicht biologisch bestimmbar. Ich habe im Lauf meines nun schon ziemlich lang anhaltenden Frauenlebens immer wieder erlebt, daß das Frausein von Männern als ein Phänomen angesehen wird, dem sie ratlos gegenüberstehen. Das verstehe ich nicht. Sicher, wir können Kinder gebären. Das ist für einen Mann vielleicht ein Idee, mit der er nicht fertig wird. Aber auch für mich als Frau war das kein natürlicher Vorgang*****, sondern es hat mich verstört und aufgerissen, und es hat Jahre gedauert, bis ich mich davon erholt hab'. Ich spüre schon wieder, wie mir die Galle hochkommt, wenn ich höre, daß die Frau in sich ruht und nichts nötig hätte, weil sie ihren Bauch hat. Das ist wirklich perfide, obwohl es natürlich nicht vollkommen falsch ist.

Was ist daran richtig?

PLUHAR: Richtig ist, daß Frauen nicht wie die Teufel dauern kopflastig ihrem Gehirn nachsausen. Sie haben einen stärkeren Bezug zur Natur. Sie können in einer Wiese liegen und dabei zufrieden sein, was ein Mann selten kann. Trotzdem haben auch Frauen die Kreativität sehr nötig. Ich habe meinen Beruf, der doch auch ein bissel mit Kunst zu tu hat, sehr gebraucht, um zu überleben, mich als Mensch zu erhalten. Es ist wahr, Frauen sind nicht so fanatisch. Eine Frau kann etwas erschaffen und haut es dann in die Ecke. Ein Mann würde nie bändeweise Tagebuch schreiben, ohne damit etwas anzufangen. Ich dagegen könnte auf das Publizieren, Sie entschuldigen, scheißen. Ich muß meine Kreativität nicht mit einer geachteten und von außen belobigten Leistung krönen. Ich könnte sogar, wenn es finanziell möglich wäre, darauf verzichten, die Schauspielerei auszuüben.

Was würden Sie denn stattdessen machen?

PLUHAR: Ich würde Gärtnerin werden oder mich anheuern lassen von irgendeiner Organisation, die versucht, das Waldsterben zu unterbinden. Genug, um zu leben, würde ich immer verdienen. Ich habe schon jetzt aufgehört, als Schauspielerin viel zu verdienen, weil ich gewisse männliche Mechanismen nicht mehr bediene, dieses abgefuckte Managen und Ausbeuten, gerade in meinem Beruf. Die Medien zucken vor mir zurück, die sind alle männlich gesteuert. Als ich anfing, selbst meine Liedtexte zu schreiben, bekam ich in der Branche große Schwierigkeiten, weil man mich lieber hatte als eine, die singt, pi pa po, jeder hat sein Waterloo. Die Plattenfirma hat gesagt, aber geh, warum müssen S' denn selber schreiben? Ich war bei mehreren Firmen, da sitzen immer die nämlichen widerwärtigen Bosse, mit denen man entweder umgeht als Macher mit Machern oder überhaupt nicht. Denen wäre es lieber gewesen, wenn ich mit rauchiger Stimme und Flitterkleid immer weiter gesungen hätte, mein Mann, diridi diridi, weil sich das halt besser verkauft hat.

Hätten Sie gern eine größere Stimme?

PLUHAR: Nein, obwohl ich es schön finde, aber mit so einer Opernstimme ist ein Leben verbunden, daß ich nicht haben möchte. Mir fehlen nicht viele Töne. Ich war nur am Anfang so zaghaft. Das hat sich geändert. Ich mache im Herbst eine Tournee. Auf der Bühne kann ich stimmlich, mir selbst oft ungeahnt, explodieren. Mir ist nur bisher immer diese gepflegte Soße abverlangt worden.

Betrifft das auch die Lieder von Wolfgang Biermann, die Sie gesungen haben?

PLUHAR: Den Biermann habe ich abgeschrieben. Der hat über mich so grauslich geschimpft, Wiener Tortenton oder so ähnlich, das hat mich verletzt. Eigentlich hat er ja an mir sogar verdient. Am Anfang konnte ich seine Skepsis verstehen, weil er mich noch nicht kannte und halt so eine Blondine vor sich sah, die nackt auf dem Eisbärfell liegt. Aber er hat sich auch danach immer noch aufgeregt und sich nie darum bemüht herauszubekommen, warum ich seine Texte gesungen habe.

