Sie schreiben seit einiger Zeit selbst Ihre Liedertexte. Weshalb nicht schon
früher?
ERIKA PLUHAR: Weil ich mit Männern konfrontiert war, die mit Müh und Not noch
gerade geduldet haben, daß ich Schauspielerin war. Das hatten sie sogar gern.
Als mein zweiter Mann, der Franzi Heller*, zu schreiben begann, habe ich das
bewundert. Wenn ich mir von damals Notizen durchlese, staune ich, wie ich mich
klein gemacht, mich zu einer Demutshaltung gezwungen habe. Das lag fast schon
im Blut. Das ist in Jahrhunderten so entstanden. Jede Zeitung, jedes Buch, jeder
Film hat einem jungen Mädchen erzählt, warte, bis der Mann kommt, dann wirst
du schauen, dann hat dein Leben einen Sinn. Die fünfziger Jahre waren für mich
eine Horrorzeit. Ich hab' schön meine Matura gemacht, war Vorzugsschülerin,
hab' die Schauspielprüfung bestanden, kam ans Burgtheater, wollte immer was,
hab' mich interessiert, hab geturnt und gefochten und versucht, meinen Körper
zu rüsten, weil das mein Instrument war, aber nebenbei gab es da diese Haltung,
ich bin eine Frau und bin dumm und kann eigentlich nichts.
War Ihre Schönheit eine Erschwernis, ernst genommen zu werden?
PLUHAR: Ich war gar nicht schön. Als ich Schauspielerin wurde, haben alle gesagt,
sie ist schiach, aber begabt. Später hieß es dann, na ja, sie ist ganz apart,
da war ich blond gefärbt und hatte Einlagen im Busenhalter. Erst als ich aufhörte
mit diesen künstlichen Attributen und sogar schon ein paar graue Haare hatte,
sagte man plötzlich, ich wäre schön. Ich war die erste Nackte am Burgtheater.
Das Stück hieß "Akrobaten" von Stoppard. In "Fräulein Else"
von Schnitzler habe ich meinen Rücken gezeigt, lauter tolle, revolutionäre Taten.
Aber Spaß beiseite, ich glaube mittlerweile an eine Form von Schönheit, die
anders ist als die in den Journalen erklärte. Als ich voriges Jahr ziemlich
lang im Krankenhaus lag, habe ich nackte, uralte Menschen gesehen. Die waren
sehr schön. Sicher hätte ich einen anderen Weg gemacht, wäre ich so eine puppige
Schönheit gewesen. Vielleicht wäre ich Filmstar geworden. Frauen wie Marlene
Dietrich, Greta Garbo oder Ingrid Bergman haben meine Kindheit begleitet wie
Märchengestalten. Kino war für mich Wahnsinn.
Wollten Sie deshalb Schauspielerin werden?
PLUHAR: Nein. Zuerst wollte ich Tänzerin werden. Dann hab' ich gesehen, daß
man auf der Bühne auch reden kann, nicht nur tanzen, und von da an meine Mitschülerinnen
und Spielkameraden unterjocht und gezwungen, mit mir Theater zu spielen.
Eine Zeitlang haben Sie den Schauspielerberuf als verächtlich betrachtet.
PLUHAR: Ja, weil ich ihn verächtlich ausgeübt habe oder ausüben mußte. Ich war
in all diesen Krimiserien einmal drin, dann war irgendwann Schluß, da habe ich
mir gesagt, das mache ich nicht mehr, irgendwohin engagiert zu werden, guten
Tag zu sagen und schnell was zu drehen, obwohl man da schon ein bissel mehr
Geld kriegt als am Theater. Ich würde irrsinnig gern einmal in einem wirklich
schönen Film eine Rolle spielen. Das ist ein gänzlich unerfüllter Wunsch meines
Lebens.
Woran liegt das?
PLUHAR: Ich weiß nicht. Die Filme, die ich gemacht hab', waren nicht gut oder
erfolglos. Mir wurde nichts Tolles angeboten. Vielleicht fürchten sich gewisse
Filmregisseure vor mir und denken, die quargelt zuviel herum.
Bekommen Sie auch keine Angebote von Frauen, die Filme machen?
PLUHAR: Von denen am allerwenigsten. Filmemacherinnen mögen mich überhaupt nicht.
