Alice Schwarzer (1996, Tonbandprotokoll)
Sie kämpfen seit dreißig Jahren für die
Freiheit der Frau. Ich frage, möchte der Mensch überhaupt frei
sein?
AS: Zunächst muß ich sagen, ich kämpfe für die Freiheit der Frauen
, weil ich glaube, daß es die Frau nicht gibt, sondern daß auch
das weibliche Individuum sehr unterschiedlich ist.
Aber Sie haben doch eine Vorstellung von dem, worunter dieses
Individuum auf Grund seines Geschlechtes leidet.
AS: Mir scheint die Frage, möchte der weibliche Mensch frei sein...
Nicht der weibliche, ich meine: der Mensch, auf den sich der Schluß
des Buches "Das andere Geschlecht" von Simone de Beauvoir
bezieht, wenn sie schreibt, daß Mann und Frau nur geschwisterlich
das marxistische "Reich der Freiheit" erreichen können.
Ich bezweifle, daran ist ja der Marxismus wohl auch gescheitert,
daß der Mensch dieses "Reich der Freiheit" ertrüge.
AS: Ehrlich gesagt, habe ich mir diese Frage noch nie gestellt.
Meine Prioritäten und Dringlichkeiten sind andere. Also bis dahin
kann ich noch gar nicht schauen. Ich habe es bei dem weiblichen
Menschen mit so vielen Zwängen und Einengungen und Unfreiheiten
zu tun, daß es mir zunächst einmal darum geht, die wegzukriegen,
die Menschen freizumachen. Was dann bleibt... (verläßt den Raum,
weil sie zum Telefon gerufen wird...) Was dann ist und was die
Menschen daraus machen, das werden die Menschen selbst zu beantworten
haben. Ich finde es sowieso immer schwierig, Utopien zu entwerfen.
Das ist nicht meine Stärke. Ich bin sehr im Jetzt verhaftet und
setze mich damit auseinander.
Ja, gut...
AS: Der Satz, den Sie gerade von Beauvoir zitiert haben, ist ein
Satz, den ich sehr mag, weil ich an dem "geschwisterlich"
hänge. Das gefällt mir.
Ja, aber Sie lassen, wenn Sie den Satz zitieren, das, was vorher
steht, weg.
AS: Lesen Sie ihn mal ganz vor und sagen Sie mir, was ich zitiere!
Da steht: "Der Mann hat die Aufgabe, in der gegebenen Welt
dem Reich der Freiheit zum Sieg zu verhelfen. Damit dieser höchste
Sieg errungen wird, ist es unter anderem notwendig, daß Mann und
Frau jenseits ihrer natürlichen Differenzierungen rückhaltlos
geschwisterlich zueinander finden." So heißt der ganze letzte
Satz des Buches.
AS: Ja, und?
Vielleicht muß ich etwas ausholen, um Ihnen verständlich zu machen,
was mich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Begriff Freiheit,
wie er hier wohl zu verstehen ist. Ich meine, daß der Mensch,
ich rede von Mann und Frau, das ist natürlich ein Gedanke, der
über Ihre Nahziele hinausgeht, aber anders möchte ich das Gespräch
nicht beginnen, weil Ihre Nahziele ja allgemein bekannt sind...
also daß der Mensch über diese Nahziele hinaus sich wohl eine
Freiheit als Utopie vorgestellt hat, in der er Zeit hat, zu denken,
in der er frei ist, wie Beauvoir sagt, sich zu transzendieren,
das "Gewicht der Welt" auf den Schultern zu tragen, was
nun vielleicht schon ein männliches Bild ist. Denn wir wissen
nicht, ob die Frau, wenn sie einmal befreit ist, in diesem metaphysischen
Sinne ein Gewicht tragen wird. Vielleicht schwimmt sie im Wasser,
bildlich gesprochen, wie Undine. Vielleicht ist das ihr Element.
Das wissen wir ja nicht, was dann passiert. Beauvoir schreibt
ja, daß es ein wirkliches Matriarchat, so sehr auch darüber spekuliert
wird, nie gegeben hat. Darüber können wir also keine Auskunft
geben.
AS: Das sehe ich auch so.
Ja, aber in Ihrem Buch "Der kleine Unterschied und seine großen
Folgen" schreiben Sie von Matriarchaten, die es im Mittelmeerraum
gegeben habe. Sie beschreiben genau, was dort geschah, wie die
Männer aussahen, nämlich klein und dicklich, wie sie sich zu benehmen
hatten, still und treu, was sie zu tun hatten...
AS: Ich zitiere eine Matriarchatsforscherin.
Sie zitieren, ja, aber mit Zustimmung.
AS: Ich gehöre nun wirklich nicht zu den feministischen Autorinnen,
die sich dazu häufig geäußert haben.
Das stimmt. Aber in Ihrem ersten Buch schon sehr dezidiert. Egal.
Ich bleibe bei dem utopischen Ansatz. Wenn wir uns jenes "Reich
der Freiheit" als Ziel vornehmen, dann meinen wir eine Freiheit,
in der wir frei sind nicht relativ zu anderen Menschen, sondern
absolut frei, das heißt, frei, um zu denken. Elfriede Jelinek
hat dieses freie Denken einmal den "Glaspalast des männlichen
Denkens" genannt, der sie, obwohl Feministin, tief fasziniert.
Das wäre dann im "Reich der Freiheit" der "Glaspalast
des menschlichen Denkens". Ich glaube, daß diese uneingeschränkte
Freiheit, zu denken, uns unerträglich ist. Einer meiner philosophischen
Schulmeister, Pascal, hat behauptet, daß der Mensch sich ununterbrochen
von der Gefahr dieser unerträglichen Freiheit des Denkens ablenkt,
weil er den Gedanken an das "Elend seiner Existenz", man
kann auch sagen, den Gedanken an ihre Absurdität, nicht erträgt.
Thomas Bernhard sagt, es wird alles lächerlich, wenn man an den
Tod denkt.
AS: Aber worauf wollen Sie hinaus? Was soll mir da zu denken geben?
Sie geben mir etwas zu denken, das ich vielleicht noch nicht berücksichtigt
habe.
Gut, ich brauche dazu vielleicht ein paar Minuten. Sie haben ja,
abgesehen von großem Widerstand der Männer in der Anfangszeit
Ihres Kampfes, was bis zu Verbalinjurien ging, die Sie heute gern
wiederholen, wie "frustrierte Tucke", "Miß Hängetitt"
und so weiter, mit einem erstaunlichen, ja erschreckenden Widerstand
von Frauen zu tun, der bis zum Überfall auf die Redaktionsräume
von "Emma" ging, wo eine lesbische Frauengruppe Ihre Computer
ruinierte und die Wände beschmierte. Das bringt mich darauf, daß
das vielleicht tiefere Gründe hat, weil ich diese Frauen, von
Frau Paglia bis Frau Stephan, die sich ja auch Feministinnen nennen,
zunächst einmal ernst nehmen möchte. Ernster als Sie sie nehmen,
würde ich sagen, weil ich das nicht gleich bewerte, ich lese das
und denke mir, die haben Gründe, ich sage nicht gleich wie Sie,
die leiden unter Selbsthaß und sind Opportunistinnen, die sich
den Männern anbiedern wollen. Ich lese das und nehme es ernst,
genauso wie ich Sie ernst nehme, und dann frage ich mich, woher
kommt dieser radikale, geradezu verzweifelte Widerstand dieser
Frauen gegen Sie und das, was Sie tun und vertreten, und dann
komme ich darauf, daß ja eine dieser Ablenkungen von der unerträglichen
Freiheit des Denkens vielleicht der Kampf um diese Freiheit ist,
die die Frauen, wie Sie sagen, noch niemals hatten und über die
sie erst, wenn sie erreicht wäre, reden könnten, also auch Ihr
Kampf, der immer mehr ein Kampf gegen Ihre Gegner unter den Frauen
wird. Diese Frauen halten die Freiheit, die Sie ihnen verschaffen
wollen, offenbar nicht für erstrebenswert. Der Kampf scheint nicht
mehr auf ein Ziel gerichtet, sondern er wird zum Selbstzweck,
weil man das Erreichen des Ziels, die Verwirklichung des "Reiches
der Freiheit", im Grunde fürchtet.
AS: Nun ja.
Auch Sie sind ja beschäftigt mit diesem Kampf, könnten aber doch
auch schon darüber hinausdenken, also sich im Sinne von Beauvoir
transzendieren und fragen, was ist die Folge, wenn ich mein Ziel
einmal erreiche, wenn ich dahin komme, nicht mehr kämpfen zu müssen.
Meine Vermutung ist, Sie müßten sich nach neuen Ablenkungen umschauen.
Die schönste, ich wage es in Ihrer Gegenwart kaum in den Mund
zu nehmen, ist Liebe. Liebe macht in gewisser Weise dumm. Aber
Dummheit ist eine Gnade.
AS: Tja...
Ich habe so lange geredet, damit Sie verstehen, was ich meine.
AS: Ich versuche zu ahnen.
Der ganz banale Ansatz meines ausholenden Monologs ist die Frage,
was die tieferen Gründe sind für den Widerstand aus den sozusagen
eigenen Reihen. Ich nehme das ernster als Sie. Ich sage nicht
bloß, diese Frauen sind von Männern dressiert und verhalten sich
falsch.
AS: Sie vermischen jetzt viel. Ich denke, daß es in diesen ganzen
Jahrtausenden der männlichen Vorherrschaft immer wieder Widerstand
von Frauen gegeben hat, kollektiven, vereinzelten, der aber auch
in einem Kontext steht, und immer wieder der Versuch gemacht wurde,
den aufrechten Gang zu gehen.
Was haben sich diese Frauen als Ziel vorgestellt?
AS: Das kommt später. Das haben Sie gerade vermischt mit der Tatsache,
daß natürlich auch Frauen sich nicht immer einig sind. Die SPD
ist sich nicht einig, die Sozialisten sind sich nicht einig, die
Schwarzen sind sich nicht einig, die Gelben und Grünen und Gepunkteten
und Karierten. Warum sollten die Frauen sich einig sein? Also
das zunächst einmal.
Ja, aber es geht ja um ein einfaches, grundsätzliches Ziel, die
Befreiung von der männlichen Vorherrschaft, es geht nicht um Meinungen,
die ausgetauscht werden.
AS: Wissen Sie, an dem Punkt sind wir doch überhaupt nicht, daß
wir uns das Paradies ausmalen.
Doch, Sie schon.
AS: Nein, ich nicht, ich habe dazu überhaupt keine Meinung. Ich
gerate in größte Verlegenheit, wenn ich über Utopien sprechen
soll, und darauf kann auch niemand eine Antwort geben. Uns Frauen...
Aber es gibt doch sehr verräterische Formulierungen. In der letzten
"Emma" steht: "Feministisches Leben, ewiges Leben."
AS: Wo steht das?
Das steht als Schlußsatz zu einer Kurzkritik über Betty Friedans
neues Buch über das Alter. Das geht davon aus, daß Hausmänner
länger leben, emanzipierte Frauen länger leben, also das soll
heißen, wer feministisch lebt, stirbt später.
AS: Ach so, das ist ein kleiner ironischer Schlenker.
Ja, aber es sagt auch etwas aus. An anderer Stelle sagen Sie in
einem offenen Brief an Rita Süßmuth, man könne nicht dem Papst
und Simone de Beauvoir gleichzeitig dienen.
AS: Ich kenne den Text nicht. Wo ist das erschienen?
Im November 1988 im "Stern"
AS: Na ja.
Ich will nur sagen, daß Sie sich schon einen paradiesischen Zustand
ausmalen, den ich mir übrigens genauso wünsche wie Sie.
AS: Sie werden mir verzeihen, Herr Müller, das ist mir ganz fremd,
was Sie alles sagen. Ich habe die größte Mühe, Ihnen zu folgen.
Also ich verbringe nicht meine Zeit damit, mir Utopien auszumalen.
Warum nicht?
AS: Ich kann's gar nicht sagen, es ist nicht meine Seite.
Ich spiel auch nicht Klavier, und ich tanz nicht auf dem Seil.
Es gibt sehr viele Dinge, die ich nicht tue. Also ich bin sehr
in der Gegenwart. Utopien sind gar nicht meine Stärke, es ist
auch nicht mein Interesse.
Aber es ist doch ein menschliches Bedürfnis, Utopien zu haben,
an etwas zu glauben, das kann man sich doch nicht aussuchen.
AS: Das ist bei mir eigentlich nicht so sehr ausgeprägt. Wir müssen
ja nicht alle dieselben Interessen haben.
Ich glaube nicht, daß das ein Interesse ist, sondern ein Grundbedürfnis,
eine Notwendigkeit.
AS: Sehen Sie mal, ich finde die Realität und die Gegenwart so
passionierend, und je genauer man hinschaut, um so mehr differenziert
sich das ja in der Tat und wird immer schwieriger. Also ich hab
bestimmt wie die meisten Anfang der Siebziger einen stärkeren
Hang zu meiner Schnoddrigkeit oder einem Triumphalismus gehabt,
auch wenn das eigentlich nicht meine Geisteshaltung ist, das kann
man ja auch alles nachlesen, also das war damals sicherlich stärker
als heute. Je genauer man hinschaut, um so abgründiger, um so
komplizierter wird das ja...
Ja, ja!
AS: ... so daß mich eher dieses genaue Hinschauen in der Gegenwart
interessiert.
Ich komme zu meinen Schlüssen ja durch genaues Hinschauen. Sie
gehen an die Dinge mit einer vorgefaßten Meinung heran. Sie haben
mir am Telefon gesagt, Sie sind ein neugieriger Mensch. Aber das
sind Sie doch gar nicht.
AS: Ja, vielleicht bin ich das nicht nach Ihren Maßstäben... Ich
möchte sagen, was die Menschen dann damit machen, mit ihren Freiheiten,
das ist ihre Sache und das haben sie zu verantworten.
Ja, aber warum wehren sich die Menschen gegen diese Freiheit so
sehr? Das muß doch tiefere Gründe haben.
AS: Sie meinen, die Menschen wehren sich gegen die Freiheit?
Ja, auch viele Frauen, gegen die Freiheit vom Mann. Da geht es
doch nicht um einen Meinungsstreit. Es muß doch tiefe, emotionale
Gründe haben, wenn Sie von Frauen Anwürfe bekommen, was Sie schreiben,
sei "feministisches Wischi Waschi", "Emma" sei
eine "lesbische Propagandaschrift", Sie seien eine "Rassistin".
Das wird publiziert in den wichtigsten Medien. Das geht bis zu
unglaublichen Haßausbrüchen. Ich denke nur an das Flugblatt einer
Frankfurter Frauengruppe, auf dem voriges Jahr der "Boykott
des sexistischen und rassistischen Schmierenblattes 'Emma'"
gefordert wurde. Sie erklären sich diese Attacken mit einem "Mangel
an Bewußtsein", einer "masochistischen Lust an der Selbstzerstörung",
"weiblichem Selbsthaß" oder "niedrigen persönlichen
Motiven". Ich hätte nicht so schnelle Erklärungen. Vielleicht
haben diese Frauen Angst vor der Freiheit, die Sie ihnen verschaffen
wollen.
AS: Ja, also abgesehen davon, daß es vielleicht auch manchmal
Emotionen sind oder eine Kritik, die heftig gerät, also abgesehen
davon, wenn man nach Grundsätzlicherem fragt, muß ich Ihnen sagen,
ich bin nicht die erste Feministin, die Heftigkeiten auslöst,
und diese Frauen, die Sie jetzt zitieren, die sich in den Medien
äußern, da gibt es ja einen Markt...
Jetzt sagen Sie wieder, die Männer sind interessiert daran, Frauen
zum "Hennenkampf" aufeinander zu hetzen.
AS: Nein, nein, ich will was anderes sagen. Ich will Sie nicht
langweilen mit Dingen, die ich schon öfter gesagt habe, weil ich
sehe, die haben Sie schon alle gelesen, nein, nein, es ist ein
Markt, daß in bestimmten Bereichen die Frauen gegen den Feminismus
antreten. Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, in diesem Land
mit dem Begriff des Feminismus identifiziert zu werden.
Ja, aber auch diese Frauen treten im Namen des Feminismus auf.
AS: Ja, im Namen des Feminismus.
Man beruft sich auf Beauvoir. Auch Camille Paglia, die sagt, der
Mann sei von Natur, weil er sein Geschlechtsteil außen trägt,
der Eroberer, beruft sich auf Passagen im "Anderen Geschlecht",
in denen Beauvoir das verschiedene sexuelle Erleben von Mann und
Frau beschrieben hat.
AS: Ja, das ist ziemlich grausig, ja. Also es gibt diese Frauen,
die im Namen des Feminismus gegen mich antreten. Ich bin ja auch
immer in doppelter Funktion. Ich bin diejenige, die ich wirklich
bin, die das zu verantworten hat, was sie wirklich tut und denkt
und schreibt, und dann bin ich dieses Symbol, diese Projektionsfläche
in diesem Land, die für die Sache in ihrer verschärften Form steht.
Das muß man ja immer mal sehen.
Für welche Sache?
AS: Also es wird nicht immer nur auf mich reagiert, sondern sehr
oft eben auch auf mich projiziert. Also das ist eine richtige
Marktlücke, gegen "Emma" zu schreiben, gegen Schwarzer
zu schreiben, sich davon zu distanzieren, was da steht über Pornographie,
Inzest und so weiter.
Warum nehmen Sie diese Frauen nicht etwas ernster? Sie erklären
das einfach mit Marktlücke. Das ist doch zu rasch gedacht. Könnte
es nicht sein, daß da mehr, Tieferes, dahintersteckt?
AS: Ja, wer sind denn diese Frauen? Sehen Sie mal, was soll ich
denn...
Zunächst einmal Menschen, die vielleicht Gründe haben.
AS: Was soll ich denn von einer Person halten, die ganze Bücher
darüber schreibt, daß das Inzestproblem lächerlich sei, aufgeblasen
von Feministinnen, daß das ganze nur erfunden sei und daß wir
hier nicht vom Kindesmißbrauch, sondern vom Mißbrauch dieses Mißbrauchs
zu reden hätten? Das ganze sei eine Intrige von Feministinnen,
von Theoretikerinnen, von Praktikerinnen, die sich damit in den
Beratungsstellen Posten schaffen, damit sie etwas zu tun haben.
Wer schreibt das?
AS: Das ist egal. Namen sind völlig austauschbar, interessiert
mich gar nicht sonderlich.
Mich schon.
AS: Mich nicht. Es kommt auf den Inhalt an. Nehmen wir doch zum
Beispiel den Inzest. Wir sind jetzt an einem historischen Punkt.
Vor zwanzig Jahren hätte ich Ihnen das noch gar nicht so sagen
können. Als ich mein Buch über den "kleinen Unterschied"
geschrieben habe, war mir der Inzest oder der frühe sexuelle Mißbrauch
von Kindern, von Mädchen, als Problem in dieser Schärfe noch nicht
bewußt, und wenn ich das heute wieder lesen würde, was man ja
nicht tut, man liest ja nicht die eigenen Bücher wieder, würde
ich sehen, das taucht maximal einmal auf und wird auch nicht weiter
verfolgt. Man erhält ja auch nur die Antworten, die man haben
will, die werden auch Sie in diesem Gespräch nur bekommen, wenn
ich jetzt nicht den Tisch umwerfe und sage, wissen Sie, jetzt
sind Sie mal ruhig, ich erzähl Ihnen was, machen Sie das Gerät
an und tippen Sie das mal fleißig ab, also Sie werden natürlich
nur erfahren, was Sie wissen wollen... Und inzwischen, zwanzig
Jahre später weiß jemand wie ich, daß das eine ganz zentrale Sache
ist, nehmen wir mal den Mißbrauch durch einen vertrauten Menschen,
den Onkel, den Vater, einen guten Freund und so weiter, wenn Sie
das mal zu Ende denken, daß so ein Kind in seiner Anhänglichkeit,
in seiner Neugier, in seiner Liebebedürftigkeit, in seiner Servilität
auch, in dem Wunsch, dem erwachsenen Menschen einen Gefallen zu
tun, sich wichtig zu machen, sich beliebt zu machen, dem vertraut
und das ja auch immer vermischt wird mit Liebe... Sie haben vorher
gesagt, Sie wagen in meiner Gegenwart kaum von Liebe zu reden,
aber da werden wir noch darüber zu reden haben...
Alles, was Sie jetzt erzählen, kenne ich schon. Das haben Sie
geschrieben und publiziert. Das ist gedruckt. Das kann man lesen.
AS: Ja, aber ich möchte Ihnen das jetzt mal ganz genau sagen.
Ich glaube, daß wir überhaupt erst am Anfang stehen, zu erkennen,
wenn ich jetzt mal von Frauen rede, wenn ich jetzt schwarz wäre
oder uralt, würde ich mit Ihnen über Schwarze oder Uralte reden,
ich rede jetzt mal von der Sache, die ich vertrete und die auch
mich betrifft... daß wir überhaupt erst am Anfang stehen, zu erkennen,
welche inneren Verwüstungen beim weiblichen Menschen diese Verquickungen
von Liebe und Erniedrigung und Gewalt und Verrat verursacht haben.
Das ist ja etwas, womit wir in keinen interessanten Dialog kommen,
weil...
AS: ... weil Sie mit mir einverstanden sind.
Ja, das ist doch gar keine Frage, das ist doch klar.
AS: Aha, das ist klar, und gleichzeitig wundern Sie sich, wenn
es Frauen gibt, die entweder wirklich erschrocken oder auch in
einer gewissen Angepaßtheit...
Das behaupten Sie.
AS: Ja, sicher, wissen Sie, das ist ja kein neuer Zug in der männerbeherrschten
Welt, sich so zu verhalten.
Das finde ich gemein, Frauen, nur weil sie eine andere Auffassung
als Sie vertreten, vorzuwerfen, sie seien angepaßt.
AS: Was heißt gemein, du lieber Gott, das ist doch realistisch.
Sie haben im Fragebogen der FAZ Opportunismus als die von Ihnen
am meisten verabscheute Eigenschaft angegeben, und genau das werfen
Sie Ihren Gegnerinnen gleich im ersten Satz vor. Damit sind die
erledigt.
AS: Ich hab gerade versucht, es ein bißchen differenzierter zu
sagen. Wir dürfen uns doch nicht wundern, daß die Benennung sehr
schmerzlicher Wahrheiten...
Ihrer Wahrheiten.
AS: ... viele Frauen in Verzweiflung stürzt.
Das ist nun sehr geschickt, zu sagen, daß die aus Verzweiflung
nicht wissen, was sie tun.
AS: Nein, nein, das würde ich in manchen Fällen keineswegs sagen.
Ich glaube, daß einige sehr gut wissen, was sie tun. Du lieber
Gott, man hat ja die Wahl, was macht man nun, versucht man, die
Dinge zu erkennen und konsequent zu Ende zu denken und zu fühlen
und wirklich was zu verändern, oder macht man die Augen zu, macht
man so weiter, biedert man sich an...
Also gut, Sie wollen etwas verändern, Sie sind erklärtermaßen
angetreten als Journalistin, um die Welt "zu verbessern".
Mir ist das aus Gründen, über die wir noch reden können, etwas
verdächtig. Wenn Sie von den Verwüstungen der Frauen durch Männer
sprechen, dann müßte ich, damit es ein Dialog wird, von den genügend,
zum Beispiel von Philosophen, beschriebenen Verwüstungen des Mannes
durch das in der Freiheit mögliche Denken sprechen, das ihn mit
der Absurdität seiner Existenz konfrontiert.
