Die Bild-Zeitung hat Sie unlängst mit Adolf Hitler verglichen.
FRANZ SCHÖNHUBER: Ja, und damit bin ich zum Abschuß freigegeben.
Haben Sie Angst?
SCHÖNHUBER: Nein, denn ich bin, was das betrifft, Fatalist. Ich meine, wenn
Sie einer umbringen will, dann schafft er es allemal. Wenn Sie in einer Massenveranstaltung
vor achttausend Leuten sprechen, und irgendwo steht einer mit einem Zielfernrohr,
dann nützt Ihnen der beste Schutz nichts. Wissen Sie, ich habe nichts gegen
Kämpfe, aber es ist absurd, einen Menschen, der seit über vierzig Jahren ein
demokratisches Leben führt, auf diese Stufe zurückzuwerfen.
Für die Demokratie haben nicht Sie sich entschieden. Die war ein Ergebnis des
Krieges.
SCHÖNHUBER: Das ist richtig.
Ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als demokratisch zu leben.
SCHÖNHUBER: Schaun Sie, da halte ich es mit Churchill, der sagte, die Demokratie
mag eine schlechte Staatsform sein, aber es gibt keine bessere.
In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, Sie seien ein „patriarchaler Mensch“.
SCHÖNHUBER: Das ist ja nichts Schlechtes. Also mich trennt von diesem fürchterlichen
Menschen...
Von wem?
SCHÖNHUBER: ...von Hitler zumindest eines. Das war ein Mann, der bestimmt nicht
patriarchalisch war, weil man ein Volk, wenn man es liebt, nicht in sein Unglück
jagt.
Das hatte auch Hitler zunächst nicht vor.
SCHÖNHUBER: Das kann man nicht sagen.
Er wollte siegen.
SCHÖNHUBER: Ja, aber er war ein ungeheurer Egomane, der alles auf sich bezog.
Der Vergleich mit Hitler ist abwegig, weil auch die wirtschaftliche und politische
Lage heute eine ganz andere ist.
Sie sind von Beruf Journalist. Ihre Rundfunkkarriere* endete abrupt vor zehn
Jahren, nachdem Sie in Ihrem Buch »Ich war dabei« die Ideale der Waffen-SS,
der Sie angehörten, verteidigt hatten.
SCHÖNHUBER: Ich war nur ehrlich.
Daß Ihnen beim Rundfunk gekündigt wurde, haben Sie als einen Fingerzeig Gottes
bezeichnet.
SCHÖNHUBER: Das war es auch. Denn im selben Jahr wurden die »Republikaner« gegründet.
Daß das zeitlich zusammentraf, kann doch kein Zufall sein.
Heute sind Sie die Symbolfigur der politischen Rechten. Ihre Ausstrahlung als
Redner, ich will nicht Charisma sagen...
SCHÖNHUBER: Doch, sagen Sie's ruhig, es ist nicht falsch.
Was empfinden Sie, wenn Sie vor Tausenden Menschen sprechen?
SCHÖNHUBER: Das ist eine merkwürdige Situation. Stellen Sie sich vor, Sie haben
dreißig Jahre lang als Journalist oder Fernsehmann die Politiker beobachten
müssen, und nun sind sie selbst plötzlich einer. Sie stehen als Volkstribun
oder Charismatiker, wie Sie wollen, vor achttausend Leuten, das geht ja über
eine Rede, die man hält, weit hinaus. Das ist ein Austausch von Emotionen, ein
kommunikativer Prozeß. Das nimmt manchmal phantastische Züge an, wenn ich in
einen Saal einmarschiere. Die Leute bringen einem Gefühle entgegen, eine große
Zuneigung, die tut gut, die berührt einen Menschen, und nun erwartet der andere
Teil, also die Masse, daß sie von dem, der da oben steht, die Gefühle zurückbekommt.
Das ist ganz sicher eine Verführung.
Eine Verführung zu Sätzen, die Sie später bereuen?
SCHÖNHUBER: Eine Verführung, der nur ganz wenige ausgesetzt sind, weil die anderen,
ich sage es jetzt ganz offen, nicht das Charisma haben. Ich habe in Deutschland
nur einen erlebt, der das hatte, das war Franz Josef Strauß. Der hat übrigens
ähnlich gesprochen wie ich. Sonst kenne ich keinen. Über Kohl kann ich nur lachen.
Was tun Sie, um der Verführung, von der Sie sprechen, zu widerstehen?
