Interview mit  Julia Fischer (2008)



Mit vier Jahren bekam sie die erste Geige, mit dreizehn begann sie, öffentlich aufzutreten. Mit neunzehn debütierte sie in der New Yorker Carnegie Hall. Von da an war sie ein Star. Julia Fischer, Jahrgang 1983, ist unter den jungen Geigerinnen, die heute in den Konzertsälen brillieren, die glamouröseste, auch wenn sie das nicht gerne hört.

2006, knapp dreiundzwanzigjährig, wurde sie als Professorin an die Frankfurter Musikhochschule berufen, voriges Jahr mit dem britischen Grammophne Award als "Artist of the Year" ausgezeichnet. Ihre Preise sind nicht mehr zu zählen. Doch der Münchnerin, Tochter einer slowakischen Pianistin und eines Mathematikers, ist so viel Ruhm, sagt sie, lästig. Denn die Musik ist für sie ein Hochamt, das sie bei aller Leichtigkeit, die sie ausstrahlt, tiefernst zelebriert.

Den Interviewer empfängt sie mit professioneller Gelassenheit. Die Mutter zieht sich ins Untergeschoß zurück und lauscht. Als von der Schönheit ihrer Tochter die Rede ist, taucht sie wie ein Geist aus der Tiefe auf und fragt entzückt: "Finden Sie Julia schön?"

Aber natürlich! Man sollte, damit die Erscheinung nicht vom Kunstgenuß ablenkt, die Augen schließen, wenn sie auf der Bühne steht oder ... sitzt. Denn nun spielt sie auch noch Klavier! Beim Neujahrskonzert in der Frankfurter Alten Oper triumphierte sie an einem Abend mit dem dritten Violinkonzert von Saint-Saens vor der Pause und danach mit dem Klavierkonzert von Edvard Grieg. Das gab es noch nie.

Für die hoch versicherten Hände einer Violinistin kann der harte Anschlag auf dem Piano verheerend enden. Julia Fischer aber bestand die Probe. "Ja, das war schon riskant", sagt sie und fügt gleich hinzu: "Ich werde es wieder tun." Für 2009 ist das nächste Konzert, in dem sie als Geigerin und Pianistin auftritt, schon eingeplant.

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Sie sind jung, schön, vermutlich reich und ... ich zitiere, was in den Zeitungen über Sie steht ... "ein Geigenwunder", "eine Jahrhundertgeigerin".

JULIA FISCHER: Ja, und?

Gefällt Ihnen diese Beschreibung?

FISCHER: Also was über mich in den Zeitungen steht, hat mich nie so wahnsinnig interessiert. Das wahre Selbstbewußtsein liegt für mich darin, daß ich weiß, was ich nicht kann, nicht, was ich kann.

Was können Sie denn nicht?

FISCHER: Das bleibt mein Geheimnis.

Sie wollen die beste sein.

FISCHER: Nein.

Aber das will doch jeder. Dieses Ziel muß man doch haben.

FISCHER: Dieses Ziel hat man vielleicht im Sport. In der Kunst ist es das falsche Ziel. Kunst ist nicht Sport. Eine Konkurrenz gibt es nicht in der Kunst.

Das stimmt nicht. Es gibt zum Beispiel den Kampf um höhere Gagen bei Opernsängern.

FISCHER: Also bei mir gibt es das nicht. Meine Gage interessiert mich nicht. Das machen die Agenten. Es kommt vor, daß mir ein Konzertveranstalter sagt: Was deine Agentin verlangt, übersteigt mein Budget. Aber wenn ich das Konzert unbedingt spielen will, dann spiele ich auch umsonst.

Der Geigenvirtuose Fritz Kreisler bezeichnete die Liebe zur Musik als ein Laster. Zitat: "Geigen- oder Roulettespielen, Komponieren oder Opiumrauchen sind Neigungen, die ihren Lohn in sich selbst tragen. So sind die Musiker die einzigen menschlichen Wesen, deren Laster geachtet, geehrt, ja sogar bezahlt wird ... "

FISCHER: Stimmt.

Kreisler weiter: "Hat man die Virtuosität im Blut, so entschädigt allein das Betreten des Podiums für alle Mühe. Auch ohne dafür bezahlt zu werden, würde man öffentlich spielen."

FISCHER: Stimmt absolut. Ich bin süchtig nach Musik. Sie ist für mich lebensnotwendig. Aber ich muß nicht unbedingt selbst auf der Bühne stehen. Ich bin auch als Zuhörer glücklich. Ich schaffe es nicht, eine Woche lang in kein Konzert zu gehen.

Wenn Sie nur zuhören, entfällt die Angst.

FISCHER: Welche Angst?

Die Angst, zu versagen.