AS: Na, Sie haben ja eine gewisse Tendenz zu Überhöhungen, sehen
Sie mal, ich erinnere mich an eine Passage, das war ja auch journalistisch
sehr schön, in Ihrem Gespräch mit Jeanne-Claude und Christo...
Die haben auch ihre Nahziele, und es ist ganz schwer, über Weitergehendes
mit ihnen zu reden.
AS: Die beiden machen also eine Arbeit, von der sie hoffen, daß
dadurch die Leute die Dinge anschließend anders sehen, das ist
doch vielleicht das ehrenwerteste Ziel der Kunst, zu irritieren,
damit man dann alles neu und anders sieht, aber diese Ziele waren
Ihnen ja auch eigentlich zu nah und zu schlicht.
Letztendlich haben die beiden gesagt, sie machen ihre Verhüllungen
aus keinem anderen Grund als dem, daß sie Spaß daran haben.
AS: Ist ja noch schöner, ja, aber ich erinnere mich, daß es doch
einen ziemlich vehementen Disput zwischen Ihnen gab, als Sie unterstellten,
daß die beiden die göttliche Potenz anstreben sozusagen.
Tut doch jeder Künstler.
AS: Ja nun, die beiden haben sich vehement dagegen gewehrt. Natürlich
erfährt man in einem solchen Gespräch immer mindestens so viel
über den interviewenden Menschen wie über den Interviewten. Aber
ich kann Ihnen nur sagen, das, was Sie da so zentral interessiert,
ist für mich so weit weg, weil ich so viel mit dem konkreten Leben
zu tun habe. Ich wage ja kaum so banal zu sein, aber sehen Sie
mal, vor einer Woche bekommen wir einen Brief von einem Schüler
und einer Schülerin aus Berlin, und die sagen, unsere kurdischen
Mitschülerinnen, die vergebens beim Jugendamt waren, die vergebens
beim Kinderamt waren, die 16 und 17 sind und die ganz toll sind,
die abends mal rauchen mit uns und in die Disco gehen und tolle
Mädchen sind und so, die wurden eben von ihrem kurdischen Vater
jetzt in die syrische Wüste verschleppt, so, und was können wir
tun, sie sind nicht aus den Sommerferien zurückgekommen, sie haben
uns verzweifelte Briefe geschickt, wir legen eine Kopie bei, und
da liegen ganz anrührende Briefe, da geht es um Leben und Tod,
so!
Ja, gut, aber ich treffe Sie ja nicht als Mitarbeiterin bei der
Caritas...
AS: Nein!
... sondern ich habe Ihre Bücher und Aufsätze gelesen, in denen
Sie Thesen entwickeln, über die man doch diskutieren kann.
AS: Ja, natürlich, aber diese Thesen kommen aus einem sehr praktischen
Leben.
Ich werde sie Ihnen aus Ihrem ersten Buch einmal zitieren, damit
wir eine Grundlage haben. Sie lassen sich ja in wenigen Sätzen
zusammenfassen. Ich führe dieses Gespräch ja nicht für den Lokalteil,
sondern für's Feuilleton.
AS: Ja, sicher, man wagt ja auch kaum, Sie mit diesen banalen
Thesen zu konfrontieren. Aber sehen Sie mal, meine Thesen sind
ein Resultat der Begegnung mit dem täglichen Leben. Ich sage,
wir leben in Machtverhältnissen, der Kern von Machtverhältnissen
ist die Ausübung von Gewalt oder die Bedrohung durch Gewalt...
Ja, aber da müssen Sie doch auch überlegen, was passiert, wenn
diese Verhältnisse überwunden sind.
AS: Ja, das wäre sehr interessant, das von Ihnen zu hören, also
für mich ist das so weit entfernt, daß mich das wenig interessiert,
und ich denke auch, darauf hab ich allein keine Antwort zu geben,
darauf gibt es Millionen Antworten.
Aber Ihre wäre jetzt für mich interessant. Es braucht doch jeder
Mensch eine über das, womit er gerade praktisch beschäftigt ist,
hinausgehende Sinngebung, wenn er nicht gerade als Künstler das
Fehlen dieses Sinns, also die Sinnlosigkeit in eine ästhetische
Form zu bringen versucht.
AS: Ja, aber solche Gedanken machen doch nur einen Sinn, wenn
sie sich mit dem Leben konfrontieren.
Das haben Sie auch zu Elfriede Jelinek gesagt, als sie vom abstrakten
männlichen Denken schwärmte, das sie begeistere. Aber es gibt
doch nichts Menschliches, vom reinsten Gedanken bis zum praktischsten,
was sich nicht automatisch mit dieser Welt konfrontiert. Wir können
doch aus dieser Welt gar nicht raus, auch nicht gedanklich. Das
ist doch ganz klar, daß alles, was jemand tut, mit der Welt zu
tun hat. Gerade die Gedanken, die Sie vielleicht nicht für auf
das praktische Leben bezogen halten, haben oft ungeheuer auf das
Weltgeschehen gewirkt. Die hatten oft ganz praktische Folgen.
Es ist alles, was ein Mensch denkt oder tut, auf die Welt bezogen.
AS: Na, wissen Sie, wenn ich mich durch die Feuilletons dieses
Landes quäle, dann ist vieles sehr weit vom Leben entfernt, uns
es ist auch vielleicht kein Zufall, daß Sie sich den Luxus erlauben
können... Vielleicht sind Sie ein paar Schritte weiter. Ich hab
mit ganz anderen Dingen zu tun.
Das stimmt doch nicht.
AS: Ja, es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.
Ich beziehe mich doch nur auf Ihre Schriften.
AS: Ich möchte ja sehr gerne Ihnen eine kluge Gesprächspartnerin
sein.
Sind Sie doch. Ich versuche jetzt einmal einen neuen Ansatz. Sie
sprechen hier als Frau, die beruflich mit dem und dem zu tun hat,
und darüber wollen Sie reden...
AS: Nein, nicht unbedingt, wir können das auch sehr viel grundsätzlicher
tun. Nur, ich meine, warum soll ich mich hinsetzen und mich fragen:
Was werden Menschen mit ihrer Freiheit machen?
Das müssen Sie nicht. Aber Sie müssen sich doch fragen, was die
Gründe dafür sein könnten, daß sie sich so gegen die Freiheit
sträuben.
AS: Also erstens weiß ich, ehrlich gesagt, schon nicht, was die
Freiheit ist...
Das sind doch Fragen, denen Sie, wenn Sie allein zu Hause sitzen,
gar nicht ausweichen können.
AS: Doch, denn sehen Sie, erstens weiß ich gar nicht, was die
Freiheit an sich ist. Die existiert ja gar nicht an sich, die
gibt es ja nur unter bestimmten Bedingungen, die prägen einen
und setzen einem Grenzen und so weiter.
Natürlich! Freiheit existiert nur durch ihr Gegenteil.
AS: Man wird älter und gebrechlich, das ist schon eine Grenze
von Freiheit und so weiter, also es gibt sehr viele Grenzen.
Ja, und der Tod ist die letzte, die unausweichliche Grenze.
AS: Ja.
Man kann spekulieren über das Matriarchat, über das Patriarchat,
es herrscht die Frau, es herrscht der Mann. Es herrscht aber über
beide immer der Tod.
AS: Gut, aber bis dahin passiert eine Strecke Leben, und das ist
es, was mich in erster Linie interessiert.
Ja, aber die äußerste Freiheitsgrenze ist eben der Tod, eine Einschränkung,
die wir auf keinen Fall beseitigen können. Mit dieser unüberwindlichen
Grenze, mit dem Todesgedanken, wären wir konfrontiert, wenn alle
anderen Freiheitsbeschränkungen in einer idealen Welt überwunden
wären. Die Aussicht auf die ununterbrochene Konfrontation mit
der unabänderlichen Unfreiheit durch den Tod ist vielleicht eine
so schreckliche Vision, daß der Mensch dorthin gar nicht will.
AS: Mmh.
Ich meine, daß eine tiefe Angst vor dieser Freiheit, in der er
nur noch diese unüberwindliche Grenze sieht, den Menschen bestimmt.
AS: Na ja, nein, lieber Herr Müller, Sie wollen jetzt doch nicht
komisch werden?
Doch!
AS: Aha, doch, Sie wollen sehr komisch werden. Sie wollen jetzt
sagen, daß die Frauen aus Angst vor dem Freisein weiter alles
so belassen wollen wie es ist, also, ich meine, Sie wollen sagen,
die denken, oh Gott, diese lästige Schwarzer, die kämpft für uns,
und wenn sie ihre Ziele erreicht, dann werden wir womöglich noch
frei, um Gottes willen, dann müssen wir uns große Fragen stellen
Auge in Auge mit dem Universum.
Ja, genau.
AS: Ja, ja, aber das ist dann Ihre Abteilung (lacht schallend).
Lassen Sie mich mal den Kram des Lebens machen, dann kommt das
Übergeordnete, dann kommt diese Ebene.
Aber über dieses "Übergeordnete" hat Beauvoir, die Sie
als Ihr Vorbild bezeichnen, doch sehr viel geschrieben. Sie beschreibt
die Möglichkeiten der dem Mann als Subjekt gleichgestellten Frau,
die sich dann, zum Beispiel als Philosophin, selbst überschreiten
kann. Das würde ich noch gerne erleben.
AS: So?
Ja, aber vielleicht wird ja die befreite Frau gar nicht philosophieren,
vielleicht will sie gar keine Werke schaffen, Werke sind je auch
Vernichtungswerke, Auschwitz ist auch ein "Werk", die
Atombombe ist auch ein Werk. Ich weiß es ja nicht. Ich werde es
nicht erleben.
AS: Ich auch nicht.
Es quält mich, nicht zu wissen, wie wird denn der Blick der Frau
auf das Universum sein.
AS: Also zunächst, und es wird Sie nicht überraschen, wenn ich
das sage, ist es doch so, daß Männer und Frauen deshalb sehr unterschiedlich
sind, weil sie über Jahrtausende unterschiedlich geprägt worden
sind. Daraus können einzelne Individuen ausbrechen, das kann sich
relativieren, da kann es einen weitgehend weiblichen Mann geben
und eine männliche Frau, die werden von der Umwelt dann schnell
korrigiert und zurechtgewiesen, wie sie zu sein haben, daß heißt,
dem Mann ist es ja heutzutage etwas erlaubt, weiblich zu sein,
der Frau ist es aber keineswegs erlaubt, männlich zu sein, so,
ich denke aber nicht, daß das, was Sie da beschreiben, die Gleichheit
der Geschlechter, in der wir erfahren, was die Frau dann tut,
in der Nähe ist, daß wir allerdings, wenn wir gleiche Bedingungen
haben, nicht von weiblicher oder männlicher Kreativität reden
müssen, sondern einfach von menschlicher.
Ja, aber wie sähe die aus? Daß es da keine durch die Natur bedingten
Unterschiede gäbe, kann nur vermutet werden.
AS: Sie sprechen von Beauvoir. Ich weiß nicht, ob Sie zufällig
gesehen haben, daß wir in der vorletzten "Emma" eine Geschichte
hatten, die ich passionierend finde, in der es um Beauvoir und
Sartre geht. Ein englisches Forscherpaar stellt die These auf
und belegt sie auch minutiös nach Erscheinen der Briefe von Beauvoir,
daß der Grundgedanke des französischen Existenzialismus als erstes
entwickelt worden ist in Beauvoirs Romanen, das ist sehr interessant,
ganz spannend, und daß Beauvoir es nicht nur zugelassen hätte,
daß Sartre sich diese Gedanken aneignet und auf seine Art umsetzt,
sondern daß sie dieses sogar gefördert hätte. Die beiden führen
dann unter anderem an, daß das erste Manuskript, das Beauvoir
bei Gallimard eingereicht hat, ein philosophisches war, und daß
es einen Brief gibt von Gallimard, in dem Beauvoir gesagt wird,
dieser damals unbekannten jungen Frau, wissen Sie, so etwas veröffentlichen
wir von Frauen nicht, das können wir nicht bringen.
Das bedeutet, daß hier etwas wie so oft geschehen ist, bei Einstein,
bei Brecht, bei vielen, daß die Ehefrau, die Geliebte, die Muse
ihre Kreativität dem Mann zur Verfügung stellt.
AS: Nein, nein, es ist viel mehr. Beauvoir schreibt dann überwiegend
Literatur, 1949 den Essay "Das andere Geschlecht", und
Sartre ist stärker in der Philosophie. Ich habe übrigens immer
gefunden, daß sie die stärkere Philosophin ist und er der stärkere
Schriftsteller. Aber gut, sie haben jeweils den Akzent anders
gesetzt, aber wenn man das nun zu Ende denkt, kommt man noch auf
etwas ganz anderes, nämlich daß diese so ganz anders geprägten
und anders lebenden Frauen eine andere Art haben, neues Denken
zu entwickeln, nämlich daß sie das ganz stark einbinden in das
Leben, also daß sie nicht abstrahieren, was aber nicht heißt,
daß sie nicht denken.
Nein, nein. Diese Abneigung gegen das abstrakte Denken findet
man auch sehr stark bei Simone Weil.
AS: Ja, was ich aber nicht für biologisch begründet halte, darüber
kann man streiten, aber ich muß mich darüber gar nicht streiten,
ich halte das nicht für biologisch begründet.
Das behaupten Sie.
AS: Ja, das behaupte ich. Ich sehe ja, wie unterschiedlich die
Lebensläufe der Geschlechter sind, und ich denke, das hat etwas
mit Prägung und der Lebensrealität der Frauen zu tun, wie auch
immer.
Das denken Sie.
AS: Ja, und ich finde es müßig, darüber zu streiten.
Aber ich bitte Sie, Sie können es doch nicht als müßig abtun,
über Ihre Hauptthese zu diskutieren.
AS: Nein, nein, ich finde es deswegen müßig...
Es ist doch nicht müßig, wenn ich Sie treffe, über Biologismus
zu reden.
AS: Also gut.
Alles, was Sie vertreten, beruht doch auf der, von Simone de Beauvoir
übrigens so radikal nicht behaupteten These, es gebe zwischen
Mann und Frau keine aus der biologischen Verschiedenheit resultierenden
Unterschiede, es gebe keine typisch weiblichen Eigenschaften,
keine weiblichen Werte.
AS: Gut, gut. Sie haben recht. Ich will nur sagen, ich muß mich
darüber nicht zanken, ich sage nur, wollen wir das mal wegräumen,
dann werden wir sehen, wie der weibliche und der männliche Mensch
sich entwickeln.
Eben. Wir wissen es nicht, und über etwas, das wir nicht wissen,
können wir keine Aussage machen.
AS: Wollen wir nicht weiter spekulieren.
Auch nicht über mögliche nach erreichter Gleichheit eventuell
doch sich herausstellende "natürliche" Unterschiede.
AS: Nein.
Aber man kann schon mal eine Vermutung wagen. Sie sagen, der einzige
natürliche Unterschied zwischen Mann und Frau sei die biologische
Mutterschaft. Alle anderen Verschiedenheiten seien in 5000 Jahren
Menschheitsgeschichte durch Prägung entstanden. Ich frage jetzt
mal ganz schlicht, ist denn dieser eine, von Ihnen zugegebene
Unterschied, den man, sich auf Beauvoir beziehend, noch erweitern
kann durch den natürlichen Unterschied des sexuellen Erlebens,
der darauf beruhe, daß der Junge sein Geschlecht mit der Hand
umfassen und sich auf diese Weise entfremden kann, daß der Mann
einen Anfang und ein Ende der Lust erlebt, die Frau einen endlosen
Lustvorgang... Also ist denn dieser biologische Unterschied, die
Gebärfähigkeit, nicht ein Faktum, aus dem sich zwangsläufig auch
verschiedene Eigenschaften und Werte ergeben?
AS: Aber nein, denn das ist doch ganz unterschiedlich interpretierbar.
Sehen Sie mal, man könnte über das männliche Geschlecht auch sagen,
was ist das für ein komischer Lappen, der da zwischen den Beinen
hängt. Ich meine, jeder, der mal aus Versehen an einen Nudistenstrand
geraten ist, wenn ich da jemals war, war ich nur versehentlich
da, weil ich es eine Zumutung finde...
Darüber gibt es doch keinen Streit.
AS: Nein, bitteschön, aber das läßt sich doch alles ganz unterschiedlich
interpretieren, unterschiedlich besetzen.
Ich rede doch nicht von irgendwelchen Geschlechtsteilen. Ich rede
zum Beispiel von Ende und Unendlichkeit.
AS: Ja, Sie reden vom Symbolischen.
Nein, ich rede davon, daß der Mann in der Sexualität ein Ende
seiner Lust erlebt. Beauvoir schreibt, er wird durch die Ejakulation
befreit von seinem Drang, ganz gleich, ob es befriedigend für
ihn war oder nicht. Er erlebt eine gewisse Befreiung, ein Ende
der sexuellen Erregung. Die Frau erlebt Lust unendlich. Das sind
doch schon sehr philosophische Begriffe, Anfang, Ende, unendlich...
AS: Was erlebt die Frau? Das ist interessant, daß Sie mir das
mal erklären.
Das kann ich Ihnen aus Beauvoir vorlesen. Ich bin ja keine Frau,
ich kann auch leider nicht in eine hineinkriechen. Aber ich gehe
von diesem, Ihnen so teuren Buch aus. Also das darf ich doch als
Grundlage nehmen für ein Gespräch mit Ihnen.
AS: Sicher, das ist ein ganz zentrales Werk, wobei natürlich von
Beauvoir, gerade auch in dem Bereich, weitergedacht worden ist.
Sehen Sie mal, wie empfindet ein Mann seine Sexualität, was ist
eine Erektion, was ist eine Ejakulation?
Ich kann es Ihnen vorlesen.
AS: Das müssen wir jetzt nicht bei Beauvoir nachlesen.
Aber da ist es halt sehr gut beschrieben.
AS: Also los, was sagt Beauvoir?
Sie sagt: "In Wirklichkeit hat eben die Wollust bei der Frau
durchaus nicht dieselbe Gestalt wie beim Mann... Das eine jedenfalls
steht fest, daß der Koitus beim Mann zu einem genau bestimmten
biologischen Ende, der Ejakulation, führt. Sicherlich wird dieses
Ziel mit vielen anderen, sehr komplizierten Absichten erstrebt.
Wenn es aber einmal erreicht ist, erscheint es als ein Ende, und
wenn das Begehren auch nicht befriedigt ist, so wird es doch aufgehoben.
Bei der Frau dagegen ist anfänglich das Ziel unbestimmt und mehr
psychischer und physiologischer Natur. Sie verlangt die Erregung,
die Wollust im allgemeinen, aber ihr Körper zielt nicht auf einen
deutlichen Abschluß des Liebesaktes hin. Aus diesem Grund endet
für sie der Koitus eigentlich nie. Er führt überhaupt zu keinem
Ende... Aus der Tatsache heraus, daß ihrer Lust kein bestimmtes
Ende gesetzt ist, zielt diese nach dem Unendlichen." Das sind
doch grundlegende Unterschiede. Na, wenn sich daraus nicht verschiedene
Eigenschaften und Werte ergeben, dann weiß ich nicht, woraus denn
sonst? Ich bitte Sie! Das sind doch grundlegende Erlebnisunterschiede,
Wesensunterschiede.
AS: Ich sollte Sie interviewen, ich finde es ganz bedauerlich,
daß ich Sie nicht für "Emma" interviewe. Wissen Sie, ich
denke, daß gerade dieser Punkt, den Sie da jetzt ansprechen, die
Sexualität, doch derjenige ist, über den die neue Frauenbewegung
am stärksten weiterdenkt, und so ist es kein Zufall, ich erinnere
mich an ein Gespräch wenige Monate vor Beauvoirs Tod mit ihr,
und ich hab sie gefragt, sagen Sie mal, gibt es Sachen, die Sie
nicht geschrieben haben, nicht, was man so mal fragt, wenn jemand
älter wird, und da guckte sie mich an und sagte sehr schnell,
ja, ich bedaure, nicht ehrlich genug über Sexualität gesprochen
zu haben. So.
Aber das entwertet doch nicht, was sie darüber geschrieben hat.
AS: Nein, aber sie hätte darüber noch viel mehr zu sagen gehabt,
und sie hätte vielleicht auch etwas über die männlichen Komponenten
ihrer Sexualität zu sagen gehabt, also ihre Heftigkeiten und so
weiter. Sie ist jetzt lange tot, aber sie würde es sicher nicht
als Indiskretion begreifen, wenn ich darüber spreche, denn sie
hätte es selber gerne gesagt. Sie ist natürlich auch eine Frau
ihrer Zeit.
Ja, stimmt es nicht, was sie schreibt?
AS: Es gibt bei ihr die Präzision und das Vage und so weiter.
Das alles ist sehr interpretiert. Wir wissen ja doch schon länger,
daß zum Beispiel die Erektion und der Koitus für den Mann nicht
identisch sein muß mit Lustempfinden. Das kann ja ganz lustlos
passieren.
Ja, das schreibt sie ja. Aber dennoch hebt der Erguß etwas auf.
AS: Ja, aber es ist recht mechanisch sozusagen. Also es fängt
an und es hört auf.
Genau, es fängt an und es hört auf. Das ist Ordnung. Das ist Krieg.
AS: Genau.
Es ist das Gegenteil von Chaos.
AS: Wenn Sie zum Beispiel Mary Jane Sherfey nehmen, eine Amerikanerin,
ich glaube, sie ist Medizinerin und Analytikerin, die Mitte der
70er Jahre ein kluges Buch geschrieben hat über den weiblichen
Körper, in dem sie die physiologische Parallelität noch einmal
klargemacht hat... Sie wissen ja, der Ursprung von männlich und
weiblich ist identisch, und dann gibt es so ganz kleine Weichenstellungen...
Aus der Klitoris wird der Penis, aus den Schamlippen das Skrotum.
AS: Ja, und dann geht das in die eine Richtung und das in die
andere, aber eigentlich ist es ziemlich identisch. Es gibt im
weiblichen Körper alle Pendants, und, ich meine, Sexualität ist
ja was sehr Kulturelles auch.
Ja, aber Sie haben es selbst gerade gesagt, beim Mann gibt es
einen Anfang und ein Ende.
AS: Ja, aber ich will Ihnen gerade erklären, es gibt auch den
Anfang und das Ende für Frauen.
Das behaupten Sie seit dreißig Jahren.
AS: Ja, das behaupte ich. Ich glaube, daß dieses Vage eine Mystifizierung
ist.
Es ist nicht vage. Beauvoir sagt nur, es ist unendlich.
AS: Ja, das fasziniert Sie, sehen Sie, Sie sind natürlich ein
Mensch, der begeisterungsfähig und faszinationsfähig ist, Sie
denken gern über die Freiheit an sich, über das Unendliche, nach.
Aber das steht doch nun in dem von Ihnen am meisten bewunderten
Buch. Ich zitiere doch nur, oder soll man das nun zum Abfall werfen?
AS: Nicht unbedingt. Ich bin sicher, wenn ich Beauvoir noch einmal
lese, finde ich da Differenzierungen. Wir wollen uns jetzt in
einem "Zeit"-Interview unser persönliches Mann- und Frau-Sein
nicht um die Ohren schlagen, nicht wahr.