Auf Ihrer letzten Platte gibt es ein Lied über Frauen, in dem es heißt, in ihren Schritten liegt der Wille nachzuholen, worum man sie so lang bestohlen.

PLUHAR: Aufzuholen, nicht nachzuholen.

Kann man sich denn von Frauen einen Ausweg aus der Sackgasse erhoffen, die nur aufholen, was Männer schon immer machen?

PLUHAR: Meinen Sie, die Frauen sollen zu Hause sitzen?

Nein, aber etwas Neues erfinden.

PLUHAR: Das Menschliche ist immer neu, wenn es weitergeht. Man kann nicht einen neuen Menschen erfinden. Sie meinen, es wäre sinnlos, wenn Frauen jetzt wie die Furien einer Verwirklichung hinterhersausen, die von den Männern ohnehin schon geliefert wurde?

Ja, sie übernehmen die männlichen Ausdrucksformen.

PLUHAR: Sie übernehmen gar nichts. Solange Frauen zum Beispiel nicht Politik machen können, und zwar wirkliche Frauen, nicht Frauenkörper, die das Männliche total inhalieren wie die Frau Thatcher, wird sich natürlich schwer etwas ändern. Diese Frau Thatcher ist ärger als jeder Mann. Das geschieht aber nur, weil die Frau so lange Zeit unterdrückt war. Jede Versklavung führt zu Verunstaltungen. Eine Frau, die sich nicht vermännlicht, kommt heute nicht weiter. Das merke ich in meinem Berufsleben ganz deutlich, wo eine richtige Zensur herrscht, wenn sich eine Frau nicht den männlichen Verhaltensmustern anpaßt. Sicher gibt es auch widerliche Frauen, und es gibt ganz kostbare, klasse, sehr weiblich empfindende Männer. Die müssen deshalb nicht homosexuell sein oder sich in Frauen verwandeln. Schaun Sie, eine Petra Kelly ******, die sehr befehdet wird, sogar von den Leuten ihrer Gruppierung, hat natürlich neue Impulse gebracht, oder wenn man sich die Königinnen um die Maria Stuart anschaut, da waren ein paar ordentliche Kaliber darunter, oder die Maria Theresia, das war eine fähige, kluge Regentin, eine Staatsmännin, würde man sagen, die hatte eine unheimliche Präsenz und eine Aura, also das können Frauen genauso. Sie müssen schon Ihren Kopf hinausstrecken und das einmal im großen betrachten. Wenn Sie sich zum Beispiel ansehen, wie es jetzt in Ägypten schon wieder heißt, die Vorherrschaft des Mannes wird gesetzlich verankert, er darf vier Frauen haben und sie ohne große Formalitäten verstoßen. Zur gleichen Zeit sagt unser guter Papst, die Frau darf nur bumsen, wenn sie auch ein Kind will, sie darf nicht die Pille nehmen. Da kommen so viele Kräfte zusammen. Was wollen Sie mit diesem Interview überhaupt? Was ist Ihr Thema?

Das Thema ist, ob die Frauen es genauso nötig haben wie Männer, Kunstwerke zu produzieren.