SCHÖNHUBER: Ich beobachte mich. Das Hirn des Journalisten in mir ist ja nicht
ausgeschaltet. Ich überlege mir: War es nun notwendig, diesen oder jenen Satz
so zu sagen?
Sie beobachten sich, während Sie reden?
SCHÖNHUBER: Nein, das geschieht hinterher. Ich war nach dem Krieg kurze Zeit
Schauspieler, kein guter, aber ich habe schon als junger Mann festgestellt,
daß die Nachkritik für mich das entscheidende ist. Ich fragte mich nach einer
Vorstellung, wie hast du, sagen wir mal, den Kosinsky in den »Räubern« gespielt.
Ähnlich geht es mir heute in meinem politischen Leben. In einer medialen Zeit
wie der unsrigen ist im Politiker mehr denn je der Künstler gefragt.
Gut, aber Ihre Wirkung erzielen Sie mit dem, was Sie sagen. Von Ihrer Selbstprüfung
erfährt das Publikum nichts.
SCHÖNHUBER: Das ist richtig, aber ich rücke ja nicht von Grundsätzen ab. Es
geht nur um Worte und Formulierungen.
In Ihrem letzten Buch »Die Türken«...
SCHÖNHUBER: ... das ich übrigens für mein bestes halte...
... schreiben Sie, wir stehen vor dem dritten Türkenzug nach Europa, nur kommen
die Eroberer heute nicht als berittene Krieger, sondern als Gastarbeiter in
Flugzeugen, Zügen und Bussen. Wörtlich: »Nicht Wien ist das Ziel. Die Marschrichtung
weist nach Berlin, Stuttgart und München.«
SCHÖNHUBER: Ja, diesen Satz würde ich aufrechterhalten.
Sie vergleichen die Eroberung von Byzanz durch die Osmanen mit dem Zustrom türkischer
Gastarbeiter, die hier ihren Glauben pflegen.
SCHÖNHUBER: Das ist eine meiner Überzeugungen.
Einer Kirche, die das zuläßt, sollte man keine Steuern zahlen.
SCHÖNHUBER: Ja, so sage ich das. Ich habe zur Kirche, nicht zum Glauben, ein
gestörtes Verhältnis. Die Kirche ist auf Hitler genauso hereingefallen wie auf
die Kommunisten in der früheren DDR.
Und jetzt fällt sie auf die Türken herein?
SCHÖNHUBER: Also nein, so können Sie das nicht machen. Sie müssen wissen, Sie
haben hier einen Profi vor sich.
Aber das haben Sie doch geschrieben: Die Kirche sei zu liberal dem Islam gegenüber.
SCHÖNHUBER: Schaun Sie, es ist ganz einfach. Kennen Sie Konya? Das ist das türkische
Zentrum des aggressiven Islam. Angenommen, Sie wollen dort eine katholische
Kirche bauen, dann kommen Sie über den ersten Spatenstich nicht hinaus.**
Das kann man doch nicht vergleichen.
SCHÖNHUBER: Also lassen Sie mich vergleichen, was ich will.
In Konya leben doch keine Deutschen als Gastarbeiter.
SCHÖNHUBER: Das ist etwas anderes.
Ich glaube nicht, daß bald, wie Sie schreiben, die grüne Fahne des Islam über
uns wehen wird.
SCHÖNHUBER: Wenn Sie alles wissen, warum fragen Sie dann?
Ich frage, warum Sie das fürchten.
SCHÖNHUBER: Ich fürchte nichts, ich stelle fest, und ich weiß, daß es so ist,
weil ich einer der ganz wenigen bin, die sich mit der Türkei wirklich beschäftigt
haben. In Deutschland wird übersehen, daß sich in die Einwanderungsströme mehr
und mehr eine religiös-militante Bewegung schleicht. Das sind Fanatiker, die
schießen zwar nicht, aber sie verlangen von uns Toleranz, die sie im eigenen
Land niemals üben würden.
Können Sie sich vorstellen, welche Wirkung es hat, wenn Sie sagen, die Türken
wollen Berlin erobern?
SCHÖNHUBER: Ich kann nicht bei jedem Satz, den ich sage, die Wirkung bedenken.