Nein, aber das ist doch ein sicher folgenschwerer Unterschied,
ob man etwas so Wichtiges wie die Sexualität als präzis eingegrenzt
oder als unendlich erlebt. Das könnte ich zurückführen bis auf
die zwangsläufige Entstehung des Patriarchats in einer Welt, die,
leider ist sie so geschaffen, organisiert werden muß, was halt
nur der Mann aus seiner Natur heraus bewerkstelligen konnte, möglicherweise
ungern, denn das ist ja mit oft tödlichen Gefahren verbunden.
Deshalb hat er sich dann mit dem Genuß an der Macht entschädigt.
Den Gedanken kann man ja sehr weit spinnen.
AS: Welchen?
Den Gedanken, was sich aus dem biologischen Unterschied zwischen
Mann und Frau möglicherweise für Folgen ergeben, und wie eine
von Frauen bestimmte Welt vielleicht aussehen würde.
AS: Ich halte das alles für Mystifizierungen. Diese ganzen Matriarchats-Schwafeleien
gehen mir in Wahrheit völlig contre coer.
Ich möchte nur klarstellen, daß ich die von mir gesagten Sätze
so, wie sie jetzt fallen, hinschreiben werde.
AS: Ja, natürlich, Sie sollten auch möglichst meine Antworten
schreiben.
Das sowieso. Aber man wird dann sehen, wie ernsthaft ich spreche.
AS: Ja, absolut.
Und wie Sie das alles wegwischen mit dem Wort "Mystifizierung".
AS: Ich sehe das. Ich sehe, daß Sie zutiefst verletzt sind, ich
bedaure das, ich tue das ungern, aber ich muß Ihnen trotzdem sagen,
sehen Sie mal, das Matriarchat, reden wir mal kurz darüber...
Ich halte Herrschaftsverhältnisse immer für nicht wünschenswert.
Ich wünsche mir überhaupt nicht, daß die Frauen herrschen, das
interessiert mich überhaupt nicht.
Die würden ja vielleicht auch nicht herrschen, weil sie keine
Ordnungsprinzipien, keine Systeme brauchen, weil sie das Chaos
ertragen.
AS: Jaja, weil ihre Sexualität so anders ist, also was soll ich
Ihnen dazu sagen? Ich finde das ein solches Geschwafel, daß mir
die Worte fehlen.
Für Sie hat der biologische Geschlechtsunterschied keine Folgen.
AS: Ich sage, der Mensch ist frei geboren, und der Geschlechtsunterschied,
Sie werden entschuldigen, wenn ich Sie jetzt belästige mit Dingen,
die Sie schon oft gelesen haben, aber es ist nun mal elementar,
also der Geschlechtsunterschied definiert nicht das Individuum...
Das gesellschaftliche Individuum.
AS: ... sondern ist ein Faktor von sehr vielen, und das, was Sie
da hineingeheimnissen wollen, was Ihnen auch gefällt und was ein
Teil Ihres ein bißchen aufgeregten Männerlebens ist, nicht, das
ist Ihr Vergnügen, aber das kann nicht meine Sache sein.
Das ist meine Verzweiflung, nicht mein Vergnügen. Ich wär ja froh,
wenn es anders wäre.
AS: Aber Sie sind doch ganz gut damit zurechtgekommen.
Ich komme nur sehr schwer damit zurecht, daß die Männer Arschlöcher
sind.
AS: Aber Sie sind ja ein ziemlich quälendes Exemplar dieser Sorte,
sehen Sie mal.
Was soll ich tun?
AS: Das kann ich Ihnen sagen, lieber Herr Müller, ich kann Ihnen
sagen, was Sie tun können.
Die Klappe halten.
AS: Nein, das nicht unbedingt... würde ich natürlich auch gerne
sagen, aber na ja, ich seh schon, Sie haben einen Blick. Gut,
Klappe halten, wär auch nicht schlecht, aber besser: die Frauen
ernst nehmen.
Das tue ich mehr als Sie!
AS: Na, das tun Sie nicht, da sind wir wieder an einem Punkt,
der sehr interessant ist, das finde ich doch ganz aufschlußreich.
Es ist doch ungeheuerlich, wie Sie manchmal mit Frauen umgehen,
die nicht Ihrer Meinung sind.
AS: Ja ja, ist mir klar, Sie sind der bessere Feminist, ja, ist
klar.
Nein.
AS: Los, raus damit! Ja, raus damit, ja ja, wie ich die Frauen
beschimpfe und abkanzle, nein? Also was mach ich denn?
Sie machen sie...
AS: ... nieder.
Ja, wenn sie Ihnen nicht folgen wollen.
AS: Ja, ist klar, und was schließen wir daraus? Schwarzer, die
heimliche Frauenhasserin.
Daraus schließen wir...
AS: Na bitte, was schließen wir daraus? Also das mußte jetzt mal
gesagt werden. Stimmt irgendwas nicht mit mir?
Sie sind nicht neugierig.
AS: Ach, ich bin nicht neugierig.
Sie gehen mit einer These an etwas heran...
AS: Ja ja.
... und suchen die Bestätigung dieser These, und wenn Ihnen da
nicht zugestimmt wird, dann überschütten Sie die Person mit Beleidigungen,
dann sehen Sie die Ursache in einem "anbiedernden Selbsthaß
einer Frau, die bis zum Wahn bereit ist, den Männern zu hofieren",
und wenn eine Frau Rüschenblusen trägt wie Rita Süßmuth oder Strickjacken
mit Noppen wie Petra Kelly, dann heißt das für Sie, sie will sich
klein machen vor Männern, um sich bei ihnen lieb Kind zu machen.
Da wird mit solchen Urteilen einfach drübergefahren auf eine fast
faschistische Art...
AS: Das nehmen Sie aber rein in das Interview, was Sie jetzt sagen.
Das nehm ich rein, ganz bestimmt.
AS: Ja, was soll ich Ihnen darauf sagen? Damit erübrigt sich unser
Gespräch.
Sie machen es sich manchmal zu einfach.
AS: Einfach?
Ja, andererseits werfen Sie einem Mann wie Gert Bastian vor, daß
er die Welt zu einfach sieht. Sie haben es als eine Ihrer Sie
prägenden Erfahrungen beschrieben, daß Sie schon als Kind Meinungen
äußern durften. Sie wurden von Ihren Großeltern, bei denen Sie
aufwuchsen, gefragt, was Sie zur Wiederaufrüstung sagen, zu Adenauer,
zu den ersten Gastarbeitern in Deutschland und so fort. Ich finde
es bedenklich, wenn ein zehnjähriges Mädchen schon Meinungen hat.
Das muß doch zuerst einmal schauen.
AS: Ja ja, ich meine, wenn es bei Schwarzers so zugegangen wäre,
wie Sie das beschreiben, dann wäre das wirklich beklemmend. Wissen
Sie, wir haben nicht rumgesessen und Klugscheißerei betrieben.
Wir haben einfach über die Dinge des Lebens gesprochen, so.
Sie sagen, Sie durften schon als kleines Kind Meinungen haben,
gingen dann in die Welt hinaus, in die Tanzschule zum Beispiel,
und mußten erleben, eine eigene Meinung wurde einer Frau nicht
zugestanden, und so begann Ihre Entwicklung zur Feministin.
AS: Komisch, mmh.
Glauben Sie, daß ich Sie falsch zitiere?
AS: Ja, das glaube ich, denn das Wort Meinung habe ich bestimmt
nicht geschrieben. Ich habe geschrieben, daß ich als Kind, und
das halte ich in der Tat für einen sehr wichtigen Faktor, in meiner
kleinen Familie ernst genommen wurde.
Darf ich Sie zitieren? Hier steht es. In einem Interview mit dem
"Stern" sagten Sie 1987: "Abends bei Tisch hieß es
selbstverständlich, was meint denn die Alice dazu? Denn natürlich
hatte ich eine Meinung. Aber meine Meinung war nicht mehr gefragt,
als ich erwachsen wurde, in die Tanzschule ging, in den Beruf.
Das war ein böses, langsames Erwachen. Ich bin ja nur eine Frau.
Darauf hatte man mich als Kind nicht ausreichend gedrillt."
Geschrieben habe ich das nicht. Ich sehe mich jetzt gar nicht
damals irgendwie eine große Meinung haben, sondern daß ich ernst
genommen wurde und daß mein Wort etwas galt, daß ich gefragt wurde.
Ja, nach Ihrer Meinung.
AS: Nein, für mich war es einfach selbstverständlich, daß in meiner
Gegenwart und ohne daß ich niedergebügelt wurde, sondern durchaus
mit dem Versuch, mir die Dinge zu vermitteln oder mich ernst zu
nehmen, dieses alles besprochen wurde. Ich kann mich nicht erinnern,
daß meine Großeltern zu mir gesagt hätten als Kind, was meinst
denn du zur Wiederbewaffnung, aber ich saß ganz selbstverständlich
dabei und konnte mir meine Meinung bilden.
Das muß kein Vorzug sein.
AS: Ja, ich weiß, dass finden Sie schlecht. Schwarzer hat schon
zu lange eine Meinung.
Ich finde, es kann zu Vereinfachungen führen.
AS: Ja ja... Aber ich möchte noch, weil sie das erwähnt haben,
auf das Buch über den Selbstmord von Bastian kommen, der seine
Geliebte, Petra Kelly, wie man so sagt, in den Tod mitgenommen
hat. Denn das ist doch ganz interessant, daß Sie das nun besonders
voreingenommen finden, so ist es doch? Habe ich Sie da richtig
verstanden?
Also sagen wir mal, nicht neugierig genug.
AS: Nicht neugierig, das sagen Sie! Und jetzt sage ich Ihnen was.
Ich halte das für mein neugierigstes Buch überhaupt oder meinen
neugierigsten Text und den schwierigsten, denn, wenn man liest,
sieht man, und das war das Problem, daß ich zu bewältigen hatte,
daß Bastian mir näher war als Kelly. So. Im Kern aber steht, hier
hat ein Mann sich erschossen, und vorher hat er die Frau im Schlaf
erschossen, ohne sie zu fragen, und wir müssen beim Stand der
Informationen davon ausgehen, daß sie nicht sterben wollte.
Sie schreiben, er konnte das nur tun, indem er sie zuerst zur
Anderen machte, zur Fremden, zur Minderen.
AS: Ja, indem er sie degradierte, natürlich.
Das ist Ihre These. Es kann aber auch anders gewesen sein. Wenn
ein Mann beschlossen hat, sich umzubringen, dann ist der sich
doch schon selbst ziemlich fremd.
AS: Aber Sie gestatten mir, daß ich mir den Luxus erlaube, dem
Opfer auch nachzusinnieren.
Aber ja.
AS: Wir leben ja in einer Welt, in der es sehr schick ist, sich
in jede Seelenregung des Täters zu versenken. Ich lese zum Beispiel
Gerichtsreportagen im "Spiegel", egal ob die aus einer
Frauenfeder oder einer Männerfeder kommen, wo jeder Wimpernschlag
des Täters registriert wird, die gesamte Kindheit aufgerollt wird...
Man muß die Fälle einzeln betrachten. Sie können nicht mit der
These von der Verachtung der Frau durch den Mann alles erklären.
AS: Wie wollen Sie dieses Interview bloß redigieren? Ich mache
mir tiefste Sorgen.
Bitte nicht!
AS: Ich meine, was soll dabei rauskommen?
Darüber machen Sie sich keine Gedanken.
AS: Sie haben diese armen Christo und Jeanne-Claude, so daß mir
die Lachtränen runterliefen, gequält mit Ihrer albernen Gottsuche,
ja, haben diesen armen anständig arbeitenden Künstlern, die wirklich
etwas erreicht haben, ja, haben denen immer wieder hingeworfen,
da sei doch der liebe Gott dahinter, bis diese Menschen gequietscht
haben vor Verzweiflung.
Ich kann doch nicht etwas schreiben, das mich selbst langweilt
beim Lesen.
AS: Ja, aber warum gucken Sie denn nicht hin und versuchen mal
was Neues zu erfahren?
Tu ich doch.
AS: Was sie machen, ist: Sie provozieren.
Kann ich gar nicht.
AS: Ist ja egal.
Wenn ich herangehe an den Fall Kelly/Bastian, sage ich, daß da
schon aus durchaus verwerflichen Motiven ein Mensch umgebracht
wurde. Aber es ist doch ein Unterschied, ob der Täter dann weiterlebt
oder den anderen mit dem Vorsatz tötet, sich gleich danach selbst
zu erschießen. Mich erinnert das an den Mythos, auch ein von einem
Mann geschaffener, von Tristan und Isolde, auf den Beauvoir ausführlich
eingeht, oder an die Liebesgedichte von Heine, Ihrem Lieblingsdichter,
wo sich die Geliebten immer im Grab wiederfinden.
AS: Nun gut...
Das ist vielleicht eine Erklärung. Beauvoir schreibt, für den
Mann ist nur denkbar, sich in Leidenschaft völlig auf die Frau
einzulassen, wenn beide schon tot sind.
AS: Sagen Sie, darf ich mal was fragen?
Es muß nicht immer die erniedrigte Frau sein, die der Mann tötet,
es kann auch der, übrigens nicht weniger verhängnisvolle Wunsch
sein, sich ihr im Tod ganz zu verbinden.
AS: Darf ich Sie mal was fragen?
Bitte!
AS: Warum wollen Sie überhaupt mit mir sprechen?
Das sind doch alles Themen, mit denen Sie sich Ihr ganzes berufliches
Leben lang eindringlich beschäftigt haben. Ich spreche ja nicht
über etwas Ihnen vollkommen Fremdes. Ich habe mich doch auf Sie
vorbereitet, habe alle Ihre Schriften gelesen, jede Äußerung notiert,
Ihre Biografie studiert.
AS: Ich sehe.
In einem Interview mit der Zeitschrift "Tempo" haben Sie
den offenbar ahnungslosen Interviewer gefragt: "Haben Sie
von Simone de Beauvoir das 'Andere Geschlecht' gelesen?"
Hatte er nicht. Mir kommt fast vor, ich hätte es auch nicht tun
sollen, damit Sie sich verstanden fühlen.
AS: Über dieses Interview wollen wir nicht reden.
Man könnte böse sein und sagen, Sie haben in Ihren Essays und
Büchern die halbe Beauvoir abgeschrieben.
AS: Ich habe das halbe Buch abgeschrieben?
Sie haben viele Begriffe und Formulierungen wörtlich übernommen,
zum Beispiel, daß die Frau Opfer des Opfers sei, weil auch der
Mann Opfer der Zwänge sei, in denen er steht.
AS: Steht das bei Beauvoir?
Ja, wörtlich.
AS: Ja, ich denke, daß Beauvoir uns alle fundamental geprägt hat,
nicht? Es ist zwar nicht meine Art abzuschreiben, aber ganz sicherlich
hat mich die Arbeit von Beauvoir mit durchdrungen. Das ist etwas
wo ich weitermachen kann.
Gut. Also da ist bei Beauvoir unter anderem auch von der für den
Mann nur im Tod vorstellbaren totalen Vereinigung mit der Geliebten
die Rede. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang den Tristan-Mythos.
Mir fällt dazu noch Heine ein. Ich schlage Ihnen das ja nur vor
als Ansatz zum Überlegen, weil es ja etwas anderes ist als zum
Beispiel in "Carmen", wo der als bemitleidenswert dargestellte
Mörder die Tat überlebt, oder wie bei dem von Ihnen breit kommentierten
Kriminalfall um den Boxer Bubi Scholz, der seine Frau durch die
Klotür erschossen hat, sich selbst aber nicht. Da gibt es doch
Unterschiede. Man kann nicht alles, was zwischen Männern und Frauen
Schlimmes passiert, mit dem Männerhaß auf Frauen erklären.
AS: Ja, was soll ich Ihnen dazu sagen?
Ich meine, Gert Bastian hat sich doch kurz darauf selbst erschossen.
Das darf man doch nicht völlig vergessen.
AS: Also, ich denke, daß ein Mensch das Recht hat, selber zu bestimmen,
ob er leben will oder nicht. Ich denke aber nicht, daß er das
Recht hat, über das Leben eines anderen zu bestimmen. So einfach
ist das.
Das ist ja richtig.
AS: Ich meine, es ist doch sehr interessant, dem nachzuspüren.
Ja, aber man kann doch noch etwas tiefer spüren.
AS: Ja, wenn Ihnen das alles zu knapp gegriffen ist und zu klischeehaft,
das ist Ihnen ja unbenommen. Aber was soll ich Ihnen da sagen?
Sie könnten sich darüber mit mir unterhalten.
AS: Ich tu das, was ich tun kann.
Finden Sie das bedenkenswert, was ich Ihnen anbiete als Überlegung?
AS: Nein, ich finde das bezeichnend abwegig.
Alles, was jenseits Ihrer festgefaßten Konzepte vorgebracht wird,
finden Sie abwegig.
AS: Nein.
Warum kann man denn nicht darüber diskutieren? Sie werfen der
heutigen Gesellschaft vor, daß alles Private als privat aufgefaßt
wird und nicht als politisch bedingt. Daraus ergäben sich dann
solche tragischen Abspaltungen zwischen einem öffentlich fortschrittlichen
Wirken und einer privaten Katastrophe, die unter Umständen tödlich
ende.
AS: Sagen wir mal so, es fängt damit an, daß ich vorwerfe, daß
ein Mord Selbstmord genannt wird. Das kann man machen, wenn man
das vertuschen will.
Daß Petra Kelly nicht Selbstmord begangen hat, ist ja klar.
AS: Aha, das ist klar, ja gut. Das ist aber schon mal viel, nicht?
Das war der Ausgangspunkt für das Buch. Nicht der Tod war für
mich der Ausgangspunkt, sondern die Leugnung des Mordes.
Der Ausgangspunkt, gut. Aber es geht ja weiter. Sie fragen auch,
wie ist es dazu gekommen, und Sie kommen zu der Behauptung, schuld
sei, daß man die sichtbaren Abgründe und Widersprüche, das sind
Ihre Worte, also die Abgründe und Widersprüche dieser beiden Menschen
nicht hat erkennen wollen. Man habe das zugedeckt. Das ist auch
ein Vorwurf an die grüne Partei, bei der die beiden tätig waren.
Es käme dann dazu, daß Menschen privat gar nicht einlösen, was
sie politisch verkünden. Diese Art Doppelmoral haben Sie auch
Willy Brandt angekreidet.
AS: Ja, scheußlich übrigens im Fall Brandt, ganz scheußlich, wie
der mit seiner ersten Frau und den Kindern umging.
Ja, aber Brandts politisches Werk bleibt dennoch unbeschadet seltsamerweise.
Von Petra Kelly bleibt nach Ihren Enthüllungen nichts.
AS: Ich sehe das nicht so. Ich glaube, daß ich versucht habe,
die Person ernst zu nehmen, sie zu sehen, sie zu begreifen.
Sie haben, ausgehend von Ihren Kindheitserfahrungen mit Ihren
Großeltern, die für Sie Eltern waren, auf die Konstellation zwischen
Kelly und Bastian hochgerechnet. Ihre Großmutter war wie Kelly
eine starke Frau mit einem gedemütigten Mann. Sie schreiben, Sie
hätten es verstanden, wenn der Großvater die Großmutter getötet
hätte. Das steht in Ihrem Buch.
AS: Das steht drin, ja.
Sie haben immer nur Ihre Thesen vertreten.
AS: Das finden Sie? Gott, ich bin ja ein verdammter Langweiler.
Ich weiß gar nicht, warum Sie...
Langweilig ist das Buch nicht. Nur Ihre Schlußfolgerungen...
AS: Die sind quälend, ja, hach! Ich muß natürlich einem sensiblen
Menschen wie Ihnen sehr auf die Nerven fallen. Wenn ich schon
diese verquälten Stirnfalten sehe...
Nun werden Sie nicht ironisch!
AS: Was heißt hier ironisch? Ich sitze hier wie so ein plattes
Besserwisserchen, eine Ideologin ohne jedes Gespür für Menschen,
ja, so sitze ich hier, und mir gegenüber sitzt ein zerquälter
Mensch, der sich Gedanken macht über das Leben und das Universum...
Und, ich zitiere Sie, der "sich totlacht, um sich nicht totzuärgern".
AS: Ja, ganz genau. Aber, mein Armer, das ist ja ein furchtbarer
Abend, den Sie sich da gestalten.
Vorher war's furchtbarer.
AS: Bei der Vorbereitung, wie Sie das alles lesen mußten?
Nein, kurz davor. Ich hatte natürlich Angst vor dieser Begegnung,
weil ich ja wußte, wie Sie mir ausweichen würden.
AS: Ja, ich war im letzten Augenblick auch ein bißchen nervös,
weil ich dachte, der Typ ist immer so gemein, ich werde es nicht
schaffen, das zu durchdringen.
Schon wieder Ihre Vorurteile! Aber ich will beim Thema bleiben.
AS: Ja, bitte!
Sie kritisieren das Auseinanderklaffen öffentlicher Verkündungen
und privater Katastrophe. Da muß ich schon nachfragen. Sie sind
auch eine öffentliche Figur. Sie sind eine glamouröse öffentliche
Erscheinung, bei jeder Gelegenheit abgebildet. Worauf käme man,
wenn man in fünfzig Jahren, wie Sie es bei anderen tun, Ihr Privatleben
aufblätterte. Was für Abgründe und Widersprüche kämen da zutage!
Was alles weiß man da nicht! Über Sie wäre doch dann sicher mehr
zu sagen als die von Ihnen stereotyp wiederholte Mitteilung, sie
lebten allein mit Ihrer Katze Lilly, die aber vermutlich inzwischen
gestorben ist.
AS: Entschuldigen Sie...
Das kann doch nicht alles sein.
AS: Entschuldigen Sie, Herr Müller, meine Katze Lilly erfreut
sich bester Gesundheit, und ich möchte hier in aller Entschiedenheit
sagen, daß man als Katze sehr gut sechzehn Jahre alt sein kann
und puppenmunter.
Ja, gut.
AS: Also, die Abgründe, ja, das wäre natürlich spannend, nicht,
die Abgründe in meinem Leben.
Nur wenn Sie die mitteilen, würden Sie einlösen, was Sie von anderen
fordern.
AS: Ja, eben, ich immer hier so über die anderen, aber nichts
über mich....
Die anderen, denen Sie vorwerfen, daß Sie ihre Abgründe verheimlichen.
AS: Ha, ich fange an, Geschmack daran zu gewinnen, aha, ein Mensch
mit Abgründen...(lautes Lachen). Ich darf Sie doch in zwanzig
Jahren noch mal anrufen? Die Abgründe! Nein, wissen Sie, es gibt
natürlich vieles, was ich über Kelly und Bastian nicht gesagt
habe. Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist.
Sie haben etwas verschwiegen?
AS: Natürlich, in einer Selbstzensur nicht gesagt. Denn ich bin
nicht der Auffassung, daß man das Recht hat, alles über Menschen
mitzuteilen. Wenn Sie mich genau lesen, werden Sie das auch sehen.
Es steht trotzdem genug drin. Sie schreiben zum Beispiel, Bastian
habe Kelly durch seine sexuelle Impotenz bestrafen wollen, was
ich einen sehr originellen Gedanken finde.
AS: Ja, so war es, da bin ich ganz sicher, das ist übrigens nicht
ganz neu. Da bin ich nicht die erste Frau, die das so sieht.
Von Ihnen teilen Sie aber gar nichts mit. Von Ihnen weiß man nur,
daß Sie eine Katze besitzen...
AS: Die Lilly, ja, meine Katze lebt!
Mit der wohnen Sie.
AS: Ja, aber das ist doch schon sehr aufregend.
