Interview mit Arno Breker (1979)
Beim Interview mit Breker, das in seinem Haus in Düsseldorf stattfand, waren
auch seine Ehefrau und der Kunsthändler Joe F. Bodenstein, bei dem der Bildhauer
unter Vertrag steht, zugegen. Die beiden haben mehrmals das Gespräch unterbrochen
und sich dagegen gewendet, dass es über weite Strecken die politische Situation
des Künstlers zum Inhalt hatte. Breker selbst erhob keinerlei Einspruch. Als
er die tragischen Konsequenzen seiner beruflichen Tätigkeit unter Hitler berührte,
seine Isolation und Verzweiflung, schüttelte seine Frau sich vor Lachen. Auf
meine Frage, was sie so komisch fände, antwortete sie, ihr Mann rede sonst völlig
anders. Beim Rundgang durch den Garten, in dem einige der in der NS-Zeit entstandenen
Plastiken aufgestellt sind, sagte sie mir: „Wenn er mit mir die politischen
Dinge bereden wollte, würde ich gar nicht zuhören, weil mich das langweilt.“
Ein makabrer Zwischenfall ereignete sich, als ich den Bildhauer über seine Einstellung
zur Vergasung der Juden befragte. Ausgerechnet an dieser Stelle legte Bodenstein
ein neues Tonband in seinen Recorder, drückte aber aus Versehen die Abspieltaste,
so dass ein paar Takte Tanzmusik zu meinen Worten erklangen. Die in dem Interview
erwähnte Autobiographie erschien zuerst in französischer Sprache unter dem Titel
„Paris, Hitler et Moi.“ Titel der deutschen Ausgabe: „Im Strahlungsfeld der
Ereignisse.“ Brekers erster Satz, als ich ihm sagte, worüber ich mich mit ihm
unterhalten wollte: „Ich habe keine Angst vor Politik.“
Aus Ihrer Autobiographie habe
ich den Eindruck gewonnen, dass Sie von einer großen Unzufriedenheit erfüllt
sind. Womit sind Sie unzufrieden?
Wissen Sie, man kann nicht immer
wieder sagen, dass ich meine großen Figuren aus reiner Perversität gemacht habe.
Meine künstlerische Situation ist durch die politische Geschichte völlig entwertet
und auf falsche Wege geleitet worden. Ich mache keine großen Figuren aus Großmannssucht,
wie viele behaupten.
Ich behaupte das nicht. Aber
ich sage: In Ihren Figuren kommt die Großmannssucht Hitlers, Ihres Auftraggebers,
zum Ausdruck.
Das stimmt nicht. Das ist ein
Irrtum. Ich bin ihm ja erst sehr spät nahegekommen, erst 1936, als ich bei einem
Bildhauerwettbewerb anlässlich der Olympischen Spiele die Silbermedaille gewann.
Zuerst war es so, dass ich da gar nicht mitgemacht habe. Aber der Präsident
des Komitees, ein Italiener, kannte meine Arbeit und kam nach Rom, wo ich als
Stipendiat der Deutschen Akademie damals lebte, und sagte: Ich habe nichts von
Ihnen. So ist es dann zu meiner Teilnahme gekommen.
Das entkräftet ja nicht die
Behauptung, dass Sie in Ihren im Auftrag Hitlers gemachten Skulpturen die Ideologie
des Regimes zum Ausdruck brachten. Alexander Mitscherlich nennt den Inhalt dieser
Ideologie „infantile Omnipotenzphantasien“, denen jede reale Grundlage fehlte.
War das nicht schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt, weil es von irrealen
Voraussetzungen ausging?
Nein, schaun Sie, die Neugestaltung
Berlins, an der ich mitgewirkt habe, war ja nicht irreal. Da gibt es ja Beispiele
aus der Vorzeit, aus der Antike. Da sind ja auch große Bauten entstanden. Hitler
war ja gezwungen, zufolge des zunehmenden Verkehrsstroms die Städte umzugestalten.
Achsen mussten geschaffen werden.
Zu welchem Zwecke?
Um den Verkehr zu kanalisieren.
Auch die Autobahn hat er aus rein verkehrstechnischen Gründen begonnen.
Ja, um Anfahrtswege für seine
Panzer zu haben.
Da will ich Ihnen folgendes darauf
sagen. Wir haben zum Beispiel vor einer großen Sache gestanden, das war der
große Bogen, den er im Lazarett nach seiner Verwundung im Ersten Weltkrieg gezeichnet
hatte, und für den ich den Figurenschmuck und die Reliefs machen sollte. Er
hat diesen Bogen nie als Triumphbogen, sondern immer nur als den großen Bogen
bezeichnet. Und jetzt kommt das Wichtige: Hitler hat sich diesen Bogen in den
damals üblichen Größenverhältnissen vorgestellt, also sagen wir, dreißig Meter.
Der Arc de Triomphe in Paris ist vierzig Meter. Aber dann war da diese gewaltige
Achse durch Berlin, und die verlangte einen entsprechenden Abschluss, und da
hat Speer den Bogen auf 120 Meter erhöht.
Gegen den Willen Hitlers?
Nein, das nicht. Es war als Überraschung
gedacht. Der Bogen ist dann so groß gewesen, dass der Arc de Triomphe in der
Durchfahrt gut Platz gehabt hätte. Aber nun geschah folgendes: Speer wollte,
obwohl der Bogen nun solche Dimensionen bekommen hatte, sklavisch die vorher
geplante Architektur übernehmen. Ich hatte mit ihm eine Diskussion. Ich bin
ja von Hause aus Architekt. Ich sagte ihm, das sei unter keinen Umständen zu
machen. Wenn der Bogen 120 Meter hoch sei, müsse auch die Architektur eine andere
Gestaltung bekommen. Aber Speer sagte: Da gibt es keine Diskussionen, das bleibt,
wie es ist. Und dann wurde ein Modell angefertigt. Wir hatten eine großartige
Equipe von Gipsbildhauern, die das so machten, dass man glaubte, man stünde
vor der fertigen Stadt, und der große Bogen, der stand nun da, und Hitler kam
gerade vom Stapellauf des Panzerkreuzers ‚Deutschland’ und war richtig ergriffen
von diesem Bauwerk. Das hat ihm geschmeichelt. Er sagte: Schaun Sie mal, die
ganze Neugestaltung kostet soviel wie ein einziger Panzerkreuzer, aber der Panzerkreuzer
ist vielleicht in drei Jahren Schrott...
So ist es ja dann auch mit
Berlin gewesen. Aber ich möchte jetzt doch wieder auf Ihre Unzufriedenheit kommen.
Sie sind heute einer der meistbeschäftigten Bildhauer Deutschlands. Sie haben
trotz Ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit schon bald nach dem Krieg
große Architekturaufträge bekommen. Anfang der fünfziger Jahre wurden Sie Chefarchitekt
des Gerling-Konzerns. Warum also unzufrieden?
