Ihre Karriere fing mit Stinkbomben an.
FRANZ XAVER KROETZ: Ja, es war der 3. April 1971*. Ich erinnere mich ganz
genau. Man hatte ein paar hundert Demonstranten vor die Münchner Kammerspiele
gekarrt. Die riefen, Kroetz aus dem Theater raus und zurück ins Irrenhaus.
Das bezog sich auf eine Zeitungsmeldung, in der stand, daß ich als Krankenpfleger
in einer psychiatrischen Anstalt gearbeitet hätte, was sogar stimmte. Die
Hauptdarsteller wurden als Drecksau und Pornohexe beschimpft. Am nächsten
Tag gab es eine Bombendrohung, worauf der Zuschauerraum geräumt werden mußte.
Empfanden Sie das als schädlich?
KROETZ: Ich glaub, ich habe das schon damals ganz richtig eingeschätzt und
mir gedacht, jetzt bist du über Nacht bekannt geworden, Gott sei Dank, daß
es passiert ist.
Heute regt sich fast niemand mehr auf, wenn Sie Abtreibung, Geschlechtsverkehr
und Fäkalien auf der Bühne zeigen. Vermissen Sie die Skandale?
KROETZ: Das ist schwierig. Nach dem Stück "Bauern sterben"** war
die Fachkritik so was von lahm, daß ich fast eine Liebe zur Bild-Zeitung bekam,
als auf der ersten Seite stand: Setzt die Sauerei ab! Da dachte ich, ach,
wie schön, wenigstens noch eine Reaktion, während in den übrigen Zeitungen
nur so wohltemperiertes Feuilleton-Klavier angestimmt wurde. Auf der anderen
Seite werden die Leute auch irregeführt, denn es ist natürlich keine Sauerei,
was ich geschrieben habe, es ist normales, gewagtes Theater. In ein paar Jahren
wird man es zu den klassischen Stücken zählen, so schnell geht das heute.
Wissen Sie, man sagt sich zwar, kruzifix, wenigstens trifft man noch die dumpfen
Instinkte, andererseits geht von solchen Schlagzeilen eine völlig falsche
Information über Kunst aus.
Seit wann ist Ihnen die Kunst so wichtig?
KROETZ: Das hat sich in den letzten sechs Jahren ergeben. Seit ich aus der
DKP ausgetreten bin***, habe ich beschlossen, mich wieder auf das zu werfen,
wofür ich angetreten bin, und das ist nicht der Bundestag und nicht der Kampf
für soziale Umwälzungen. Ich bin Dichter. Ich will gute Literatur schreiben
und sonst gar nichts. Früher wäre ich lieber Generalsekretär der DKP geworden.
Doch dann habe ich mir gesagt, Moment, verzettle dich nicht, der liebe Gott
hat dir die Möglichkeit zu schreiben gegeben, nütze das aus und hör auf mit
dem anderen Schmarrn!
Liegt das nicht daran, daß Sie etwas anderes gar nicht können?
KROETZ: Ich könnte viel. Ich könnte zum Beispiel Tag und Nacht als Schauspieler
arbeiten oder Regie führen.
Gut, aber zum Politiker haben Sie kein Talent.
KROETZ: Nein, auch nicht zum Steuerberater, was sich meine Eltern als Beruf
für mich ausgedacht hatten, denn ich kann drei und sechs nicht zusammenzählen.
Mir fehlt auch die Gabe des Singens. Aber sonst bin ich ziemlich multimedial.
Wenn ich an Leute denke, die ihr ganzes Leben nur Lyrik schreiben, dagegen
bin ich doch fast ein Hans Wurst in allen Gassen.
Den Wurstel spielen Sie jetzt auch im Fernsehen. Ihre neueste Rolle ist die
eines Klatschkolumnisten.****
KROETZ: Ja, herrlich! In eine Klatschtante kann ich mich sehr gut hineinversetzen.
Ich liebe Klatsch. Ich lese diese Kolumnen täglich. Wenn da steht, Herr Soundso
sei in tiefer Trauer, weil seine Frau den Partner gewechselt habe, interessiert
mich das sehr, ist doch klar. Ich bin ein Mensch. Ich leide mit verlassenen
Ehemännern.
Obwohl Sie selbst nie einer waren.
KROETZ: Nein, nie. Ich bin nicht verheiratet, bin es auch nie gewesen.
Aber Sie haben Kinder.
KROETZ: Ich habe einen Sohn, der heißt David***** und ist jetzt elf Jahre
alt.
Und eine Tochter.
KROETZ: Die gibt es nicht, oder besser, sie ist mit mir nicht mehr verwandt.
Das ist ein juristischer Vorgang. Die Mutter hat geheiratet, und der Mann
hat das Kind adoptiert. Seither bin ich nicht mehr der Vater. Wahrscheinlich
ist das die vernünftigste Lösung. Ich bin ein sehr schlechter Vater, weil
mir halt die Literatur wichtiger ist und mich Kinder im Grunde herzlich wenig
interessieren. Der David ist sicher süß, ich seh ihn auch öfter, aber in Wirklichkeit
ist er mir scheißegal. Es ist schrecklich, aber es ist so. Ich bin mir selbst
Kind genug. Würde ich heiraten, hätte ich wahnsinnige Angst, daß es mit meiner
Kunst morgen vorbei ist******. Ich weiß doch nicht, wie lange meine literarische
Ader noch sprudelt. Ich finde, ein Künstler darf sich nicht binden. Das kostet
zuviel.
Zuviel Zeit?
KROETZ: Nein, Geld! Ich bin kein Staatsbeamter. Bei mir hängt doch alles an
einem ganz dünnen Ästchen. Die Herren Theaterkritiker, Herr Kaiser im Verein
mit Herrn Reich-Ranicki, können schon morgen feststellen, daß Herr Kroetz
nie etwas war und jetzt endgültig out ist. Was soll ich dann machen?