Über die Margarethe von Trotta habe ich auf Umwegen erfahren, daß sie mich für
eine blöde Kuh hält. Ich habe große Feindinnen in der Frauenbewegung. Auch Alice
Schwarzer ist nicht meine Freundin. Die hat mich eine Zeitlang als Zugnummer
benutzt und dann versucht, mir Richtlinien zu geben, wie ich auszusehen, was
ich zu tun und zu lassen hätte. Ich habe sie eigentlich gern, nur ist sie eine
wirklich Gejagte, immer an der Front. Deshalb kann sie auch niemals entspannen.
Außerdem, muß ich ehrlich sagen, ist mir das eine zu dichte lesbische Welt,
in der ich mich genauso bedroht fühle wie unter Männern, da herrschen die gleichen
Eroberungsmechanismen. Ich hab' überhaupt nichts gegen lesbische Frauen, aber
das darf nicht zum Tenor der Frauenbefreiung werden. Ich bin gegen jede Art
von Kungelei und Vereinsmeierei. Mit einer Frau, die nicht bereit ist, Einsamkeit
auf sich zu nehmen, kann ich nicht über Befreiung sprechen. Man muß auch einmal
allein in seinem Bett liegen können.
Schafft ein Mann das Alleinsein besser?
PLUHAR: Im Gegenteil, Männer können sehr schwer allein sein. Entweder sie machen
ihre Einsamkeit zu einer großen Tat oder sie kriechen irgendwohin, wo sie auch
das ungeliebte Fleisch noch zumindest neben sich haben. Ich nehme Erotik sehr
ernst, aber ich bin gegen dieses quietschfidele Herumgebumse, wo man sagt, bevor
ich niemanden habe, nehme ich irgendwen. Da würde ich mich lieber in die Askese
begeben. Ich halte es aus, mit einer gewissen körperlichen Sehnsucht zu leben,
ohne die sofort stillen zu müssen.
Schreiben Sie mehr, wenn Sie enthaltsam leben?
PLUHAR: Tagebuch schreibe ich immer**. Es gibt ein Papier, und es gibt eine
Feder. Ich muß, um den Tag zu ertragen, nach dem Frühstück etwas notieren, und
sei es nur, daß der Baum grün ist und die Vögel singen. Schreiben ist für mich
notwendig. Es wendet die Not. Es ist ein Ausdruck meiner Verzweiflung.
Und wenn es Ihnen gut geht?
PLUHAR: Dann schreibe ich auch ein paar Zeilen, die werden vielleicht ganz blöd
sein. Natürlich kommt mehr heraus, wenn es einem schlecht geht. Wenn man zerbirst
vor Schmerz, entlädt man sich kreativ. So gut geht es mir nie, daß ich nicht
in Schächte der Verzweiflung abstürzen könnte. Nur ist das noch herrlich im
Vergleich zu der Leblosigkeit und Taubheit, die ich früher empfunden habe. Es
gab eine Zeit, an die ich mich fast nicht erinnern kann, so schrecklich war
die. Ich war in meiner Mädchenzeit magersüchtig. Es gibt wohl kaum eine größere
Ablehnung, in ein Frauenklischee gepreßt zu werden. Offenbar habe ich sehr früh
gefühlt, daß mein Frausein mich zwingen könnte, so zu werden wie meine Mutter.
Das war eine begabte Frau. Die konnte malen, besuchte die Kunsthochschule. Aber
als sie dann verheiratet war, hat sie aufgehört und nichts mehr getan.
Was haben Sie zum Beispiel heute früh aufgeschrieben?
PLUHAR: In den letzten Tagen schreibe ich oft ganz trocken, einfach so: Gestern
Lesung, tschinn, tschann, bumm. Oder ich schreibe wie in einem Schulaufsatz
oder so idiotische kleine Gedichterln, heißa hei, bald bin ich frei, bald geht's
bergauf, wie ich auch rauf', ich werde siegen, mich wieder in die Hände kriegen,
und überleben werd ich's auch mit unverletztem Herz und Bauch, man ist viel
stärker als man glaubt, nur scheinbar seiner Kraft beraubt, die Seele hält mich
an der Hand, führt mich zurück ins wahre Land. So etwas schreib' ich in Blitzeseile
und weiß, es ist der größte Stumpfsinn.
Warum, glauben Sie, sind Männer daran interessiert, weibliche Kreativität zu
verhindern?