Also, diese politischen Diffamierungen
haben natürlich Konsequenzen gehabt.
Welche?
Die, dass ich keine Aussagekraft
als Bildhauer mehr hatte. Ich habe in vierunddreißig Jahren nur zwei offizielle
Aufträge bekommen.
Aber das hat doch nichts mit
Diffamierung zu tun. Ihre Aussagekraft ging verloren, weil das Regime, in welches
diese Aussage passte, vorbei war. Es ist doch naiv, zu erwarten, dass sie Bundesrepublik
Deutschland Ihnen im selben Maße Aufträge erteilt wie Hitler, der dieses Land
in den Abgrund geführt hat.
Ich weiß gar nicht, warum ein
Künstler, wenn er einen Auftrag bekommt, etwas Politisches sein muss. Dann hätte
ja auch die Lieblingsfirma Hitlers, nämlich Mercedes, heute keine Daseinsberechtigung
mehr.
Mercedes ist ja ein Privatunternehmen.
Ich bin ja auch ein Privatunternehmen.
Ja, aber Sie erwarten, dass
der Staat Sie beschäftigt. Als Privatunternehmer haben Sie ja ausreichend Kundschaft
und ein gesichertes Leben. Warum wollen Sie unbedingt Staatsaufträge?
Ich will überhaupt nichts. Ich
will meine Ruhe haben, verstehen Sie? Ich habe nichts gemacht, was gegen das
Künstlerische verstößt, gegen die Ehre und Mentalität des künstlerischen Berufes.
In welcher Form werden Sie
denn belästigt?
Ich habe nach dem Krieg nicht
mehr ausstellen können. Man hat mich nicht eingeladen.
Aber dann haben Sie ja die
Ruhe, die Sie sich wünschen.
Verzeihung, aber ich habe doch
durch den Zusammenbruch alles verloren.
Aber Sie haben die Ruhe gewonnen.
Ja, aber die Ruhe allein genügt
ja nicht, um leben zu können. Die Bildhauerei ist ein Unternehmen, das sehr
viel Geld braucht. Sie brauchen Modelle. Sie brauchen Gipsgießer. Sie brauchen
Bronzegießer. Mein Glück war, dass ich Architektur studiert habe und zwölf Jahre
davon leben konnte, für Gerling Architekturen zu machen.
Waren Sie in Geldschwierigkeiten?
Ja, natürlich. Ich habe ja im
Dritten Reich nur gerade so viel als Honorar bekommen, wie für das Lebensnotwendigste
reichte. Speer sagte mir, die Steuern wären so hoch, die würden alles verschlingen,
ich sollte die Honorare bis nach dem Krieg stehen lassen, aber nach dem Krieg
waren sie weg. Die 100.000 Reichsmark, die meine Frau dennoch hat sparen können,
haben wir, als wir aus Berlin fliehen mussten, in Starnberg an der bayerischen
Hypothekenbank deponiert. Aber das ist vom bayerischen Staat dann beschlagnahmt
worden. Also, das war auch weg. Dazu kommt, dass ich erst sehr spät entnazifiziert
worden bin, von einem der strengsten Leute, einem Kommunisten, der lange im
KZ war.
Na gut, arm waren damals ja
alle, aus verständlichen Gründen.
Ich bedaure ja nicht, dass ich
arm war. Ich stamme aus bescheidenen Verhältnissen und habe immer gewusst, hauszuhalten.
Ich habe bis auf den heutigen Tag nie Ferien gemacht und nie die Passion gehabt,
schwere Wagen oder schöne Pferde oder hübsche Frauen zu haben.
Um so weniger kann ich Ihre
Klagen begreifen.
Mir haben nach dem Krieg die Mittel
gefehlt, um mich weiterentwickeln zu können.
Die haben ja allen gefehlt.
Sie können doch nicht erwarten, dass in einem Land, das eine solche Niederlage,
noch dazu eine selbst verschuldete, hinter sich hat, sofort alles wieder seinen
gewohnten Lauf nimmt.
Ja, das ist eben schwer einzusehen.
Die Niederlage?
Nein, die persönlichen Konsequenzen.
Ja, das ist schwer. Es gibt
in so einer Situation nur zwei Möglichkeiten: Entweder man durchlebt die Verzweiflung
oder man verdrängt sie.
Ich habe ja damals meinen ersten
Herzkollaps erlitten.
1945?
Ja, nach dem Zusammenbruch. Wenn
das nicht gewesen wäre, säßen wir uns heute nicht hier gegenüber. Ich hatte
ja eine Reihe von Angeboten ins Ausland. Als der Krieg aus war, habe ich sofort
Einladungen gehabt von Peron, Franco und Stalin. Als mich Stalin verlangte,
kam der amerikanische NATO-General persönlich nach Bayern, um mich nach Russland
zu bringen. So groß war der Respekt der Amerikaner vor dieser Offerte.
Das ist ja sehr aufschlussreich,
dass Ihre Kunst bei Diktatoren so hervorragend ankam. Aber mich interessiert
jetzt doch mehr die psychologische Verfassung, in der Sie sich damals befanden.
Woher kam Ihre unbändige Sucht, sich sofort wieder in die Arbeit zu stürzen,
als wäre überhaupt nichts geschehen?
Ich bin eben ein vitaler Arbeiter,
dem sehr viel einfiel, was ich realisieren wollte. Der Bildhauer Despiau, mit
dem ich befreundet war, hat über mich ein Buch geschrieben, das mit einem Satz
endet, in dem er seine Bestürzung über meine ungeheure Arbeitskraft ausdrückt.
Kennen Sie Mitscherlichs Buch
„Die Unfähigkeit zu trauern“?
Getrauert habe ich mächtig.
Worüber?
Über den Zusammenbruch. Aber es
gab in diesem Zusammenbruch für mich eine Komponente, die Sie nicht kennen.
Wir haben ein Haus gehabt, 75 Kilometer östlich von Berlin, das war unsere Zuflucht
während des Krieges. In Berlin konnte ich nicht mehr arbeiten, und meine drei
Ateliers in Paris waren durch Bombenangriffe beschädigt. Also sind wir aufs
Land gezogen. Da kam der erste Versuch eines russischen Durchbruchs. Der Angriff
wurde zwar abgeschlagen, aber um halb zwölf kam vom Gauleiter an Anruf, wir
müssten innerhalb einer halben Stunde alles verlassen. Im größten Schneegestöber
sind wir dann aufgebrochen. Ich hatte gar keine Vorstellung, warum wir so plötzlich
weg mussten. Ich dachte, wir würden am anderen Tag wieder zurückkommen können.
Aber als wir im Auto saßen, sagte Speer: Kommt überhaupt nicht in Frage. Meine
Frau fragte mich: Was denkst du? Ich antwortete ihr, dass ich mich erlöst fühle
von dem gewaltigen Arbeitstempo, unter dem ich gestanden hatte. Ich hatte ja
unter dem Druck gestanden, die Plastiken für den großen Bogen fertig zu machen.
