Interview mit dem Kabarettisten Gerhard Polt 1985



Sie lassen sich ungern interviewen.

GERHARD POLT: Ja, weil ich mich für einen stinknormalen Menschen halte. Also da ist mein Häusel,* da ist ein Tisch, ich friß a Schnitzel, ich trink' a Bier. Ich lebe angepaßt. Ich war nie ein Außenseiter, sondern immer genau mit dem Haufen, schon als Kind, denn ich war weder der Starke noch der Schwache, ich war immer so mitten drin, nicht dick und nicht mager. Dick bin ich erst, seit ich verheiratet bin. In meiner Biographie findet man keine Extreme. Traumatische Begegnungen hat es bei mir nicht gegeben. Ich bin nicht im Krieg hängengeblieben, ich hab niemanden umgebracht, ich bin nie im Gefängnis gesessen.

Haben Sie schon mal jemanden umbringen wollen?

POLT: Nie, auch nicht im Traum. Mein einziger Mord war ein Schweindl, da war ich sechs Jahre alt. In dem Haus, in dem wir gewohnt haben, war eine Metzgerei, da hab ich mitbekommen, wie geschlachtet wird. Einmal hat mir der Metzgergeselle den Schußapparat vorgeführt, ich hab abgedrückt, und die Sau ist zusammengefallen. Ich hab auch beim Aufschneiden mithelfen dürfen und das Blut gerührt, damit es nicht kalt wird.

Klingt brutal.

POLT: Mir hat das nichts ausgemacht. Schlachten war ja dort, wo ich aufgewachsen bin, an der Tagesordnung. Die Umstände meiner Kindheit waren insofern günstig, als ich bestimmte sinnliche Erlebnisse hatte. Wir leben doch zunehmend in einer Informationsgesellschaft. Die Information als solche ist aber wie Saufutter, das einem vorgesetzt wird. Ein jugendlicher Mensch, der heranwächst, geht in die Schule, dann kommt er in die Oberschule, dann studiert er. Der kriegt gar nichts mit. Der Vater verschwindet in der Früh und kommt erst abends zurück. Wie toll ist es dagegen, wenn einer im Handwerksmilieu oder auf einem Bauernhof groß wird. Ich hab da viel gelernt, weil das eine überschaubare Welt war. Ich hab gesehen, was die Leute arbeiten, was sie dafür kriegen, welche Wünsche sie haben. Zu beobachten, wie eine Kuh kalbt, war für mich Normalität. Heute haben wir eine Gesellschaft, die sich um ihre Sinnlichkeit selbst betrügt.

Waren Ihre Vorfahren Bauern?

POLT: Nein, aber in Altötting** gab es noch viele Bauern. Ich hab sehr verschiedene Milieus kennengelernt. In meiner Familie gab es Akademiker, Handwerker, Künstler. Meine Großmutter war Pianistin, ihr erster Mann hatte in Bad Kissingen ein Sanatorium, ihr zweiter war Professor an der Kunstakademie.

Was war der Vater?

POLT: Der war lange Zeit in Gefangenschaft. Ich bin mehr von der Mutter erzogen worden, einer sehr selbständigen, starken Frau, weil sie zu denen gehörte, die es gewohnt waren, eine Sache allein zu schmeißen. Die Männer waren nicht da, also mußten die Frauen das männliche Terrain mit übernehmen, um die Familie bei der Stange zu halten. Daraus ergab sich eine Art Emanzipation, die nicht aus einer Intellektualität, sondern aus der Not heraus kam. Als ich siebzehn war, ist mein Vater gestorben. Aber schon vorher hatte meine Mutter sich von ihm scheiden lassen.

War er Nationalsozialist?

POLT: Er war im Krieg Offizier, sagen wir mal, ziemlich loyal. Aber er ist aus der  Partei ausgetreten, weil meine Mutter gesagt hat, sie heiratet kein Parteimitglied. Viele wissen doch bis heute nicht, was der Nationalsozialismus überhaupt war. Da gibt es Schattierungen vom Nationalistischen über das National-Chauvinistische bis hin zur nationalsozialistischen Ideologie im engeren Sinne. So gesehen war mein Vater kein Nazi, weil er kein Rassist war. Er hat gedacht, das Ganze sei eine Art Gefühlsüberhöhung. Es ist interessant, daß in Bayern, also in den katholischen Gegenden, die Nazis nie so hochgekommen sind wie im evangelischen Norden. Den Katholiken war der Hitler zu atheistisch. Die Evangelischen waren anfälliger, andererseits aber dann im Widerstand auch extremer.