PLUHAR: Warum sollen die Frauen das nicht tun? Was haben Sie denn für einen reaktionären Standpunkt? Warum sollen Frauen nicht Bücher schreiben? Ich rede jetzt nicht von mir. Ich halte mich nicht für eine Schriftstellerin. Ich hab das Tagebuch halt herausgegeben, weil nach dem Tod von Peter Vogel******* so viel Voyeurismus entstanden war in meiner Umgebung, als sie sich ins Leichenschauhaus geschwindelt haben, um dort zu fotografieren. Da hab' ich mir gedacht, jetzt ist Schluß. Wenn man es wissen will, wie es war, soll man es wissen. Ich will auch nicht hinter dicken Mauern leben. Ich hab' es nicht ungern, wenn Leute zu mir einen Zugang haben. Aber ich möchte betonen, daß ich mich in keiner Weise für einen genialen Menschen halte, will es auch gar nicht sein. Glauben Sie, ich halte meine Liedln für etwas Tolles? Ich schreibe ganz einfach, habe es immer getan. Schon als Kind habe ich meine ersten Märchen geschrieben und mit sechs Jahren schon ein kleines Büchlein mit Illustrationen gemacht. Es war immer meine Leidenschaft. Ich hab' gern Schulaufsätze geschrieben, war irrsinnig gern Schülerin, außer in Mathematik. Meine Deutschprofessorin hat mich geliebt. Der Einbruch kam dann erst in der Zeit meiner ersten Ehe, da wurde das Schreiben ein bißchen sporadischer. Das waren nur noch so Fetzen der Verzweiflung, also wenn ich wirklich halb tot war, hab' ich immer noch irgendwas hingekritzelt. Eigentlich hat meine Gesundung damit begonnen, daß ich wieder regelmäßig geschrieben habe. Dieses Schreiben ist für mich das Gebet, so wie man früher den Rosenkranz genommen hat, und wenn man mit allen Perlen einmal durch war, konnte man das Leben wieder ertragen. Ob das gut oder schlecht ist, ist mir wurscht. Was ich so wünschen würde, ist, daß es endlich einmal ganz selbstverständlich wäre, daß Frauen alles, was sie wollen, machen dürfen, weil sie Menschen sind. Jeder Bursch mit einer Klampfen schreibt klarerweise seine eigenen Lieder mit den blödesten Texten. Aber da sagt man, na ja, die Texte sind etwas blöd. Fängt eine Frau an, zaghaft etwas zu formulieren, heißt es gleich, jössas, wie die schreibt! Da muß es dann gleich Literatur sein. Wissen Sie, ich werde bei diesem Thema so emotional, weil den Frauen mit dem Hinweis, sie hätten die Kreativität nicht nötig, so viel abgeschnipselt wurde vom Leben. Ich könnte fast heulen. Es fällt mir schwer, darüber ruhig und sachlich zu reden. Es steigt in mir hoch und stürzt aus dem Mund, denn ich habe mein ganzes Leben darunter gelitten, nicht Frau sein zu dürfen, ohne darauf zu verzichten, mich so zu äußern, wie ich es möchte. Hätte ich nicht gekämpft, wäre ich nicht mehr am Leben, würde vielleicht nur noch physisch irgendwo sitzen.

Nimmt die Kampfeslust ab mit dem Alter?

PLUHAR: Nein, die bleibt. Ich möchte abenteuerlich mein Alter betreten. Ich bin für das Wissen, hinter dem es auch brodelt. Selbst wenn sich gewisse sexuelle Mechanismen verändern, unsere Liebesfähigkeit bleibt ungebrochen, solange wir nicht zu einem einzigen Kalkhaufen geschrumpft sind.

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*) André Heller, mit dem Erika Pluhar von 1970 bis 1973 verheiratet war

**) "Aus Tagebüchern", veröffentlicht 1991 in der Reihe "Neue Frau" bei Rowohlt

***) In: André Müller, "... über die Fragen hinaus", dtv, Seite 206

****) Udo Proksch (1934 - 2001), in den 70er-Jahren Besitzer der Wiener Hofkonditorei "Demel", berühmt geworden durch die (zur Abschöpfung der Versicherungssumme) absichtliche Versenkung des von ihm gecharterten Frachtschiffes "Lucona", bei der sechs Matrosen zu Tode kamen, 1992 zu lebenslanger Haft verurteilt

*****) Erika Pluhars Tochter Anna (aus der Ehe mit Udo Proksch) geboren 1961, starb im Oktober 1999 an einem Asthmaanfall

******) Petra Kelly, deutsche Politikerin der "Grünen«, 1992 erschossen von ihrem Geliebten Gert Bastian

*******) Schauspieler und eine Zeitlang Lebensgefährte von Erika Pluhar, nahm sich 1978 das Leben

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Erschienen am 4. Oktober 1985 unter dem Titel “Fetzen der Verzweiflung” in der ZEIT