Hat Hitler Sie zur Eile getrieben?
Nein, nie. Er hat nie gedrängt
und mir nie irgendwelche Vorschriften gemacht. Alles, was ich gemacht habe,
habe ich in voller Freiheit und eigener Verantwortung gemacht.
Da möchte ich Sie aber doch
mit einem Text konfrontieren, den Sie 1940 geschrieben haben. Das ist erschienen
in einer Broschüre über den Bau der Reichskanzlei in Berlin. Da schreiben Sie
über Ihre Arbeit mit Speer: „Keine Diskussionen, keine Versuche sind der gemeinsamen
Arbeit vorausgegangen. Speer gab auf preußische Art die Marschroute an, wir
trafen uns wieder, als unserer Resultate in den fertiggestellten Organismus
eingefügt wurden...“
Ach, da kommen Sie auf meinen
ersten Auftrag zurück?
Ja, auf die Plastiken für die
Reichskanzlei. Da hat also einer die Marschrichtung gegeben, und Sie waren nur
der Ausführende.
Nein, nein, schaun Sie, das will
ich Ihnen erklären. Da möchte ich Sie genau informieren. Ich wollte ja Speer
immer schon meine Kräfte anbieten, habe Briefe geschrieben, die ich dann wieder
zerrissen und in den Papierkorb geworfen und nicht abgeschickt habe. Da kam
plötzlich ein Anruf, dass er mich sprechen wollte, und ich komme zu ihm, und
er führt mich in die Akademie, und ich komme da rein und sehe ein Architekturmodell,
das ich für äußerst gelungen halte, einen Innenhof mit sehr guten Verhältnissen,
guten Proportionen, guten Profilen, bescheidenen Profilen und so weiter. Es
war das Modell zum Ehrenhof der Reichskanzlei. Das gefiel mir, und ich sah die
zwei Blöcke neben der Treppe zum Eingang, und rechts und links war eine freie
Fläche. Ich musste also meine Figuren nach außen ausladen lassen in der Bewegung,
und ich musste einen Bezug herstellen zu dem Gebäude, ich konnte ja da nicht
Adam und Eva hinstellen. Da gab es nach meiner Einstellung nur folgende sinnvolle
Ergänzung: auf der einen Seite der geistige Mann, der sich symbolisiert durch
die Flamme, auf der anderen Seite der Mann, der das Land verteidigt, der Mann
mit dem Schwert. Und so bin ich also in diese Aufgabe hineingestiegen und hab’
das zu Hause gemacht und bin vierzehn Tage später mit meinen Skizzen wiedergekommen.
Die wurden aufgestellt. Speer sagte nicht viel. Wir verabschiedeten uns. Er
rief sofort Hitler an, und Hitler sah das und war sofort hingerissen. Die Namen
der Figuren, „Partei“ und „Wehrmacht“, hat er dann erfunden.
Gut. Soweit also Ihre Geschichte.
Aber Ihr Text geht noch weiter. Sie schreiben: „In diesem kompromisslosen Miteinandergehen
sehe ich die ersten elementaren und energiegeladenen Herzstöße eines neuen Stils,
der nur in der unzerstörten Gemeinschaft gleicher Naturen Wirklichkeit wird,
einig im Marsch, den der größte Erneuerer und Vollender deutschen Wesens vorzeigt.“
Also ist wieder nicht von künstlerischer Freiheit, sondern von Vorzeigen und
Marsch die Rede.
Da will ich Ihnen mal folgendes
sagen. Hören Sie mal genau zu. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, ich habe da studiert,
habe die vollkommene politische Auflösung erlebt nach dem Ersten Weltkrieg,
wo alles niedergewalzt war. Es hat ja nicht viel gefehlt, und es wäre überhaupt
nichts mehr geworden. Da hab’ ich der ganzen Seite den Rücken gedreht, bin nach
Paris gegangen und hab’ in Paris wieder neu angefangen. Die wirklich große Geisteskrise
war ja nicht nach dem Zweiten, sondern dem Ersten Weltkrieg. Das ging ja so
weit, dass man die Museen verbrennen wollte, weil man die ganze Vergangenheit
und die Kunst für den Krieg und die Folgeerscheinungen verantwortlich machte.
Und da war nun einer, der ein Konzept vorweisen konnte. Hitlers Aufstieg zur
Macht, also das Hochkommen des Nationalsozialismus habe ich ja gar nicht erlebt,
weil ich war ja zu der Zeit in Frankreich.
Aber Sie haben erlebt, wie
er die Aktion „Entartete Kunst“ anordnete. Da waren Sie ja längst hier. Unter
den davon betroffenen Künstlern befanden sich auch viele von Ihnen geschätzte
Leute. Was haben Sie da empfunden, als diese Künstler diffamiert und verboten
wurden?
Sie meinen die Geschichte mit
Hausenstein?
Welche Geschichte?
Der Kunsthistoriker Hausenstein,
der mein Freund war, hat mich in Rom aufgesucht und gesagt: Sie müssen zurück
nach Deutschland und retten, was zu retten ist. Er meinte, ich solle meinen
Einfluss zur Geltung bringen, und ich bin ja dann auch in der Jury der ersten
Münchner Kunstausstellung gewesen.
Trotzdem haben Sie die Aktion
„Entartete Kunst“ hingenommen. Warum sind Sie einem politischen System, das
so etwas macht, weiter gefolgt?
Hätte ich mich gegen Hitler gestellt,
hätte ich ja meinen verfolgten Freunden nicht helfen können. Ich habe ja die
Frau von Hausenstein vor der Verhaftung gerettet. Ich habe das jüdische Modell
von Maillol aus dem Gefängnis geholt und Picasso davor bewahrt, in die Hände
der Gestapo zu fallen.
Haben Sie je mit dem Gedanken
gespielt, Deutschland den Rücken zu kehren?
Ja, wiederholt. Es gab ja große
Enttäuschungen später, weil ab 1943 wurde die Situation doch sehr düster. Aber
wo hätte ich hingehen sollen? Ich hatte ja hier meine Ateliers, meine Arbeit.
Das Wichtigste war mir die Arbeit. Ich habe ja nur an mich gedacht und mein
Wirken.
Ich möchte zurückkommen auf
den Schock, den Sie nach Kriegsende erlitten haben. Was war der unmittelbare
Anlass für Ihren Kollaps?
Die Amerikaner hatten neunzig
Prozent meiner Berliner Skulpturen vernichtet, und das Geld war auch weg.
War es nicht noch viel schlimmer,
die Ideale, an die Sie zehn Jahre lang geglaubt hatten, vernichtet zu sehen?