Sie könnten eine Frau heiraten, die Geld hat.
KROETZ: Mir begegnen nie reiche Frauen. Also ich muß jederzeit sagen können,
auf Wiedersehen, bitte geh jetzt. Andererseits ist es auch kein Geheimnis,
daß ich ungern alleine lebe. Da bekäme ich sofort Einsamkeitsängste. Ich brauche
jemand, der für mich da ist, mich aber nicht stört, wenn ich schreibe.
Heißt das, die Freundin muß stumm neben dem Schreibtisch sitzen?
KROETZ: Nicht neben dem Schreibtisch, aber sie muß im Haus sein. Sie muß meine
Einsamkeit teilen können. Sie muß mich ertragen. Das Aushalten einer so hysterischen
Existenz wie der meinen mit all den Euphorien und Depressionen ist schon allein
eine tolle Leistung. Wenn jemand das kann, bin ich schon glücklich. Stellen
Sie sich vor, ich sitze vier Tage hinter der Schreibmaschine, aber mir fällt
nichts ein. Da könnte ich mit dem Messer auf die Straße rennen und Harakiri
machen. Das passiert ununterbrochen, und daraus ergeben sich natürlich Spannungen
mit dem Partner.
Was soll die Frau tun, während Sie schreiben?
KROETZ: Ich bin seit einem halben Jahr mit einer Studentin zusammen. Die liest
sehr viel, glücklicherweise. Sie darf natürlich auch mit der Katze spielen,
aber sie darf keine Partys geben, sonst werde ich zum Berserker, das wäre
fürchterlich.
Warum haben Sie Depressionen?
KROETZ: Schaun Sie, ich habe doch jeden Tag das Gefühl, ich hätte noch nie
einen vernünftigen Satz geschrieben. Ich sage mir, es ist absolut sinnlos,
daß ich überhaupt zu schreiben begonnen habe, weil ich kein Sprachgefühl und
keine Ahnung vom Schreiben habe. Wenn ich ein Stück von mir inszeniere, sitze
ich die meiste Zeit da und denke, ach Gott, was für ein Zeug hast du da wieder
zusammengeschrieben, und wenn ich zwanzig Sätze von Martin Walser lese, sage
ich, du lieber Gott, der kann schreiben! Aber dann dreh ich mich dreimal um,
schüttle mich, boxe ein bißchen gegen den Sandsack oder nehme ein Kampferbad,
und dann setz ich mich hin und mache weiter. Der Laie hört auf, wenn er Scheiße
macht. Der Schriftsteller sagt, jetzt erst recht, bis irgendwann wieder die
Kraft unter den Bug kommt.
Haben Sie sich auch in beruflich erfolgreiche Frauen verlieben können?
KROETZ: Ja, in eine Apothekerin und einmal in eine Rechtsanwältin.
Waren die auch so gefügig?
KROETZ: Das war damals noch nicht gefordert.
Weshalb, glauben Sie, tun die Frauen, was Sie von ihnen verlangen?
KROETZ: Weil sie mich lieben natürlich.
Hängt es nicht auch mit Ihrer Berühmtheit zusammen?
KROETZ: Doch, selbstverständlich! Früher hatte ich es leicht, weil ich jung
und hübsch war. Heute bekomme ich, was ich will, weil ich der Kroetz bin.
Ich brauche nur abends in ein Lokal zu gehen und eine anzusprechen.
Und wenn man Sie dort nicht kennt?
KROETZ: Das passiert nicht, denn ich gehe nur in Lokale, in denen ich schon
bekannt bin. Zumindest im Inland habe ich da keine Schwierigkeiten. Ich glaube,
daß der Erfolg auch eine erotische Qualität ist. Es heißt nicht umsonst "the
sweet smell of success". Wenn jemand es schafft, in dieser Gesellschaft
nach oben zu kommen, sich durchzusetzen, viel Freiraum zu haben, dann finde
ich das sehr spannend.
Ganz gleich, wer es ist?
KROETZ: Ja, sicher. Auch das Erfolgreiche an Herrn Reagan******* hat auf mich
eine anziehende Wirkung.
Halten Sie sich für ein Genie?
KROETZ: Ich bin bestimmt ein Genie, obwohl ich nicht genau weiß, was das ist.
Wahrscheinlich hat es mit Gefährdung zu tun. Man begibt sich in einen manischen
Zusammenhang mit sich selbst. Dahinter steckt auch der Tod. Es gibt eine Reihe
nicht so erfolgreicher Kollegen, die sich umgebracht haben. Das ist nicht
lustig.
Schützt Erfolg gegen Selbstmord?
KROETZ: Ich glaube schon, weil man dann nicht so allein ist. Jemand, der sein
ganzes Leben am Schreibtisch verbringt, wird krank oder verrückt oder fängt
an zu trinken. Ich habe früher pro Tag zehn Flaschen Bier getrunken, und ich
hatte auch Selbstmordgedanken. Aber ich bin viel zu feig, es zu tun. Außerdem
ist es nicht das, was ich eigentlich möchte, denn letztlich bedeutet sich
umzubringen, obwohl es mutig ist, daß man kapituliert hat. Ich kämpfe lieber.
Nach Nicaragua, so schreiben Sie, sind Sie in der Hoffnung gereist, daß dort
Krieg herrscht.
KROETZ: Ja, das war anzunehmen. In den Zeitungen stand, der Einmarsch der
Amerikaner stehe bevor. Ich dachte, ich komme in Kriegsgebiet. Natürlich habe
ich die Gefahr gesucht. Das ist auch eine literarische Herausforderung. Mein
Vorbild ist Hemingway. Kriegsberichterstatter zu sein wäre für mich als Mann
und Schriftsteller das Schönste.