Sie machen ein Interview mit Hella von Sinnen und ihrer Geliebten
Cornelia Scheel und fragen ganz hemmungslos, wie es kam, daß sie
lesbisch wurde.
AS: Aber bitte, das wird doch Hella von Sinnen mir nicht erzählen
müssen, das hat sie doch schon lange vorher erzählt.
Sie haben die Entscheidung, lesbisch zu leben, eine politische,
strategische Entscheidung genannt, um, von den Männern "emotional
unabhängig", den feministischen Kampf konsequent führen zu
können.
AS: Sehen Sie mal, darf ich Ihnen mal was sagen. Ich bin der Auffassung...
Sie stellen den moralischen Anspruch an andere, ihr Privates offenzulegen.
AS: Das tu ich nicht.
Doch.
AS: Nein.
Sie werfen Petra Kelly vor, sie habe nach außen etwas gespielt
und ihr Privates verschwiegen.
AS: Darüber habe ich geschrieben, weil sie daran gestorben ist.
Wissen Sie, woran Sie sterben?
AS (lacht)
Darüber kann ich dann auch ein Buch schreiben.
AS: Das hört sich so toll an. Ich fürchte, mein Leben ist viel
langweiliger als Sie vermuten.
Das glaube ich nicht.
AS: Also ich finde das ziemlich aufregend, was Sie da machen,
sehr aufregend, aahhh, sehr aufregend, ach, ich möchte so gerne
mal eine abgründige, interessante Person sein.
Sind Sie doch.
AS: Aber ob ich mich als solche ausgerechnet der "Zeit"
outen soll, nein, Herr Müller, das wollen wir jetzt doch nicht
tun, oder? Interessant und abgründig, nein, lassen Sie uns noch
einmal zu Kelly und Bastian kommen. Es gibt ganz viel, was nicht
gesagt ist, weil ich der Auffassung war, daß das nicht mein Recht
ist. Alles, was ich mitgeteilt habe, war nötig zum zentralen Verständnis
der Person und zum Verständnis dieses letztendlich tödlichen Konflikts,
ein Buch übrigens, das ich, wenn sie genauso gelebt hätten, nur
diese letzten Schüsse nicht gefallen wären, nicht geschrieben
hätte und auch nicht das Recht gehabt hätte zu schreiben. Der
Tod hat mir nicht nur das Recht gegeben, sondern mich quasi verpflichtet.
Ich habe übrigens
manchmal gedacht, was hätte Petra Kelly, wir kannten uns ja, flüchtig,
freundlich kannten wir uns, was hätte Petra Kelly zu dem Buch
gesagt, und ich hab den Verdacht, daß Petra Kelly zufrieden wäre
damit.
Man ist ja immer geschmeichelt, wenn sich jemand mit einem beschäftigt,
nur Sie offenbar nicht...
AS: Doch, doch, sehr geschmeichelt, ich hätte ja sonst nie mit
Ihnen gesprochen, weil ich weiß, wie gemeingefährlich Sie sind,
aber dann habe ich doch nicht widerstehen können. Eine halbe Stunde,
bevor Sie kamen, habe ich mir noch gedacht: Wie kannst du nur
zusagen bei einem so gemeingefährlichen Menschen?
Ich muß doch versuchen...
AS: Auf der einen Seite haben wir da dieses klugscheißerische
kleine Mädchen, das immer gleich eine Meinung hat und mit derselben
gestiefelt durchs Leben stapft...
Nicht klugscheißerisch, sondern verzweifelt. Ihre Verzweiflung
ist mir sympathisch. Aus dieser Verzweiflung retten Sie sich wie
jeder Mensch mit Rezepten, und Sie meinen, wenn diese Rezepte
befolgt würden, dann wird die Welt besser.
AS: Rezepte? Finden Sie bei mir ein Rezept? Sie haben doch sehr
viel mehr Rezepte.
Überhaupt nicht. Ich habe keine Rezepte, wie diese Welt zu verbessern
ist. Ich bin auch nicht angetreten mit diesem Anspruch. Ich versuche
nur, zu begreifen. Ich mißtraue Leuten, die sagen, sie wollen
die Welt verbessern. Hitler ist auch angetreten, um die Welt zu
verbessern, hat er zumindest behauptet. Das ist mir schon mal
verdächtig. Ingmar Bergman sagte mir in einem Interview, man müsse
das Böse in sich selbst finden, um es austreiben zu können.
AS: Ach!
Sie sind ja nicht einmal fähig, einen Sie an Ihnen selbst störenden
Fehler zu finden. In dem berühmten FAZ-Fragebogen antworten Sie
auf die Frage nach Ihren größten Fehlern: "Gutgläubigkeit
und Konzilianz". Das heißt aber doch nur, die anderen, denen
Sie Glauben schenken, enttäuschen Sie.
AS: Finden Sie Gutgläubigkeit keine schlechte Eigenschaft?
Das wirft zumindest kein schlechtes Licht auf Sie.
AS: Also was würden Sie denn finden, was eine schlechte Eigenschaft
an mir wäre? Das würde mich interessieren, aus Ihrer Sicht.
Ich könnte nur über meine reden.
AS: Nein, sagen Sie doch mal meine, das ist doch spannend. Wir
haben doch jetzt hier über den Fall Schwarzer zu sprechen.
Ja, daß Ihnen keine einfällt, ist schon mal eine schlechte Eigenschaft.
AS: Ja, das ist peinlich, das stimmt.
Sie müssen doch das Böse, Bergman nennt es die Dämonen, in Ihnen
kennen.
AS: Meine Dämonen, ja.
Ihre Abgründe.
AS: Mmmh.
Muß man doch kennen, um gegen sie gefeit zu sein. Wie wollen Sie
sonst was verbessern?
AS: Mmmh (grinst).
Sie können sich ruhig über mich lustig machen.
AS: Aber ich bitte Sie, ich werde doch nicht die platte Herzlosigkeit
haben, mich angesichts Ihrer Zersorgtheit lustig zu machen! Nein,
es würde mich wirklich interessieren. Jetzt haben Sie sich mit
Schwarzer beschäftigt. Was ist meine schlechte Eigenschaft? Mangelnde
Neugierde? Ich bin eine Ideologin sozusagen. Ich bin in Ihren
Augen eine Ideologin, das heißt, mich interessiert nicht das Leben,
die Realität...
Sie sind ein verzweifelter Mensch, das ist nichts Schlechtes.
AS: Warum bin ich ein verzweifelter Mensch?
Weil Sie sonst Ihre Thesen nicht bräuchten, die man Ihrer Meinung
nach nur befolgen müßte, damit alles besser würde, Ihre einfachen
Lösungen.
AS: Nein, also, was werden wir mit diesem Gespräch wohl machen?
Wir werden die Menschen langweilen bis zum Geht-nicht-mehr. Sie
sprechen dauernd über Ihre Obsessionen.
Ja, und Sie über Ihre.
AS: Ja, aber das finde ich nicht so schlimm, das sind ja die Leser
gewohnt, das scheint ihnen ja zu gefallen. Nur, wissen Sie, Sie
langweilen mich. Jetzt dachte ich, der Mensch ist zwar quälend,
aber vielleicht ist er doch irgendwie intelligent. Aber nun bin
ich mit diesen selben, hach, diesen selben bornierten, dummen
Anwürfen konfrontiert, die ich seit 25 Jahren höre...
Von Männern.
AS: Nicht nur von Männern, es gibt ja auch dumme Frauen.
Anwürfen?
AS: Anwürfen, ja, ist doch ein schönes Wort, Anwürfe! Endlich
treffe ich mal Ihren Zentralnerv, ja, also... Womit fangen Sie
an? Sie sagen, Schwarzer, deren Arbeit, was den Feminismus angeht,
ich mach ja nicht nur Feminismus, aber gut, bitteschön, das ist
schon das Zentrale, also was ihre Arbeit als Feministin angeht,
ist ihre Zentralthese, die Menschen sind gleich, und da sagen
Sie, das ist natürlich völlig absurd, das fängt schon an mit der
Sexualität, und die definiert anscheinend den Menschen, Sie gehen
ja auch davon aus, daß alle Menschen Sexualität haben und diese
leben...
Nein, ich gehe von der Anlage aus.
AS: Aha, gut. Also das finden Sie schon alles Tinnef. Was wollen
Sie jetzt mit der Person reden, die von solchen Thesen ausgeht?
Lassen Sie uns versuchen, ein Thema zu finden, das einigermaßen
Ihnen entspricht.
Eine berechtigte Frage wäre...
AS: Ja, also, nun los!
Eine Frage, die ich mir nach dem Studium Ihrer Biografie erlaube
zu stellen, nachdem ich nun gelesen habe über Ihren ersten Sex
mit neunzehn, von dem Sie berichten, über Ihre Liebe zu dem Volkskundler
Bruno, über die zwei an Ihnen verübten Vergewaltigungsversuche,
die Sie mit Glück überstanden haben...
AS: Wie bitte?
Darüber haben Sie geschrieben.
AS: Ja, aber sehen Sie, wie Sie so etwas resümieren, was für ein
zynischer Mensch Sie sind.
Nein, ich fasse zusammen, was bekannt ist, weil ich ja nun nicht
mehr erwarten kann, daß mit Ihnen über Ihr Privates zu reden ist.
AS: Aha, aha.
Ich beziehe mich nur auf Auskünfte, die Sie in Ihren Aufsätzen
über sich selbst gegeben haben.
AS: Da gibt es nur einen einzigen Text.
Das stimmt nicht. Da gibt es zum Beispiel den Aufsatz "Warum
ich kein Kind habe" aus dem Jahr 1977 oder Ihren Essay über
geschlagene Frauen, in dem auch Biografisches steht.
AS: Ach ja.
Daraus geht zum Beispiel hervor, daß Sie, so wörtlich, "Würgemale"
davontrugen von Ihrer ersten Beziehung mit einem Mann, dessen
Gewalttätigkeit Sie ständig fürchten mußten. Das haben Sie alles
veröffentlicht. Aber das soll gar nicht das Thema sein. Mich interessiert,
warum Sie ab ungefähr Mitte der 70er Jahre immer wieder die weibliche
Homosexualität als eine für den Frauenkampf politisch opportune
Lebensart propagieren. Kann man sich dazu entschließen, lesbisch
zu leben? Kann das eine vom Kopf bestimmte Entscheidung sein?
AS: Aber Sie glauben doch nicht, daß ich mit Ihnen über so etwas
rede? Das wäre ja wirklich zu komisch. Nach all dem Unsinn, den
Sie bis jetzt geredet haben... (geht zur Tür, spricht zu ihrer
Mitarbeiterin, Frau Hösl:) Kann ich noch ein bißchen Wein haben?
Die Frage ist doch berechtigt.
AS: Nein, Sie sind doch ein besonders bornierter Mensch. Sehen
Sie, man muß sich doch eine Chance geben, irgendwie verstanden
zu werden, nein, nein...
Es ist doch auffallend, wenn eine Frau die lesbische Liebe so
oft als strategisch nötig bezeichnet, als subversive Möglichkeit.
AS: Tue ich das so oft? Aha. Ich freue mich sehr. Wenn Sie wüßten,
mit welchem Vergnügen ich hier sitze und Sie zitieren höre, weil
ich so oft interviewt worden bin von Menschen, die nichts gelesen
hatten. Aber nun sehe ich folgendes. Man kann auch alles lesen
und gar nichts verstehen.
Deshalb bin ich ja noch zusätzlich hier, damit ich verstehe.
AS: Ist ja auch in Ordnung und nicht uninteressant. Aber eigentlich
verschwenden Sie doch Ihre ganze Energie damit...(sieht nach,
ob mein Tonband noch läuft)
Ist es schon aus?
AS: Nein, noch nicht ganz, aber sehen Sie, ich bin die einzige,
die hier darauf achtet, daß das Gespräch aufgezeichnet wird.
Das ist lieb von Ihnen, danke.
AS: Sie vergeuden sich.
Sie finden, die Frage ist unzulässig?
AS: Es ist sehr vieles unzulässig.
Warum sprechen Sie denn dann so oft darüber.
AS: Worüber?
Warum fragen Sie Simone de Beauvoir in einem Interview 1972 geradezu
insistierend, ob sie es richtig finde, die Entscheidung zur lesbischen
Sexualität aus politischen Gründen zu treffen?
AS: Sehen Sie mal, Herr Müller, es ist ja von Ihnen nicht zu erwarten,
daß Sie ein Experte in Sachen Feminismus und neuer Frauenbewegung
sind.
Ich bin in nichts ein Experte.
AS: Mein Interviewband mit Simone de Beauvoir, in dem Gespräche
über zehn Jahre enthalten sind, die in ihrer Summe sicherlich
von Interesse sind, wo sich aber auch der Ton ändert mit den Jahren,
sind Gespräche, die im Kontext der Zeit zu sehen sind, das heißt,
sie wird befragt zu Dingen, die damals passierten...
Es fällt Ihnen schwer, mit mir darüber zu reden.
AS: Das kann sein.
Ich hätte da keine Probleme.
AS: Sie können ja reden, worüber Sie wollen. Ihnen fällt wenig
schwer, das sehe ich schon.
Wovor haben Sie Angst?
AS: Darf ich mal weiterreden, Herr Müller, wollen Sie mal irgendeine
Antwort hören?
Bitte.
AS: Also diese Gespräche sind unter anderem ein Beitrag gewesen,
die Brücke zwischen Beauvoir und der neuen Frauenbewegung zu schlagen,
also zu zeigen, wer ist sie jetzt, wie steht sie da, wie sieht
sie das jetzt, wo befindet sie sich jetzt, so, das sind auch Gespräche
mit politischen Absichten gewesen, die zwischen uns beiden klar
waren, wir haben uns ja über die Zeit der gemeinsamen Gespräche
miteinander befreundet, und es sind auch Gespräche, wo wir beide
die Absicht hatten, bestimmte Dinge zu thematisieren, also sie
ist auch jeweils befragt worden zu den Themen der Zeit.
Das bedeutet, es war Mitte der 70er Jahre ein Thema, zu überlegen,
ob es frauenpolitisch ratsam ist, sich emotional von Männern unabhängig
zu machen durch weibliche Homosexualität. Das war ein Thema.
AS: Ja, in meinem Buch "Der kleine Unterschied" ist das
ein zentrales Thema, und zwar können Sie nicht über Homosexualität
sprechen, ohne über Heterosexualität zu sprechen, und in diesem
Buch wird zum erstenmal analysiert, welche Folgen hat für ein
Frauenleben die private Beziehung mit einem Mann oder vielleicht
auch mit einer Frau, weil es geht ja auch um die innere Vorstellung
von Liebe, nicht, es geht ja darum, wie man es lebt, egal, wer
gegenüber ist.
Welche Rolle man spielt.
AS: Genau, und in dem Buch "Der kleine Unterschied" sind
eben das zentrale Thema die Auswirkungen dieser scheinbaren Privatheit
und die Auswirkungen dieses Zwanges zu einer bestimmten Rolle,
die meistens in der heterosexuellen Konstellation erfüllt wird.
Ich denke selbstverständlich, daß in befreiten Verhältnissen,
aber ich wage in Ihrer Gegenwart kaum das Wort "Freiheit"
auszusprechen, denn es wird etwas Ungeheures auf uns zukommen,
wenn wir frei sind, also sagen wir, daß in freieren Verhältnissen
Menschen Menschen lieben können, so, nicht?
Ohne Kampf.
AS: Ja, und egal, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht sie
haben. In dem Punkt bin ich mir übrigens einig mit Freud und anderen.
Ein Mensch kann lieben und begehren unabhängig davon, welchen
Geschlechts die andere Seite ist, und daß natürlich dieses Ausrichten
der Frauen auf Männer in einem bestimmten Konzept, also was ist
Liebe, Hingabe, Unendlichkeit, die Selbstaufgabe und so weiter,
seine Funktion hat und seine Folgen, ist klar, so. Um diese Fragestellung
geht es, und dann würde ich doch endlich mal dem Menschen die
Ehre antun, ihn einfach auch mal wählen zu lassen.
Beauvoir erklärt die weibliche Homosexualität folgendermaßen:
Der Mann habe sich seit ewigen Zeiten als Subjekt gesetzt, die
Frau nur als relatives, auf den Mann bezogenes Wesen. Um autonom
bleiben zu können, ohne auf die Hingabe in der Sexualität zu verzichten,
müsse sie lesbisch werden.
AS: Das sagt Beauvoir?
Ja, die Frau könne sich eher mit einer anderen Frau als mit einem
Mann, ohne Gefahr zu laufen, ihre Autonomie als Mensch zu verlieren,
den Wunsch nach Hingabe erfüllen. Sie bleibt, obwohl in der Hingabe
passiv, Subjekt. Das wäre doch ein guter Grund für die Entscheidung
zur Frauenliebe. Darüber mit Ihnen zu sprechen, scheint mir nicht
abwegig zu sein.
AS: Nein, das ist gar nicht abwegig, überhaupt nicht. Das ist
ja ganz interessant, der Punkt, den Sie jetzt ansprechen. Es gibt
ja heute eine Renaissance des Glaubens an die biologische Definiertheit
der Homosexualität, das kommt aus Amerika wie so vieles, das wird
stark propagiert, und es scheint Homosexuelle zu geben, vor allem
Männer, die sich damit freikaufen wollen, die sagen, wir können
nicht anders, so ist es, so ist man nun geboren, also muß man
auch nett mit uns sein so wie mit Zwergen, die sind nun mal klein,
aber auch Menschen. Ich bin überrascht, daß 20, 25 Jahre nach
dem Beginn einer Reflektion über menschliche Sexualität und die
Möglichkeiten der Entscheidung in der Tat so ein biologisch enger
Glauben wieder propagiert werden kann, ja, daß eine Art Sexualität
angeboren sei. Ich denke in der Tat, daß Menschen das entscheiden
können, wobei ich glaube, daß das Potential der Dringlichkeit
und der Zwänge und so weiter unterschiedlich groß ist, und das
hat auch etwas mit Prägung zu tun.
Gut, nun gehe ich bei Ihnen davon aus, daß Sie ein Mensch sind,
der sich wenig um Prägungen schert, und deshalb hätte mich schon
interessiert, ob man das in Ihrem persönlichen Fall Entscheidung
nennen darf und warum sie gefallen ist.
AS: Ja, ich weiß nicht, Sie können über mein Leben reflektieren,
wie Sie wollen. Ich werde nur nicht mit Ihnen darüber plaudern.
Aber Sie werfen es anderen vor, wenn sie ihr Leben privat statt
politisch sehen, obwohl sie öffentlich tätig sind.
AS: Also, wissen Sie, Herr Müller, ich finde das wahnsinnig interessant
mit Ihnen. Sie werden keine Zeile bei mir finden, wo ich behaupte,
daß Menschen verpflichtet sind, ihr Privates bekanntzugeben.
Aber wie soll es denn die Mitwelt anders erfahren und, möglicherweise
lebensrettend wie im Fall Kelly, darauf eingehen können?
AS: Wissen Sie, Sie leben doch in einer Zeit und arbeiten für
Medien, die alles ans Tageslicht zerren.
Für solche Medien arbeite ich nicht. Aber ich meine, daß Entblößung
in gewissen Bereichen sinnvoll sein kann, nämlich dort, wo Macht
ausgeübt wird.
AS: Ich bin überhaupt nicht dafür.
Weil Sie ein Machtmensch sind und die Macht genießen. Dagegen
ist ja gar nichts zu sagen. Es begegnen sich hier ein zur Macht
unfähiger Mann und eine machtvolle Frau.
AS: Das finde ich schön, das muß unbedingt drinstehen, das finde
ich wirklich zu schön.
Das ist ja nicht neu. Machtbesessenheit wurde Ihnen von ehemaligen
"Emma"-Mitarbeiterinnen schon des öfteren vorgeworfen.
AS: Ja ja.
Wenn man die Macht behalten will, muß man sehr vorsichtig sein
mit dem, was man sagt.
AS: Wir hatten ja vor unserem Gespräch ein Telefonat, wo ich Ihnen
sagte...
... daß Sie Ihren Vater, den Sie nicht kannten, mit neunzehn Jahren
aufgespürt haben, so wie ich meinen, aber das wollten Sie nicht
öffentlich sagen.
AS: Nun gut, ein halbstündiges Treffen, da gibt es nicht viel
zu erzählen. Aber davon wollte ich jetzt nicht reden, sondern
ich wollte sagen, daß ich Ihre Skrupellosigkeit und Hemmungslosigkeit
und Ihren Exhibitionismus abscheulich finde.
Sie meinen, in Interviews, die mit mir geführt wurden?
AS: Nein, um Sie geht es ja nicht.
In Gesprächen, die mit mir geführt wurden, schon.
AS: Ja, also gut, Du lieber Gott, wen interessiert's?
Das wird die Zeit weisen.
AS: Gut, sehr schön, bravo! Aber sehen Sie mal, ich meine zum
Beispiel die Passage in Ihrem Gespräch mit Elfriede Jelinek, in
der Sie über ihre Selbstverstümmelung spricht. Wenn Jelinek mir
gesagt hätte, daß sie sich selbst verletzt, hätte ich das nicht
geschrieben.
Da müßten wir jetzt mit ihr darüber reden, ob sie etwas dagegen
hatte. Ich bin ja in gutem Kontakt mir ihr. Es ist doch so, daß
Sie etwas nicht schreiben, weil Sie selbst es nicht über sich
lesen wollen. Sie stellen nur die Fragen, die Sie sich selbst
nicht fürchten, gefragt zu werden. Wenn Sie aus, wie ich meine,
falschen Skrupeln, nicht schreiben, was Jelinek sagt, mischen
Sie sich in den Mut eines anderen Menschen ein. Elfriede Jelinek
kann doch selbst entscheiden, was sie einem Journalisten auf Tonband
spricht.
AS: Ach so, ja! Haben Sie eigentlich schon einmal über so etwas
wie Verantwortung nachgedacht?
Ja, sicher, in genau der Weise wie Sie, als Sie das Buch über
Kelly schrieben. Ich halte es für unverantwortlich, aus sich ein
Geheimnis zu machen.
AS: Sie sind für die große Wurstmaschine. Sie kennen doch diese
am Tisch angeklemmten Wurstmaschinen, wo alles durchgedreht wird.
Wenn Menschen sich offenlegen, schaut doch jeder verschieden aus.
Da kommt kein Einheitsbrei heraus.
AS: Nein, da kommen ganz verschiedene Würste raus.
Da kommen Menschen heraus, keine Thesen.
AS: Aha, keine Thesen wie bei mir... Das hat ja Focus-Niveau,
dieses Gespräch. Wie wollen Sie das denn auf ein anderes Level
heben?
Sie müssen sich nicht meine Sorgen machen.
AS: Nein.
Wir waren ja an einem interessanten Punkt, nämlich der Frage der
Macht.
AS: Also Sie meinen, ich bin ein Machtmensch. Ich sage Ihnen was
dazu. Ich bin so weit ein Machtmensch, wie ich kein ohnmächtiger
Mensch sein will, in der Tat, und was ich dann mit der Macht mache,
das entscheide ich, so!
Nur zu!
AS: Stellen Sie sich mal vor, ich wäre Ihnen ausgeliefert, das
wäre doch scheußlich zum Beispiel. Da möchte ich doch lieber gleich
aus dem Erkerchen springen.
Ich liefere mich gern aus.
AS: Lieber Herr Müller, Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen dazu
was sage, nach diesem Kokettieren mit der Schwäche. Wissen Sie,
auf der Herbertstraße müssen Sie für so etwas cash bezahlen. Das
werde ich Ihnen jetzt nicht umsonst hier liefern, nicht. Falls
Sie irgendwelche Domina-Phantasien mit mir verbinden, muß ich
Sie sehr enttäuschen.