FISCHER: Die habe ich nicht. Denn ich stehe nicht auf der Bühne mit dem Anspruch, perfekt zu spielen, um Gottes willen, sondern ich kann nur versuchen, dem Komponisten, dessen Werk ich interpretiere, mit meinen bescheidenen Möglichkeiten gerecht zu werden.

Und wenn das mißlingt?

FISCHER: Das könnte ich mir nur dann nicht verzeihen, wenn ich schlecht vorbereitet bin. Habe ich mich gut vorbereitet und scheitere trotzdem, dann ist das menschliches Versagen. Dafür kann ich nichts.

Man hat doch Stimmungen.

FISCHER: Wenn ich in schlechter Stimmung bin, rettet mich die Musik. Als reproduzierender Künstler muß man die Gabe haben, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Man muß erfassen, was der Komponist ausdrücken wollte, und es verwirklichen.

Die Musik, die Sie interpretieren, stammt bis jetzt ausschließlich von Männern. Meist sind sie tot.

FISCHER: Ja, aber ich muß nicht sterben, um das zu spielen. Ich muß auch nicht tatsächlich erlebt haben, was in der Musik, die ich spiele, zum Ausdruck kommt.

Die Abgründe, die Verzweiflung, die Lust ...

FISCHER: Ja, ich muß das nicht aus Erfahrung kennen, sondern ich erlebe es durch die Musik. Wenn Sie Schostakowitsch spielen, erfahren Sie, wie sich jemand in einem menschenverachtenden Staat wie dem sowjetischen gefühlt hat, aber Sie müssen das nicht selbst erlitten haben, sondern sie erleiden es durch die Kunst. Sie werden verwandelt. Ein guter Musiklehrer fragt ein Kind, das mit dem Musikunterricht anfängt, was es bei dieser oder jener Musik empfindet. Wenn das Kind ein Stück in Moll spielt, wird es das als traurig empfinden, auch wenn es diese Traurigkeit in der Realität nie erlebt hat. Das ist der Zauber der Musik, daß sie in uns Emotionen hervorruft, die wir bis dahin nicht kannten.

Kunst, sagen Sie, ist nicht Unterhaltung.

FISCHER: Ja, das sage ich, denn ich finde, es gibt eine Trennlinie zwischen der Kunst und dem Entertainment. Unterhalten heißt amüsieren. Das will ich nicht, sondern ich will als Künstlerin die Menschen erziehen. Ich will, daß sie fühlen lernen.

Sie wollen mit Ihrer Kunst die Welt verbessern.

FISCHER: Was heißt verbessern? Mir ist natürlich klar, daß ich der Welt nicht den Frieden bringen kann. Aber ich bin ein idealistischer Mensch, und ich glaube, es gäbe einige Probleme weniger auf der Welt, wären die Menschen kulturvoller erzogen.

Sehen Sie sich die täglichen Fernsehnachrichten an?

FISCHER: Ja, ich sehe das, und da gibt es Dinge, die mich schockieren und für eine gewisse Zeit auch lähmen. Aber ich bin stark genug, das zu verarbeiten, indem ich die negative Energie in etwas Positives verwandle. Ich habe eine gesunde Psyche. Ich kann mich zusammenreißen. Gerade, weil vieles so schrecklich ist, brauchen die Menschen ein Licht im Leben.

In einem früheren Interview sagten Sie: "Man steht im Dienste der Musik so wie andere ins Kloster gehen und im Dienste des Glaubens stehen."

FISCHER: Richtig! Die Kunst ist für mich eine Art Religion. Das unterschiedet sie von der Unterhaltung.

Kennen Sie Popstars?

FISCHER: Ich kenne Britney Spears, und ich habe auch den Namen Robbie Williams schon mal gehört. Aber mir ist voriges Jahr etwas Peinliches passiert. Da fragte mich ein Journalist, was ich von Tokio Hotel halte, und ich antwortete, ich wohne in Tokio immer in einem anderen Hotel. Der hat mich angesehen, als käme ich vom Mars.

Können Sie die Hysterie, die solche Boygroups auslösen, verstehen?

FISCHER: Ich kann das nur verstehen, wenn ich mir sage, diese Fans haben offensichtlich nichts zu tun und keinen Lebensinhalt. Die wissen mit ihrer Zeit nichts anzufangen.

Wer trägt die Schuld?

FISCHER: Das ist die Frage. Wir leben in einer Zeit, in der man dauernd anderes, die Eltern, die Lehrer, die Herkunft, was weiß ich, für alles verantwortlich macht, nur nicht sich selbst. Ich finde, daß der Mensch ab einem gewissen Alter für sich selbst verantwortlich ist.

Sie können leicht reden. Ihre Mutter ist Pianistin. Sie sind mit klassischer Musik aufgewachsen.

FISCHER: Das stimmt. Aber meine Mutter hat mich nie zur Musik gezwungen. Sie hat gemerkt, daß ich mich im Kindergarten wahnsinnig langweile, und mich zu einem Geigenlehrer geschickt.