Ein Politiker, der das tut, kann gar nichts mehr sagen, denn es holt sich jeder
aus dem, was er hört, wie ein Honigsauger das heraus, von dem er glaubt, daß
es das Richtige ist. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man entscheidet sich
für die historische Beurteilung einer Situation, oder man richtet sich nach
dem, was opportun erscheint. Das tue ich nicht. Was ich über die Türken sage,
entspricht meinen historischen Kenntnissen.
In den Köpfen von Extremisten werden Sie damit Feuer legen.
SCHÖNHUBER: Das glaube ich nicht, aber wenn es so ist, kann ich es auch nicht
ändern.***
In Ihrem Buch »Trotz allem Deutschland« schreiben Sie, Sie seien getrieben von
einem Wahrheitsdrang. Als Motive nennen Sie »Kompensation für schwindende Genußfähigkeit,
Ehrlichkeit als Eros der späten Jahre, selbstgestrickte Winterkleidung, um die
herankriechende Kälte des beginnenden Lebenswinters nicht so zu spüren«. Sie
erinnern sich an die Stelle?
SCHÖNHUBER: Ja.
Zur Ehrlichkeit gehört auch, daß man die Schattenseiten in sich erkennt und
eingesteht.
SCHÖNHUBER: Dazu kann ich nur sagen, zitieren Sie all das, was ich geschrieben
habe.
Haben Sie jemals Schuld empfunden?
SCHÖNHUBER: Ich glaube, ich habe mehr als oft genug wiederholt, daß Deutschland
Mitschuld hat an dem, was unter Hitler geschah, aber nicht die alleinige Schuld.
Als junger Mann, so schreiben Sie, haben Sie das folgende Lied gern gesungen:
»Die Juden ziehen dahin, daher, sie ziehen durch das Rote Meer, die Wellen schlagen
zu, die Welt hat Ruh'.«
SCHÖNHUBER: Das habe ich als Hitlerjunge gesungen.
Was dachten Sie sich dabei?
SCHÖNHUBER: Wahrscheinlich gar nichts. Dieses Lied haben andere auch gesungen.
Jeder Deutsche, der heute über sechzig ist, hat das gesungen****. Ich lehne
es ab, von einem Zwölfjährigen die politische Weisheit zu fordern, dieses Lied
mit Bedacht zu singen.
Was in den Konzentrationslagern geschah, haben Sie erst nach Kriegsschluß erfahren.
Eine Vorahnung bekamen Sie, als Sie im letzten Kriegsjahr einen Trupp von KZ-Häftlingen,
die von den Deutschen in unbesetztes Gebiet gebracht wurden, vorbeiziehen sahen.
Sie seien, schreiben Sie, wie erstarrt gewesen.
SCHÖNHUBER: Ja, ich empfand tiefe Scham.
Das schreiben Sie nicht.
SCHÖNHUBER: Doch doch.
Nein, Sie schreiben, Ihnen sei aufgegangen, daß die Sieger Sie aufgrund der
jedem SS-Soldaten in den Arm tätowierten Blutgruppe für einen KZ-Wächter halten
und dementsprechend behandeln könnten. Das war die Ursache Ihrer Erstarrung.
SCHÖNHUBER: Also, entweder Sie glauben mir, was ich sage, oder wir hören auf.
Von Scham schreiben Sie nichts.
SCHÖNHUBER: Ich habe x-mal über die Scham gesprochen, aber ich gehe deshalb
nicht mein Leben lang nur noch gebückt herum. Ich stelle mich nicht an den Marterpfahl.
Es gibt in der Geschichte auch andere Völkermorde. Es gibt den Völkermord an
den Armeniern, die von den Türken zusammengetrieben, deportiert und erschossen
wurden. Es gab in der Geschichte das berühmte Beinhaus des Tamerlan, wo zu Hunderttausenden
die Köpfe von Toten gestapelt wurden. Ich könnte noch andere Beispiele nennen.
Beruhigt Sie das?
SCHÖNHUBER: Nein, es beruhigt mich nicht. Aber man muß auch sehen: Nicht nur
die Deutschen haben Verbrechen begangen. Es muß auch für dieses Volk einen Anwalt
geben, der es nicht demütigt und dauernd auf den Knien herumrutschen läßt.
Die Deutschen rutschen doch nicht auf den Knien herum.
SCHÖNHUBER: Doch, ein großer Teil der deutschen Politiker sind Knierutscher,
lassen wir es dabei.
Wollen Sie ein anderes Thema?
SCHÖNHUBER: Ich weiß nicht, ob das noch sinnvoll ist.