PLUHAR: Weil sie ihnen gefährlich ist, weil das eine Konkurrenz ist, mit der
sie Jahrhunderte lang nicht zu rechnen brauchten. Weibliche Kreativität entsteht
viel leichter, selbstverständlicher. Ich muß sagen, daß ich mich von der sogenannten
Kreativität dieses Mannes Heller, die von der Umwelt immer wichtig genommen
wurde, zerquetscht gefühlt habe. Unsere gemeinsame Wohnung war ein einziger
Altar, auf dem sein Genie loderte, und da steht man daneben in der Ecke, geht
schon ganz früh aus dem Haus und schurlt und schuftet. Ich habe in meinem Leben
immer wieder erfahren, daß Beziehungen brüchig wurden, weil die Männer es nicht
ertragen haben, daß ich an ihrer Seite nicht an Bedeutung verliere. Ein Mann
liebt eine Frau nur, solange sie sein Geschöpf ist, während ich über einen Mann
sagen kann, jö, der ist toll, auch wenn er es nicht durch mich ist. Männer sind
oft sehr arm. Ihr Selbstbewußtsein steht auf ganz dünnen Beinchen.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
PLUHAR: Sicher hat es mit dieser Kopflastigkeit, dieser Isoliertheit zu tun
in ihrem ständigen Denken, sich zu verwirklichen. Sie können, um es schlicht
auszudrücken, viel schwerer Leben und Arbeit verbinden. Sie schuften sich entweder
zu Tode, glauben zwischendurch dann mal kurz zu leben, knapsen sich dieses Leben
aber gleich wieder ab, oder sie stürzen sich in eine Liebesgeschichte, und wenn
die vorbei ist, müssen sie gleich eine neue bauen, weil sie nicht damit atmen,
atmend damit umgehen können. Männer habe keine Kühnheit mit ihrem emotionalen
Leben, sondern immer dieses Gewurschtel mit einer Frau, die zu Hause ist, und
einer Geliebten daneben. Aber das klingt jetzt alles so furchtbar pauschal.
Wenn ich Männer sage, meine ich immer den männlichen Menschen. Wir sind ja von
einer Dualität bewohnt. Die Männer sollten ihr eigenes weibliches Potential
freigeben. Was ich so schrecklich finde, ist diese verflixte, verdammte Männereinstellung,
daß der Körper und das Fleisch und die Erde unwichtig seien. Deshalb haben sie
unsere Welt so zugrunde gerichtet, denn der Leib ist die Natur. Ich bekomme
jedesmal eine Fuchsteufelswut, wenn es als Negativum beschrieben wird, daß der
Mensch seinen Leib beachtet. Ich bin sehr bereit anzunehmen, daß ich ein narzißtischer
Mensch bin, weil ich glaube, jeder sollte der Freund seines Körpers werden.
Gerade in dieser Eigenliebe sieht Simone de Beauvoir den Grund dafür, daß es
so wenig weibliche Genies gibt.
PLUHAR: Die Beauvoir ist eine arme, verkarstete Frau, weil sie neben dem Sartre,
einem sehr kopflastigen Mann, ihre Natur nicht hat leben können. Es gibt heute
schon viel mehr Männer, die ihren Leib wichtig nehmen, ganz egal, ob das der
Genialität förderlich ist oder nicht. Damit hat das gar nichts zu tun. Es hat
ja vor langer Zeit auch einmal ein tolles Matriachat gegeben, da sind die Männer
im Gras gelegen, und es hat auch immer geniale Frauen gegeben, die Clara Schumann
zum Beispiel, nur hat man auf diese Genialität keine Rücksicht genommen, denn
die Frau mußte Kinder kriegen, Windeln waschen, außerdem auch noch schön sein,
und sie hatte oft nicht einmal ein eigenes Zimmer, ich denke an Virginia Woolf,
die auch eine geniale Frau war. Was ist überhaupt Genialität? Wahrscheinlich
ein so hohes Maß an kreativer Begabung, daß es ein ganzes Leben aus den Normen
des Alltags herauslöst. Genie kann nur entstehen. Ich glaube nicht, daß es einen
Menschen schon als Baby behaust, oder doch? Ich wende diesen Begriff nicht auf
Lebende an, und ich bin nicht damit befaßt, mit Wehmut oder Trotz oder sonst
einem Gefühl zu überlegen, ob mir die Tür zur Genialität offensteht oder nicht.
Es gibt Menschen, die haben eine besondere Energie, die sich umsetzt, um ein
Werk zu erschaffen, und sei es auch nur das eigene Leben, wenn es etwas mit
Bewußtheit zu tun hat.
Hat eine Frau das Hervorbringen von Werken weniger nötig, weil sie, wie Friedrich
Dürrenmatt es einmal formuliert hat***, mehr an den Leib gebunden ist und sich
nicht bestätigen muß durch geistige Leistung?
