Sie lassen sich ungern interviewen.
GERHARD POLT: Ja, weil ich mich für einen stinknormalen Menschen halte. Also
da ist mein Häusel,* da ist ein Tisch, ich friß a Schnitzel, ich trink' a
Bier. Ich lebe angepaßt. Ich war nie ein Außenseiter, sondern immer genau
mit dem Haufen, schon als Kind, denn ich war weder der Starke noch der Schwache,
ich war immer so mitten drin, nicht dick und nicht mager. Dick bin ich erst,
seit ich verheiratet bin. In meiner Biographie findet man keine Extreme. Traumatische
Begegnungen hat es bei mir nicht gegeben. Ich bin nicht im Krieg hängengeblieben,
ich hab niemanden umgebracht, ich bin nie im Gefängnis gesessen.
Haben Sie schon mal jemanden umbringen wollen?
POLT: Nie, auch nicht im Traum. Mein einziger Mord war ein Schweindl, da war
ich sechs Jahre alt. In dem Haus, in dem wir gewohnt haben, war eine Metzgerei,
da hab ich mitbekommen, wie geschlachtet wird. Einmal hat mir der Metzgergeselle
den Schußapparat vorgeführt, ich hab abgedrückt, und die Sau ist zusammengefallen.
Ich hab auch beim Aufschneiden mithelfen dürfen und das Blut gerührt, damit
es nicht kalt wird.
Klingt brutal.
POLT: Mir hat das nichts ausgemacht. Schlachten war ja dort, wo ich aufgewachsen
bin, an der Tagesordnung. Die Umstände meiner Kindheit waren insofern günstig,
als ich bestimmte sinnliche Erlebnisse hatte. Wir leben doch zunehmend in
einer Informationsgesellschaft. Die Information als solche ist aber wie Saufutter,
das einem vorgesetzt wird. Ein jugendlicher Mensch, der heranwächst, geht
in die Schule, dann kommt er in die Oberschule, dann studiert er. Der kriegt
gar nichts mit. Der Vater verschwindet in der Früh und kommt erst abends zurück.
Wie toll ist es dagegen, wenn einer im Handwerksmilieu oder auf einem Bauernhof
groß wird. Ich hab da viel gelernt, weil das eine überschaubare Welt war.
Ich hab gesehen, was die Leute arbeiten, was sie dafür kriegen, welche Wünsche
sie haben. Zu beobachten, wie eine Kuh kalbt, war für mich Normalität. Heute
haben wir eine Gesellschaft, die sich um ihre Sinnlichkeit selbst betrügt.
Waren Ihre Vorfahren Bauern?
POLT: Nein, aber in Altötting** gab es noch viele Bauern. Ich hab sehr verschiedene
Milieus kennengelernt. In meiner Familie gab es Akademiker, Handwerker, Künstler.
Meine Großmutter war Pianistin, ihr erster Mann hatte in Bad Kissingen ein
Sanatorium, ihr zweiter war Professor an der Kunstakademie.
Was war der Vater?
POLT: Der war lange Zeit in Gefangenschaft. Ich bin mehr von der Mutter erzogen
worden, einer sehr selbständigen, starken Frau, weil sie zu denen gehörte,
die es gewohnt waren, eine Sache allein zu schmeißen. Die Männer waren nicht
da, also mußten die Frauen das männliche Terrain mit übernehmen, um die Familie
bei der Stange zu halten. Daraus ergab sich eine Art Emanzipation, die nicht
aus einer Intellektualität, sondern aus der Not heraus kam. Als ich siebzehn
war, ist mein Vater gestorben. Aber schon vorher hatte meine Mutter sich von
ihm scheiden lassen.
War er Nationalsozialist?
POLT: Er war im Krieg Offizier, sagen wir mal, ziemlich loyal. Aber er ist
aus der Partei ausgetreten, weil meine Mutter gesagt hat, sie heiratet
kein Parteimitglied. Viele wissen doch bis heute nicht, was der Nationalsozialismus
überhaupt war. Da gibt es Schattierungen vom Nationalistischen über das National-Chauvinistische
bis hin zur nationalsozialistischen Ideologie im engeren Sinne. So gesehen
war mein Vater kein Nazi, weil er kein Rassist war. Er hat gedacht, das Ganze
sei eine Art Gefühlsüberhöhung. Es ist interessant, daß in Bayern, also in
den katholischen Gegenden, die Nazis nie so hochgekommen sind wie im evangelischen
Norden. Den Katholiken war der Hitler zu atheistisch. Die Evangelischen waren
anfälliger, andererseits aber dann im Widerstand auch extremer.