Ihre Tochter aus erster Ehe mit einer ungarischen Halbjüdin, auf die Sie sich,
wenn man Ihnen Rassismus vorwirft, gern berufen, hat sich von Ihnen öffentlich
distanziert.
SCHÖNHUBER: Ich werde über meine Tochter nur ungern reden.
Sie hat Sie in der Illustrierten "Die Bunte" als Lügner und Wirrkopf
bezeichnet.
SCHÖNHUBER: Ich möchte nicht wissen, wie das zustandekam. Wenn es nicht meine
Tochter wäre, würde ich unterstellen, daß finanzielle Gründe dahinterstecken.
Man kann auch Interviews kaufen.
Sie seien ein von Minderwertigkeitskomplexen Gejagter, der seinen Charme mißbraucht.
SCHÖNHUBER: Dazu kann ich Ihnen in aller Gelassenheit sagen, es mag bei mir
Komplexe gegeben haben, aber einen Minderwertigkeitskomplex sicher nicht.
Ihr Vater war Viehhändler. Als Motiv, sich, statt zur gewöhnlichen Infanterie
zu gehen, bei der Waffen-SS zu bewerben, geben Sie »eine ausgesprochene Ruhmsucht«
an, »etwas Besonderes, mit gewöhnlichen Sterblichen nicht Vergleichbares zu
sein, den Viehhändlersohn zu verdrängen und die Herkunft durch besondere Leistungen
zu kompensieren«.
SCHÖNHUBER: Ich habe meine Ruhmsucht ja nie bestritten.
Nein, aber der Satz beweist doch, daß Sie sich für weniger wert als die anderen
hielten.
SCHÖNHUBER: Das ist Ihre Version.
Sie träumten davon, als Marschall »auf einem stolzen Schimmel in eine befreite
Stadt einzureiten wie Petain in Metz«.
SCHÖNHUBER: Davon träumte ich, weil mein Vater Petain bewundert hat.
Als Ihre Ernennung zum Unterscharführer im »Trostberger Tagblatt«, der Zeitung
Ihres Geburtsortes, gemeldet wurde, dachten Sie, Zitat: »Na, jetzt müssen s'
halt doch denken, die Herren Bürger, daß er nicht ganz so blöd sein kann, der
Viehhändlersbua.«
SCHÖNHUBER: Daß jemand, der es schwer hatte, sich über eine solche Anerkennung
freut, ist doch normal.
Warum glaubten Sie, blöd zu sein?
SCHÖNHUBER: Ich glaubte nicht, blöd zu sein. Aber ich habe darunter gelitten,
daß mein Vater, ein außergewöhnlich kluger Mann, zwar nicht gebildet, weil er
die Chance nicht hatte, aber mit hohem Verstand, von einer dümmlichen Großbourgeoisie
so an den Rand gedrängt wurde. Mein Aufstieg war sozusagen die Wiedergutmachung
für meinen Vater.
Über Ihr erstes sexuelles Erlebnis mit einer polnischen Metzgerstochter schreiben
Sie: »Daß es eine Metzgermeisterstochter war, störte mich anfangs, warf es mich
doch zurück in ein Milieu, dem ich dauernd zu entfliehen hoffte.«
SCHÖNHUBER: Also ich glaube, an dieser Ecke des Interviews werden wir scheitern.
Ich lese doch nur Ihre Sätze vor.
SCHÖNHUBER: Ich sage noch einmal, ein Gefühl der Inferiorität hat es bei mir,
auch als junger Mensch, nie gegeben, im Gegenteil, ich habe mich immer für klüger
und mutiger gehalten als andere, und ich habe auch bewiesen, daß ich es bin.
Es gibt ja nicht nur den Soldaten, es gibt auch den Sportler in mir. Ich war
Skispringer, und wer sich einmal angeschaut hat, was es heißt, dreißig oder
vierzig Meter in der alten Montur zu fliegen, der weiß, daß das nicht lustig
ist.
Hatten Sie in der Schule Schwierigkeiten?
SCHÖNHUBER: Nein, mir ist alles mehr oder weniger zugeflogen. Ich war extrem
unfleißig, aber ich hielt mich für sehr begabt, und ich finde, es ist legitim,
daß ein Mensch, der den anderen Nachhilfe gibt, weil sie es selbst nicht schaffen,
dann auch im Beruf höher steigen möchte als die.
Wen meinen Sie?