Ja, die waren kaputt. Meine Ideale,
also das, was mich zur Monumentalplastik getrieben hatte, das war kaputt. Dazu
muss ich Ihnen meine künstlerische Entwicklung erzählen. In Paris war ich noch
stark von Rodin beeinflusst. Aber ich habe dann in der Arbeit erfahren, dass
die Plastik von Rodin das Volumenhafte nicht hatte. Die Oberfläche war aufgelöst.
Das hatte nicht die Wirkung in Licht und Schatten, auf die es mir ankam. Das
Volumen ist die Auffangstation einer Plastik für Licht und Schatten. Also muss
das Volumen in aller Klarheit gestaltet werden. So bin ich dann zu den glatten,
monumentalen Formen gekommen.
Und das war genau das, was
Hitler wollte.
Nein, zunächst gar nicht. Die
nationalsozialistische Presse hat mich anfangs keineswegs unterstützt. Was Hitler
wollte, wusste ich nicht. Ich habe „Mein Kampf“ nie gelesen. Der Inhalt meiner
Kunst lag ganz bei mir, der hatte keine politischen Hintergründe.
Welche Hintergründe denn sonst?
Der Ursprung meiner Plastik ist
die Schönheit des menschlichen Körpers. Mein Menschenbild ist immer ein intaktes
gewesen. Ich komme aus einer äußerst gesunden, mütterlicherseits stark christlich
geprägten Familie. Mein Großvater war Prediger. Ich hatte ein fabelhaftes Familienleben.
Wir waren eine großartige Einheit. Mein Vater war ein hochbegabter Bildhauer,
den das Schicksal, sagen wir mal, aus der Situation warf, weil sein Vater früh
starb und er eine siebenköpfige Familie ernähren musste. Ich war für ihn die
Überwindung seines unglücklichen Schicksals, indem ich dort hinkam, wo er hingestrebt
hatte.
Es war also Ihre Aufgabe, das
Scheitern des Vaters zu korrigieren?
So möchte ich es nicht sagen.
Meine Hinwendung zum schönen Körper hat andere Wurzeln. Die körperliche Ertüchtigung,
die Vitalität des Sports oder die Verbreitung des Sports, der Hunger nach Natur,
selbst die Nacktkultur, das nackte Baden draußen, das sind ja alles Elemente
des Sich-geborgen-Fühlens in der Schale, in der wir über die Erde gehen.
Das Nacktbaden ist also für
Sie die Quelle der Schönheit. Das passte ja sehr gut zu dem, was der Nationalsozialismus
den Leuten aufschwätzen wollte: dass alles heil sei und ein tausendjähriges
Paradies vor der Türe stünde. Aber ein paar Jahre später brach dann alles zusammen.
Was ist in Ihnen da vorgegangen?
Ich kam in die Klinik. Ich hatte
den Kollaps, und dann habe ich ein ganzes Jahr nicht arbeiten können. Ich war
völlig gelähmt.
Empfanden Sie so etwas wie
Wut gegen das Regime oder die Leute, die Sie so furchtbar betrogen hatten?
Darf ich Ihnen darauf folgendes
sagen: Wir haben während des Krieges in Berlin viele Gesellschaften gehabt,
und bei jeder Gesellschaft wurden die Gespräche politisch, was mich anwiderte,
weil es immer dasselbe war. Aber ich hatte das Glück, der Musik gegenüber sehr
aufgeschlossen zu sein. Wilhelm Kempff und Alfred Cortot waren Duzfreunde von
mir. Mein Schwager ist Pianist. Dann wir ich mit Elly Ney befreundet. Also wir
haben dann, um dem zu entgehen, nur noch Abende mit Musik gemacht, und an einem
dieser Abende war Stalingrad akut, und es gab eine furchtbare Erregung. Auch
Speer war da und andere Minister, und ich habe zu Speer gesagt: Entweder ihr
wisst jetzt noch einen Ausweg aus der Situation, oder ihr seid alle Verbrecher.
Das ist keine Antwort auf meine
Frage. Ich will wissen, was Sie empfanden, als Sie 1945 erfuhren, dass diese
Leute, mit denen Sie täglich zusammen waren, sechs Millionen Juden ermordet
hatten. Ist Ihr Menschenbild da immer noch so intakt gewesen? Oder haben Sie
das verdrängt?
Heute hab’ ich’s verdrängt. Heute
ist es weg. Denn ich lebe noch, und ich habe den Drang, mich noch zu entwickeln.
Im vergangenen Jahr hatte ich einen Infarkt, aber nach acht Tagen habe ich schon
wieder das Skizzenbuch unter der Bettdecke gehabt.
Haben Sie nach 1945 dieselben
heroischen Figuren gemacht wie vorher, oder hat sich der Inhalt Ihrer Plastik
verändert?
Nein, gar nicht. Schaun Sie, ich
stehe jetzt vor dem Problem, dass ich ein Angebot aus Griechenland habe, ein
Denkmal für Alexander den Großen zu machen. Das ist natürlich für mich eine
großartige Sache. Aber ich bin neunundsiebzig. Ich kann keine zehn Meter hohen
Figuren mehr machen. Ich bin heute begrenzt durch mein Alter. Aber das Thema,
diese Erscheinung, das fasziniert mich.
Trotzdem kann sich ein Wandel
in Ihrer Menschenauffassung eingestellt haben. Es kommt ja nicht allein auf
die Größe eine Figur an. Haben Sie nach dem Krieg noch einmal eine Plastik gemacht
mit dieser reckenhaften Ausstrahlung, die von Ihren für die Nationalsozialisten
gemachten Figuren ausging?
Erlauben Sie mal, jetzt setzen
Sie ja wieder voraus, dass da politische Komponenten im Spiele waren.
Nein, ich setze voraus, dass
persönliche Erfahrungen ein Weltbild verändern können.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Ich
habe jetzt gerade eine Europaplastik gemacht. Also politisch gesehen habe ich
nur eine einzige Sorge: das Zusammengehen von Deutschland und Frankreich. Wenn
diese beiden Staaten zusammenfinden, ist alles in Ordnung. Was mein Weltbild
betrifft, so ist das trotz der Katastrophe unverändert geblieben oder hat sich
nach der Katastrophe wieder langsam erholt.
Was war ausschlaggebend für
diese Erholung?
Meine Begeisterung für den Menschen,
den schönen Menschen. Letzten Sonntag habe ich mir ein Tennismatch angesehen.
Diese sechs oder zehn Spieler, die ich gesehen habe, wären herrliche Modelle
für mich gewesen. Wenn ich auf diese Athleten blicke, bin ich in meiner Ansicht
bestätigt. Da wird meine Idealvorstellung vom Menschen aufs neue bekräftigt.
Muss nicht der Künstler neben
der äußeren Proportioniertheit vor allem die innere Schönheit des Menschen entdecken?
Ich habe festgestellt, dass der
äußerlich vollendete Mensch auch innerlich schön ist. Ich habe diesen vollendeten
Menschen ja in dem Zehnkämpfer Gustav Stührk zur Verfügung gehabt. Stührk war
das Modell für die meisten meiner männlichen Akte.