Sind Sie gläubig?
POLT: Meine Mutter ist evangelisch. Also bin ich evangelisch getauft und katholisch
gefirmt. Aber in die Kirche geh ich schon lang nicht mehr, weil ich sie als
Institution, schlicht gesagt, für niveaulos halte. Die Kirche leidet wie auch
die Demokratie unter einem Mangel an potenten Persönlichkeiten. Personare
heißt auf italienisch durchklingen. Sowohl in der Kirche als auch in der Politik
sehe ich heute kaum einen, bei dem etwas durchklingt.
Sind unfähige Politiker nicht ergiebiger für einen Kabarettisten?
POLT: Sicher riskiert man als politischer Kabarettist, daß einer sagt, sind
S' doch froh, daß Sie so ein Arschloch wie den Kohl haben, von dem können
Sie leben. Satire wird oft nach so Beißkategorien bemessen, also danach, ob
man fest genug zubeißt. Aber ich gehe nicht in eine Arena, um sozusagen den
Löwen zu spielen, der die Christen zerfleischt. Meine Aufgabe ist es nicht,
jemanden zu zerreißen, sondern Dinge anschaulich zu machen. Ich verlange von
einem Politiker, daß er Moral hat, er muß anständig sein, obwohl mich als
Phänomen auch das Böse interessiert, also bei einem Hitler zum Beispiel die
Privatheit des sogenannten Dämonen.
Die Banalität des Bösen.
POLT: Ja, genau. Da sitzen zum Biespiel die Herren Dönitz und Göring und wie
sie alle heißen auf dem Obersalzberg. Hitler hat zwei Stunden lang einen Monolog
gehalten, da kommt plötzlich Eva Braun im Nachtmantel herein. Der Hitler sagt
zu ihr, Tschapperl, geh bitte zu Bett, ich möchte mit den Herren noch über
den Weltkrieg sprechen. Eigentlich ist das zum Lachen, aber keiner dieser
Herren lacht.
Sind Sie beim Militär gewesen?
POLT: Nein. Die Bundeswehr war gerade im Aufbau, als ich im militärfähigen
Alter war. Da wurde nicht jeder eingezogen. Aber Schießen zu lernen, wäre
für mich sowieso nicht in Frage gekommen, außer mit Pfeil und Bogen. Ich war
schon als Kind pazifistisch. Ich erinnere mich, mein Vater hat mir einmal
ein ganzes Bataillon Ulanen aus Zinnsoldaten geschenkt, damit ich mit denen
spiele. Ich hab die zu einer Kugel geschmolzen, und als er mich fragte, wo
sind die Ulanen, hab ich ihm die Kugel gegeben.
Wie reagierte er?
POLT: Er hat enge Backen bekommen.
Sind Sie als Kind geschlagen worden?
POLT: Nein. Denn bei uns herrschte die Ansicht, ein Kind, das nicht permanent
Blödsinn macht, ist gar kein Kind, sondern ein kleiner Erwachsener. Wenn ich
mich heute umsehe, stelle ich fest, die nehmen zu. Wieviel Infantilität ist
denn heute noch möglich, wieviel Gaudi? Die teutonische Verbürokratisierung
nimmt überhand. Der Mensch wird verschult. Wir leben in einer Gesellschaft,
die zwar formal alle Freiheiten hat, aber mit ihrer Freiheit nichts anfangen
kann, weil sie kaserniert ist. Man braucht sich ja nur die Architektur anzuschauen.
Da kannst du dir doch gleich deinen Grabstein im voraus kaufen. In den Menschen
ist keine Freude mehr. Wo hat denn heute noch einer eine kindliche Regung?
Wo sind die lustigen Erzähler, die Spaß machen und in die Luft springen im
Wirtshaus? Das Kindliche, Anarchistische kommt zu kurz. Das stimmt mich todtraurig.
Denn der Mensch braucht ab und zu die Ekstase.