Aber Sie wollten nicht schreiben, Sie wollten schießen.
KROETZ: Wäre es nötig gewesen, hätte ich es sicher getan, also ich hätte mich
jederzeit auf die Seite der Sandinisten gestellt. Aber ich bin nicht mehr
der Jüngste. Als die Leute merkten, daß ich Schriftsteller bin, sagten sie,
du sollst hier nicht Gräben schaufeln, du sollst schreiben, und das tue ich,
auch wenn es sinnlos ist.
Auf welcher Seite würden Sie im Falle eines europäischen Krieges kämpfen?
KROETZ: Schwierige Frage. Ich glaube, daß die Kriegsgefahr heute von den USA
und der NATO ausgeht, nicht vom Warschauer Pakt. Würde die DDR angegriffen,
würde ich sie verteidigen, weil ich sie für notwendig halte, da bin ich mit
Heiner Müller und anderen Schriftstellern einig.
Sind Sie als Soldat ausgebildet?
KROETZ: Nein, ich war nicht bei der Bundeswehr. Ich war auf der Schauspielschule
und wurde zurückgestellt. Außerdem fand man bei der Musterung an mir einen
Fehler, Zahnplomben oder sowas. Deshalb konnte ich nicht zu den Fallschirmjägern,
wie es mein Wunsch war. Ich hatte ein ganz ungebrochenes Verhältnis zum Militär.
Heute stehe ich zwischen den beiden Deutschland. Keines ist meine Heimat.
Besonders die letzte Bundestagswahl hat mich getroffen. Als Kohl kam, war
ich von der deutschen Bevölkerung schwer enttäuscht. Ich meine das nicht persönlich.
Der Helmut Kohl ist ein ganz netter Mann. Ich habe ihn bei einem Festessen
für Breschnew********, als er noch nicht Kanzler war, kennengelernt. Er hat
sich zehn Minuten mit mir unterhalten, vielleicht auch nur vier Minuten. Ich
glaube, er wußte nicht einmal, wer ich bin. Aber er hat es geschickt verborgen.
Kommen Sie manchmal noch in Versuchung, einen Politiker umzubringen?
KROETZ: Sie enttäuschen mich. Das ist eine ganz dümmliche Frage.
Immerhin haben Sie einmal geäußert, wenn es Ihnen gelänge, den Papst zu ermorden,
wären Sie darüber glücklicher als über jede Zeile, die Sie geschrieben haben.*********
KROETZ: Ach Gott, ich hab früher viele Sachen gesagt, weil ich dachte, sie
werden gedruckt. Das ist halt Geschäft. Wenn ich heute von einem Autor so
etwas lese, denke ich, na ja, er will in die Zeitung kommen. Es gibt von mir
Interviews, die sind so naiv, geradezu liebenswürdig. Ich dachte früher, wenn
jemand ein Stück von mir sieht, muß er anschließend zum Gewehr greifen und
auf die Straße laufen. Ich war der Meinung, Literatur könne so eine Wirkung
haben, das ist doch süß, wirklich putzig! Natürlich sind die Zustände in dieser
Welt schrecklich, aber leider ist eben die Kunst nicht in der Lage, sie zu
verändern. Ich habe kein Attentat auf den Papst vor, sondern auf die heutige
Politik. Deutsche Interessen werden verraten. Die Regierung Kohl kriecht den
Amerikanern so in den Arsch, daß wir inzwischen eine Bananenrepublik der USA
sind. Wir werden in der Welt nicht mehr ernst genommen. Das tut mir weh, weil
ich ein Mensch bin, der viel herumreist.
Warum wohnen Sie noch in Deutschland?
KROETZ: Weil man hier bairisch spricht. Ich muß mich mit den Leuten doch unterhalten
können, damit ich weiß, was sie denken. Worüber soll ich sonst schreiben?
Sicher würde ich lieber in Indien leben. Kalkutta ist eine faszinierende Stadt,
natürlich auch eine Stadt des Elends, aber das wird übertrieben. Dort gibt
es eine Tradition von Musik, Film und Theater. Das ist der künstlerische Brennpunkt
dieses Subkontinents. Dagegen ist München ein Kaff. Ich wache an soundsovielen
Tagen auf und frage mich, was ich hier überhaupt soll.
Und wie ist die Antwort?
KROETZ: Ganz einfach, ich gehe auf Reisen. Als nächstes fahre ich vierzehn
Tage nach Kairo, dann nach Jerusalem, dort werden einige Stücke von mir gespielt.
Dann möchte ich wieder nach Nicaragua oder, wenn es klappt, nach Südafrika,
dort ist es ja auch gefährlich. Nach Libyen lassen sie mich leider nicht rein.
Da bräuchte ich eine Einladung von Herrn Gaddafi.
Sind Sie jemals konkret in Gefahr gewesen?
KROETZ: Mir ist einmal bei 190 Stundenkilometern der Reifen geplatzt. Es ist
aber nichts passiert. Ich habe den Wagen abfangen können. Aber sonst? Lassen
Sie mich nachdenken. Nein, nichts. Das kann doch nicht wahr sein! Krank war
ich eigentlich auch nie, es ist Wahnsinn. Wahrscheinlich habe ich deshalb
so große Angst. Gestern dachte ich wieder einmal, ich hätte Krebs. Wenn aus
meinem Bekanntenkreis jemand stirbt, frage ich immer gleich nach der Todesursache.