Konnte man sich mit dem auch
unterhalten?
Ja, selbstverständlich. Das war
ein hochgebildeter Mann. Sie können ihn ja in München besuchen. Der lebt noch.
Ich gebe Ihnen gern die Adresse.
Wenn das ein geistvoller Mann
war, dann haben Sie diese geistigen Qualitäten in Ihren Plastiken nicht erfasst.
Haben Sie je von Stührk eine Büste gemacht?
Nein, nie.
Also interessierte Sie nur
sein Körper?
Ja, er war ja damals der bestaussehende
Sportler in Deutschland, und vor allem: Er war Zehnkämpfer. Ein Zehnkämpfer
ist gleichmäßig entwickelt. Das ist der Tennisspieler schon nicht mehr, und
der Kurzstreckenläufer auch nicht, der hat in den Beinen solche Muskelpakete,
aber der Oberkörper und die Arme sind nicht entsprechend entwickelt. Aber das
sind schon spezielle Wünsche. Was ich anstrebe, ist der gottgewollte, vollendete
Mensch.
Heißt das, dass bei einem gottgewollten
Menschen Brust- und Beinmuskulatur harmonisieren müssen?
Ja.
Dann ist aber zum Beispiel
Gerhart Hauptmann, von dem Sie ein Porträt gemacht haben, nicht gottgewollt,
oder Cocteau, der ja ganz dürr war.
Nein, sehen Sie, um so wie Stührk
auszusehen, muss man körperlich Arbeit leisten. Ein geistiger Mensch wie Hauptmann,
der Bücher schreibt, der konnte nicht so viele Stunden am Tage den Körper pflegen.
Deshalb hat ja die Antike ihre Helden und Kaiser nicht als ganze Figur modelliert,
sondern hat auf muskulöse, schön gewachsene Statuen die Kaiserköpfe gesetzt.
Ich bin sicher, Perikles war kein Sportsmann, Sokrates auch nicht, aber sie
hatten wohl interessante Köpfe, und da die Griechen die Ganzheit suchten, haben
sie auf die Athleten diese Köpfe gesetzt. Die Bildhauer hatten in ihren Ateliers
Bruststücke mit prachtvollen Faltenwürfen, und oben war eine Lücke gelassen,
da kam der jeweilige Kopf hin.
Dann hätten Sie dem Stührk
den Kopf von Hauptmann aufsetzen sollen. Aber das hätte dem Hitler bestimmt
nicht gefallen. Ihr Fehler ist, dass Sie andauernd die alten Griechen mit dem
nationalsozialistischen Deutschland verwechseln. Die politische Situation und
die Situation der Kunst war doch in Deutschland damals vollkommen anders als
in der Antike. Sie haben diese Situation in Ihrer Autobiographie ja beschrieben.
Es gab eine Kluft zwischen dem Volk und dem Künstler, die Hitler, um an die
Massen heranzukommen, zu überbrücken versuchte. Er eliminierte die Künstler
und erklärte die Gebrauchskunst, also das, was Sie in Ihrem Buch den „Strom
durchschnittlicher Begabungen“ nennen, zur einzigen offiziell genehmigten Richtung.
Ja, da hat er sich geirrt.
In was?
In dieser Marschrichtung. Das
hat er mir ja später selber gestanden. Er wollte, dass ich das wieder in Ordnung
bringe. Er hat mir selbst gesagt, das sei ein Irrweg gewesen. Hitler war ja
von Natur Künstler, und er hatte gegenüber der französischen Kultur gar keine
Vorbehalte, wie alle glaubten. Hätte ihn das Schicksal nicht in die Arme der
Politik getrieben, wäre er Maler geworden. Seine Maßnahmen auf künstlerischem
Gebiet hatten rein politische Gründe. Sie müssen einfach sehen, wie die Fakten
waren. Als Politiker wollte er dem Volk die Kunst wieder nahe bringen, und das
konnte er nur mit Hilfe von Künstlern, die ein intaktes Menschenbild hatten.
Er hat sich ja nur von denen abgewandt, die das Menschenbild verwandelt, zum
Teil zerstört, bisweilen aufgelöst haben. Dagegen stemmte er sich. Sein Fehler
war: Er hat das Kind mit dem Bad ausgeschüttet.
Ihre Rechtfertigungsversuche,
Hitler betreffend, akzeptiere ich nicht. Zu entschuldigen ist nichts. Unentschuldbares
ist geschehen. Was ich akzeptiere, ist Ihr Leiden, Ihre Verzweiflung, Ihr Versuch,
nachzudenken.
Ja glauben Sie vielleicht, dass
ich nicht leide? Sie können heute von mir kein lächelndes Foto bekommen. Ich
kann nicht mehr in den Apparat hineinlachen. Schreiben Sie: Dem Breker ist das
Lachen vergangen. Ich bin eine geschlagene Erscheinung, ein Opfer der Zeit.
Ich bin um die ganze Wirkung meines künstlerischen Schaffens gekommen. Wenn
jemand in fünfzig Jahren vor meinen Figuren steht und sie vorurteilslos ansieht,
weil dann die politischen Berührungspunkte entfallen, die, wie Ihre Gegenwart
zeigt, heute noch aktuell sind, dann sieht der nur, wie ich Arme und Beine und
überhaupt den Menschen dargestellt habe, und dann werde ich auf Verständnis
stoßen.
Dieses Verständnis können Sie
von mir heute schon haben. Ich habe keine politischen Hintergedanken, wenn ich
die Plastiken, die Sie für Hitler machten, abstoßend finde.
Was gefällt Ihnen denn nicht an
diesen Figuren?
Die kalte, nekrophile Ästhetik,
das lächerliche Posieren, die Primitivität das Ausdrucks.
Na gut, das ist Auffassungssache.
Was ich Ihnen zum Vorwurf mache,
ist nicht, dass Sie für den NS-Staat gearbeitet haben, sondern dass Sie noch
heute gewissen Dingen gegenüber blind sind, die in Ihren Arbeiten zum Ausdruck
kommen.
Das müssen Sie schon genau formulieren.
Ich meine, dass Sie nicht den
Unterscheid sehen zwischen Ihren frühen, in Paris entstandenen Sachen und zum
Beispiel den Plastiken für die neue Reichskanzlei in Berlin.
Gut, dann müssten Sie sagen, dass
ich einen falschen Weg gewählt habe, indem ich von der Atelierplastik abging
und die öffentliche Skulptur angestrebt habe. Ich wollte, dass meine Skulpturen
in der Öffentlichkeit zur Wirkung gelangen. Dazu bedarf es der Architektur und,
sagen wir mal, städtebaulicher Gegebenheiten. Mein Wunsch war es, den Weg der
Figur in einer architektonischen Situation zu beschreiten. Meine früheren Sachen
standen noch unter dem Einfluss Rodins. Später habe ich mein Ideal in den Griechen
gefunden.