Also, Frau Schwarzer, jetzt ist Schluß!
AS: Nein, wieso, entschuldigen Sie! Da muß ich Sie enttäuschen.
Das darf ich aber schreiben?
AS: Ja, das dürfen Sie schreiben.
Sind Sie betrunken?
AS: Nein, ich bin überhaupt nicht betrunken, auch wenn ich drei
Gläser Wein getrunken hab. Da vertrag ich ein bißchen mehr.
Ich bin, glaube ich, im Moment mehr um Seriosität bemüht als Sie.
AS: Was nicht so einfach ist.
Sie sagen, Sie wollen nicht ohnmächtig sein. Ich meine, das Eingeständnis
der Ohnmacht kann der erste Schritt zur Veränderung sein.
AS: Auf jeden Fall. Immer ist die Erkenntnis der Wahrheit, also
wirklich zu erkennen, was richtig ist, der erste Schritt zur Veränderung.
Das Eingeständnis, daß man keine Lösungen weiß.
AS: Ja, aber bitte, wenn Sie gestatten, nicht auf dem Marktplatz.
Wir haben schon genug Frauen jammern sehen.
Es muß ja jemand da sein, der es hört.
AS: Ich glaube, das wichtigste ist die Selbsterkenntnis, daß man
selber etwas begreift.
Aber man soll das für sich behalten, damit man die Fäden der Macht
in der Hand behält.
AS: Nicht unbedingt. Aber ich muß doch sagen, daß Frauen schon
so oft schwach und erniedrigt vorgeführt wurden...
Vielleicht würde ihnen das dann gerade nicht mehr geschehen. Denn
es erzeugt doch auch Stärke, sich offenzulegen.
AS: Ja, die haben Sie ja, Sie haben die Power. Es ist Ihnen doch
unbelassen, sich offenzulegen, soviel Sie wollen, ist ja in Ordnung.
Aber lassen Sie doch die anderen tun, was sie selber möchten.
Ich brauch keine Power. Ich gehöre ja leider zu dem Geschlecht,
das sie endlich mal abgeben sollte.
AS: Aha, ja, dieser Verdacht drängt sich bei unserem Gespräch
sehr auf, daß Sie die abgeben sollten.
Sie haben mir am Telefon die Lektüre eines frühen Artikels über
Sie in der "Zeit" anempfohlen, da steht drin, daß Sie
sehr darauf achten, nichts Persönliches über sich mitzuteilen.
Es sieht so aus, als würden Sie mit der Veröffentlichung Ihrer
Abgründe eine gewisse Befürchtung verbinden...
AS: Meiner Abgründe.
Ja.
AS: So wird's wohl sein.
Nämlich die Befürchtung, daß dann Ihre politische Arbeit nicht
mehr so wie jetzt möglich wäre.
AS: Aber, Herr Müller, Sie wollen jetzt nicht richtig komisch
werden, oder?
Das haben Sie mich schon einmal gefragt. Ich habe nichts gegen
Komik. Das Tragischste ist ja immer das Komischste.
AS: Also, wissen Sie, jetzt antworte ich Ihnen ernsthaft. Zum
einen ist es eine lange und erstickende Tradition, daß Frauen
über das Private definiert werden, gleichzeitig spielt das Private
eine ganz zentrale Rolle, so. Eine Frau, die nicht über das Private
definiert und darauf fixiert werden möchte, hat sich zu überlegen,
was sie privat mitteilt. Das zum einen...
Aber da ist sie doch schon eine Gefangene ihrer selbst.
AS: Nein, gar nicht. Es gibt ja nicht nur den Marktplatz, wissen
Sie, oder das "Zeit"-Feuilleton. Sie können sich doch
mit etwas Phantasie vorstellen, daß jemand, der seit 20, 25 Jahren
dermaßen Gegenstand der Projektion, der Phantasien ist...
Das wären Sie ja dann nicht mehr, wenn man Informationen hätte.
Projektion ist ja nur möglich, wenn Sie dem Publikum eine Fläche
bieten.
AS: Von wegen! Pipelau, wie man in Wuppertal sagt. Also ich bin
schon von Natur her eigentlich ein prüder und zurückhaltender
Mensch immer gewesen...
Die Mystifizierung eines Menschen ist ja nur möglich, wenn er
aus sich ein Geheimnis macht.
AS: Lassen Sie mich ausnahmsweise einmal einen Gedanken zu Ende
führen. Ich will sagen, daß es bei mir auch ein großes Bedürfnis
gibt, Ruhe zu haben. Es muß nicht alles für den Marktplatz sein.
Ich will Ihnen mal was sagen. Wann war das? Ich glaube, Anfang
der 80er Jahre, da ist ein kleines Schlüsselbuch erschienen darüber,
wie Frauen leben und so weiter, und damit das ein bissel was hermachte,
rannte auch immer Frau Schwarzer mal durch die Szene, und ich
erinnere mich, die Person, die das geschrieben hatte, war durch
einen Zufall, weil sie jemanden kannte, den ich kannte, ein paarmal
bei mir zu Gast gewesen, und die hat unter anderem dann beschrieben,
wie ich eine Avocado-Soße bei mir zubereite, ich weiß nicht, ob
Sie das jetzt völlig ernst nehmen, aber ich sage Ihnen das in
vollem Ernst: Mich hat das ungeheuer gekränkt, daß man bei mir
privat zu Gast sein kann und dann anschließend darüber schreibt,
wie ich diese Soße da zubereite. Es ist nicht so ungeheuer wichtig.
Ich verliere dadurch nicht mein Geheimnis. Aber ich dachte, das
kann doch nicht sein, ich bin jetzt seit über einem Vierteljahrhundert
Autorin, Journalistin. Noch nie in meinem Leben habe ich die Ebenen
vermischt. Wenn ich einen Menschen befrage, stimme ich das mit
ihm ab, weil ich es schwer erträglich finde, etwas zu veröffentlichen,
was jemand mir im Vertrauen sagt. Sie versuchen es mit Provokation
und Selbstauslieferung und so weiter...
Was Sie schon wieder alles wissen.
AS: Ja, ich weiß mehr als mir lieb ist, das ist richtig. Ich sehe
zu viel und begreife zu viel, das ist ganz richtig.
Sie irren so oft.
AS: Ja, das meinen Sie. Aber ich möchte das mit der Avocado-Soße
zu Ende führen. Ich habe damals dem Verleger geschrieben, ich
kannte den zufällig flüchtig, und habe dem gesagt, also hören
Sie mal, das hat doch überhaupt keine Relevanz, das sagt doch
nichts aus, das heißt nur, hahaha, ich war schon bei Schwarzer
in der Küche und so weiter und damit mach ich mich wichtig, also
möchte ich Sie herzlich bitten, diese paar Stellen, die ohne jede
Bedeutung sind, die noch nicht einmal etwas über die Abgründe
von Frau Schwarzer mitteilen können, wie Herr Müller sagen würde,
also diese paar Stellen bitteschön fortzulassen. Der Verlag hat
damals diese Buch veröffentlicht und hat vier, fünf Stellen weggelassen,
die weiß waren. Das war meine Avocado-Soße. Die Leute waren natürlich
sehr exitiert, weil sie dachten, was mag da wohl fehlen.
Ja, sehen Sie, so wird man zu einem Mysterium.
AS: Das interessiert mich gar nicht. Wissen Sie was, ich bin eine
arbeitende Frau, auf englisch nennt man das working woman. Diese
drei Stunden jetzt habe ich mir abgestohlen nach Redaktionsschluß,
weil ich mir gesagt hab...
Soll ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?
AS: Nein, sollen Sie gar nicht.
Wissen Sie, wieviel ich gearbeitet habe, um Ihnen vorbereitet
gegenüberzutreten? Einen vollen Monat, Tag und Nacht.
AS: Ja, das sehe ich gerne. Das gönne ich Ihnen von Herzen.
Ich Ihnen auch.
AS: Es hat Sie eher aggressiver gemacht.
Ist doch nicht wahr, etwas verzweifelter nur.
AS: Also bitteschön, ich will nur sagen, ich bin wenig mit meiner
Stilisierung beschäftigt, das können Sie sich natürlich gar nicht
vorstellen... (Die Fotografin kommt...) Zwei Minuten noch, dann
machen wir die Fotos... Nein, Sie können sich das gar nicht vorstellen,
ich sage Ihnen das ganz ernsthaft, Herr Müller, Sie können sich
das gar nicht vorstellen, daß jemand mit meinem Leben keine Zeit
hat zur Selbststilisierung. Ich weiß, daß Sie mir das nicht glauben,
ich sag's Ihnen trotzdem. Es interessiert mich überhaupt nicht.
Aber es hat Sie doch einige Zeit gekostet, zu diesem Verleger
zu gehen, mit dem zu verhandeln und so weiter, um durchzusetzen,
daß diese Avocado-Soße nicht in dem Buch drinsteht.
AS: Sehen Sie, das verstehen Sie schon nicht.
Es wäre doch zeitsparender gewesen, das einfach zu lassen.
AS: Es ging dabei darum, daß ich sehr verletzt war über den Vertrauensbruch,
daß man bei mir privat ißt und dann darüber schreibt.
Diese Verletzung ist weg, wenn Sie die Stellen streichen?
AS: Damit hatte ich doch gar nicht gerechnet, daß das geschrieben
wird.
Aber die Verletzung bleibt doch, egal, ob die Soße nun drinsteht
oder nicht.
AS: Das kann ja sein. Trotzdem handelt doch der Mensch. Ich will
sagen, ich versuche mich zu verhalten entsprechend meinen eigenen
Ansprüchen und Moralkriterien. Ich weiß, daß nicht alle die haben.
Ich hoffe, daß ich weniger naiv bin als früher. Ich glaube, früher,
vor zwanzig Jahren, haben noch "Spiegel"-Reporter in meinem
Zimmer gesessen. Dort darf jetzt niemand mehr sitzen. Es gibt
keine Homestories über mich, nicht, weil ich irgendwas zu verbergen
hätte, wie sieht mein Sofa aus und so weiter, sondern weil ich
den Gedanken nicht ertrage, daß das durch diese widerliche Wurstmaschine
gezogen wird, die fatal ist. Ich weiß gar nicht, bis wohin das
noch gehen soll. Hier wird etwas pervertiert, was eigentlich ein
ganz revolutionärer Gedanke ist, nämlich daß man auf den Menschen
eingeht, daß man sagt, so redest du und wer bist du? Das wird
pervertiert, indem man versucht, in alles reinzukriechen, das
Innerste nach außen zu holen, es zu verklappern...
Das mache ich ja gerade überhaupt nicht. Ich lege nicht den geringsten
Wert darauf, in Ihre Wohnung zu gehen, mich interessiert nicht,
wie Sie wohnen und was Sie kochen. Ich sitze hier mit Ihnen in
Ihrem Büro, an einem möglichst neutralen Ort, was mir lieb ist,
ich schaue mir nicht einmal Ihren Schreibtisch an oder die Bilder,
die Sie aufgehängt haben, das interessiert mich alles gar nicht.
Ich verkehre mit Ihnen über das höchst abstrakte Mittel des Worts.
Ich tausche Sprache mit Ihnen aus. Sie sind ein erwachsener Mensch.
Das Tonband steht deutlich sichtbar vor Ihnen. Sie wissen, was
Sie sagen wollen, was nicht. Ich werde keine einzige von Ihnen
nicht gesagte Silbe veröffentlichen. Also bitte, vermischen Sie
jetzt nicht die Ebenen! Begreifen Sie, wen Sie vor sich haben!
AS: Ich vermische überhaupt nichts. Ich schaue mir das mit zunehmendem
Degout an, was heute in den Medien mit den Menschen passiert.
Ich wundere mich auch über viele, wie sie über Dinge, die nur
sie selbst angehen, die eigentlich nicht von Interesse sind...
Das müssen Sie doch den Menschen selbst überlassen, was sie für
interessant genug halten, um es öffentlich mitzuteilen.
AS: Moment, lassen Sie mich das eine sagen. Kanzler Brandt verläßt
1974 oder 75 während der Abstimmung zum Paragraphen 218 den Raum,
er stimmt nicht mit ab, der sozialdemokratische Kanzler, über
die Frage, soll eine Frau drei Monate lang entscheiden können,
ob eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen wird oder nicht.
Befragt, sagt er, ja, ich bin ein uneheliches Kind, ich tue mich
da besonders schwer, und wäre damals die Abtreibung erlaubt gewesen,
würde es mich vielleicht nicht geben. Das ist natürlich ein Maß
an Bigotterie aus dem Munde eines Mannes, der unzählige ungewollte
Schwangerschaften inklusive Abtreibung ausgelöst hat, die ich
ihm sonst nicht vorgeworfen hätte, weil es das Übliche ist. Hier
aber ist es irgendwann zuviel, so daß ich da natürlich sage, das
interessiert mich.
Sie behaupten hier, Willy Brandt hätte unzählige Frauen gegen
ihren Willen geschwängert?
AS: Ja, das behaupte ich. Das ist ja bekannt. Oder: Herbert Wehner
heiratet seine soziale Tochter. Sie ist seine soziale Tochter
gewesen seit einem Alter von vielleicht acht oder neun oder zehn
Jahren. Seine Frau war lange schwer krank. Die Tochter hat ihn
begleitet, irgendwann heiratet er sie, und dieses Paar macht nicht
den Eindruck, als führte es eine Formehe, sondern es ist eine
richtige Ehe, so, und da beginne ich, mir Fragen zu stellen. Ich
frage mich, was war mit der Mutter dieses Mädchens, als sie schon
krank war? Was ist das überhaupt für eine Beziehung? Ein Mann,
der ein Kind, das lange seine soziale Tochter war, heiratet, der
mit dieser jungen Frau auf Reisen geht und so weiter. An dieser
Stelle wahrlich darüber nachzudenken, ist mein gutes Recht und
meine Pflicht. Es gibt viele Dinge, an die würde ich gar nicht,
nicht einmal in Gedanken, rühren, weil ich denke, daß der Mensch
ein Recht hat, bei sich zu sein und daß diese vermarktenden Medien,
diese Wurstmaschinen, nicht das Recht haben, durch alles zu latschen.
Die Tatsache, daß ich sage, das Private ist politisch, bedeutet
nicht, daß man in alles reinleuchten darf.
Sie behaupten, wenn ich recht verstehe, daß Herbert Wehner seine
Tochter verführt hat, noch während die Mutter lebte?
AS: Ich stelle Fragen.
Gut, aber was wäre passiert, falls stimmt, was Sie behaupten,
wenn Sie in diese von Ihnen vermutete unlautere Beziehung Wehners
zu seiner Tochter als Journalistin hineingehorcht und diese rechtzeitig
aufgedeckt hätten? Dann wäre vielleicht etwas aus Ihrer Sicht
Schlimmes verhindert worden. Mich interessieren doch auch nicht
die Avocado-Soßen.
AS: Gut, das ist natürlich sehr ehrenwert, wenn Sie jetzt auch
bei mir ein möglicherweise abgründiges Verhalten verhindern wollen,
Herr Kollege... Ich muß Ihnen sagen, ich bin letztendlich sehr
geschmeichelt, daß Sie bei mir Abgründe vermuten, weil wer möchte
keine Abgründe haben? Ich bin sehr geschmeichelt, wunderbar!
Das ist doch bei Ihnen nicht anders möglich.
AS: Ja, spüren Sie nur weiter meinen Abgründen nach, sehr schön!
Ich will nur sagen, es ist doch etwas ganz anderes, ob ich hier
mit Ihnen spreche oder Ihre Avocado-Soße beschreibe. Das hier
tun Sie ja freiwillig und selbstbestimmt.
AS: Nein, das finde ich überhaupt nicht. Sie machen ja sozusagen
Homestories auf "Zeit"-Niveau.
Das stimmt nicht. Ich bin immer froh, wenn ich nicht in die Wohnungen
der Interviewten muß. Ich bevorzuge das neutrale Ambiente, keine
Musik, kein Kaffee, keine Störungen, nur die Sprache. Ich glaube
nicht, daß man aus der Beschreibung irgendwelcher Kochkünste oder
Einrichtungsgegenstände viel über den Menschen erfahren kann.
Ich wünsche mir den unverstellten Dialog, weil man da mehr erfährt,
auch aus dem, was Sie nicht sagen, zum Beispiel.
AS: Natürlich.
Und dann wird mein Ehrgeiz schon dahin gehen, herauszubekommen,
warum Sie etwas verschweigen oder warum Sie zum Beispiel sagen,
die Selbstverletzung von Frau Jelinek würden Sie, obwohl sie Ihnen
in einem Interview mitgeteilt wird, für sich behalten.
AS: Ja, weil das nur mißbraucht werden kann.
Das kann auch Sympathie wecken, Mitgefühl. Die Wirkungen, die
etwas hat, sind doch nie vorher bestimmbar.
AS: Moment, ich werde mir jetzt die Nase pudern, und dann machen
wir schnell die Fotos. Wollen Sie sich auch die Nase pudern?
Die Frage ist doch, warum kann eine Künstlerin so etwas sagen,
und warum würde es Ihnen, das denken Sie ja, womöglich schaden?
AS: Welche Künstlerin?
Elfriede Jelinek, die ja nicht Ihren politischen Ehrgeiz hat.
AS: Ach so, ich bin Politikerin, und Elfriede Jelinek ist Künstlerin.
Ich weiß es ja nicht. Ich will es herausbekommen.
AS: Das ist Ihr Verständnis von Kreativität!
Nein, ich frage nur, warum kann Jelinek das riskieren, und warum
haben Sie Angst davor?
AS: Das ist ihre Wahl.
Ja, eben, und ich darf es dann schreiben.
AS: Entschuldigen Sie mal, Elfriede Jelinek ist eine hochbegabte,
hochspannende Person, und sie wird für sich entscheiden, wie sie
das macht, wir wollen jetzt gar nicht psychologisieren, in ihren
Büchern steht eine Menge drin, das ist brisant, das ist kühn.
Es macht jeder seine Sache, verstehen Sie?
Ja, sicher.
AS: So wie Sie nicht ins Frauenhaus gehen und Frauen, die von
ihren Männern zusammengeschlagen wurden, irgendwie helfen oder
kleinen Mädchen, die dringend Zuflucht brauchen, worüber Sie dann
sagen, das ist Sozialarbeit und Sie wollen nicht mit der Caritas
sprechen... Das können Sie ja ruhig tun. Nur, die Gesamtsumme
ist doch eine Vielfalt. Jeder hat doch seine eigene Stimme und
seinen eigenen Weg, und wenn das in der Summe etwas ergibt, ist
es doch wunderschön.
Darüber gibt es doch keinen Streit zwischen uns.
AS: Das kann sein. Ich möchte nur sagen, das habe ich mit dem
Älterwerden doch gelernt, es zunehmend nicht nur auszuhalten,
sondern, ich würde sagen, auch spannend zu finden... aber da mir
ja von Ihnen mitgeteilt worden ist, daß ich kein neugieriger Mensch
bin, versuche ich mal, etwas bescheidener zu sagen, ich habe gelernt,
es interessant zu finden, daß Menschen ganz unterschiedlich agieren.
Ja, natürlich, aber warum halten Sie es für unmoralisch, zu schreiben,
was eine ganz anders geartete Person als Sie öffentlich sagt,
nur weil Sie es nicht sagen würden? So werden doch die Unterschiede
erst deutlich. Mich interessiert eben, warum ist Elfriede Jelinek
so, warum sind Sie anders. Da darf ich doch wie ein kleines Kind
fragen: Warum? Warum veröffentlicht Jelinek ihr Privates, warum
tun Sie es nicht? Der Grund könnte Ihre größere Verletzlichkeit
sein, wobei ich allerdings glaube, daß Sie sich gerade durch das
Verschweigen noch größeren Verletzungen aussetzen als durch das
Reden. Seit Sie zumindest teilweise Ihre Herkunft, Ihre Biografie
mitgeteilt haben, sind die persönlichen Beleidigungen gegen Sie
doch eher geringer geworden. "Miß Hängetitt" und "Nachteule
mit dem Charme einer Straßenlaterne" werden Sie heute nicht
mehr genannt, weil man doch einiges heute weiß über Sie und mitfühlen
kann. Ich sehe nicht den kausalen Zusammenhang zwischen dem, was
Sie Exhibitionismus nennen, und den Verletzungen, die einem zugefügt
werden. Aber ich will gar nicht spekulieren. Ich will nur wissen,
warum Sie so ängstlich sind.
AS: Bin ich nicht.
Ich könnte vermuten, daß Sie fürchten, Ihre politischen Einflußmöglichkeiten,
Ihre Macht, zu verlieren, wenn man zu viel über Sie weiß. Es ist
doch klar, daß Helmut Kohl, wenn man erfahren würde, er habe Sex
mit seinem Dackel, am nächsten Tag nicht mehr Kanzler wäre. Es
würde schon genügen, wenn er das ganz Selbstverständliche zugibt,
nämlich daß er für vieles keine Lösungen hat, daß er ohnmächtig
ist. Er müßte sein Amt aufgeben.
AS: Ja, aber sehen Sie, Herr Müller, was soll ich Ihnen darauf
jetzt sagen? Sie haben eine bestimmte Sicht von mir.
Nein, ich will Sie ja richtig sehen. Was ist denn daran falsch,
was ich Ihnen gerade zu erklären versuche?
AS: Das kann ich Ihnen sagen. Ich glaube, daß ich in einem hohen
Maße, zumindest wäre das mein Anliegen...
... Gutes bewirke.
AS: Nein, also Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe! Ich
wollte sagen, und ich sage Ihnen das, damit Sie was zu schreiben
haben, denn mit dem diffusen Zeug, das Sie da reden, kann man
ja nichts anfangen. Also ich glaube, daß ich in einem hohen Maße
mich immer relativiert und entmystifiziert habe. Also ich habe
immer da, wo ich als Autorität begriffen wurde, was ja auch zu
meinem Leben gehört, versucht, gegenzusteuern. Aber was soll ich
Ihnen sagen? Sie sehen mich so. Ich denke, daß ich es eigentlich
anders mache. Ich weiß auch um die Fragwürdigkeit der Medien,
die Sie jetzt hier vertreten.
Sehen Sie denn immer noch nicht, daß ich hier keine Medien vertrete,
sondern aus ganz eigenem Anliegen spreche?
AS: Natürlich vertreten Sie Medien. Sie veröffentlichen das oder
auch nicht, auch schön, haben wir eben nur Wein zusammen getrunken.
Ich trinke Wasser.
AS: Aber sehen Sie mal, als das Buch über Kelly und Bastian erschienen
war, ist mir in Deutschland was aufgefallen. Es gibt, abgesehen
von einigen kleinen Lokalzeitungen, glaube ich keine Besprechung
des Buches, mit welchem Tenor auch immer...
In der "Süddeutschen" war eine von Giovanni di Lorenzo
zum Beispiel.
AS: Da war eine, ja, richtig, leidend unter gewissen Begriffsverwirrungen
zwar, aber gut...
Im "Spiegel" erschien auch eine.
AS: Ja, gut, daß Sie mich auf die beiden hinweisen, ich habe immer
die Neigung zu übertreiben, wie man sieht, aber ansonsten wurde
das Buch ganz auf der Ebene des Skandals abgehandelt, so. Was
sagt der Sohn von Bastian, was sagt der Ex-Liebhaber von Kelly
und so weiter, hat er mit ihr, hat er nicht, muß ja wohl, was
würde die Mutter sagen und so... Im Ausland ist das ganz anders
gehandhabt worden.