Der Sammy Drechsel********** hatte zwei Herzinfarkte, und ich hab doch auch
mit dem Herz Schwierigkeiten. Mein Vater starb an Lymphdrüsenkrebs, als ich
fünfzehn war. Er war stark wie ein Boxer, doch zuletzt wog er nur noch knapp
fünfzig Kilo. Ich habe erlebt, wie er, um zu beweisen, daß er gesund sei,
schweißtriefend neun Kartoffelknödel und eine halbe Ente verzehrte, die er
dann wieder erbrechen mußte. Es war schrecklich. Nach seinem Tod bin ich sofort
von der Schule gegangen, um Künstler zu werden.
War es nicht, so gesehen, ein Glück, daß er so früh starb?
KROETZ: Sagen wir, ein glücklicher Zufall. Ich finde es günstig, wenn die
Kinder früh von den Eltern wegkommen, damit sie sich selbständig entwickeln
können. Aber für meine Mutter war das ganz schlimm, denn die Nachbarssöhne
lernten alle tolle Berufe, Ingenieur, Jurist, Offizier, und ich wurde doch
zunächst gar nichts. Ich spielte in einem kleinen Kellertheater in Schwabing
für zwei Mark fünfzig pro Abend. Das empfand meine Mutter als skandalös. Erst
als die Stinkbomben fielen, war sie zufrieden. Denn in dem Augenblick, wo
jemand mit dem Schreiben, diesem sinnlosen Getue, anfängt, Geld zu verdienen,
sagt der Kleinbürger, bravo, jetzt hast es erreicht. Was man schreibt, ist
ganz wurscht. Ich muß aber sagen, daß meine Mutter schon merkte, daß ich ordentliche
Stücke und keine Peepshows geschrieben hatte. So dumm war sie nicht, auch
was das Politische angeht. Sie war immer sozialdemokratisch.
Und der Vater?
KROETZ: Der war ein Schwarzer, zuerst ein glühender Hitler-Verehrer, dann
bis zu seinem Tod ein glühender Strauß-Verehrer. Aber die Kirche mochte er
nicht, komischerweise, während die Mutter wollte, daß ich zur Beichte gehe.
Sie hatte zwar auch mit der Kirche nicht viel am Hut, aber zu sagen, der Religionslehrer
sei ein Depp, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Also wurde mir der Katholizismus
eingebleut mit all seinen Furchtkomplexen.
Furcht wovor?
KROETZ: Vor der Bestrafung der Sünden.
Haben Sie das Onanieren gebeichtet?
KROETZ: Das brauchte ich nicht, denn sexuell war ich ein Spätentwickler, und
als es dann losging, begann es gleich mit dem Bumsen. Meine erste Liebe hieß
Dagmar. Sie hat mich nach einem Jahr mit einem älteren Mann betrogen. Darauf
habe ich sie gehaßt. Heute werde ich nicht mehr verlassen. Ein Schriftsteller
muß eine Frau von sich abhängig machen. Sie muß süchtig werden, sonst hält
sie es neben ihm gar nicht aus. Das funktioniert aber nur, wenn sie weiß,
es rentiert sich. Ich bin ein Mensch, der gern monogam lebt. Ich habe zwar
bestimmt schon mit hundert Frauen geschlafen, aber ich erinnere mich nur an
die vier oder fünf, die mich über einen längeren Zeitraum begleitet haben.
Eine Frau, mit der ich durch Höhen und Tiefen gehe, kann dann auch Opfer bringen.
Ist Ihnen aufgefallen, daß in Ihren Stücken nie ein normaler Liebesakt vorkommt?
KROETZ: Ich glaube nicht, daß das stimmt. In dem Stück "Wildwechsel"
ist die Frau dem Mann doch geradezu hörig.
Wollen Sie das als normal bezeichnen?
KROETZ: Na gut, das Normale ist natürlich literarisch nicht sehr ergiebig.
Es wäre langweilig, das darzustellen. Man muß über Grenzfälle schreiben. Aber
daraus auf mein Sexualleben zu schließen, wäre ein Fehler. Ich schreibe gerade
ein Stück, das heißt "Kroetz oder Der Dichter als Schwein", über
einen homosexuellen Schriftsteller. Aber ich bin nicht schwul. Ich bin auch
kein Krüppel, obwohl ich in meinem Roman "Der Mondscheinknecht"
einen Krüppel beschreibe, und ich habe keine Potenzprobleme wie die Männer
in meinen Stücken. Mein Gott, vielleicht denke ich manchmal, ich sei unzureichend,
der Schwanz sei zu klein. Aber bewußt ist das nicht. Das Tolle an der Literatur
ist, daß man das Unbewußte herauslassen kann. Ich weiß, es gibt Frauen, die
sagen, was willst du denn mit deinem Zipferl. Eine ganze Reihe von Sexualverbrechen
entsteht aus dem Gefühl der Männer, im Bett nicht zu genügen. So etwas interessiert
mich. Nun wollen Sie sicher wissen, warum mich das interessiert.
So ist es.
KROETZ: Aber das weiß ich nicht. Warum hat Hitchcock die grausamsten Verbrechen
beschrieben, während er offenbar ganz gemütlich mit seiner Familie lebte?
Ich erarbeite mir meine Stoffe nicht, indem ich auf meinen Pimmel schaue.
Die Vorhaut ist viel zu kurz, um so lange darüber zu schreiben. Der größte
Teil ist Erfindung. Ich hab halt ein glückliches Maß an Phantasie.
Von wo kommt die?
KROETZ: Von oben.
Sie meinen, es war göttliche Eingebung, in dem Stück "Bauern sterben"
zu zeigen, wie sich ein Mann von einer Prostituierten einen Kothaufen wünscht,
um ihn verpackt nach Hause zu tragen?
KROETZ: Da bin ich ganz sicher. Ich habe an dieser Szene drei Wochen geschrieben.