Aber das ist doch nicht griechisch,
was sich in den nationalsozialistischen Bauten ausdrückt. Dieser Pseudoklassizismus
hat doch nichts mit den alten Griechen zu tun. Aber ich sehe, da kann ich stundenlang
reden, das werde ich Ihnen hier nicht vermitteln können. Sie sind unter Einflüssen
gestanden, ganz egal welchen, und Sie haben in hervorragender Weise dem entsprochen,
was verlangt war. Nehmen wir zum Beispiel Ihre Figur „Die Flehende“, die Sie
in Ihrer Rodin-Phase geschaffen haben. Was wollten Sie da zum Ausdruck bringen?
Ich wollte zeigen, dass es Abgründe
gibt, die der Mensch nicht zu überwinden versteht. Da beginnt das Gebet, der
Ruf, aus der totalen Isolierung wieder ins Normale zurückzukommen, in die beschützende
Atmosphäre.
Und zum Vergleich Ihre Plastik
„Bereitschaft“, die das Berliner Mussolini-Denkmal bekrönte. Was drückt sich
da aus?
Da war die deutsche Jugend mein
Vorbild, die mit Leib und Seele Soldat war. Das hat mich beeindruckt.
Waren Sie sich der politischen
Symbolik dieser Plastik bewusst?
Nein, dazu ist meine Arbeit zu
realistisch. Ich gehe vom Menschen aus. Ich lasse mich einzig und allein vom
Menschenbild leiten.
Dazu muss ich Ihnen aber wieder
entgegenhalten, was Sie selber geschrieben haben: „Der besessene Wille, das
nationalsozialistische Deutschland in arteigenen Kulturschöpfungen zu verewigen,
hat sich in grandioser Weise realisiert. Mit elementarer Wucht entwickelt sich
der Weg von der Vorstellung zur Form ... Das Bauwerk ist schlechthin ein Symbol
unserer politischen und weltanschaulichen Situation... Hier spricht die Symbolik
ihre überzeugendste Sprache... Die Räume sind von machtpolitischem Feuer durchglüht...“
Und so geht das weiter.
Wo steht das?
In derselben Broschüre zum
Neubau der Reichskanzlei, aus der ich schon vorher gelesen habe.
Nein, das habe ich nicht geschrieben.
Ich bin alles andere als ein Feigling. Ich stehe zu dem, was ich getan habe
im Leben, ich habe ein reines Gewissen, ich habe bedrängten Menschen geholfen,
ich habe Juden geholfen, ich habe Picasso vor der Verhaftung gerettet... Aber
so schwülstig habe ich nie geredet. Das liegt mir gar nicht. Das haben Sie aus
der Presse. Das kann ich gar nicht geschrieben haben. Ich war doch ganz französisch
orientiert, also was die Franzosen als ‚mesuré’ bezeichnen, ein maßvoller Mensch
in der Beurteilung der Dinge. Wenn Sie mich verdonnern, Herr Müller, dann liegen
Sie genau auf der richtigen Linie. Das ist politisch genau die Linie, die heute
modern ist.
Aber ich verdonnere Sie doch
gar nicht. Ich will nur, dass Sie sich bewusst machen, was damals passiert ist,
zu Ihrem eigenen Nutzen. Ein Künstler kann ja nicht aus der Verdrängung schaffen.
Sie haben, ob Sie wollten oder nicht, genau die Intentionen Ihrer Auftraggeber
erfüllt. Das ist kein Vorwurf, aber es ist ein Faktum.
Michelangelo hat ja seine Aufträge
auch von den Päpsten bekommen.
Ja, aber er hatte vor allem
eine Idee. Er hat nicht die Ideologie des Papsttums zum Inhalt seines Schaffens
gemacht, sondern das Papsttum benutzt, um seine eigenen Vorstellungen realisieren
zu können. Ihr handwerkliches Können bestreitet ja keiner. Was Sie von Michelangelo
unterscheidet, ist das Fehlen einer Idee. Deshalb waren Sie ja so wenig widerstandsfähig
gegen alle möglichen Einflüsse von außen. Nach dem Krieg haben Sie dann plötzlich
wieder abstrakte Sachen gemacht.
Ich habe nach dem Ersten Weltkrieg
abstrakte Sachen gemacht im Sog der Erschütterung des verlorenen Krieges, als
das Menschenbild nichts mehr zu sagen hatte. An der Akademie in Düsseldorf,
wo ich studierte, hat man mich für einen Mann des linken Flügels gehalten. Leider
ist das alles verlorengegangen. Sie würden staunen, was für phantastische abstrakte
Sachen ich gemacht habe damals.
Das glaube ich Ihnen aufs Wort,
dass Sie im Sog der Ereignisse gut funktionierten. Sie haben ja auch nach dem
Zweiten Weltkrieg wieder Abstraktes gemacht.
Nein, nach dem zweiten Krieg nicht
mehr.
Aber natürlich. Da gibt es
diese „Gewandfigur“, die Sie für Mannheim machten, oder die Mädchenfiguren aus
den fünfziger Jahren, das sind ja sehr stilisierte Sachen.
In Mannheim musste ich mich den
baulichen Gegebenheiten anpassen. Das war ein Haus mit einer vollkommen glatten
Fassade.
Das sage ich ja: Sie haben
sich immer an die Gegebenheiten gehalten.
Das ist doch klar. Ich bin ja
ein Augenmensch.
Na gut, aber dann ist es eben
nicht richtig, wenn Sie sagen, dass Sie nach dem Krieg das gleiche gemacht haben
wie unter Hitler, nämlich Heroen.
Sehen Sie mal, ich hätte ja nie
so viele Heroen gemacht, wenn ich nicht die Reliefs für den großen Bogen in
Berlin hätte machen müssen. Das war doch das Denkmal, das für die deutschen
Krieger aller Zeiten als Ehrung gedacht war, da war ich also eingespannt in
einen ganz engen Rahmen, das hat mich sehr lange in Anspruch genommen, weil
man ja mit dem Bauen erst anfangen konnte, wenn die Reliefs fertig waren.
Also Hitler wollte Heroen,
und Sie haben sie ihm geliefert.
Ja, was hätte ich denn tun sollen?
Sagen Sie mir jemanden, der es richtig gemacht hat.
Um Richtig oder Falsch geht
es ja gar nicht, sondern darum, dass man, wenn man in solche Verstrickungen
geraten ist, wie das bei Ihnen der Fall war, irgendeinmal dazu kommen muss,
sich über die Ursachen Gedanken zu machen.
Da rennen Sie bei mir offene Türen
ein. Schaun Sie mal, mir liegt ja selber daran, mit diesen Dingen, diesen ganzen
Problemen einmal fertig zu werden. Aber dazu bräuchte ich Zeit und Ruhe. Mein
Auftragsgebiet ist nicht so groß, dass ich von finanzieller Unabhängigkeit sprechen
könnte. Ich lebe von der Hand in den Mund. Bedenken Sie, was schon allein die
Kosten für die Bronzegüsse ausmachen. Bei einer großen Skulptur müssen Sie 40.000
Mark allein für das Gießen berechnen. Heute fährt der Bronzegießer einen Mercedes,
aber der Bildhauer nicht.