SCHÖNHUBER: Ich meine die sogenannten Intellektuellen. Ich bin immer davon ausgegangen,
daß ich denen an Wissen und Verstand überlegen bin. Ich habe mehr Geschichtsverständnis.
Ich habe einen weiteren Horizont. Ich bin durch die ganze Welt gereist. Ich
beherrsche vier Sprachen. Es heißt immer, der Geist weht links. Ich habe eine
rechte Partei gegründet, weil ich den Anspruch erhebe, den Geist auch rechts
wehen zu lassen.
Sie sagen: »Wir sind die Partei der gestopften Socken und des Sauerkrautgeruchs
in der Küche.«
SCHÖNHUBER: Ja, ich bin der Meinung, ich brauche nicht denen zu helfen, die
sowieso etwas haben, sondern denen, die zu Unrecht im Schatten stehen.
Andererseits bemühen Sie sich, Leute, die, wie Sie sagen, "vorzeigbar"
sind, für die Partei zu gewinnen, Richter, Anwälte, Professoren.
SCHÖNHUBER: Um die muß ich mich nicht mehr bemühen. Die Professoren laufen mir
inzwischen längst nach, die kommen jetzt alle von selbst, weil nichts erfolgreicher
ist als der Erfolg.
Ja, aber warum nennen Sie diese Leute vorzeigbar und andere nicht?
SCHÖNHUBER: Das habe ich nie getan.
In einem publizierten Gespräch mit Peter Glotz***** sagten Sie: "Die entscheidende
Frage des Überlebens und des Stärkerwerdens der Republikaner wird sein, neben
den Menschen der ersten Stunde diese Partei zu intellektualisieren. Ich muß
also Menschen in die Partei bringen, die vorzeigbar sind."
SCHÖNHUBER: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.
Die Parteimitglieder mit den gestopften Socken halten Sie für nicht vorzeigbar.
SCHÖNHUBER: Also, das ist doch ein Witz, was Sie jetzt machen.
Ich zitiere Sätze von Ihnen und vergleiche sie miteinander.
SCHÖNHUBER: Das ist doch Sophisterei. Sie leben in einer völlig anderen Welt.
Schon möglich.
SCHÖNHUBER: Sie sind Feuilletonist. Ich bin Politiker. Sie können hier so feuilletonistisch
plaudern. Ich muß, wenn ich gute Politik machen will, die einfachen Leute verstehen,
das Volk. Ich habe es oft gesagt, und ich wiederhole es bis zum Erbrechen: Die
meisten sogenannten Intellektuellen leben in einem elfenbeinernen Turm. Welche
Folgen das haben kann, hat unsere jüngste Geschichte gezeigt.
Sie meinen, die Intellektuellen haben den Aufstieg Hitlers verschuldet?
SCHÖNHUBER: Sie haben diesen Mann nicht genug ernst genommen. Statt zu lesen,
was er geschrieben hat, haben sie sich über ihn lustig gemacht, haben ihn ironisch
abqualifiziert als Anstreicher und dummen Malerpinsel. Das war die tödliche
Überheblichkeit der deutschen Linken, denn damit haben sie nicht nur diesen
einen, sondern die Masse des Volkes beleidigt. Wenn man sagt, schau dir den
dummen Bauern an, dann fühlen sich alle Bauern betroffen, und wenn man dem Hitler
vorhielt, daß er von niedriger Herkunft war, dann haben sich die Leute aus den
gleichen Schichten gefragt: Ja, ist denn das etwas Schlechtes?
Heißt das, man darf sich über Politiker nicht mehr lustig machen?
SCHÖNHUBER: Das heißt es nicht. Aber Sie müssen sich auch den anderen vorstellen,
den Hitler. Der darf doch dann wohl reagieren.
Indem er Millionen in die Gaskammern schickt?
SCHÖNHUBER: Das habe ich nicht gesagt.
Aber Sie zeigen Verständnis.
SCHÖNHUBER: Nein. Ich habe mich bemüht, zu verstehen. Das ist etwas anderes.
Ich wollte wissen, wer das war, den ich immer nur auf Bildern gesehen hatte.
In jeder Stube hing doch ein Hitler-Bild. Man kann einen Mann von diesen historischen
Dimensionen nicht als Teppichbeißer und kleinen Kasperl hinstellen. Hitler und
Stalin waren die größten Verbrecher dieses Jahrhunderts. Aber sie haben doch
Ungeheures bewegt. Dazu kommt noch Lenin. Alle anderen sind, historisch gesehen,
nur Randfiguren.