PLUHAR: Das ist eine blödsinnige Äußerung. Wenn jemand so etwas sagt, macht
mich das rasend. Warum können Männer nicht endlich aufhören, Frauen zu definieren?
So wie dieser Herr Dürrenmatt hat schon mein erster Mann**** zu mir geredet.
Der hat gesagt, sei doch froh, die Frau ist die Ebene, der Mann will den Gipfel,
und ich hab es geglaubt und bin fast krepiert daran, weil es nicht stimmt, glauben
Sie mir! Mir hat mein weiblicher Leib meinen Drang, mich auszudrücken, nicht
abgegommen. Es gibt etwas, das Mann und Frau in gleicher Weise besitzen, und
das ist Menschlichkeit, die ist nicht biologisch bestimmbar. Ich habe im Lauf
meines nun schon ziemlich lang anhaltenden Frauenlebens immer wieder erlebt,
daß das Frausein von Männern als ein Phänomen angesehen wird, dem sie ratlos
gegenüberstehen. Das verstehe ich nicht. Sicher, wir können Kinder gebären.
Das ist für einen Mann vielleicht ein Idee, mit der er nicht fertig wird. Aber
auch für mich als Frau war das kein natürlicher Vorgang*****, sondern es hat
mich verstört und aufgerissen, und es hat Jahre gedauert, bis ich mich davon
erholt hab'. Ich spüre schon wieder, wie mir die Galle hochkommt, wenn ich höre,
daß die Frau in sich ruht und nichts nötig hätte, weil sie ihren Bauch hat.
Das ist wirklich perfide, obwohl es natürlich nicht vollkommen falsch ist.
Was ist daran richtig?
PLUHAR: Richtig ist, daß Frauen nicht wie die Teufel dauern kopflastig ihrem
Gehirn nachsausen. Sie haben einen stärkeren Bezug zur Natur. Sie können in
einer Wiese liegen und dabei zufrieden sein, was ein Mann selten kann. Trotzdem
haben auch Frauen die Kreativität sehr nötig. Ich habe meinen Beruf, der doch
auch ein bissel mit Kunst zu tu hat, sehr gebraucht, um zu überleben, mich als
Mensch zu erhalten. Es ist wahr, Frauen sind nicht so fanatisch. Eine Frau kann
etwas erschaffen und haut es dann in die Ecke. Ein Mann würde nie bändeweise
Tagebuch schreiben, ohne damit etwas anzufangen. Ich dagegen könnte auf das
Publizieren, Sie entschuldigen, scheißen. Ich muß meine Kreativität nicht mit
einer geachteten und von außen belobigten Leistung krönen. Ich könnte sogar,
wenn es finanziell möglich wäre, darauf verzichten, die Schauspielerei auszuüben.
Was würden Sie denn stattdessen machen?
PLUHAR: Ich würde Gärtnerin werden oder mich anheuern lassen von irgendeiner
Organisation, die versucht, das Waldsterben zu unterbinden. Genug, um zu leben,
würde ich immer verdienen. Ich habe schon jetzt aufgehört, als Schauspielerin
viel zu verdienen, weil ich gewisse männliche Mechanismen nicht mehr bediene,
dieses abgefuckte Managen und Ausbeuten, gerade in meinem Beruf. Die Medien
zucken vor mir zurück, die sind alle männlich gesteuert. Als ich anfing, selbst
meine Liedtexte zu schreiben, bekam ich in der Branche große Schwierigkeiten,
weil man mich lieber hatte als eine, die singt, pi pa po, jeder hat sein Waterloo.
Die Plattenfirma hat gesagt, aber geh, warum müssen S' denn selber schreiben?
Ich war bei mehreren Firmen, da sitzen immer die nämlichen widerwärtigen Bosse,
mit denen man entweder umgeht als Macher mit Machern oder überhaupt nicht. Denen
wäre es lieber gewesen, wenn ich mit rauchiger Stimme und Flitterkleid immer
weiter gesungen hätte, mein Mann, diridi diridi, weil sich das halt besser verkauft
hat.
Hätten Sie gern eine größere Stimme?
PLUHAR: Nein, obwohl ich es schön finde, aber mit so einer Opernstimme ist ein
Leben verbunden, daß ich nicht haben möchte. Mir fehlen nicht viele Töne. Ich
war nur am Anfang so zaghaft. Das hat sich geändert. Ich mache im Herbst eine
Tournee. Auf der Bühne kann ich stimmlich, mir selbst oft ungeahnt, explodieren.