Die Scheiße ist ein Symbol für die Frustration dieses Mannes, der daheim eine
Frau hat, die nur noch aus Optik besteht. Die hat nichts Menschliches mehr,
keine Haare, keinen Geruch, nur noch Kosmetik. Da sagt er, du lieber Gott,
ich will endlich wieder eine gesunde Frau scheißen sehen. Das kann man doch
ganz leicht verstehen. Außerdem ist es ein irrsinnig theatralischer Vorgang.
Ich muß das Stück ja verkaufen. Ich habe den Ehrgeiz, etwas zu schreiben,
das man nicht übertreffen kann. Nach mir soll Literatur nicht mehr möglich
sein. Das wünscht sich doch jeder Autor. Dichter sind wahrscheinlich immer
irgendwo auch Faschisten.
Wieviel verdienen Sie mit dem Schreiben?
KROETZ: Meine Einnahmen sind zurückgegangen. Ich werde mein Geld in Zukunft
mehr als Schauspieler verdienen müssen. Beim Fernsehen bekomme ich zweitausend
Mark Tagesgage. Das ist mit dem Schreiben nicht zu erreichen. Deshalb ist
es wichtig, daß ich den Kontakt zur Öffentlichkeit nicht abreißen lasse. Klappern
gehört zum Gewerbe. Man darf nicht eitel sein, sonst wird man vergessen. Ich
hatte immer ein offenes Verhältnis zur Presse. Ich rufe die Journalisten an
und erzähle ihnen, was ich gern über mich lesen würde. Man sucht doch in der
Zeitung immer zuerst, ob über einen selbst etwas drinsteht. Das machen alle.
Es ist eine Manie, und es ist natürlich auch eine Verblödungserscheinung.
Haben Sie Ihre guten Pressekontakte auch auf Theaterkritiker ausdehnen können?
KROETZ: Ich kenne viele persönlich. Mit Karasek vom "Spiegel" bin
ich per du. Wir reden oft miteinander. Aber im allgemeinen ist es doch so,
daß die Kritiker die natürlichen Feinde der Kunst sind und die Protagonisten
des Kunstgewerbes. Denn sie spiegeln den Zeitgeist wider, während die Kunst
immer voraus sein muß, wenn sie gut ist. Die wirklich großen Ereignisse werden
von den Kritikern nicht einmal wahrgenommen, weil sie sich dem Tagesgeschmack
unterwerfen müssen, ganz abgesehen davon, welch ungeheurem Berufsstreß sie
unterliegen. Wenn ich mir anschaue, was so ein Kritiker arbeiten muß, um am
Monatsende seine Kohle zu haben, kann ich doch nicht mehr von freien Menschen
sprechen, die in der Lage wären, sich in Kunsttendenzen hineinzufühlen. Manche
haben bis zu vierzig Termine im Monat. Die kommen gar nicht zum Denken. Das
kann man doch nur als einen ganz erbärmlichen Vorgang bezeichnen. Ein Furz
ist das, mehr nicht.
Haben Sie Grund zur Klage?
KROETZ: Nein, ich für meinen Teil habe mit den Kritikern keine Schwierigkeiten.
Aber ich weiß auch, daß ein Stück von mir nicht deshalb gut ist, weil es gelobt
wird.
Was, glauben Sie, bleibt von Ihnen in hundert Jahren?
KROETZ: Wenn ich Glück habe, vier oder fünf Stücke. Ich hab eine Menge Schmarrn
geschrieben. Die meisten Autoren sabbern zuviel, weil der Schließmuskel nicht
funktioniert. Man müßte mehr schweigen können. Andererseits ist mir heute
ein mißlungener Satz, wenn er ehrlich ist, lieber als eine Lüge mit Schleiflack.
Denn das Mißlingen hat viel mit Bemühung zu tun. Nur wer eine Vorstellung
von Qualität hat, kann irgendwann sagen, gib endlich zu, daß du nichts kannst.
Früher hab ich in drei Tagen ein Stück geschrieben. Heute bin ich voller Skrupel
und Ängste.
Wann hat das angefangen?
KROETZ: Spätestens als ich entdeckte, daß man Literatur nicht politisch betreiben
kann. Da verweigerte sich mir die Dichtung. Mit dem Vorsatz, ein Schriftsteller
müsse vor allem politisch wirken, wäre ich vor die Hunde gegangen. Ich kenne
eine Reihe Kollegen, die ihre Potenz dadurch verloren haben. Ich bin kein
Parteiidiot. Ich will mich nie wieder für irgendwelche Ideen außer meinen
eigenen einspannen lassen.
Auch nicht für die Grünen?
KROETZ: Nein, zu den Grünen habe ich den Kontakt wieder abgebrochen. Ich lasse
mir für die Rettung des bayerischen Bergwalds nicht das Hirn herausoperieren,
denn ohne Hirn kann ich den Wald nicht genießen. Die Grünen sind mir zu borniert,
zu wenig offen. Da geht es schon fast wie bei der CSU zu. Das ist ein antikommunistischer
Misthaufen, und von Kunst haben sie auch keine Ahnung. Ich habe es satt, mich
mit Leuten zu unterhalten, die nicht begreifen, daß Kunst genauso nötig ist
wie das tägliche Brot.
Wie werden Sie in der DDR behandelt?
KROETZ: Die DDR ist als erogene Zone sehr reizvoll. Ich hatte dort eine liebe
Freundin.
Werden Ihre Stücke gespielt?
KROETZ: Damit ist es seit meinem Parteiaustritt ziemlich Essig. Man hält mich
für einen pornographischen Autor. Der praktizierte Sozialismus ist kleinbürgerlich
und spießig und prüde. Außerdem gibt es da eben eine Zensur, was es hier nicht
gibt. Ich empfinde es als ganz tolle Freiheit, keinen Schwachkopf aus irgendeinem
Ministerium fragen zu müssen, ob ich ein Stück aufführen darf, das ich geschrieben
habe. Ich kann es durch meinen Fotokopierer jagen und verschicken, wohin ich
will. Das könnte ich in vielen anderen Ländern nicht. Da hätte ich sofort
die Polizei auf dem Hals. Deshalb würde ich für die Freiheit, die wir hier
haben, jederzeit kämpfen.