Welche politische Position betrachten Sie als die Ihnen gemäße?
SCHÖNHUBER: Ich betrachte mich in Deutschland als für jeden Posten geeignet,
inklusive jenes des Bundeskanzlers.
Sie werden nächstes Jahr siebzig.
SCHÖNHUBER: Ich bin neunundsechzig. Adenauer ist mit einundsiebzig Kanzler geworden.
Also habe ich noch zwei Jahre Zeit. Es kann aber auch sein, daß sich ein Mann
in meinem Alter damit bescheiden muß, den Weg für andere, die ihm nachfolgen,
freizumachen******. Ich weiß, daß ich nicht ewig lebe.
Der Gedanke an den Tod, so schreiben Sie, habe Sie nie deprimiert, sondern beflügelt.
Wörtlich: »Er steigerte meine Daseinsfreude.«
SCHÖNHUBER: Ja, das halte ich für eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich
während des Krieges machte.
Im Nahkampf auf Korsika wurden Sie von einem »fast sportlichen Ehrgeiz« ergriffen.
Sie fühlten sich wie im Rausch.
SCHÖNHUBER: Ich war ein tapferer Soldat.
Der Anblick eines erhängten Deserteurs hatte auf Sie eine sexuell stimulierende
Wirkung.
SCHÖNHUBER: Ich habe versucht, darzustellen, daß die Todesnähe der Quell einer
ungeheuren Lebensgier und auch einer Begierde ist.
Den Beischlaf mit einer jungen Deutschen in Böhmen empfanden Sie als »Erotik
im Schatten des Untergangs«.
SCHÖNHUBER: Sie müssen sich vorstellen, ich war damals neunzehn, ich wollte
nicht sterben, aber ich wußte, was passieren kann, wenn ich als Soldat der Waffen-SS
in russische Hände falle. In so einer Situation will man noch einmal das Leben
spüren.
Was bieten Sie jungen Menschen, die Sie um diese Erfahrung beneiden, als Alternative
an?
SCHÖNHUBER: Eine sehr kluge Frage.
Krieg scheidet aus.
SCHÖNHUBER: Ja, weil Krieg heute nur noch ein Knopfdruck ist. In meiner Jugend
gab es den »Wandervogel«. Da konnten junge Menschen ihren Körper beruhigen.
Sie sind auf die Berge gestiegen, durch Wald und Feld gezogen. Heute singen
sie nicht einmal, weil der Mensch medial überfüttert ist. Er sitzt den ganzen
Tag vor dem Fernsehschirm. Er hockt im Fußballstadion, volltrunken, statt selber
zu spielen. Er schaut sich Boxen an, da fließt Blut, aber er boxt nicht selbst.
Der Mensch muß wieder eine Beziehung zu seinem Körper finden, er muß ihn herausfordern,
er muß ihn stählen, wenn Sie so wollen.
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*) Schönhuber war ab 1975 Leiter der Hauptabteilung »Information« beim
bayerischen Fernsehen.
**) Wie ich erst später erfuhr, gibt es in Konya seit längerem eine katholische
Kirche, in der unbehelligt Gottesdienste gefeiert werden.
***) Zwei Monate nach Erscheinen des Interviews, im August 1992, zündeten
Rechtsradikale ein Asylbewerberheim in Rostock an, im November kamen drei
Türkinnen bei einem Brandanschlag in Mölln ums Leben, im Mai 1993 starben fünf
Mitglieder einer türkischen Familie in den Flammen ihres von Neonazis in Brand
gesteckten Wohnhauses in Solingen.
****) Hans Güldner, Jahrgang 1923, verwahrte sich in einem Leserbrief gegen
diese "Besudelung". Er habe das Lied nur mit folgendem Text gesungen:
"Die Wolken ziehen dahin, daher, sie ziehen wohl über's Meer, der Mensch
lebt einmal und dann nicht mehr."
*****) Peter Glotz (1939 - 2005), Politiker und Publizist, von 1981 bis 1987 Bundesgeschäftsführer der SPD
******) Schönhuber war ab 1985 Parteivorsitzender der „Republikaner (REP) und von 1989 bis 1994 Europaabgeordneter. Nach innerparteilichen Differenzen gab er den Vorsitz ab und trat 1995 aus der Partei aus. 2005 verstarb er 82-jährig in München.
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