Mir ist nur bisher immer diese gepflegte Soße abverlangt worden.
Betrifft das auch die Lieder von Wolfgang Biermann, die Sie gesungen haben?
PLUHAR: Den Biermann habe ich abgeschrieben. Der hat über mich so grauslich
geschimpft, Wiener Tortenton oder so ähnlich, das hat mich verletzt. Eigentlich
hat er ja an mir sogar verdient. Am Anfang konnte ich seine Skepsis verstehen,
weil er mich noch nicht kannte und halt so eine Blondine vor sich sah, die nackt
auf dem Eisbärfell liegt. Aber er hat sich auch danach immer noch aufgeregt
und sich nie darum bemüht herauszubekommen, warum ich seine Texte gesungen habe.
Auf Ihrer letzten Platte gibt es ein Lied über Frauen, in dem es heißt, in ihren
Schritten liegt der Wille nachzuholen, worum man sie so lang bestohlen.
PLUHAR: Aufzuholen, nicht nachzuholen.
Kann man sich denn von Frauen einen Ausweg aus der Sackgasse erhoffen, die nur
aufholen, was Männer schon immer machen?
PLUHAR: Meinen Sie, die Frauen sollen zu Hause sitzen?
Nein, aber etwas Neues erfinden.
PLUHAR: Das Menschliche ist immer neu, wenn es weitergeht. Man kann nicht einen
neuen Menschen erfinden. Sie meinen, es wäre sinnlos, wenn Frauen jetzt wie
die Furien einer Verwirklichung hinterhersausen, die von den Männern ohnehin
schon geliefert wurde?
Ja, sie übernehmen die männlichen Ausdrucksformen.
PLUHAR: Sie übernehmen gar nichts. Solange Frauen zum Beispiel nicht Politik
machen können, und zwar wirkliche Frauen, nicht Frauenkörper, die das Männliche
total inhalieren wie die Frau Thatcher, wird sich natürlich schwer etwas ändern.
Diese Frau Thatcher ist ärger als jeder Mann. Das geschieht aber nur, weil die
Frau so lange Zeit unterdrückt war. Jede Versklavung führt zu Verunstaltungen.
Eine Frau, die sich nicht vermännlicht, kommt heute nicht weiter. Das merke
ich in meinem Berufsleben ganz deutlich, wo eine richtige Zensur herrscht, wenn
sich eine Frau nicht den männlichen Verhaltensmustern anpaßt. Sicher gibt es
auch widerliche Frauen, und es gibt ganz kostbare, klasse, sehr weiblich empfindende
Männer. Die müssen deshalb nicht homosexuell sein oder sich in Frauen verwandeln.
Schaun Sie, eine Petra Kelly ******, die sehr befehdet wird, sogar von den Leuten
ihrer Gruppierung, hat natürlich neue Impulse gebracht, oder wenn man sich die
Königinnen um die Maria Stuart anschaut, da waren ein paar ordentliche Kaliber
darunter, oder die Maria Theresia, das war eine fähige, kluge Regentin, eine
Staatsmännin, würde man sagen, die hatte eine unheimliche Präsenz und eine Aura,
also das können Frauen genauso. Sie müssen schon Ihren Kopf hinausstrecken und
das einmal im großen betrachten. Wenn Sie sich zum Beispiel ansehen, wie es
jetzt in Ägypten schon wieder heißt, die Vorherrschaft des Mannes wird gesetzlich
verankert, er darf vier Frauen haben und sie ohne große Formalitäten verstoßen.
Zur gleichen Zeit sagt unser guter Papst, die Frau darf nur bumsen, wenn sie
auch ein Kind will, sie darf nicht die Pille nehmen. Da kommen so viele Kräfte
zusammen. Was wollen Sie mit diesem Interview überhaupt? Was ist Ihr Thema?
Das Thema ist, ob die Frauen es genauso nötig haben wie Männer, Kunstwerke zu
produzieren.