Sind Sie gläubig?

POLT: Meine Mutter ist evangelisch. Also bin ich evangelisch getauft und katholisch gefirmt. Aber in die Kirche geh ich schon lang nicht mehr, weil ich sie als Institution, schlicht gesagt, für niveaulos halte. Die Kirche leidet wie auch die Demokratie unter einem Mangel an potenten Persönlichkeiten. Personare heißt auf italienisch durchklingen. Sowohl in der Kirche als auch in der Politik sehe ich heute kaum einen, bei dem etwas durchklingt.

Sind unfähige Politiker nicht ergiebiger für einen Kabarettisten?

POLT: Sicher riskiert man als politischer Kabarettist, daß einer sagt, sind S' doch froh, daß Sie so ein Arschloch wie den Kohl haben, von dem können Sie leben. Satire wird oft nach so Beißkategorien bemessen, also danach, ob man fest genug zubeißt. Aber ich gehe nicht in eine Arena, um sozusagen den Löwen zu spielen, der die Christen zerfleischt. Meine Aufgabe ist es nicht, jemanden zu zerreißen, sondern Dinge anschaulich zu machen. Ich verlange von einem Politiker, daß er Moral hat, er muß anständig sein, obwohl mich als Phänomen auch das Böse interessiert, also bei einem Hitler zum Beispiel die Privatheit des sogenannten Dämonen.

Die Banalität des Bösen.

POLT: Ja, genau. Da sitzen zum Biespiel die Herren Dönitz und Göring und wie sie alle heißen auf dem Obersalzberg. Hitler hat zwei Stunden lang einen Monolog gehalten, da kommt plötzlich Eva Braun im Nachtmantel herein. Der Hitler sagt zu ihr, Tschapperl, geh bitte zu Bett, ich möchte mit den Herren noch über den Weltkrieg sprechen. Eigentlich ist das zum Lachen, aber keiner dieser Herren lacht.

Sind Sie beim Militär gewesen?

POLT: Nein. Die Bundeswehr war gerade im Aufbau, als ich im militärfähigen Alter war. Da wurde nicht jeder eingezogen. Aber Schießen zu lernen, wäre für mich sowieso nicht in Frage gekommen, außer mit Pfeil und Bogen. Ich war schon als Kind pazifistisch. Ich erinnere mich, mein Vater hat mir einmal ein ganzes Bataillon Ulanen aus Zinnsoldaten geschenkt, damit ich mit denen spiele. Ich hab die zu einer Kugel geschmolzen, und als er mich fragte, wo sind die Ulanen, hab ich ihm die Kugel gegeben.

Wie reagierte er?

POLT: Er hat enge Backen bekommen.

Sind Sie als Kind geschlagen worden?

POLT: Nein. Denn bei uns herrschte die Ansicht, ein Kind, das nicht permanent Blödsinn macht, ist gar kein Kind, sondern ein kleiner Erwachsener. Wenn ich mich heute umsehe, stelle ich fest, die nehmen zu. Wieviel Infantilität ist denn heute noch möglich, wieviel Gaudi? Die teutonische Verbürokratisierung nimmt überhand. Der Mensch wird verschult. Wir leben in einer Gesellschaft, die zwar formal alle Freiheiten hat, aber mit ihrer Freiheit nichts anfangen kann, weil sie kaserniert ist. Man braucht sich ja nur die Architektur anzuschauen. Da kannst du dir doch gleich deinen Grabstein im voraus kaufen. In den Menschen ist keine Freude mehr. Wo hat denn heute noch einer eine kindliche Regung? Wo sind die lustigen Erzähler, die Spaß machen und in die Luft springen im Wirtshaus? Das Kindliche, Anarchistische kommt zu kurz. Das stimmt mich todtraurig. Denn der Mensch braucht ab und zu die Ekstase.