Sie widersprechen sich.
KROETZ: Das finde ich überhaupt nicht tragisch, weil ich den Widerspruch als
etwas sehr Fruchtbares betrachte. Also ich finde es toll, daß ich mir widerspreche.
Zwischen allen Stühlen ist der richtige Platz für einen Dichter. Was zählt,
sind die Werke. Meine Unsterblichkeit ist gesichert. Ich sage, andere werden
keinen Grabstein mehr haben, da wird man immer noch meine Stücke spielen.
Ist das ein Trost?
KROETZ: Das ist schon tröstlich. Als ich vor einigen Jahren in einem Lexikon
meinen Namen fand, habe ich mich sehr bedeutend gefühlt. Inzwischen weiß ich
natürlich, daß da jedes Arschloch drinsteht. Eine Ahnengalerie der Arschlöcher
ist das. Mir geht es auch gar nicht um diese sinnlose Berühmtheit. Es kotzt
mich an, daß ich in meinem Gärtchen sitze und die Welt meine Werke bejubelt,
während die Politik von anderen gemacht wird. Ich hätte halt doch gern die
Macht des bayerischen Kultusministers. Nichts zu tun als zu schreiben, ist
auch kein Leben. Ich möchte die deutsche Politik mitbestimmen. Als Verteidigungsminister
würde ich aus der NATO austreten, die Bundesrepublik zu einer atomfreien Zone
machen und einen Friedensvertrag zwischen den beiden Deutschland schließen.
Dann sähe es in Europa ganz anders aus. Aber das passiert nicht. Ich stelle
fest, daß ich nichts beeinflussen kann. Ich werde wahrscheinlich ganz einflußlos
als Schriftsteller enden, mit oder ohne Nobelpreis.
Sind Ihnen Auszeichnungen wichtig?
KROETZ: Ich bin für Ehrungen immer zu haben. Würde mir von der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste die Mitgliedschaft angetragen, würde ich mich
zwar fragen, ob meine Literatur schon so schlecht sei, daß die mich haben
wollen. Aber Professor Kroetz, das fände ich herrlich.
Können Sie aufzählen, welche Preise Sie schon bekommen haben?
KROETZ: 1970 das Suhrkamp-Stipendium, 6000 Mark, dann die Ludwig-Thoma-Medaille,
die ist mir gestohlen worden, die war laut Versicherung 500 Mark wert, den
Wilhelmine-Lübke-Preis, 4000 Mark, den Hannoverschen Dramatikerpreis, 20 000
Mark, den Preis der Mühlheimer Theatertage, 10 000 Mark, und letztes Jahr
den Münchner Hoferichter-Preis, auch 10 000 Mark. Wenn ich welche vergessen
habe, waren sie bestimmt nicht mit Geld verbunden. In Geldsachen habe ich
ein gutes Gedächtnis.
Wie groß ist Ihr Vermögen?
KROETZ: Schwer zu sagen.
Sind Sie Millionär?
KROETZ: Millionär ist doch heute schon jeder Zahnarzt. Ich habe hier das Häuschen
in Pasing***********, das ist rund 900 000 Mark wert, dann einen Bauernhof
im Chiemgau, einen alten Mercedes, zehn Seidenhemden und vier Maßanzüge. Die
habe ich mir vor acht Jahren machen lassen, weil ich dachte, Maßanzug und
DKP passen zusammen. Außerdem züchte ich englisches Vollblut. Das ist mein
Hobby. Also ich kann blendend leben. Aber darauf kommt es nicht an, wenn man
als Dichter in so lichten Höhen schwebt, daß man ständig Angst haben muß abzustürzen.
Einen guten Satz kann man nicht kaufen. Ich will ein führender deutscher Dramatiker
bleiben, dessen Goldader bis ins Zentrum der Erde reicht. Ich befinde mich
in einem olympischen Kampf, in dem ich siegen möchte. Ich muß bestehen gegen
einen Böll, einen Grass, einen Walser; und ich möchte es mir auch leisten
können, mir von einem Verleger nicht alles gefallen zu lassen. Als mir Herr
Unseld vom Suhrkamp Verlag aus meinem letzten Buch************ eine Seite
wegstreichen wollte, habe ich den Verlag gewechselt.
Was stand auf der Seite?
KROETZ: Ich habe da aus Wut über mein Versagen einige Kollegen beschimpft.
Mir war das gar nicht so wichtig. Aber wer ist Herr Unseld, und wer bin ich!
Das kann auch eine Seite Klopapier sein, wenn ich sie drin haben will, bleibt
sie drin, basta.
Warum gehen Sie, wenn Sie über sich wütend sind, auf andere los?
KROETZ: Das macht doch jeder.
Kann das auch in Gewalt ausarten?
KROETZ: Immer seltener, weil ich mit den Jahren immer langsamer werde. Mir
kann heute jeder Hausmeister eins auf die Schnauze hauen. Ich streite eigentlich
nur noch, wenn ich betrunken bin. Meine letzte heftige Auseinandersetzung
hatte ich in Bad Godesberg an meinem Geburtstag. Wir waren mit meinem Stück
"Nicht Fisch, nicht Fleisch" auf Tournee. Ich hatte Regie geführt,
aber ich fand die Inszenierung beschissen. Da bin ich in meinen Wohnwagen
gegangen, hab um mich geschlagen und Gegenstände zertrümmert. Das hat mir
sehr gutgetan. Das würde ich jedem empfehlen, denn es ist das beste Mittel
gegen Magengeschwüre. Man muß nur darauf achten, die Aggression hauptsächlich
gegen Sachen zu richten. Wenn man die Frau totschlägt, ist das nicht gut.