PLUHAR: Warum sollen die Frauen das nicht tun? Was haben Sie denn für einen
reaktionären Standpunkt? Warum sollen Frauen nicht Bücher schreiben? Ich rede
jetzt nicht von mir. Ich halte mich nicht für eine Schriftstellerin. Ich hab
das Tagebuch halt herausgegeben, weil nach dem Tod von Peter Vogel******* so
viel Voyeurismus entstanden war in meiner Umgebung, als sie sich ins Leichenschauhaus
geschwindelt haben, um dort zu fotografieren. Da hab' ich mir gedacht, jetzt
ist Schluß. Wenn man es wissen will, wie es war, soll man es wissen. Ich will
auch nicht hinter dicken Mauern leben. Ich hab' es nicht ungern, wenn Leute
zu mir einen Zugang haben. Aber ich möchte betonen, daß ich mich in keiner Weise
für einen genialen Menschen halte, will es auch gar nicht sein. Glauben Sie,
ich halte meine Liedln für etwas Tolles? Ich schreibe ganz einfach, habe es
immer getan. Schon als Kind habe ich meine ersten Märchen geschrieben und mit
sechs Jahren schon ein kleines Büchlein mit Illustrationen gemacht. Es war immer
meine Leidenschaft. Ich hab' gern Schulaufsätze geschrieben, war irrsinnig gern
Schülerin, außer in Mathematik. Meine Deutschprofessorin hat mich geliebt. Der
Einbruch kam dann erst in der Zeit meiner ersten Ehe, da wurde das Schreiben
ein bißchen sporadischer. Das waren nur noch so Fetzen der Verzweiflung, also
wenn ich wirklich halb tot war, hab' ich immer noch irgendwas hingekritzelt.
Eigentlich hat meine Gesundung damit begonnen, daß ich wieder regelmäßig geschrieben
habe. Dieses Schreiben ist für mich das Gebet, so wie man früher den Rosenkranz
genommen hat, und wenn man mit allen Perlen einmal durch war, konnte man das
Leben wieder ertragen. Ob das gut oder schlecht ist, ist mir wurscht. Was ich
so wünschen würde, ist, daß es endlich einmal ganz selbstverständlich wäre,
daß Frauen alles, was sie wollen, machen dürfen, weil sie Menschen sind. Jeder
Bursch mit einer Klampfen schreibt klarerweise seine eigenen Lieder mit den
blödesten Texten. Aber da sagt man, na ja, die Texte sind etwas blöd. Fängt
eine Frau an, zaghaft etwas zu formulieren, heißt es gleich, jössas, wie die
schreibt! Da muß es dann gleich Literatur sein. Wissen Sie, ich werde bei diesem
Thema so emotional, weil den Frauen mit dem Hinweis, sie hätten die Kreativität
nicht nötig, so viel abgeschnipselt wurde vom Leben. Ich könnte fast heulen.
Es fällt mir schwer, darüber ruhig und sachlich zu reden. Es steigt in mir hoch
und stürzt aus dem Mund, denn ich habe mein ganzes Leben darunter gelitten,
nicht Frau sein zu dürfen, ohne darauf zu verzichten, mich so zu äußern, wie
ich es möchte. Hätte ich nicht gekämpft, wäre ich nicht mehr am Leben, würde
vielleicht nur noch physisch irgendwo sitzen.
Nimmt die Kampfeslust ab mit dem Alter?
PLUHAR: Nein, die bleibt. Ich möchte abenteuerlich mein Alter betreten. Ich
bin für das Wissen, hinter dem es auch brodelt. Selbst wenn sich gewisse sexuelle
Mechanismen verändern, unsere Liebesfähigkeit bleibt ungebrochen, solange wir
nicht zu einem einzigen Kalkhaufen geschrumpft sind.
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*) André Heller, mit dem Erika Pluhar von 1970 bis 1973 verheiratet war
**) "Aus Tagebüchern", veröffentlicht 1991
in der Reihe "Neue Frau" bei Rowohlt
***) In: André Müller, "... über die Fragen hinaus", dtv, Seite 206
****) Udo Proksch (1934 - 2001), in den 70er-Jahren Besitzer der Wiener
Hofkonditorei "Demel", berühmt geworden durch die (zur Abschöpfung
der Versicherungssumme) absichtliche Versenkung des von ihm gecharterten
Frachtschiffes "Lucona", bei der sechs Matrosen zu Tode kamen, 1992
zu lebenslanger Haft verurteilt
*****) Erika Pluhars Tochter Anna (aus der Ehe mit Udo Proksch) geboren 1961,
starb im Oktober 1999 an einem Asthmaanfall
******) Petra Kelly, deutsche Politikerin der "Grünen«, 1992 erschossen
von ihrem Geliebten Gert Bastian
*******) Schauspieler und eine Zeitlang Lebensgefährte von Erika Pluhar, nahm
sich 1978 das Leben
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Erschienen am 4. Oktober 1985 unter dem Titel “Fetzen der Verzweiflung” in der ZEIT