Wie äußert sich die bei Ihnen?

POLT: Ich bin vom Temperament her nicht der Typus des Extrovertierten, aber ich mag es gern, ich mag spektakuläre Menschen. Ich mag zum Beispiel den Italiener.

Trinken Sie?

POLT: Ja, Bier, aber nicht übermäßig. Ich bin manchmal angedudelt, aber ich hab in den letzten zwanzig Jahren höchstens fünfmal einen richtigen Rausch gehabt.

Was machen Sie, wenn Sie betrunken sind?

POLT: Ich singe, und zwar arabisch, fatalistische Lieder.

Können Sie das trotz Ihrer Berühmtheit öffentlich?

POLT: Eine berechtigte Frage. Ich muß sagen, als mein Bekanntheitsgrad angewachsen ist durch das Fernsehen, hab ich gedacht, jetzt kannst dich nimmer wie ein Mäuserl im Wirtshaus verdrucken. Aber es hat sich herausgestellt, daß es doch geht. Wenn mich einer anspricht und sagt, ich kenn Ihnen vom Fernsehen, sag ich, klar, kann schon sein, und dann erzählt er mir, was er gesehen hat, und gibt mir Ratschläge, und ich hör mir das an, und nach kurzer Zeit schmilzt der Zauber dieser Exotik. Mich hat auf dem Münchner Viktualienmarkt einmal eine Frau angesprochen und gesagt, hab ich recht, Sie sind's? Hab ich gesagt, ja, ich bin's. Hat sie gesagt, aber gell, Sie sind inkognito da? Es ist doch die normalste Sache der Welt, daß man mit jemandem, den man kennt, ins Gespräch kommt. Sagen wir, ich säße mit der Claudia Cardinale am selben Tisch und würde da Schweinswürstel essen, dann würde ich vielleicht sagen, come sta oder so was, ganz selbstverständlich.

Geben Sie Autogramme?

POLT: Kommt ganz darauf an, wie's einer macht. Wenn jemand sagt, Sie, mein Bub möcht gern ein Autogramm, dann frag ich halt, wie er heißt, und dann schreib ich was hin. Ich versuche, die Leute, so lang ich kann, ernst zu nehmen. Was mich am meisten ärgert, ist Menschenverachtung. Ich hab einmal etwas erlebt mit einer Schauspielerin, die Autogramme gegeben hat, der Name tut nichts zur Sache, Elisabeth Volkmann hat sie geheißen, das war für mich so erschütternd, daß ich fast nicht hinschauen konnte. Die hat den Leuten die Autogramme nur so, zack, zack, in die Hand gedrückt, ohne sie anzusehen, und dabei sagte sie jedesmal, hach, jetzt muß ich schon wieder. Das waren Menschen mit abgearbeiteten Händen, die ihr Leben lang wie die Idioten gebuckelt haben und es schwer haben und Kinder haben. Ich wäre der Frau fast an die Gurgel gesprungen, weil das für mich auch ein Symbol dafür war, wie das Fernsehen die Leute betrügt. Zuerst bekommen sie eine Schnulli-Sendung nach der anderen vorgesetzt, und dann wird ihnen von dieser Frau die Inflation sozusagen noch persönlich bestätigt.

Haben Sie schon einmal an einer Talkshow teilgenommen?

POLT: Nein, zu so etwas geh ich nicht, weil ich nicht einsehe, warum ich etwas machen soll, nur weil ich jetzt prominent bin. Mir ist es nie darauf angekommen, eine öffentliche Person zu werden. Wenn ich mich selbst für bedeutend hielte, wäre ich schon verloren. Das würde ich niemals tun. Deshalb bin ich auch nicht in Zugzwang. Bevor ich mich an die Wand gedrückt fühle, ziehe ich mich zurück. Ich könnte jeden Tag für sehr viel Gage irgendwo spielen, ganz abgesehen von der Bierreklame, die mir zweihunderttausend Mark eingebracht hätte. Aber das habe ich abgelehnt. Warum soll ich so etwas machen?

Wegen des Geldes.

POLT: Geld hab ich genug. Mehr brauch ich nicht.

Wieviel verdienen Sie?