Im Ausland waren Petra Kelly und Gert Bastian ja keine so prominenten
Figuren.
AS: Trotzdem. Ich erinnere mich, daß ich irgendwann mal im Gespräch
mit meinem Lektor ein bißchen weinerlich war, man hat ja auch
die Tendenz zum Selbstmitleid, weil man denkt, Mensch, hast so
eine ordentliche Arbeit gemacht, komisch...
Ein Erfolg war es ja. Es ist doch Ihr am besten verkauftes Buch
geworden.
AS: Nein, keineswegs, aber ooch, ja, sehr gut verkauft, ich hab's
noch nicht nachgerechnet, aber ja, bin ja auch sehr zufrieden.
Dennoch ging ich etwas selbstmitleidig zu meinem Lektor und sagte
ihm, komisch, es ist noch gar nicht besprochen worden...
Der "Spiegel" hat sogar vorabgedruckt.
AS: Ja, gut. Jedenfalls sagte mein Lektor, ich sollte das nicht
so auf mich beziehen, denn es ist schon richtig, daß ich die Tendenz
habe, immer alles auf mich zu beziehen, was vielleicht ganz allgemein
ist, also der sagte, das stelle er zunehmend fest, Bücher werden
nicht mehr rezensiert, man gehe nur noch auf den Skandal...
Den sie ja auch bedienen wollten, schrieb Bärbel Bohley im "Spiegel".
AS: Also ich möchte jetzt nichts über Bohley sagen, das wäre denn
doch zu quälend.
Obwohl man schon ernst nehmen kann, was sie schreibt, zum Beispiel,
wenn sie mit einem Zitat von Camus argumentiert, der den Mord
als die verzweifelte Ausnahme bezeichnet, die nicht systematisiert
werden dürfe.
AS: Also, die Strategie ist interessant, daß Sie Ihre Gesprächspartner
so lange verwirren, bis sie nicht nicht mehr wissen, was sie gerade
sagen wollten, mein Lieber, ich meine, wie lange müssen Sie eigentlich
noch interviewen? Es ist ja schrecklich.
Hoffentlich nicht mehr lange.
AS: Hoffentlich nicht mehr lange, Mensch, Sie tun mir fast leid.
Sollen wir das nicht auch in den Orkus schmeißen? Das fände ich
großartig.
Nein, ich versuche es weiter.
AS: Wirklich? Das wird aber eine Ihrer größten Herausforderungen
bei so viel Mist, den Sie geredet haben. Wie werden wir das an
die Leser bringen?
Dazu noch der Mist, den Sie geredet haben!
AS: Ja, ja, gut, sehr gut, sehr schön, nein...
Vielleicht geht es eh nicht.
AS: Nein, eh nicht, klar, eben. Ein Zerquälter wie Sie und eine
selbstgerechte Ideologin, das müßte doch was hergeben für's
Feuilleton. Aber so was kann man auch nur im Feuilleton drucken.
Vielleicht ergibt sich eine gewisse Spannung. Mein Problem ist
nur, daß ich noch so viele Themen habe.
AS: Ja, gut, machen wir die eben... (ruft die Fotografin herein)
Wenn sie kurz reinkommt, geht sie auch wieder.
AS: Ja? Sollen wir sie kurz reinholen, damit sie gehen kann?
Also komm rein!
AS: Fotografieren Sie vor allem den André Müller...
Nein!
AS: ... denn es wird eher ein Monolog.
Nein, man muß uns beide sehen. Frau Schwarzer hat sich doch die
Nase extra gepudert.
AS: Ja, natürlich habe ich mir extra die Nase gepudert. Ich weiß
doch, wie eine Glanznase aussieht.
Also mich eher von hinten!
AS: Also gut, wir werden uns da jetzt nicht lange damit befassen.
Das ist ihre Sorge.
Ich versuche anzuknüpfen. In Wahrheit verwirren nämlich Sie mich...
(blättere in den Unterlagen)
AS: Sieht ja sehr ordentlich aus. Man sollte nicht denken, daß
da so viel Stuß rauskommen kann.
Ich bin ja nicht verletzbar, leider.
AS: Ist mir völlig klar. Nachdem ich das Interview mit Christo
gelesen hatte, hab ich gewußt, daß Sie eine Elefantenhaut haben.
Ich lach ja gern über mich. Es ist doch alles eine Komödie.
AS: Ja, ich spiele ja mit.
Was soll man sonst machen?
AS: Eben, was soll man sonst machen?
Also mich können Sie ruhig beleidigen, aber andere trifft es vielleicht.
Alles, was Sie mich hier schon genannt haben in dieser knappen
Zeit, unintelligent, borniert, Stuß von sich gebend, werfen Sie
ja auch Ihren Gegnerinnen an den Kopf.
AS: Ach, den Frauen wieder?
Ja, und die sind vielleicht nicht so elefantös wie ich.
AS: Das ist ja erfreulich, daß Sie hier als Advokat der Frauen
auftreten.
Na ja, dieser von Ihnen so niedergemachten Frauen, weil man ja
nicht weiß, wie die damit fertig werden.
AS: Die Armen! Bitte seien Sie doch so liebenswürdig und recherchieren
Sie das mal für uns. Das hätte ich gern mal in "Emma"
stehen. Ich weiß nicht, ob Sie für "Emma" schreiben wollen.
Ich wüßte gern mal, was aus meinen weiblichen Opfern geworden
ist. Wär das nicht mal interessant...? (Zur Fotografin:) Finden
Sie das nicht auch ein faszinierendes Thema? Die Frauenopfer von
Schwarzer, und endlich kommt André Müller und tritt für sie auf
und rächt sie.
Ich wundere mich sehr, wie unernst Sie mit Ihren Geschlechtsgenossinnen
umgehen.
AS: Ach ja, bitte zitieren Sie das unbedingt in Ihrem Interview!
Ich muß mal in meinen Unterlagen nachsehen, was ich noch fragen
wollte... Wie erlebten Sie Ihr Klimakterium? Das war zum Beispiel
eine geplante Frage. Kommt natürlich keine Antwort.
AS: Nein.
Es gibt aber in einem Ihrer Gespräche mit Beauvoir eine für mich
ziemlich erschreckende Stelle, wo sie sagt, für sie sei die Erotik
Gott sei Dank mit fünfzig zu Ende gewesen. Das Erstaunliche daran
ist, daß eine Frau, die ihr Leben lang den Frauen riet, keine
Kinder zu haben, weil Mutterschaft Sklaverei bedeute, das Ende
ihrer Sexualität mit dem Ende der Gebärfähigkeit gleichsetzt.
AS: Was sie da sagt, stimmt ja auch nicht. Das ist ja von ihrem
Leben längst widerlegt.
Sie haben aber nicht nachgehakt.
AS: Nein, aber der Satz ist einfach falsch.
Warum sagt sie ihn dann?
AS: Das weiß ich nicht.
Sie sagt ihn ja sehr betont und fügt noch hinzu, es habe sie immer
nur der Kopf interessiert.
AS: Ja, aber es ist falsch. Sie hat ja eine ihrer nach Sartre
bedeutendsten Beziehungen dann noch gehabt.
Also lügt sie in diesem Interview.
AS: Tja, in Bezug auf Sexualität hat Beauvoir nicht die Wahrheit
gesagt, gut, sie hat das so für richtig gehalten.
Wohl um ein Bild von sich zu schaffen. Ich verstehe das nicht.
Eine so freie Frau, die sich doch dann schon alles erlauben konnte,
warum tut die das? Ich verstehe das nicht. Ich bin ja ein eher
schamloser Mensch. Ich schäme mich nur unendlich, ein Mann zu
sein.
AS: Ja, den Eindruck habe ich seit zwei Stunden.
Franz Kafka schreibt in seinem Roman "Der Prozeß": "Es
war, als sollte die Scham ihn überleben." In sein Tagebuch
schreibt er: "Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins."
AS: Wissen Sie, was ich feststelle? Die Männer sind besessen von
Sexualität.
Soll ich mit Ihnen jetzt über Avocados reden?
AS: Nein, bitte nicht... (Zur Fotografin:) Sie müssen wissen,
daß diese Fotos für Ihr Privatarchiv sind, denn, was aus diesem
Gespräch werden soll, ist unvorstellbar.
Sexualität ist doch ein interessantes Thema. Sie haben ein ganzes
Buch darüber geschrieben.
AS: Ja, ich find's ja auch sehr pikant, find's ja auch
sehr politisch und sehr interessant. Aber natürlich mit Ihnen
werde ich darüber kein entspanntes Gespräch führen können. Das
werden Sie sicher verstehen.
Können wir jetzt mal über Kafka reden?
AS: Kafka, bitteschön!
Das war doch ein Mann, der Ihrem Ideal eines für Frauen unbedrohlichen
Menschen so in etwa entsprechen würde.
AS: Ja, einer der selbst irritiert war, ja.
Verunsichert.
AS: Ja.
Wie bin ich jetzt auf Kafka gekommen?
AS: Sie wollten einfach mal über größere Themen reden, um heraufzusteigen
aus den Niederungen des Sex und der Wechseljahre. Aber, apropos
Wechseljahre, wissen Sie, was ich interessant finde... Danach
kommen wir dann zu Kafka. Der "Spiegel" machte unlängst
so eine Story über die Wechseljahre, da bin ich zitiert, obwohl
ich mich zu dem Thema noch nie geäußert habe, weil mich das degoutiert,
das ist mir ganz fremd. Es gab einmal eine "Stern"-Geschichte,
in der ich nur sage, daß natürlich das Alter ein Kriterium ist,
aber doch den Menschen nicht definiert. Das könnte ich jetzt noch
ausführen. Aber da ich von Ihrer tiefen Kenntnis meines Werkes
ausgehe, will ich Sie nicht langweilen damit. Also ich sagte da,
daß man ja ganz junge Alte kennt und ganz alte Jungem, was man
ja alles weiß, und daß immer nur die anderen behaupten, man sei
älter geworden, und man sich sehr zusammennehmen muß, um das selber
zu realisieren, gut, und dann lese ich also ein Remake im "Spiegel",
der drei Monate nach dem "Stern" diesen abschreibt und
nochmal nachkupfert, ja, und da sehe ich plötzlich so ein ganz
buntes Bild von Schwarzer, die so ein bißchen wild, wie sie es
gerne haben, aus der Brille guckt, und da finde ich mich und werde
zitiert in einer Riege von aufgemoppten, munteren Fünfzigjährigen,
mit denen ich nun gar nichts zu tun habe, die sagen, na, Wechseljahre,
na und, prima, und jede Falte begrüßen wir morgens und so weiter,
also alles etwas, das mir ganz fremd ist. Aber schon bin ich da
wieder eingereiht.
Aber das ist doch auch ein gewisser Erfolg, zu allem und jedem
zitiert zu werden.
AS: Ja, aber wissen Sie, das ist auch sehr langweilig. Sie müssen
bedenken, ich bin seit 25 Jahren eine öffentliche Person. Ich
habe sehr früh eine sehr gute Schule gehabt, übrigens unter anderem
durch Beauvoir und Sartre, ich verdanke Beauvoir und Sartre auch
bestimmte Erkenntnisse im persönlichen Umgang, also die Selbstverständlichkeit,
die Uneitelkeit, man steht ja nicht morgens auf und guckt in den
Spiegel und sagt, ich bin berühmt oder sonst was, das ist ja eine
Kategorie, die für den Menschen an sich völlig unwichtig ist.
Ich weiß, ich werde gefragt nach einem Statement, nach meiner
Meinung, ich habe eine bestimmte öffentliche Wirkung, die interessiert
mich natürlich, das wird Sie jetzt nicht überraschen, weil Sie
mir ja schon attestiert haben, ich hätte ein gesundes Verhältnis
zur Macht...
Was Sie hiermit zugeben.
AS: Absolut, aber natürlich. In dem Moment, wo ich nicht mehr
Opfer sein will oder nicht mehr ohnmächtig sein will, muß ich
doch wissen, was Macht ist.
Dazwischen gibt es nichts.
AS: Doch, da gibt es eine ganze Menge. Es stellt sich dann die
Frage, wie wird mit der Macht umgegangen, da wird es spannend.
Da gibt es ja auch Geschichten.
AS: Wunderbare Geschichten, ja.
Ehemalige Mitarbeiterinnen von "Emma" haben Ihnen Ihren
Umgang mit Macht vorgeworfen.
AS: Ja ja... Wo war der Faden? Jetzt haben Sie es wieder geschafft.
Das ist ein Traum, wie Sie Ihre Interviews machen.
Es wäre nicht mehr sehr weit gegangen.
AS: Doch, doch.
Die Frage war, wie Sie sich in der Öffentlichkeit verhalten.
AS: Sie brauchen gar nicht Ihre Nase so zu verziehen.
Ich wollte noch über Pornographie mit Ihnen sprechen.
AS: Moment mal, jetzt möchte ich das erst zu Ende reden. Ich sage
Ihnen, es ist völlig uninteressant, ob man da jetzt abgebildet
wird und was sonst noch ist und so weiter, weil es ist etwas Äußerliches,
und man muß im Grunde eine öffentliche Bekanntheit oder gar Berühmtheit
erstens doch jeden Tag neu beweisen, man muß beweisen, wer ist
man, was wiegt man eigentlich als Mensch allgemein, und zweitens,
als Frau hat man sich auch noch dafür zu entschuldigen, daß man
von einer öffentlichen Relevanz ist.
Sie werden doch nicht glauben...
AS: ... daß Sie das interessiert?
Ich wollte was anderes sagen. Aber wir könnten doch das Thema
Pornographie anschlagen.
AS: Wie aufregend!
Sie analysieren sehr subtil die Vergewaltigungsphantasien von
Frauen, die nicht bedeuten, daß Frauen sich wünschen, in der Realität
vergewaltigt zu werden. Andererseits sagen Sie, hinter den sadistischen
Männerphantasien, wie sie zum Beispiel der Fotograf Helmut Newton
ins Bild bringt, steckten reale Mordabsichten, die dann auch ausgeführt
würden.
AS: Herr Müller, unser Niveau ist einfach zu unterschiedlich.
Ich kann jetzt nicht mehr dahin zurück. Das ist mir zu niedrig.
Sie sind zu weit oben?
AS: Nein, Sie sind zu weit unten. Aber ich gieß mir jetzt noch
einen ein... (Schenkt sich Wein ein). Sie sind unerträglich.
Sie sind bloß nicht mehr arbeitswillig... Das darf ich doch wohl
jetzt fragen, warum Sie so selbstverständlich davon ausgehen,
daß männliche Phantasien ausgeführt werden, weibliche dagegen
mit der Wirklichkeit gar nichts zu tun haben.
AS: Nein, was zu sagen ist, ist, daß eine Phantasie etwas anderes
ist als eine Tat.
Ja, aber warum nur bei den Frauen?
AS: Wenn das potentielle Opfer, also eine Frau, sich phantasiert
als Opfer einer Gewalttat, ja, dann gibt es natürlich einen Unterschied
zwischen der damit kokettierenden Phantasie und der Realität.
Und beim Mann ist das nicht so?
AS: Es gibt einen Unterschied. Frauen, die über Generationen dazu
gedrängt wurden, sich mit ihrer Unterwerfung wenigstens lustvoll
zu identifizieren, damit sie irgendwie damit umgehen können, erleben
dann doch etwas anderes, wenn ihnen diese Gewalt wirklich geschieht,
ja. Sich in der Phantasie damit zu arrangieren und es in der Not
mit Lust zu besetzen, ist eines, es wirklich zum Anfassen erleben,
ein anderes.
Und beim Mann?
AS: Na, beim Mann ist es auch etwas anderes. Aber es ist wirklich
phantastisch, daß Sie gar nicht merken, daß Sie jetzt von zwei
völlig verschiedenen Sachen reden. Wenn ein Mann phantasiert,
einer Frau Gewalt anzutun, dann ist das allein schon beklemmend.
Möglicherweise auch für ihn.
AS: Das kann sehr gut sein, beklemmend für ihn manchmal, aber
für Frauen in seiner Nähe immer. Aber jetzt wollen wir das eine
Sekunde zu Ende denken. In beiden Fällen, sowohl in der eigenen
Vorstellung als auch in der des Mannes, ist die Frau Opfer, einmal
das ihrer masochistischen Phantasie, das andere Mal das der sadistischen
Phantasie des Mannes.
Ja, nur gehen Sie bei der Frau davon aus, daß ihr die Phantasie
genügt, beim Mann nicht.
AS: Ja, aber die Frau ist doch in keinem der beiden Fälle die
Handelnde.
Da kommen wir jetzt nicht weiter... Ich möchte aber noch über
eines sprechen. Es gibt einen Punkt in Ihrer Argumentation, der
immer wiederkehrt und den ich geschmacklos finde.
AS: Ach ja?
Sie sagen, die Frauen sind eine mißhandelte Gruppe, so wie es
die Juden unter den Nazis waren. Die Fotos von Helmut Newton vergleichen
Sie mit der nationalsozialistischen Propaganda zur Vorbereitung
der Judenvernichtung. In Ihrem Prozeß gegen den "Stern"
wegen freizügiger Titelbilder, in denen Sie Ihr Geschlecht sexistisch
beleidigt sahen, argumentierten Sie, die Frauen hätten wie die
Juden das Recht auf Schadenersatz, wenn sie entwürdigend dargestellt
würden. Ist es wirklich nötig, daß so in Beziehung zu setzen?
Muß man so Verschiedenes nicht auseinanderhalten?
AS: Muß man mal, ja, natürlich.
Nein, im Ernst.
AS: Im Ernst, wollen Sie eine Antwort hören ausnahmsweise? Darf
ich mal antworten? Sie finden die Parallele zwischen Frauen und
Juden und Schwarzen geschmacklos.
Speziell zwischen Frauen und Juden, denn wir haben ja Auschwitz
in unserer Vergangenheit.
AS: Haben wir?
Haben wir, ja, ich auch.
AS: Ja, das müssen Sie mir nicht sagen.
Ich halte diese Parallele auch gar nicht für nötig, um zu begreifen.
AS: Es ist ganz einfach. Natürlich gibt es Parallelen zwischen
dem Umgang der Stärkeren mit den Schwarzen, Frauen und Juden,
und es sind diese Parallelen außerhalb von Deutschland eine Selbstverständlichkeit.
Sie drängen sich auf, nicht nur auf Grund des Schicksals der jeweils
diskriminierten, verachteten, verfolgten Gruppe, egal, ob es ein
paar hundert, ein paar tausend oder ein paar Millionen sind. Es
hat ja auch die Hexenverbrennung gegeben.
Das nennen Sie den "Genozid an den Frauen".
AS: Ja, und wenn man sich die Grundstruktur anschaut, wo sich
die eine Sorte Mensch über die andere erhebt, und sich fragt,
warum, dann ist die Parallele ganz zwingend. Daß Sie sie so schockierend
finden, liegt daran, daß Sie die Verfolgung von Frauen nicht ernst
genug nehmen.
Das stimmt nicht.
AS: Doch, so ist es.
Nein, ich frage nur, warum kann man ein Phänomen nur beschreiben,
indem man Vergleiche heranzieht, wie Sie es tun? Sie versuchen
nie, etwas aus sich selbst heraus zu beschreiben.
AS: Ich kann Ihnen sagen, warum. Das muß ich als Frau immer tun,
weil die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen, ihre Mißachtung
eine so alltägliche Selbstverständlichkeit geworden sind, daß
Sie gar nicht in der Lage wären, die wahrzunehmen, wenn man nicht
den Vergleich heranziehen würde mit anderen Gruppen, um Ihnen
die Ungeheuerlichkeit klarzumachen.
Ich meine, damit nehmen Sie sich die Wirkung. Wirkung hat doch
nicht die vergleichende Wertung von Geschehnissen, sondern deren
präzise Beschreibung.
AS: Es geht doch beides. Wissen Sie, Sie rechten jetzt mit mir
über etwas, was in der Analyse des heutigen Feminismus eine Selbstverständlichkeit
ist. All diese Hysterie und Aufgeregtheit im Zusammenhang mit
dem Vergleich von Frauen und Juden in Deutschland weist doch auf
zwei Dinge hin. Zum einen ist ja das Thema Juden ganz tabuisiert
bei uns. Da darf man ja überhaupt nicht dicht und heutig darüber
reden. Das finde ich sehr interessant. Juden sind ja für Deutsche
etwas, was gestern war, Holocaust, gestreifte Anzüge, Gitter,
Tod, entwürdigende Leichenberge und so weiter...
Der Holocaust war die industriell geplante Vernichtung von sechs
Millionen Menschen.
AS: Das müssen Sie mir nicht erklären.
Nein, aber das ist so nicht passiert mit den Frauen.
AS: Wissen Sie, der Holocaust ist zwar ein in seiner Perfektion
unerhörtes und einmaliges Ereignis, aber der Geist, in dem er
stattgefunden hat, ist überhaupt nicht einmalig.
Daß jede Menschenvernichtung auf Macht und Ohnmacht beruht, ist
doch klar. Da könnte man ja alles vergleichen.
AS: Das tu ich doch gar nicht.
Sie meinen, der Vergleich von Frauen mit Juden ist notwendig,
damit man begreift?
AS: Nicht nur, damit man begreift, sondern er drängt sich strukturell
auf. Es sind dieselben Grundstrukturen, es ist dieselbe Art der
Versklavung.
Sie haben immer Ihre Grundstrukturen. Aber die Welt besteht nicht
aus Grundstrukturen, sondern ist ein sehr kompliziertes, vielleicht
unbegreifliches, absurdes Gebilde.
AS. Aber Herr Müller, ich flehe Sie an, machen Sie doch Ihre Sache,
teilen Sie sie mit, aber belästigen Sie mich nicht mit dieser
Art Weltbild. Was soll das?
Ich hab ja kein Weltbild, das ist der Unterschied.
AS: Aber entschuldigen Sie, Sie haben dieses Gespräch angefangen,
indem Sie von mir erwartet haben, daß ich Ihnen die Freiheit erkläre,
du lieber Gott.
Das habe ich ja bald aufgegeben.
AS: Ja, allerdings, sehen Sie mal, das war doch zu hoch gesteckt.
Gut, aber jetzt bin ich doch bei etwas viel Handfesterem angekommen.
AS: Wie lange soll denn dieses Gespräch noch dauern?
So lange Sie Zeit haben. Wenn es Ihnen genug ist, schmeißen Sie
mich hinaus.
AS: Nein, nein, will ich gar nicht.
Darf ich zitieren: "Ich bin, ehrlich gesagt, naiv. Vielleicht
macht das erst die Empörung möglich."
AS: Das ist ein Satz, den Sie bei mir gefunden haben?
Ja, den haben Sie zu Elfriede Jelinek gesagt.
AS: Ich erinnere mich.
Vielleicht bin ich zu wenig naiv.
AS: Ja, aber wissen Sie, das ist doch eine sehr schicke Attitüde.
Sie sind die Naive, ich bin der Verzweifelte, ist doch beides
schick. Sie empören sich, Sie haben Thesen, Vergleiche. Sie glauben
an Strukturen. Sie stellen Bezüge her. Ich sehe alles zusammenhanglos,
ich kann es nur anschauen, Sie beurteilen es.
AS: Schauerlich! Sie sind schauerlich.
Warum?
AS: So viel Voreingenommenheit!
Bei mir?
AS: Ja.