Wie äußert sich die bei Ihnen?
POLT: Ich bin vom Temperament her nicht der Typus des Extrovertierten, aber
ich mag es gern, ich mag spektakuläre Menschen. Ich mag zum Beispiel den Italiener.
Trinken Sie?
POLT: Ja, Bier, aber nicht übermäßig. Ich bin manchmal angedudelt, aber ich
hab in den letzten zwanzig Jahren höchstens fünfmal einen richtigen Rausch
gehabt.
Was machen Sie, wenn Sie betrunken sind?
POLT: Ich singe, und zwar arabisch, fatalistische Lieder.
Können Sie das trotz Ihrer Berühmtheit öffentlich?
POLT: Eine berechtigte Frage. Ich muß sagen, als mein Bekanntheitsgrad angewachsen
ist durch das Fernsehen, hab ich gedacht, jetzt kannst dich nimmer wie ein
Mäuserl im Wirtshaus verdrucken. Aber es hat sich herausgestellt, daß es doch
geht. Wenn mich einer anspricht und sagt, ich kenn Ihnen vom Fernsehen, sag
ich, klar, kann schon sein, und dann erzählt er mir, was er gesehen hat, und
gibt mir Ratschläge, und ich hör mir das an, und nach kurzer Zeit schmilzt
der Zauber dieser Exotik. Mich hat auf dem Münchner Viktualienmarkt einmal
eine Frau angesprochen und gesagt, hab ich recht, Sie sind's? Hab ich gesagt,
ja, ich bin's. Hat sie gesagt, aber gell, Sie sind inkognito da? Es ist doch
die normalste Sache der Welt, daß man mit jemandem, den man kennt, ins Gespräch
kommt. Sagen wir, ich säße mit der Claudia Cardinale am selben Tisch und würde
da Schweinswürstel essen, dann würde ich vielleicht sagen, come sta oder so
was, ganz selbstverständlich.
Geben Sie Autogramme?
POLT: Kommt ganz darauf an, wie's einer macht. Wenn jemand sagt, Sie, mein
Bub möcht gern ein Autogramm, dann frag ich halt, wie er heißt, und dann schreib
ich was hin. Ich versuche, die Leute, so lang ich kann, ernst zu nehmen. Was
mich am meisten ärgert, ist Menschenverachtung. Ich hab einmal etwas erlebt
mit einer Schauspielerin, die Autogramme gegeben hat, der Name tut nichts
zur Sache, Elisabeth Volkmann hat sie geheißen, das war für mich so erschütternd,
daß ich fast nicht hinschauen konnte. Die hat den Leuten die Autogramme nur
so, zack, zack, in die Hand gedrückt, ohne sie anzusehen, und dabei sagte
sie jedesmal, hach, jetzt muß ich schon wieder. Das waren Menschen mit abgearbeiteten
Händen, die ihr Leben lang wie die Idioten gebuckelt haben und es schwer haben
und Kinder haben. Ich wäre der Frau fast an die Gurgel gesprungen, weil das
für mich auch ein Symbol dafür war, wie das Fernsehen die Leute betrügt. Zuerst
bekommen sie eine Schnulli-Sendung nach der anderen vorgesetzt, und dann wird
ihnen von dieser Frau die Inflation sozusagen noch persönlich bestätigt.
Haben Sie schon einmal an einer Talkshow teilgenommen?
POLT: Nein, zu so etwas geh ich nicht, weil ich nicht einsehe, warum ich etwas
machen soll, nur weil ich jetzt prominent bin. Mir ist es nie darauf angekommen,
eine öffentliche Person zu werden. Wenn ich mich selbst für bedeutend hielte,
wäre ich schon verloren. Das würde ich niemals tun. Deshalb bin ich auch nicht
in Zugzwang. Bevor ich mich an die Wand gedrückt fühle, ziehe ich mich zurück.
Ich könnte jeden Tag für sehr viel Gage irgendwo spielen, ganz abgesehen von
der Bierreklame, die mir zweihunderttausend Mark eingebracht hätte. Aber das
habe ich abgelehnt. Warum soll ich so etwas machen?
Wegen des Geldes.
POLT: Geld hab ich genug. Mehr brauch ich nicht.
Wieviel verdienen Sie?