Aber so weit gehe ich nicht. Meine Toten leben alle noch. Die Verletzungen,
die ich zufüge, sind eher psychisch. Ich mache die Frauen unglücklich, indem
ich sie seelisch zerbreche.
Betrübt Sie das?
KROETZ: Doch, schon. Ich bin nicht Rambo, der sich freut, wenn er feststellt,
daß Selbstverwirklichung Wunden schlägt. Aber ich weiß, es ist unvermeidlich.
Man muß, um sich zu verwirklichen, weh tun.
Vor zehn Jahren haben Sie ganz anders geredet.
KROETZ: Wie denn?
Sie sagten, Sie könnten nicht glücklich sein, solange ein anderer leidet.
KROETZ: Okay, darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich bin Egoist.
Mein ganzes Leben ist auf Literatur aufgebaut. Ich bin süchtig nach Sprache.
In unserer Gesellschaft überhaupt noch Kunst machen zu können, erfordert ein
ungeheures Maß an Brutalität. Kunst entsteht nicht aus Mitleid. Die Welt kann
von mir aus zugrunde gehen. In dem Moment, wo ich darüber schreibe, ist mir
das scheißegal. Wenn ich am Schreibtisch sitze, interessiert mich kein Sohn,
keine Frau, keine Mutter. Da sage ich, hab keine Zeit, laß mich in Ruh, hau
ab, Wiedersehen. Ohne das Schreiben hätte ich mich längst umgebracht. Erstens
das Schreiben, zweitens die Politik, das sind die zwei Pole. Womit soll ich
mich sonst am Leben halten?
Sie könnten es zum Beispiel mit Liebe versuchen.
KROETZ: Quatsch! Ich bin in mich selbst verliebt. Das genügt mir. Die Literatur
ist meine Geliebte. Wenn ich merke, eine Beziehung ist nicht literarisch verwertbar,
mache ich sofort Schluß. Da bin ich ganz radikal. Ich weide die Frauen aus
und schmeiße sie weg. Denken Sie nur an Goethe. Wie viele Frauen hat der kaputtgemacht!
Das ist eine Berufskrankheit. Ein Schriftsteller beurteilt die Menschen, die
ihn umgeben, danach, ob er sie ausnutzen kann. Oft denkt eine Frau, ich sei
verliebt, und ist dann völlig geschockt, wenn sie erfährt, daß ich sie bloß
beschreibe. Sie liest das Manuskript und fragt, du Wahnsinniger, wo bist du
denn, wenn wir zusammen schlafen? Darauf sage ich, ich bin an der Schreibmaschine.
Das ist ganz normal. Ein Autohändler denkt im Bett daran, wie er seine Gebrauchtwagen
gewinnbringend loswird. Ich denke beim Ficken ans Schreiben. Das läßt sich
wunderbar kombinieren.
Andererseits behaupten Sie im "Nicaragua-Tagebuch", daß das Ficken
gottverdammt schwer sei.
KROETZ: Ja mei, man muß sich halt, wenn es gut sein soll, von sich selber
ein bissel trennen. Man muß auf den anderen Menschen eingehen. Das ist schon
mühsam.
Sind Sie, wenn Sie den ganzen Tag lang geschrieben haben, zum Geschlechtsverkehr
nicht zu müde?
KROETZ: Ich schreibe nachts und gehe morgens zu Bett, oder ich spreche auf
mein Diktiergerät. Das tippt die Sekretärin in der Früh ab. Am Abend korrigiere
ich es und arbeite weiter. Oft schreibe ich zwanzig Stunden hintereinander.
Da setzt der Körper natürlich aus. Ich lebe dann kaum, fühle mich krank, rauche
und trinke zuviel. Das Sexuelle spielt, wenn ich schreibe, eine untergeordnete
Rolle. Ich will, daß neben mir eine junge, hübsche Frau ist, die mich liebt
und mir jede Störung vom Leib hält. Mehr brauche ich nicht, weil ich die Zeit
gar nicht hätte.
Muß die Frau klug sein?
KROETZ: Ich gestehe, mir ist eine schöne Blöde lieber als eine häßliche Kluge.
Das ist leider die Wahrheit. Ich bin ein Mann. Wenn eine Frau attraktiv ist,
bekommt sie von mir eher ein Interview, einen Job oder sonstwas. Da ich auch
mein Verleger bin, habe ich meist zwei Bürokräfte und eine persönliche Assistentin.
Mein Vorteil ist, daß ich Frauen und Arbeit verbinden kann. Meine letzte längere
Beziehung hieß Alexandra. Die hat hier den ganzen Laden geschmissen. Wenn
so ein Verhältnis zu Ende geht, ist das auch beruflich ein großer Verlust,
abgesehen davon, daß ich natürlich leide. Das reicht von Haarausfall bis zu
Fußpilz. Ich bin dann halb tot.
Wie lange?
KROETZ: Einige Tage. Länger kann ich mir das gar nicht erlauben. Ein Defizit
im Finanzhaushalt der Gefühle kostet nur Kraft und nützt keinem.
Sie sprechen über die Liebe, als wäre das ein geschäftlicher Vorgang.
KROETZ: Selbstverständlich. Ich bin kein Romantiker. Eine positive Bilanz
ist etwas sehr Schönes. Ich integriere die Emotionen in das Geschäftsgebaren.
Das ist der Grund, warum ich ein glücklicher Mensch bin.
Davon ist in Ihren Stücken nichts zu bemerken.
KROETZ: Natürlich nicht. Ich beschreibe nicht das Glück, sondern das Elend
der Menschen. Ein Künstler lindert die Not nicht, er beutet sie aus. Aber
das ist nichts Schlechtes. Wir machen die Leidensspur wenigstens sichtbar.