Wäre ich voreingenommen, hätte ich doch nicht alle Ihre Bücher
gelesen, seitenweise daraus exzerpiert, sondern wäre zu Ihnen
gekommen wie dieser schreckliche Reporter von "Tempo".
AS: Maxim Biller.
Ja, der war voreingenommen.
AS: Ja, der war total voreingenommen. Was für ein schlechter Reporter!
Der macht nicht mal was draus, wenn er mich im "Vier Jahreszeiten"
trifft. Ich dachte das kann doch nicht wahr sein.
Wollen wir den erwähnen?
AS: Nein, den müssen wir totschweigen, leider. Aber Sie sind von
dem nicht weit entfernt.
Warum habe ich mich dann so auf Sie vorbereitet? Mit einem Vorurteil
wäre ich doch genügend ausgerüstet. Warum studiert man einen Menschen
so genau, wenn man ein Vorurteil hat?
AS: Weil man ganz besonders selbstgerecht ist, weil man sagt,
ich will alles wissen von dem, und dann geht man her...
Ja, bitte, wie geht der Satz weiter?
AS: Ich weiß es nicht.
So machen es nämlich Sie.
AS: Ja, anscheinend.
Sie suchen überall die Bestätigung Ihrer Thesen, und Sie sind
sehr beruhigt, wenn Sie die finden, weil Sie dann keine schlaflosen
Nächte haben, sich nicht im Bett herumwälzen, gequält von der
Freiheit des Denkens. Jetzt sind wir wieder beim Ausgangspunkt.
AS: Es ist so schön, was Sie sagen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Es ist wunderbar. Ich wollte mich immer schon mal so dargestellt
sehen.
Ich frage halt weiter.
AS: Nicht mehr lang. Ich schmeiß Sie gleich raus.
Das warte ich ab.
AS: Also was haben Sie noch für Fragen?
In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagten
Sie, Frauen, die sich von der Unterdrückung durch Männer befreien
wollen, seien vor allem bedroht von einem lang genug an Ihnen
vorexerzierten "fast tödlichen" Liebesverlust. Das hätte
mich interessiert, wie Sie diesen Liebesverlust erlebt und verkraftet
haben.
AS: Also, ich habe ein Problem, sag ich Ihnen jetzt mal, weil
wir ja unter Kollegen sind...
Sie sind müde.
AS: Nein, nicht nur, sondern ich muß mich sehr disziplinieren,
um Ihnen zu antworten, weil ich glaube, daß ich in verschlossene
Ohren spreche.
Ganz bestimmt nicht.
AS: Also gut, der Liebesverlust, Gott, ja, das ist ja so evident,
Sie kennen doch das Klischee Schwarzer, grausig, was die alles
redet und was man von der zu halten hat und so weiter... Es gibt
doch für Frauen das Gebot, geliebt zu werden und sich beliebt
zu machen, das gibt es für Männer nicht so. Ein Mann kann interessant,
kann spröde sein, nicht, kann sich entziehen und so weiter, man
phantasiert an ihn ran, man denkt, was will er, was denkt er wirklich...
Er kann seine Einsamkeit pflegen.
AS: Jawohl, er ist der einsame Wolf, man hechtet hinter ihm her,
das ist ein Mythos, den es für die Frau nicht so gibt. Wenn eine
Frau garstig wird und nicht mehr so funktioniert, ganz egal, wie
sie aussieht, manche Feministinnen waren ja strahlende Schönheiten,
Hedwig Dohm war eine Hollywood-Schönheit...
Beauvoir war auch eine schöne Frau.
AS: Beauvoir sah sehr gut aus, glamourös, also das ist egal, wie
man aussieht. Wenn man so garstige Sachen macht, die unbequem
sind, dann donnert das so auf einen nieder, und ich verstehe sehr
gut, daß es den meisten Frauen sehr schwer fällt, dem standzuhalten.
Ihnen auch.
AS: Ja, natürlich. Man ist doch erschrocken.
Verletzt.
AS: Verletzt, ja.
Tödlich verletzt.
AS: Ja. Mein Vorteil war aber, als diese Hetze gegen mich losging
Mitte der 70er Jahre, daß ich erstens schon eine Strecke Leben
hinter mir hatte, also ich hatte mich einfach selbst erfahren,
ich wußte einfach ein Stückchen, wer ich bin. Als ich hörte, ich
sei eine Frau mit dem Sex einer Straßenlaterne, die man nicht
einmal mit Handschuhen anfassen möchte, dachte ich, das stimmt
doch vielleicht mit meinem Leben nicht so ganz überein.
Sie hatten schon genug Zuwendung erfahren.
AS: Absolut.
Auch von Männern.
AS: Ja, absolut. Da kann ich mich auch heute übrigens nicht beklagen,
was auch immer ich damit anfange, wenn's recht ist... Also
da wußte ich, das kann so nicht stimmen. Zweitens war ich schon
ein sehr politischer Mensch. Ich hatte ein paar Jahre in der sehr
kreativen, sehr spannenden französischen Frauenbewegung gelebt.
Ich wußte, die stärksten Waffen gegen die Frauen sind, sie lächerlich
zu machen, sie für unbegehrt zu erklären, zu sagen, was ist denn
das für eine und überhaupt... Aber es ist natürlich e i n e Sache,
das zu wissen, und eine andere, es am eigenen Leib zu erfahren.
Was haben Sie getan, um das auszuhalten?
AS: Verschiedenes.
Haben Sie getrunken?
AS: Nein, nein. Ich erzähle Ihnen was anderes. So gut, wie Sie
vorbereitet sind, werden Sie wahrscheinlich auch wissen, ich bin,
seit ich Teenager war, kurzsichtig und trag eine Brille. Natürlich
hab ich als junges Mädchen erst einmal Linsen getragen, weil das
findet man nie so toll, eine Brille, so, und als ich 1975 in der
Bildzeitung las, die Schwarzer guckt durch die Brille mit dem
stechenden Blick einer Hexe, ja, da habe ich wieder angeknüpft
an die schon seit zehn Jahren vergessene Möglichkeit, daß ich
ja Kontaktlinsen tragen könnte bei Fernsehauftritten.
Und das haben Sie dann getan?
AS: Ja, natürlich, ich kann ja jederzeit Kontaktlinsen tragen,
aber ich hab natürlich gleichzeitig neben mir gestanden und hab
mich gefragt, was machst du eigentlich, welcher Sache beugst du
dich da? Also man hat ja so einen inneren Dialog mit sich.
Das hat Sie so tief getroffen?
AS: Tief möchte ich nicht sagen, aber durchaus berührt. Man steht
da nicht außerhalb. Man muß damit umgehen. Ich habe natürlich
seit langem gelernt, neben mir zu stehen und mich zu amüsieren,
wenn ich zum Beispiel lese, da hat ein Mädchen ein Tor geschossen,
was würde die Schwarzer denn dazu sagen, haha, im Bikini im Schnee,
na, da wäre aber die Schwarzer empört, so, da weiß ich natürlich,
da ist nicht die Person gemeint, die jetzt hier mit Ihnen am Tisch
sitzt und Wein trinkt und morgen früh Kaffee, nein, da gibt es
dieses Symbol und daneben mich, wie ich wirklich bin. Also ich
habe gelernt, neben mir zu stehen und mir das anzugucken, was
für andere die Schwarzer ist, aber gleichzeitig muß man sich doch
irgendwie dazu verhalten, das ist ein langsamer Prozeß, mit dem
man auch wachsen kann.
In der 70er Jahren schaffte es die Bildzeitung, Sie zu verletzen.
Leiden Sie immer noch unter dem Mangel jener Bestätigung, von
der andere, weniger emanzipierte Frauen sich abhängig machen?
AS: Also einerseits sage ich mir, was soll denn das, ist doch
lächerlich, andererseits kriecht es eben doch auch ein bißchen
an einen heran, man sieht es einem an, es wirkt sich auf einen
aus und so weiter, und man muß ja auch sehen, daß unabhängig von
dem, was ich sage, vertrete, schreibe, immer sehr viel an meinem
Aussehen festgemacht worden ist, wobei das ja beliebig interpretierbar
ist. Ich habe früher, als ich noch im Telefonbuch stand, Anrufe
von sehr lieben Frauen bekommen, die gesagt haben, Frau Schwarzer,
könnte Sie nicht mal ne hübsche Bluse anziehen im Fernsehen, wissen
Sie, ich finde, Sie haben ja total recht, aber mein Mann ist so
gegen Sie und der sagt immer, wie scheußlich sie wieder angezogen
ist, aber wenn Sie jetzt mal ne hübsche Bluse anziehen würden...
So, und da habe ich natürlich diesen Frauen gesagt, wissen Sie,
ich muß Sie enttäuschen, es wird sich nicht ändern mit der Bluse,
aber lassen Sie uns kurz darüber reden, das ist doch nur ein Vorwand
für Ihren Mann, dem ist es ganz egal, wie ich angezogen bin. Eine
Frau ist ja sehr davon bestimmt, ob sie für begehrenswert erklärt
wird.
Sie meinen, diese Anruferinnen wollten, daß ihre Männer Sie begehrenswert
finden?
AS: Aber natürlich, weil solche Frauen, die mit dem, was ich vertrete,
durchaus einverstanden sind, trotzdem angstvoll reagieren, wenn
der Mann sagt, Mensch, wie sieht die denn schon wieder aus, was
hat die denn schon wieder an!
Da muß ich Sie aber schon fragen: Wie, glauben Sie, wird eine
Angela Merkel, Frauenministerin, Familienministerin...
AS: Inzwischen Umweltministerin.
Wie wird die damit fertig, wenn sie bei Ihnen lesen muß, sie sei
ein kleines Mäuschen mit Piepsstimme, das sich von Helmut Kohl
vorführen läßt?
AS: Das können Sie nicht von mir gelesen haben. Das ist undenkbar.
Ich suche das... (Krame in meinen Unterlagen)
AS: Sie suchen das, ja, aber sehen Sie, Sie sind so weit von allem,
was jemand wie ich tut und denkt, entfernt.
Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch vorlesen, was Sie über Rita
Süßmuths Rüschenblusen geschrieben haben.
AS: Das ist etwas ganz anderes. Konzentrieren Sie sich doch mal!
Wieso darf eine Frau nicht die Blusen anziehen, die sie anziehen
will?
AS: Konzentrieren Sie sich doch einen Moment! Wir bleiben jetzt
bei Merkel. Die "Emma" ist wahrscheinlich die erste und
einzige Zeitung, in der stand, wie unerhört der Umgang mit Merkel
ist, daß man sagt, was sie für Kleider trägt, was sie für ein
Gesicht macht und welche Fotos ausgewählt werden von ihr, also
ganz im Gegenteil, der Umgang mit Merkel wurde in "Emma"
solidarisch und kritisch analysiert.
Es stand da aber auch, daß sie sich klein macht vor Männern.
AS: Das wurde über Süßmuth gesagt, nicht über Merkel, was ja sehr
interessant ist, denn damit steht Rita Süßmuth, eine Frau, die
ich weitgehend schätze, nicht alleine, daß Frauen, die stark sind,
so erschrocken sein müssen über ihre eigene Stärke, und Frau Süßmuth
ist ja stark, sie ist so stark, daß sie von ihrer Partei geköpft
werden mußte und auf einen Posten geschoben, wo sie den Männern
nicht mehr Konkurrenz machen konnte... also daß eine Frau, die
stark ist, so gezwungen ist, Zeichen der Beruhigung zu geben an
diese Männerwelt, die starke Frauen sehr irritierend findet, daß
sie zu einer Inszenierung greift, die ihre Stärke verharmlost
und relativiert, um zu sagen, bloß nicht nervös werden, so stark
bin ich gar nicht, in Wahrheit bin ich ganz lieb und freundlich.
Was also sollen die Frauen anziehen Ihrer Meinung nach? Welche
Farben sollen sie tragen?
AS: Ich sage gar nicht, was sie tragen sollen. Aber das geht in
Ihren Kopf nicht hinein. Ich sage, verdammt noch mal, die Frauen
sollen das anziehen, was ihnen gefällt. Aber als bewußte Frau
erkenne ich die Zeichen, und ich weiß, was sie bedeuten.
Sind Sie da immer so sicher?
AS: Ja, bin ich. Aber ich weiß, ich kann nichts Tödlicheres sagen,
weil gerade das finden Sie ja so ärgerlich, daß ich so sicher
bin.
Ärgerlich nicht...
AS: Sehen Sie mal, das häufige Lächeln von Frauen, das Sich-klein-Machen,
das sind alles Unterwerfungssignale, und da nehme ich mich gar
nicht aus. Ich finde auch, daß ich zu oft freundlich lächle. Also
ich nehme mich, was diese Unterwerfungsrituale betrifft, gar nicht
aus. Es ist einfach interessant, sich das alles bewußt zu machen,
wie wir Frauen uns für Stärke entschuldigen, wie oft wir lächeln,
wie oft wir uns selbst relativieren, wie wir uns verniedlichend
und verharmlosend anziehen, und wenn jemand wie ich das beschreibt
an einer anderen Frau, meine ich das nicht denunzierend, sondern
ich stelle das einfach fest, ich sage, so sind wir, wir trauen
uns schon viel, aber gleichzeitig müssen wir so ein bißchen trippeln
und sagen, ach, ich mein's gar nicht so, zum Beispiel diese
endlosen Beteuerungen von Frauen, die Ihnen ja anscheinend sehr
sympathisch sind, daß sie die Macht nicht wollen, also wir wollen
keine Macht und so, das ist natürlich alles Kokolores. Wie wollen
Sie denn überhaupt Machtverhältnisse ändern ohne Macht? Das ist
doch lächerlich. Erst wenn Sie die Macht haben, können Sie sich
die moralischen Frage stellen: Was mache ich mit der Macht? Das
ist eine zweite Stufe. Aber ohne Macht brauchen Sie gar nicht
anzufangen... (Geht hinaus zu Frau Hösl und verschiebt ihren nächsten
Termin...)
Ich habe die Stelle über Merkel gefunden! In dem schon erwähnten
SZ-Interview sagen Sie wörtlich: "Wir laufen Gefahr, daß die
Männer sich in der Politik wie in der Erotik nur solche nehmen,
die sie vortanzen lassen, Frauen wie Angela Merkel oder Teresa
Orlowski." Also Sie nennen Merkel in einem Atemzug mit der
in Deutschland momentan populärsten Produzentin von Pornofilmen.
Es geht aber noch weiter: "Die weiblichen Frauen erkennt man
an ihren Unterwerfungsritualen, dem demütigen Lächeln, dem Piepsstimmchen...
Angela Merkel sendet all diese Signale: Ich bin klein, mein Herz
ist rein, und ich bin wirklich die letzte, die dem Kanzler Schwierigkeiten
machen will." Zitat Ende.
AS: Ja, was wollen Sie jetzt von mir hören? Also, wissen Sie,
unser Gespräch ist wie ein Dialog zwischen Blinden und Tauben.
Ich frage mich, was wird davon bleiben? So komische kleine Schleifen,
Provokationen, Exaltiertheiten?
Es wird bleiben, daß wir sehr spannend aneinander vorbeireden
manchmal.
AS: Ja, hoffentlich reden wir spannend aneinander vorbei, weil
wir reden auf jeden Fall aneinander vorbei, aber ob wir spannend
aneinander vorbeireden, das ist die Frage.
Es gab schon immer wieder Berührungspunkte.
AS: Ja, gut, ich vertraue Ihrem Redigiertalent.
Ich habe noch eine Frage...
AS: Haben Sie sich eigentlich die letzte "Emma" angeguckt?
Aber natürlich! Wie können Sie so etwas fragen!
AS: Ich dachte nur...
Ich habe sie studiert Zeile für Zeile.
AS: Fanden Sie etwas interessant?
Am interessantesten fand ich den Bericht über die Weltfrauenkonferenz
unlängst in Peking, wo doch, obwohl nur Frauen an der Abstimmung
beteiligt waren, etwas so Selbstverständliches wie der Satz "Frauenrechte
sind Menschenrechte" nur mit einer hauchdünnen Mehrheit beschlossen
wurde. Ist das nicht deprimierend?
AS: Das ist unsere Realität. Während Sie, mein Lieber, metaphysisch
über die Freiheit an sich nachdenken, sind wir in diesen desolaten
Verhältnissen.
Aber das hat ja vielleicht metaphysische Gründe, daß die sich
Frauen so verhalten. Die Gegnerinnen hatten ja durchaus auch Argumente.
Eine sudanesische Teilnehmerin sagte im "Spiegel", sie
sei froh, daß es die Polygamie gibt, weil so bleibe sie wenigstens
ökonomisch versorgt, wenn der Mann sich in eine andere Frau verliebt.
AS: Ja, das sind diese Frauen, um die Sie sich eben Sorgen machten.
Wenn diese Sudanesin in Deutschland wäre, würde sie sich natürlich
auch distanzieren von Alice Schwarzer. Simone de Beauvoir nennt
das die Sklavenseelen.
Wie bitte?
AS: Die Skla-ven-see-len!
Nun ja.
AS: Das kriecht richtig in einen rein, ahhh, das ist so richtig
nach Schwarzer, was ich jetzt sage, nicht? Das bedient Ihr Bild.
Nein.
AS: Aber ja! Ich meine, das ist doch kläglich, eine Sudanesin,
die aus einer Diktatur ohnegleichen kommt, die sich so erniedrigt,
da ihrem Herrn nach dem Maul zu schwatzen, das ist von einer solchen
Tragik, daß man schluchzen könnte, das ist doch furchtbar.
Also nur Frauen, die so sprechen wie Sie, sprechen sozusagen aus
eigenem Antrieb. Alle anderen sprechen aus dem Geiste ihrer sie
unterdrückenden Männer.
AS: Also, ich bitte Sie, eine Sudanesin, die aus einer fundamentalistischen
Diktatur kommt und die so redet, die ist in der Tat beklagenswert,
so! Und nun gibt es vielleicht nicht nur zwei Pole auf dieser
Welt, sondern mehrere Meinungen, also ich meine, zu welchen Dummheiten
wollen Sie mich denn noch verführen? Sie können ja immer noch
Ihre dummen Fragen stellen und mein verzweifeltes Schweigen dokumentieren.
Ich sehe natürlich die Struktur. Sie sagen Ihre ganzen Blödheiten
und Wahrheiten, und ich schweige entwaffnet, und dann steht dieser
ganze Stuß über mich in der "Zeit", ist das nicht furchtbar?
Jetzt schweige ich entwaffnet.
AS: Sehen Sie mal, über einen Menschen, über den schon so viele
Dummheiten geschrieben wurden, wollen Sie noch mehr Dummheiten
schreiben, das ist doch wirklich entsetzlich. Da weint ja sogar
schon die Fotografin, oder...? (Schaut die Fotografin an.)
Sie haben doch schon genügend Dummheiten selber geschrieben.
AS (schüttelt sich vor Lachen): Mensch, Müller, also wirklich!
Ich versuche ein letztes Thema.
AS: Bitte!
1987 unterbreitete Ihnen der "Stern" das Ergebnis einer
statistischen Erhebung, nach der ein Drittel aller Frauen den
Koitus als lustvoll empfinden.
AS: Und? Was hab ich darauf gesagt?
Sie sagten, das wundere Sie gar nicht, "die Ideologie von
der wunderbaren Vereinigung zweier Körper" führe zu solchen
Ihrer Meinung nach verqueren Empfindungen. Ich frage Sie: Können
Sie das Glück der körperlichen Vereinigung nicht einfach gelten
lassen? Kann es das denn nicht wirklich geben? Muß das gleich
wieder auf einer den Frauen, die Sie befreien wollen, eingetrichterten
Ideologie beruhen?
AS: Sagen wir mal so, André Müller, das könnte es geben.
Was?
AS: Das Glück der körperlichen Vereinigung. Aber noch ist die
Sache so zugemüllt, daß wenig Luft drin ist. Es könnte das vielleicht
eines Tages geben, daß die Menschen einfach machen, wozu sie Lust
haben.
Was würde mit Ihnen geschehen, wenn Sie das glatt mal erleben?
AS (kann sich kaum halten vor Lachen): Oh, oh, oh, ach, wie goldig,
ja, ja.
Dann wird es schwierig.
AS: Also, Sie unterstellen, daß ich das noch nie hatte? Das ist
ja wirklich obszön, was Sie für Gespräche führen.
Um Gottes willen!
AS: Ja, um Gottes willen.
Ich frage nur, wie man so einen Satz über die Ideologie der körperlichen
Vereinigung sagen kann, wenn man das schon einmal ganz unideologisch
erfahren hat. Es könnte doch sein, daß die Vereinigung von Mann
und Frau keine Ideologie ist, sondern ein verzweifeltes Ziel.
AS: Ja, ja.
Ein Ziel, das vielleicht nie zu erreichen ist.
AS: Nein.
Daran sind aber möglicherweise nicht die Männer, sondern die Umstände
schuld. Das Patriarchat ist ja, wie Beauvoir schreibt, aus der
Notwendigkeit entstanden, Ordnung zu schaffen. Der Mann mußte
seinen Clan verteidigen, den Acker des Clans, er riskierte sein
Leben. So wurde er kriegerisch.
AS: Aha, ja, es gibt ja auch nur einen winzig kleinen Unterschied
zwischen dem Fell, in dem der Mann seinen Clan verteidigt, und
Ihrem eleganten hellgrauen Anzug, nicht wahr?
Ja, mit dem Fell fing es an.
AS: Ja, aber so hört es bei uns auch auf. Also hören Sie mal,
das hat ja ein Niveau! Ich wundere mich, daß Sie nicht im Fell
gekommen sind.
Sie machen sich lustig über Simone de Beauvoir, die darüber hunderte
Seiten geschrieben hat.
AS: Ach so, jetzt bin ich sogar noch jemand, der Beauvoir verrät,
Also jetzt halt, junger Mann! Zwischen diese Frauenfreundschaften
werden Sie sich nicht drängen.
Sie sind nur vier Jahre älter als ich.
AS: Na ja, na ja, also so geht's nicht, nein. Ich finde, wir
müßten zusammen im Theater auftreten... (Schüttet sich aus vor
Lachen)
Ich bin ganz ernsthaft.
AS: Ja, Sie bleiben ernsthaft. Vor allem stehen dann da diese
armen Worte ganz ernst.
Das stimmt. Daran werden Sie sehen, auf wie hohem Niveau wir uns
unterhalten.
AS: Werden Sie das schaffen, meinen Worten Niveau zu verleihen?
Also wenn mich diese männliche Gnade touchieren würde, wäre ich
Ihnen sehr dankbar.
Man muß natürlich sehr kürzen.
AS: Das hinzukriegen, das wird eine Arbeit.
Die Frage ist doch, wie entstand die Lust an der Macht beim Mann?
AS: Ach, wissen Sie, das finde ich müßig, tut mir leid, ich sage
das nicht, um garstig zu sein, aber ich kann so nicht reden.
Aber die Männermacht ist doch Ihr Thema.
AS: Ich denke, es ist immer sehr verführerisch, über andere Macht
zu haben.
Für mich wäre es Streß.
AS: So? Aber da müssen Sie Männer fragen. Da bin ich die falsche
Gesprächspartnerin.
Ich glaube, mit Beauvoir hätte ich mich darüber gut unterhalten
können.
AS: Bestimmt nicht. Die würde es grausen vor Ihnen, weil ihr dieses
ganze metaphysische Geklingel ein solcher Schauer war, also wirklich.
Von Sartre hat sie sich das auch anhören müssen.