POLT: Ungefähr so viel wie ein Gymnasialdirektor. Ich hab 1984, sagen wir,
hunderttausend Mark verdient, davon bleiben nach allen Abzügen sechzigtausend
übrig. Also, ich bin kein reicher Mann, aber ich leb doch saugut. Ich hab
einen Weiher im Garten, eine Frau, die mich mag, Freunde, mit denen ich reden
kann. Ich bin nicht saturiert, aber ich bin zufrieden. Mir fehlt nichts, weder
privat noch beruflich. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich nie Depressionen
habe.
Lesen Sie Kritiken?
POLT: Ich lese jede Kritik, und ich versuche, mich damit auseinanderzusetzen.
Freuen Sie sich über die Auszeichnungen, die Sie bekommen haben?
POLT: Mit dem Kleinkunstpreis spielt der Butzl, mein Sohn. Das ist eine Glocke,
mit der kann man läuten. Der Darstellerpreis steht auf dem Ofen, das ist so
ein Schuh aus Metall. Dann hab ich den Lubitsch-Preis. Wo der steht, weiß
ich jetzt gar nicht.
Den Valentinsorden*** haben Sie noch nicht bekommen.
POLT: Nein. Den würde ich auch nicht nehmen. Dieser Orden ist eine Schweinerei,
weil der Karl Valentin ein Mensch war, der sein Leben lang versucht hat, sich
gegen den Blödsinn dieser Art von Belustigung freizuschwimmen, für die das
jetzt stehen soll. Es ist ja ein Faschingsorden. Eigentlich müßte man einen
Prozeß gegen die Leute führen, die den verleihen. Wenn eine Karnevalsgesellschaft
hergeht und den Valentin benutzt, um aus irgendeiner miserabligen Laune heraus
seinen Namen für so etwas zu mißbrauchen, dann ist das Leichenfledderei und
eine Obszönität.
Würden Sie das Bundesverdienstkreuz annehmen?
POLT: Auf gar keinen Fall, denn dann wäre ich ja sozusagen Staatshumorist
wie in der DDR, dort gibt es staatliche Kabarettisten, die werden wie Beamte
vom Staat beschäftigt.
Was ist für Sie Freiheit?
POLT: Um das zu beantworten, müssen wir erst einmal klären, welche Freiheit
gemeint ist. Die besteht ja nicht im luftleeren Raum. Nehmen wir einmal an,
ich möchte um acht Uhr abends noch eine rösche Breze essen, da würde es heißen,
Pech gehabt, das ist aus gewerkschaftlichen und tariflichen Gründen bei uns
nicht möglich, während ich ein Speiseeis um diese Zeit noch bekommen könnte,
weil die italienischen Eissalons länger offen haben. Also bin ich in Bezug
auf die Breze nicht frei.
Die schlimmste Unfreiheit ist die Vergänglichkeit.
POLT: Nein, wieso? Wenn's mich vom Stangerl haut, ist es aus. Dann gibt es
hoffentlich einen gescheiten Leichenschmaus. Das ist alles, was ich mir wünsche.
Ich hab, als ich klein war, einen Freund gehabt, den Hinterschwepfinger Pauli,
der lebt noch, dem sein Vater war Totengräber. Also hab ich das Sterben früh
mitbekommen. Gebeinhäuser haben mich sehr interessiert. Ich erinnere mich
noch, in der Stiftskirche von Altötting stand eine Uhr, wo der Sensenmann
jede volle Stunde gemäht hat. Aus dieser Zeit stammt meine fatalistische Lebensauffassung.
Wer neben einem Friedhof aufwächst, braucht sich später die Seinsfrage nicht
mehr zu stellen, so wie man jemandem das Problem, um Anerkennung zu kämpfen,
erspart, wenn man ihn schon als Kind mit Doktor anspricht.
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*) Das Interview fand im Garten von Polts Haus im bayerischen Schliersee statt.
**) Gerhard Polt wurde 1942 in Altötting geboren
***) Der "Valentinsorden" der Münchner Faschingsgesellschaft "Narrhalla"
wird seit 1973 verliehen. Den 2007 anläßlich des 125. Geburtstages von Karl
Valentin begründeten "Großen Karl-Valentin-Preis" hat Gerhard Polt
(als erster Preisträger) angenommen.
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