POLT: Ungefähr so viel wie ein Gymnasialdirektor. Ich hab 1984, sagen wir, hunderttausend Mark verdient, davon bleiben nach allen Abzügen sechzigtausend übrig. Also, ich bin kein reicher Mann, aber ich leb doch saugut. Ich hab einen Weiher im Garten, eine Frau, die mich mag, Freunde, mit denen ich reden kann. Ich bin nicht saturiert, aber ich bin zufrieden. Mir fehlt nichts, weder privat noch beruflich. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich nie Depressionen habe.

Lesen Sie Kritiken?

POLT: Ich lese jede Kritik, und ich versuche, mich damit auseinanderzusetzen.

Freuen Sie sich über die Auszeichnungen, die Sie bekommen haben?

POLT: Mit dem Kleinkunstpreis spielt der Butzl, mein Sohn. Das ist eine Glocke, mit der kann man läuten. Der Darstellerpreis steht auf dem Ofen, das ist so ein Schuh aus Metall. Dann hab ich den Lubitsch-Preis. Wo der steht, weiß ich jetzt gar nicht.

Den Valentinsorden*** haben Sie noch nicht bekommen.

POLT: Nein. Den würde ich auch nicht nehmen. Dieser Orden ist eine Schweinerei, weil der Karl Valentin ein Mensch war, der sein Leben lang versucht hat, sich gegen den Blödsinn dieser Art von Belustigung freizuschwimmen, für die das jetzt stehen soll. Es ist ja ein Faschingsorden. Eigentlich müßte man einen Prozeß gegen die Leute führen, die den verleihen. Wenn eine Karnevalsgesellschaft hergeht und den Valentin benutzt, um aus irgendeiner miserabligen Laune heraus seinen Namen für so etwas zu mißbrauchen, dann ist das Leichenfledderei und eine Obszönität.

Würden Sie das Bundesverdienstkreuz annehmen?

POLT: Auf gar keinen Fall, denn dann wäre ich ja sozusagen Staatshumorist wie in der DDR, dort gibt es staatliche Kabarettisten, die werden wie Beamte vom Staat beschäftigt.

Was ist für Sie Freiheit?

POLT: Um das zu beantworten, müssen wir erst einmal klären, welche Freiheit gemeint ist. Die besteht ja nicht im luftleeren Raum. Nehmen wir einmal an, ich möchte um acht Uhr abends noch eine rösche Breze essen, da würde es heißen, Pech gehabt, das ist aus gewerkschaftlichen und tariflichen Gründen bei uns nicht möglich, während ich ein Speiseeis um diese Zeit noch bekommen könnte, weil die italienischen Eissalons länger offen haben. Also bin ich in Bezug auf die Breze nicht frei.

Die schlimmste Unfreiheit ist die Vergänglichkeit.

POLT: Nein, wieso? Wenn's mich vom Stangerl haut, ist es aus. Dann gibt es hoffentlich einen gescheiten Leichenschmaus. Das ist alles, was ich mir wünsche. Ich hab, als ich klein war, einen Freund gehabt, den Hinterschwepfinger Pauli, der lebt noch, dem sein Vater war Totengräber. Also hab ich das Sterben früh mitbekommen. Gebeinhäuser haben mich sehr interessiert. Ich erinnere mich noch, in der Stiftskirche von Altötting stand eine Uhr, wo der Sensenmann jede volle Stunde gemäht hat. Aus dieser Zeit stammt meine fatalistische Lebensauffassung. Wer neben einem Friedhof aufwächst, braucht sich später die Seinsfrage nicht mehr zu stellen, so wie man jemandem das Problem, um Anerkennung zu kämpfen, erspart, wenn man ihn schon als Kind mit Doktor anspricht.

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*) Das Interview fand im Garten von Polts Haus im bayerischen Schliersee statt.

**) Gerhard Polt wurde 1942 in Altötting geboren

***) Der "Valentinsorden" der Münchner Faschingsgesellschaft "Narrhalla" wird seit 1973 verliehen. Den 2007 anläßlich des 125. Geburtstages von Karl Valentin begründeten "Großen Karl-Valentin-Preis" hat Gerhard Polt (als erster Preisträger) angenommen.

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Erschienen (Langfassung) im September 1985 im "Playboy"