Wir verewigen das Schicksal der Namenlosen. Das finde ich toll. Es darf doch
nicht nur Coca-Cola oder McDonald's von der Welt übrig bleiben.
Wann zuletzt waren Sie glücklich?
KROETZ: Das war nach der Premiere meines letzten Stückes*************. Der
Beifall dauerte acht Minuten. In solchen Momenten ist mir das Theaterpublikum
sehr sympathisch.
Und sonst?
KROETZ: Das ist unterschiedlich. Wenn ich in eine Abonnentenvorstellung gehe
und die versauerten Spießer sehe, die einen anspringen, denke ich, um Gottes
willen, für diese Leute arbeitest du, bist du verrückt geworden! Aber dann
gehe ich heim und sage mir, mein Gott, in dieser Gesellschaft, wo die meisten
nur vor der Glotze sitzen, ist es doch geradezu eine Expedition, sich abends
in die S-Bahn zu schmeißen, ins Theater zu fahren, viel zu bezahlen und sich
dafür drei Stunden einsperren zu lassen, um mit Problemen belastet zu werden.
Ich habe ja noch nie eine Komödie geschrieben.
Vielleicht sollten Sie es versuchen.
KROETZ: Das ist wahr. In fünfzehn Jahren fünfundvierzig Tragödien, das wird
langweilig. Ich möchte zu mehr skurrilen Situationen kommen, noch weiter in
die Übertreibung hinein, so daß am Ende vielleicht so etwas wie Shakespeare
herauskommt, nur viel extremer.
In Ihrem vor kurzem veröffentlichten Frühwerk "Der koreanische Frühling"
ist Ihnen das zum Teil schon gelungen.
KROETZ: Finden Sie?
Ja, zum Beispiel an der Stelle, wo ein gekreuzigter Kardinal Durchfall bekommt,
während ihn eine Nutte oral befriedigt.
KROETZ: Richtig! Auf dieses Stück Prosa bin ich sehr stolz. Das ist ein großer,
blasphemischer Text, zutiefst pornographisch. Leider wurde er nicht verboten.
Ich hatte gedacht, irgend jemand würde bestimmt daran Anstoß nehmen. In Regensburg
gab es zwar ein Ermittlungsverfahren. Doch daraus wurde nichts. Schade.
Haben Sie eine Erklärung für Ihren Hang zur Darstellung menschlicher Kotentleerung?
KROETZ: Dazu fällt mir nur ein, daß mir meine Mutter erzählt hat, ich wäre
schon mit elf Monaten sauber gewesen. Das ist ganz selten. Heute läßt man
die Kinder, solange sie wollen, in die Windeln scheißen. Zu meiner Zeit war
man sehr darauf aus, daß ein Kind möglichst früh auf den Topf geht. Ich finde
das schrecklich, aber ich halte auch nichts davon, alles psychologisch zu
analysieren. Ich glaube, es gibt kaum einen anderen Autor, der in so kurzer
Zeit so viel geschrieben hat. Das können Sie nur, wenn Sie irgendwann aufhören,
in sich hineinzuschauen. Ich schreibe nicht über mich. Sonst wäre ich nicht
so erfolgreich.
Deuten Sie Ihre Träume?
KROETZ: Nein, aber ich kann Ihnen einen erzählen. Der war irrsinnig komisch.
Ich saß auf einem Hochrad und fuhr durch eine belebte Straße. Unten waren
Leute in einem Café und redeten miteinander. Ich wollte mich unter die Menge
mischen. Aber es ging nicht.
Sie haben den Kontakt zur Basis verloren.
KROETZ: Genau! Ich wußte, wenn ich nicht weiterfahre, falle ich um, und alle
würden sehen, daß ich ein ganz gewöhnlicher Mensch bin. Das will ich wahrscheinlich
nicht sein. Ich möchte ein Held sein. Ich möchte von meinem Hochrad heruntergeschossen
werden.
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*) Uraufführung der Einakter "Hartnäckig"
und "Heimarbeit"
**) „Bauern sterben“ wurde am 9. Juni 1985 am Münchner Residenztheater
uraufgeführt.
***) Franz Xaver Kroetz war von 1972 bis 1980 Mitglied der Kommunistischen
Partei und kandidierte zweimal für den Bundestag.
****) 1986 spielte Kroetz den Klatschreporter Baby Schimmerlos in der
Fernsehserie „Kir Royal“ von Helmut Dietl.
*****) David, unehelicher Sohn aus der Verbindung
mit der Münchner Theaterleiterin Uta Emmer, geboren 1975
******) Von 1992 bis 2005 war Kroetz mit der Schauspielerin Marie-Theres Relin,
Tochter von Maria Schell und Veit Relin, verheiratetet, mit der er drei Kinder
hat.
*******) Ronald Reagan (1911 - 2004), von 1981 bis
1989 Präsident der USA
********) Leonid Breschnew (1906 - 1982), ab 19676 Generalsekretär der KPdSU,
ab 1977 Staatsoberhaupt der Sowjetunion
*********) Zitat aus meinem ersten Interview mit Kroetz 1970, abgedruckt in „Entblößungen“, Goldmann-Verlag, 1979
**********) Sammy Drechsel (1925 - 1986), Münchner
Kabarettist und Sportreporter
***********) Pasing, Münchner Stadtbezirk, wo Kroetz damals das Haus seiner
Eltern bewohnte
************) „Nicaragua-Tagebuch“, erschienen 1985 im Konkret Literatur
Verlag.
*************) „Der Nusser“, uraufgeführt am 15. März 1986 in München
Residenztheater
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Erschienen in der September-Ausgabe 1986 des „Playboy“