AS: Oh nein, den haben doch Männer wie Sie so gelangweilt, weil
ihn nur der wirkliche Stoff interessiert hat und nicht dieses
ganze Drübergeklingel. Sie klingeln immer drüber. Stellen Sie
sich doch mal dem Stoff!
Welchem?
AS (haut auf den Tisch): Dies ist ein Tisch, ein Tisch, ein Tisch!
Dem stelle ich mich doch gern. Sie aber nicht. Ich schaue mir
die Welt an. Sie kleben Ihre Ansichten drauf.
AS: So?
Ein Küchenmesser ist bei Ihnen nicht zum Petersilie-Hacken...
AS: Nein, ein Küchenmesser ist bei mir ein Mordwerkzeug, ja.
Mit dem man, ich zitiere, "den Männern den Pimmel abschneiden"
soll.
AS (in einem fort lachend): Interessantes Thema. Wieviele Pimmel
muß denn eine gute Feministin abgeschnitten haben, was meinen
Sie?
Ich zitiere aus Ihrem Bericht über den Fall des amerikanischen
Marinesoldaten John Bobbitt, dem seine Ehefrau am 23. Juni 1993
mit einem Küchenmesser, während er schlief, den Penis abschnitt:
"Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. Es kann zurückgeschlagen
werden, oder gestochen. Amerikanische Hausfrauen denken beim Anblick
eines Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersilie-Hacken. Diese
Revolution in ihren Köpfen verdanken sie einer kleinen, zierlichen
Kosmetikerin namens Lorena Bobbitt."
AS: Bobbitt, ach ja, die gute Bobbitt... Nein, wirklich, das war
schon tapfer.
Leider wurde das gute Stück wieder angenäht.
AS: Ja, sie hätte es gleich zum Fenster hinauswerfen sollen.
Soviel zu Messer und Tisch.
AS: Messer, ja, Schwanz-ab-Schwarzer, kennen Sie das?
Nein.
AS: Na, so hieß ich früher, Mitte der 70er Jahre. So ist das Leben.
Ich weiß nicht, wollen wir uns noch weiter über das Patriarchat
unterhalten?
AS: Ich bitte Sie, gern, das ist so passionierend, Sie über das
Patriarchat reden zu hören. Aber ich darf mir noch ein Glas genehmigen...
(Schenkt sich Wein ein)
Ich zitiere jetzt Kierkegaard: "Der Mensch unterscheidet sich
vom Tier durch die Verzweiflung." Jetzt zitiere ich Beauvoir:
"Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das Riskieren
der Todesgefahr." Jetzt kombiniere ich die beiden Sätze und
komme zwingend zu dem Schluß: Der Mensch ist verzweifelt darüber,
daß er sich in Todesgefahr begeben muß. Er tut das nicht gerne.
Dafür will er, als Entschädigung sozusagen, die Macht.
AS. Ich hoffe, Sie werden das alles schreiben, es ist wunderbar,
mir kommen die Tränen. Der Mann begibt sich in Todesgefahr. Er
kann sich wenigstens noch reinbegeben. Unsereins ist schon drin.
Das ist der kleine Unterschied, mein Lieber.
Das ist der Unterschied zwischen Immanenz und Transzendenz.
AS: Ich möchte gern mal frei mit Ihnen reden, nicht so als Interview.
Ich denke, Sie redigieren das alles. Na, das wird blutig.
Kann ich zu diesem Thema nicht noch ein paar Sätze von Ihnen bekommen?
Sie sind die letzte lebende Feministin, mit der ich über so etwas
reden kann.
AS: Das ist natürlich sehr schmeichelhaft. Ich bin fast versucht,
Ihnen zu antworten, um Ihre hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen.
Wie, glauben Sie, ist der Machtrausch denn in den Mann hineingekommen?
Das muß man doch fragen, wenn man wie Sie die Meinung vertritt,
daß sich der Mann, um Lust zu empfinden, an der Macht berauscht.
AS: Es gibt eine Verknüpfung zwischen Lust und Macht, das ist
richtig. Aber wissen Sie, ich habe so viel mit dem Heute zu tun.
Mir ist das, was Sie da reden, einfach zu spekulativ.
Aber Sie sagen doch immer, 5000 Jahre Menschheitsgeschichte könne
man nicht in drei Wochen verändern.
AS: Richtig.
Diese 5000 Jahre versuche ich, jetzt mit Ihnen hier aufzuarbeiten.
AS (plötzlich ernst): Ja, also daß es diese Jahrtausende der Männermacht
gibt in unserem Kulturkreis, darüber sind wir uns einig.
Ja, aber wie ist der Mann dahin gekommen, Lust mit Macht zu verbinden?
AS: Ich verstehe, daß Sie das interessiert. Sie sind ja ein Mann.
Mich interessiert es überhaupt nicht. Ich sage nur, daß es schon
eine lange Strecke so ist, und das schüttelt man nicht so leicht
ab.
Wie kann man etwas abschütteln, dessen Ursachen man gar nicht
kennt?
AS: Mir ist schon klar, daß Sie das etwas kläglich finden. Nein,
wissen Sie, wie soll man Ihnen das erklären? Ich hab mit anderen
Dingen zu tun. Ich muß nicht spekulieren.
Aber Sie müssen doch Ihre Sätze verantworten können.
AS: Kann ich ja.
Durch diese lückenhafte Argumentation, die Sie mir bieten? Ich
dachte, ich würde etwas von Ihnen lernen.
AS: Nein, Sie dachten, daß ich so leichtsinnig hier daherplappere
über den Mann im Fell irgendwann und so weiter und die Dame mit
den Kräutern, nein, nein, da müssen Sie mit jemand anderem reden,
das ist alles gar nicht mein Gebiet, das interessiert mich herzlich
wenig. Ich lebe jetzt. Ich weiß, daß ich auch ein Produkt der
Geschichte bin. Man kann ein Stückchen zurückschauen, mal weniger,
mal etwas weiter. Man weiß, man ist die Summe von alldem, ja.
Das genügt?
AS: Das genügt.
Die Frage, was sich daraus ergibt, erscheint Ihnen überflüssig.
AS: Was heißt überflüssig? Hören Sie mal, ich finde es ganz rührend,
daß Sie sich Fragen stellen. Sie können ruhig auch nach Utopien
fragen. Das ist erlaubt. Aber ich möchte nicht darüber phantasieren,
was der befreite Mensch im achtzehnten Jahrtausend mit seiner
nicht enden wollenden Freiheit anstellt, sondern Sie gestatten,
daß ich mich mit aktuelleren Dingen beschäftige.
Sie schreiben aber jede Menge Bücher...
AS: Ja, das sollte wohl recht sein, ich meine, wenn ich Bücher
über das Heute schreibe, ist doch schon gar nicht so schlecht,
oder?
In Ihren Büchern über das Heute erscheint aber auch immer das
Ziel, auf das hinstrebend Sie die Dinge verändern wollen. Sie
stellen sich mir hier als eine Person dar, die...
AS: ... die Sie überschätzt haben.
Nein!
AS: Doch, würde ich einfach mal sagen.
Nein, nein, ich habe ja keine Vorurteile.
AS: Gut, aber Sie stellen doch lauter Fragen, auf die ich ganz
garstig nicht viel zu sagen habe.
Ich habe Sie nicht unterschätzt, ich habe mir etwas erhofft und
versuche, mir die Hoffnung...
AS: ... aufrechtzuerhalten.
Nein, zu erfüllen.
AS: Das werden Sie schon schaffen. Antworten Sie für mich, Sie
machen das wunderbar.
Aber Sie sind doch eine Frau mit Entwürfen, Sie sind doch keine
ehrenamtliche Mitarbeiterin in einem Haus für geschlagene Frauen.
Sie sind die Symbolfigur des deutschsprachigen Feminismus.
AS: Sie meinen, so wie ich geredet habe, hätten Sie auch die Geschäftsführerin
im Haus für geschlagene Frauen befragen können?
Zumindest so, wie Sie sich mir gegenüber eingestuft haben,
AS: Wie schade, Mensch, extra dieses lange Rendezvous, und jetzt
so eine dumpfe Schwarzer.
Sind Sie nur noch zum Scherzen aufgelegt?
AS: Nein, nein, ich habe Ihnen ja eben was gesagt, das finde ich
wirklich ganz spannend, weil wir ja so viel über das Denken reden,
bleiben wir mal bei dem Thema, das ist ein Thema, das sich lohnt.
Es gibt heute, scheint mir, eine bestimmte Art des weiblichen
Menschen, zu denken. Auch ich bin ja jemand, der sich nur selten
in abstrakten Gedanken verliert. Es gibt sicherlich auch theoretische
Sätze von mir, die haben Sie ja zitiert, und das ist auch in Ordnung,
aber ich versuche doch immer, das Leben zu verstehen und das,
was ich sage, mit dem Leben zu begründen. Es fällt mir schwer,
mich abstrakt zu äußern.
Aber Ihr Ruhm gründet sich doch auf die Theorien, die Sie verkündet
haben.
AS: Ja, ich bin auch eine Theoretikerin, aber ich bin nicht jemand,
der versucht, aus dem Einzelnen und jeweils Gegebenen das Grundsätzliche
und Prinzipielle herauszulösen.
Nein, Sie machen es umgekehrt.
AS: Ich weiß, daß Sie das so sehen.
Sie decken das Einzelne mit dem Grundsätzlichen zu. Sie beginnen
Ihren feministischen Kampf mit einer in wenigen Zeilen zusammengefügten
These: "Männlichkeit und Weiblichkeit sind nicht Natur, sondern
Kultur. Sie sind die in jeder Generation neu erzwungene Identifikation
mit Herrschaft und Unterwerfung. Nicht Penis und Uterus machen
uns zu Männern und Frauen, sondern Macht und Ohnmacht." Das
steht in Ihrem ersten Buch "Der kleine Unterschied und seine
großen Folgen".
AS: Ja, dazu stehe ich auch.
Ich dachte, darüber könnten wir sprechen.
AS: Das können wir ja.
Ich dachte, ich würde durch das Gespräch mit Ihnen ein wenig klüger
werden.
AS: Ich bezweifle, daß Sie überhaupt, egal durch wen, klüger werden.
Sie meinen, es ist zu spät?
AS: Ich befürchte das Schlimmste.
Dazu fällt mir die Schriftstellerin und Germanistin Ruth Klüger
ein, die für die "Zeit" einen Aufsatz über die Darstellung
der Frau in der Kunst der Männer geschrieben hat.
AS: Ja, ich hab das gelesen.
Klüger fragt, was Frauen in einem Museum empfinden, wenn Sie,
zum Beispiel auf Gemälden von Rubens, sehen, wie da nackte weibliche
Gestalten dem lüsternen Männerblick preisgegeben, entführt, überwältigt
und dadurch erniedrigt werden.
AS: Und hat Ihnen der Text zu denken gegeben?
Ich fand das hochinteressant.
AS: Aha.
Sie können wohl nur noch ironisch sein.
AS: Keineswegs. Es freut mich sehr, daß Ruth Klüger Ihnen zu denken
gibt. Immerhin eine, die wenigstens so ein bißchen...
Jetzt hören Sie doch auf!
AS: Nein, freut mich wirklich.
Was empfinden Sie, wenn Sie im Theater zum Beispiel "Woyzeck"
sehen, wo eine Frau von einem Mann, der sie liebt, getötet wird?
AS: Aus Liebe wird nicht getötet.
Gut, der Sie vorgibt zu lieben... Oder "Kabale und Liebe",
wo die Geliebte an Gift sterben muß, oder "Faust" oder
"Hamlet"?
AS: Ja, scheußlich.
In welche Theaterstücken können Sie überhaupt noch gehen, ohne
sich schlecht zu fühlen? Sie sind doch in der Kunst dauernd mit
den Bildern konfrontiert, die sich Männer von Frauen machen.
AS: Das ist richtig. Man erkennt zu viel. Aber ich finde es interessant.
Ich habe den "King Lear" vor einigen Monaten wieder gesehen,
und da hat sich mir doch ganz viel aufgedrängt. Ich dachte, woher
kommt der Haß dieser Töchter, warum hassen die so? Aber darauf
gibt es ja Antworten, und übrigens hat eine Frau, Marlene Streeruwitz,
darüber ein Stück geschrieben, das ich gelesen habe, ich weiß
nicht mehr, wie es heißt, das handelt davon, was die Frauen in
"King Lear" zu sagen haben. Die erzählen da, was ihr Leben
ist.
AS: Können Sie ernst nehmen, was Männer, in diesem Fall Shakespeare,
die Frauen sagen lassen? Hat das noch Relevanz für Sie?
AS: Also, so platt wollen Sie mir doch jetzt nicht kommen, Herr
Müller.
Die Töchter Lears sind ja eine Männererfindung.
AS: Das stimmt.
Das heißt, man kann aus dem, was sie sagen, keine Auskünfte über
Frauen bekommen, sondern wieder nur über Männer.
AS: Mmmh.
Für Frauen gibt es in der Kunst wenig, worauf sie aufbauen können.
Sie müssen bei Null anfangen.
AS: Das geht doch Schwarzen nicht anders. Ein Schwarzer in Amerika,
der sich mal amüsieren will, wohin soll der gehen?
Die Schwarzen haben eine eigene Musik, zum Beispiel.
AS: Gut, ja. Also, die Frauen... Was meinen Sie, wie oft eine
Frau wie ich eigentlich ihre Ruhe haben, einfach mal nur ins Kino
gehen will und sich sagt, den Regisseur schätze ich doch, der
ist geistreich, intelligent, vielleicht sogar genial...
Fellini! Den mögen Sie doch, wie ich gelesen habe.
AS: Fellini, zum Beispiel, ja, der ist in seiner enthemmten Selbstironie
schon akzeptabel. Also der weiß Bescheid.
Als ich unlängst "Das Piano" von Jane Campion sah, dachte
ich die ganze Zeit, wie mag sich wohl Alice Schwarzer bei diesem
Thema fühlen?
AS: Ist das wahr? Das finde ich aber sehr freundlich, daß Sie
an mich denken, wenn Sie ins Kino gehen. Das finde ich angenehm,
sehr angenehm, ja.
Hat Ihnen der Film gefallen?
AS: Ach, wissen Sie, es geht ja nicht darum, was mir gefällt.
Haben Sie sich wohlgefühlt?
AS: Wohlgefühlt?
Ja, oder haben sich beim Ansehen des Films Stacheln in Ihnen aufgestellt?
AS: Nein, aber wenn Sie von Stacheln reden, die können ja eine
große Variationsbreite haben, also das geht von kleinen Stacheln
bis wirklich ganz großen, nicht. Campion ist natürlich eine wahnsinnig
interessante, starke, sinnliche Regisseurin. Also ich fand den
Film gut in seiner Bilderkraft und seiner Sinnlichkeit.
Obwohl sich da eine Frau mit Haut und Haaren ihrer Liebe zu einem
Mann ausliefert?
AS: Das tut sie, ja.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur an Ihren Essay "Nieder
mit der Liebe" erinnern.
AS: Das ist ja sehr schmeichelhaft, daß Sie alles von mir gelesen
haben. Aber es kann doch auch Liebe geben, in der die Frau nicht
zur Sklavin wird.
Die Heldin bei Campion folgt dem Geliebten bedingungslos. Das
ist doch schon sehr gefährlich.
AS: Wenn man es so sieht, ja.
Ihnen hat der Film trotzdem gefallen.
AS: Was heißt gefallen! Ich fand ihn interessant. Ich frage mich
nicht, ob mir etwas gefällt, sondern ich frage mich, wie hoch
ist der Grad an originärer Mitteilung und Authentizität. Das kann
auch irritierend sein oder wütend machen. Kaurismäki zum Beispiel,
den finde ich großartig, weil er es gewagt hat... ach, was heißt
gewagt, darüber denke ich gar nicht nach, ich guck mir den Film
an und sage, großartig. Die Figuren in den Filmen von Kaurismäki
sind doch wunderbar, diese desolaten Kreaturen, die sogar weiblich
sein können und die in ihrer Desolatheit so grotesk und anrührend
sind. Es schaudert einen, man schämt sich für sie, und gleichzeitig
hat man sie doch von Herzen lieb. Aber ich will gar nicht so groß
mit Ihnen darüber reden, weil ich weiß, daß Ihr Bild anders ist.
Ich liebe Kaurismäki.
AS: So?
Aber ich wollte Ihnen noch eine utopische Frage stellen.
AS: Bitteschön.
Was, glauben Sie, wird mit den Kunstwerken der Männer geschehen,
wenn die Befreiung der Frau an ihr Ziel gelangt? Wie wird das
bewertet werden? Da sitzen dann eine emanzipierte Frau und ein
emanzipierter Mann im "Faust" und sollen ernst nehmen,
was da mit dem Gretchen passiert oder im "Hamlet" mit
der Ophelia. Glauben Sie, daß das als große Kunst gültig bleibt?
Oder sind das dann nur noch historische Relikte aus der vergangenen
Epoche des Patriarchats?
AS: Das ist natürlich eine tolle Vorstellung. Die Frauenbewegung
siegt, und: Goethe pfff, Shakespeare ppfff... Müller ppffft.
Aber das wird doch zwangsläufig so sein. Es kann doch dann nicht
mehr ernst genommen werden, wie sich Gretchen nach Faust verzehrt.
AS: Das muß ernst genommen werden.
Ja, heute, im Erkenntnisprozeß, aber dann?
AS (lacht): Ich sehe schon, Sie wollen von mir so ein Krawallbild
zeichnen. Aber ich weiß nicht, ob ich dazu beitragen soll. Ich
kann Ihnen nicht helfen, ich darf doch solche Sachen nicht sagen...
Sie dürfen nicht sagen, ob Sie glauben, daß die Männerkunst die
Befreiung der Frau überleben wird?
AS: Ich fürchte, das wird wohl bleiben.
Meinen Sie?
AS: Ja, sehen Sie mal, unsere Kultur ist doch von denen definiert,
die das Sagen haben.
Von den Männern.
AS: Ja, und wir bewegen uns nun schon eine ziemlich lange Strecke
darin. Das kann man nicht einfach so ausradieren. Die Werte der
männlichen Kultur werden uns noch lange bestimmen. Ich habe einmal
einen kleinen Aufsatz über den von Ihnen schon erwähnten Heine
geschrieben. Heine hat mich beschäftigt und geprägt aus den verschiedensten
Gründen...
Die würden mich interessieren, denn gerade in den Liebesgedichten
kommen die Frauen bei Heine oft nur als Leichen vor.
AS: Ach was, die sind quicklebendig.
Darf ich mal vorlesen?
AS: Ja, was haben Sie denn von ihm?
Zum Beispiel: "Die Welt ist so schön und der Himmel so blau,
und die Lüfte wehen so lind und so lau, und die Blumen winken
auf blühender Au und funkeln und glitzern im Morgentau, und die
Menschen jubeln, wohin ich schau, und doch möcht ich im Grabe
liegen und mich an ein totes Liebchen schmiegen."
AS: Ja, gut...
Oder dieses: "Mein süßes Lieb, wenn du im Grab, im dunklen
Grab wirst liegen, dann will ich steigen zu dir hinab und will
mich an dich schmiegen. Ich küsse, umschlinge und presse dich
wild, du Stille, du Kalte, du Bleiche. Ich jauchze, ich zittere,
ich weine mild, ich werde selber zur Leiche." Und so geht
das weiter.
AS: Ja, ja, das Frauenbild ist natürlich fatal.
Soviel zu Heine.
AS: Ja, wissen Sie, man kann sich als Frau gar nicht den Luxus
erlauben, gegen das aufzubegehren. Die Kultur ist die Kultur,
und in dem Moment, wo man wirklich rigoros sagt, was bin ich darin,
wird in der Tat die Luft sehr knapp, also so rigoros kann man
das gar nicht sagen, sonst kann man sich in die Luft sprengen.
Man muß schon dennoch sagen, ich bin, auch wenn ich hier auf die
Seite geschoben werde, ignoriert, definiert und so weiter, ein
Teil von dem. Man kann auf das Großartige und das Starke nicht
ganz verzichten.
Das sagt auch Elfriede Jelinek.
AS: Ach ja?
Sie haben sie deshalb in einem Interview mit ihr 1989 in "Emma"
angegriffen.
AS: Nein, gar nicht. Das müssen Sie mir zeigen.
Sie spricht von den männlichen Denkgebäuden, der männlichen Kunst,
die sie nicht missen möchte. Darauf erwidern Sie, sie betreibe
eine, so wörtlich, "Mystifizierung des Männlichen".
AS: Nein, das glaube ich überhaupt nicht, ich bin ganz und gar
einverstanden mit Jelinek, das ist jemand, der mir sehr vertraut
ist, auch aus der Ferne, in aller Verzweiflung.
Ihre Begeisterung für die männlichen Denkgebäude teilen Sie nicht.
AS: Ich denke, daß sie ihr Licht manchmal unter den Scheffel stellt,
und ich bedaure das.
Das finde ich unverschämt.
AS: Was? Wie?
Das können Sie doch nicht sagen.
AS: Doch, doch. Ich finde, daß sie ihr Licht...
Woher nehmen Sie sich das Recht...
AS: Was heißt, das Recht?
... über Elfriede Jelinek zu sagen, sie stelle ihr Licht unter
den Scheffel? Die wird doch wohl selbst bestimmen dürfen, wer
sie ist und was sie tut.
AS: Ja, Entschuldigung, Sie fragen mich, was ich zu Jelinek denke.
Sie sind doch wirklich... Ja, also, ich hoffe, Sie lassen das
alles drin, das ist ja furchtbar, wie Sie agieren, nein, das ist
ja unanständig, nein, nein, also Jelinek stellt natürlich manchmal
ihr Licht unter den Scheffel.
Wie kommen Sie darauf? Das ist eine selbstbewußte, kreative, starke
Frau, die Ihnen, was Licht betrifft, weit überlegen ist.
AS: Ja, das ist jetzt aber...
Jelinek leuchtet. Wo ist der Scheffel?
AS: Das ist doch furchtbar, was Sie jetzt machen! Das werde ich
Ihnen nicht erlauben, im Interview so zu manipulieren.
Wieso manipulieren? Ich schreibe es ab. Beurteilen werden es andere.
AS: Aber das ist ja beklemmend... Also wir brechen das jetzt ab,
das ist ja...
Sie haben gesagt, Frau Jelinek stelle ihr Licht unter den Scheffel,
weil sie sich vielleicht nicht ganz so darstellt, wie Sie es möchten.
Mich regt das auf.
AS: Ich habe gesagt, Frau Jelinek ist jemand, den ich sehr schätze,
und ich finde, daß sie manchmal ihr Licht unter den Scheffel stellt.
Das ist doch eine kühne Behauptung.
AS: Ja, kann ja sein... Aber jetzt hören wir auf, das ist doch
wirklich zu demagogisch, was Sie da machen, das ist ja furchtbar.
Sie wollen in Ihrem Text unbedingt einen Gegensatz zwischen Schwarzer
und Jelinek haben.
Nein, oh Gott, nein!
AS: Das ist einfach too much, was Sie da machen. Sie versuchen,
Frauen gegeneinander auszuspielen.
Nein, nein, nein!
AS: Das ist schockierend. Das ist unvorstellbar. Also wie können
Sie sich erdreisten, mit mir so zu sprechen? Wir haben jetzt vier
Stunden miteinander geredet. Ich behalte mir vor, es wäre das
erstemal in meinem Leben, zu sagen, ich verzichte auf den Abdruck
des Interviews.
Ja, ich auch.
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