Das würde ich an Ihrer Stelle
nicht sagen. Erstens fahren Sie auch einen Mercedes. Zweitens müssen Sie sich
ja nicht darauf versteifen, so riesige Sachen zu machen.
Schaun Sie, ein Bildhauer, der
wie ich das Zeug zum Monumentalen hat, der hat eben auch das Bedürfnis, hie
und da eine große Plastik zu machen. Das ist eine menschliche Sache. Das können
Sie auch als menschliche Schwäche bezeichnen. Der Drang zur Monumentalität ist
mit mir verhaftet. Das Monumentale ist meine Krankheit. Ich freue mich immer
wieder, wenn ich eine gelungene Monumentalplastik sehe, ob das jetzt der David
von Michelangelo ist oder der Colleoni oder die Venus von Milo.
Aber das alles ist doch nicht
mit Ihren in der NS-Zeit gemachten Skulpturen vergleichbar. Die Monstrosität
Ihrer Skulpturen hat ja nicht nur mit der Größe zu tun, sondern dem Habitus
dieser Figuren, ihrem verkrampften Pathos.
Das müssen Sie erst mal genau
definieren.
Ich habe es ja vorher schon
angedeutet. Die Wurzel Ihrer Verführbarkeit durch den Nationalsozialismus lag
darin, dass in Ihrem Menschenbild das Scheitern nicht vorkommt. Das passte natürlich
sehr gut in das Bild dieser Leute, in dem ja auch die Möglichkeit eines Scheiterns
verdrängt werden musste. Es gab den Endsieg und das Tausendjährige Reich, und
es gab bis zuletzt ein für das Hirngespinst dieses Reiches sinnvolles Sterben.
Damit war an die Stelle der Todesangst ein gewissermaßen religiöses Opfer getreten,
und als Dank für diese Befreiung vom Druck der Angst haben sich dann Millionen
hinschlachten lassen. In Wirklichkeit ist der Mensch doch ein durch und durch
gebrochenes Wesen, voll Zaudern und Zweifel.
Nicht für mich. Wissen Sie, ich
habe keinen Hauch Dekadenz.
Den menschlichen Zweifel, die
Angst, die Gespaltenheit, das nennen Sie Dekadenz?
Die Auflösung des Menschenbildes,
wie wir sie heute erleben, ist doch zweifellos eine dekadente Erscheinung.
Dann wäre ja Michelangelo auch
dekadent. Kaum ein anderer hat die menschliche Unvollkommenheit so erschütternd
gestaltet.
Hören Sie mal, bei Michelangelo
hatte das rein technische Gründe. Es gibt eine Reihe von Figuren, die er nicht
mehr vollenden konnte. Die hätte er nie unvollendet gelassen, wenn ihn nicht
der Papst in andere Aufgaben hineingedrängt hätte.
Ich meine ja nicht die unvollendeten
Werke, sondern das Unvollendete in den fertigen Werken.
Das gibt es nicht.
Also, da bin ich anderer Meinung.
Nehmen Sie zum Beispiel den David. Der ist zwar sehr groß, aber er hat doch
überhaupt nicht diese aufgesetzte Sieghaftigkeit Ihrer Heldenfiguren.
Schaun Sie, so ein entspanntes
Stehen wie beim Italiener hat es beim Nordländer ja nie gegeben. Das Christentum
hat ja das Stand- und Spielbein-Motiv ausgelöscht, weil es die Diesseitigkeit
in Zweifel gezogen und auf eine andere Ebene transportiert hat.
Ja, auf die Ebene einer nur
im Ideal oder im Göttlichen möglichen Standfestigkeit. Aber Hitler war ja kein
Gott, auch wenn er sich vielleicht dafür ausgab.
Da will ich Ihnen folgendes sagen:
Das zu klären, muss Sache der Historiker bleiben. Hier beginnt das Wort. Da
braucht man die Distanz der Zeit, eine Spannungskurve von einigen Monaten, um
das formulieren zu können. Ich kann mich jetzt nicht mit Ihnen über so weittragende
Erklärungen unterhalten. Ich bin darauf nicht vorbereitet. Ich bin ja kein Schriftsteller,
kein Mann der Sprache.
Empfinden Sie es als Beleidigung,
wenn ich Sie als einen Kunsthandwerker bezeichne?
Nein, gar nicht. Ich komme ja
aus dem Handwerk, mein Vater war Steinmetz, und der Handwerker ist eben kein
dankbares Objekt für Psychologen. Ich habe einen Freund, der ist hier Direktor
der Irrenanstalt, sein Name ist Heinrich, ein sehr begabter Mann, der hat mal
im Rotary-Club einen Vortrag gehalten über die Schizophrenie bei Künstlern.
Ich habe zu ihm gesagt: Einen Beruf haben Sie ausgelassen, den Beruf des Bildhauers.
Wenn Sie die Zeitgeschichte betrachten, werden Sie sehen, dass es keine schizophrenen
Bildhauer gibt, weil ein Bildhauer vom Handwerk herkommt und eine vollkommen
andere Basis hat als zum Beispiel der Musiker oder der Dichter. Bedenken Sie
mal, auf welchem Grad der Schizophrenie Richard Wagner marschiert ist. Wenn
Sie das Tagebuch der Cosima Wagner lesen: Welch ein Gigant an Neurosen! Bei
Malern und Schriftstellern ist es genauso. Viele Schriftsteller sind Psychopathen
gewesen. Wir Bildhauer aber sind zu nah an der Materie. Wir haben uns mit dem
Stein, mit der Materie auseinanderzusetzen. Die Überwindung der Materie ist
eine ungeheure Aufgabe, die mich täglich vom ersten Moment des Beginnens an
fordert. Wenn Sie wollen, können Sie mich unter die Naiven einordnen.
Genau das ist die Tragödie
Ihres Lebens, weil Sie in eine Zeit hineinfielen, wo man eines bestimmt nicht
sein hätte dürfen, nämlich naiv.
Den Moment der Geburt habe ich
mir ja nicht aussuchen können, sonst hätte ich noch gewartet.
Oder noch besser: den Termin
vorverlegt.
Na gut, da gab es Rodin, und vor
Rodin war Carpeaux, auch schon eine Riesenerscheinung, und danach kamen noch
Maillol und Despiau, und jetzt ist Feierabend, jetzt herrscht Ruhe, die Ruhe
vor dem Sturm. Jetzt beschäftigt sich die Menschheit nur noch mit den verschiedenen
Materialien. Da nimmt man ein Stück Eisenbahnschiene und legt es auf den Rasen,
und das soll dann Kunst sein.
Darin können Sie eine tiefe
Skepsis gegenüber den überlieferten Werten erkennen.
So?
Ja, irgendeinen Grund muss
es ja haben. Man hat kein Vertrauen mehr in die Ordnung der Dinge, in die Gesundheit
der Welt.
Ich habe das schon. Mein Verhältnis
zum Menschen ist ungebrochen.
Sehen Sie, genau das begreife
ich nicht nach alldem, was geschehen ist und was Sie erfahren mussten.
Wenn ich da mal ganz großsprecherisch
antworten darf: Ich bin in dieser Beziehung ein Phänomen.
In welcher?
Darin, trotz allem den Menschen
so zu sehen, wie ich ihn sehe.
Das ist in der Tat phänomenal,
eine imponierende Hartnäckigkeit.
Ich empfinde das gar nicht als
hartnäckig. Ich bin halt so. Der Franzose sagt, c’est à prendre ou à laisser,
es ist zu nehmen oder stehenzulassen. Ich bin unlängst wieder mal in Paris gewesen
und gehe zu einem Obststand, da waren gleichgroße Bananen zu verschiedenen Preisen,
und wie ich das so betrachte, schaut mich der Verkäufer an, und da ich nicht
reagiere, fährt er mir in die Meditation und sagt, c’est à prendre ou à laisser,
entweder Sie nehmen es oder Sie gehen. So ist das. So sind die Dinge. Ich sehe
etwas, was mich irritiert, und versuche, der Irritation auf den Grund zu kommen,
da werde ich von dem Betreffenden, der das überwacht, schon zurechtgewiesen.
Warum haben Sie sich das denn
gefallen lassen?
Was hätte ich tun sollen? Hätte
ich sagen sollen, ich verstehe nicht, warum Sie verschiedene Preise haben? Dann
hätte ich mich in ein längeres Gespräch einlassen müssen. Das hätte doch nichts
gebracht.
Das weiß man ja nicht, wenn
man es nicht probiert hat. Vielleicht hätte das eine Irritation des Bananenverkäufers
hervorgerufen. Das Nachdenken darf man sich nicht verbieten lassen.
Dieser Mensch war so kategorisch.
Da habe ich meinen Hut gezogen und bin gegangen.
Das war ein Fehler. Aber ich
möchte das jetzt nicht weiter vertiefen, sondern noch einmal darauf zu sprechen
kommen, wie Sie es fertig bringen, nach all den Erfahrungen, die Sie hinter
sich haben, an Ihrem heilen Menschenbild festzuhalten. Welchen Stellenwert hat
in Ihrem Denken die Vergasung der Juden?
Da kann ich Ihnen eine ganz einfache
Antwort geben. Ich gehöre zu den sogenannten gläubigen Menschen. Der Jude, also
die Tatsache des jüdischen Volkes, gehört zur Schöpfungsgeschichte. Niemand
hat das Recht einzugreifen in die Schöpfungsgeschichte, ob es sich nun um Millionen
Tote oder nur um einen einzigen handelt. Das ist mein Standpunkt.
Wann haben Sie von den Vergasungen
erstmals erfahren?
Als der Krieg aus war. Hätte ich
es vorher gewusst, hätte ich ja nicht arbeiten können. Es ist über KZs kein
einziges Wort gesprochen worden. Ich habe wie ein reiner Tor gelebt in dieser
Zeit. Ich habe nur meiner Arbeit gelebt. Es ist ja Ungeheures geschaffen worden,
volumenmäßig. Von der Qualität will ich jetzt gar nicht reden. Ich habe gearbeitet,
sonst nichts. Ich bin blind gewesen für meine Umgebung.
Wie haben Sie es nachträglich
in Einklang gebracht, mit einem Menschen befreundet gewesen zu sein, der sich
als Massenmörder entpuppte?
Ich war ja nicht mit Hitler befreundet.
Ich war auch nicht, wie immer geschrieben wird, sein Lieblingsbildhauer. An
erster Stelle war Thorak. Hitler wollte ja jahrelang von meinen Arbeiten nichts
wissen. An die Aufträge für die Reichskanzlei bin ich nur gekommen, weil er
die Resultate der von ihm favorisierten Bildhauer abgelehnt hatten. Speer sagte:
Mein Führer, ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Hitler antwortete: Gut,
dann versuchen Sie es mit Breker. Ich habe mit ihm nur ein einziges Mal ein
intensives Gespräch führen können. Das war an dem Tag der Friedensunterzeichnung
mit Frankreich, nachdem ich ihm Paris gezeigt hatte. Da kam er nach dem Abendessen
heraus, ich stand im Kreise der Offiziere, er kam auf mich zu, zeigte auf mich
und sagte: Breker, ich möchte Sie sprechen. Dann ging er mit mir in den Wald,
und als wir außer Sicht für die anderen waren, blieb er stehen, ergriff meine
Rechte mit beiden Händen und sagte: Ich muss mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen,
ich habe Sie jahrelang falsch gesehen, ich bin ein Opfer von Zuträgern gewesen...
Also ich war nicht sein Freund. Der hatte überhaupt keine Freunde. Er war eine
geschichtliche Erscheinung, und ich möchte aus meiner Sicht damit fertig werden.
Aber dazu brauche ich Zeit. Die Definition Hitlers ist Aufgabe der Historiker,
nicht der Künstler. Ich sage, er war die Reaktion auf den Versailler Vertrag.
Hätte es keinen Versailler Vertrag gegeben, hätte es auch keinen Hitler gegeben.
Das ist bis jetzt die präziseste Formel, auf die man es bringen könnte. Die
Zeit ist noch nicht reif, um alle Komponenten sachlich zusammenzubringen. Wenn
diese Periode einmal objektiv beschrieben sein wird, den Tatsachen entsprechend,
dann werden die Dinge binnen kurzer Zeit überwunden sein und kein Gesprächsthema
mehr darstellen.
Was bleiben wird, ist, so behaupte
ich, die Erkenntnis, dass Heilsgläubigkeit und Heilsversprechungen sich gut
eignen zur Machtausübung und zur Unterwerfung der Menschen. Das hat jetzt gar
nicht unbedingt mit Politik etwas zu tun. Die Folge dieser Erkenntnis ist, wie
Sie an mir sehen können, eine Unfähigkeit zum Idealismus.
Dann bin ich Ihr Antipode. Meine
Energie und mein Arbeitsdrang zielen darauf hin, die Auflösung des Menschenbildes
zu überwinden. Ich will wieder den Menschen bringen, so wie er ist.
Aber da müssen Sie doch zuerst
die Realität anerkennen. Der Mensch, wie er in Deutschland nach dem Krieg erlebt
worden ist, ist eben nichts anderes als ein Knochenhaufen.
Da kann ich nur sagen, hoffen
wir, dass auch ich bald die Augen schließe, um mit der ganzen Sache nichts mehr
zu tun zu haben.