Die japanische Geigerin Midori beschreibt in ihrer Autobiografie ihren Leidensweg als dressiertes Wunderkind. Magersucht, Selbsthaß und Depressionen waren die Folge.

FISCHER: Ja, aber es sagt doch niemand, daß jeder Berufsmusiker werden muß. Mich hat niemand dressiert. Ich habe schon mit drei Jahren verkündet, daß ich Musikerin werden will. Ich hatte eine Puppe, die habe ich aus dem Puppenbett herausgenommen und stattdessen meine Geige hineingelegt.

Sie sind nicht nur eine gefeierte Virtuosin, sondern auch Professorin, die jüngste, die es in Deutschland je gab.

FISCHER: Ja, und ich verlange von meinen Studenten gleich zu Beginn einen Essay, in dem sie beschreiben müssen, warum sie sich für die Musik entschieden haben. Wenn da einer schreibt, er studiere Musik, um Erfolg zu haben, berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen, dann nehme ich ihn nicht, egal, wie begabt er ist.

Die meisten Musikstudenten landen dann im Orchester.

FISCHER: Das macht doch nichts! Es ist nicht das höchste, Solist zu werden. Ein Orchestermusiker spielt nicht schlechter als ein Solist. Er muß nur andere Qualitäten haben. Er muß zum Beispiel auch mit einem schwachen Dirigenten gut spielen können, während sich ein Solist den Dirigenten meist aussuchen kann. Um Solist zu werden, braucht man erstens Glück, zweitens muß man gern reisen und drittens in der Lage sein, sich sprachlich auszudrücken, damit man Interviews geben kann.

Aber es träumt doch jeder davon, einmal ganz vorn zu stehen.

FISCHER: Mag sein, aber diesen Traum sollte man bitte nur nachts träumen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß er sich verwirklicht, ist sehr gering.

Wie wichtig ist Ihnen Ihr Aussehen?

FISCHER: Gar nicht. Denn ich weiß, was im Leben vergänglich ist und was nicht.

Die Geigerin Vanessa Mae wurde berühmt, weil sie sich in einem nassen T-Shirt, durch das man die Brüste sah, präsentierte.

FISCHER: Ich bin nicht Vanessa Mae.

Auch Anne-Sophie Mutter setzt ihr attraktives Äußeres bewußt für ihre Karriere ein.

FISCHER: Ich mache das nicht.

Der Musikkritiker Harald Eggebrecht schrieb, Anne-Sophie Mutter zeige sich auf Coverphotos "als geigende Sexbombe mit tiefem Dekolleté im Rita-Hayworth-Look".

FISCHER: Das ist ihre Sache. Ich hoffe, daß die Leute in meine Konzerte gehen, um mir zuzuhören, nicht, um mich anzusehen. Meine Kleider müssen bequem sein und, da ich oft reise, möglichst unkompliziert in den Koffer passen. Sobald ich die Geige in die Hand nehme, soll man an die Musik und nicht an mein Aussehen denken. Es gab vor Jahren mal eine Diskussion mit meinem Management, weil ich ungeschminkt auf die Bühne ging. Diese Diskussion habe ich so beendet, daß von diesem Zeitpunkt an nie wieder über dieses Thema gesprochen wurde. Manchmal habe ich Lust, an mir herumzumalen, manchmal nicht. Punkt.

Sie wehren sich gegen die Vermarktung Ihrer reizvollen Erscheinung.

FISCHER: Ich versuche es.

Gab es Angebote?

FISCHER: Es gab ein Angebot des "Playboy"...

Man wollte Sie nackt fotografieren?

FISCHER: Ich weiß nicht, ob die Anfrage ernst gemeint war. Aber ich habe das natürlich vehement abgelehnt. Mich hat auch Stefan Raab in seine Sendung eingeladen. Das Dumme war, daß ich gar nicht wußte, wer Stefan Raab ist.

Seien Sie froh!

FISCHER: Das sagen Sie! Ich habe mir danach anhören müssen, wie es möglich ist, daß ich diesen Menschen nicht kenne. Ich meine, solche Sendungen haben durchaus ihre Berechtigung. Klamauk muß sein. Aber dafür bin ich nicht zuständig.

Komponieren Sie?

FISCHER: Nein. Ich kann nicht komponieren. Ich kann Noten schreiben, klar. Aber, um zu komponieren, muß noch etwas dazukommen. Nennen Sie es Eingebung oder den göttlichen Funken.

Oder Ausdrucksnot.

FISCHER: Wenn ich mich ausdrücken will, schreibe ich Tagebuch. Ich bin kein immer heiterer Mensch. Ich philosophiere gern. Wenn ich dunkle Gedanken habe, schreibe ich sie auf. Es gab in meinem Leben auch Dinge, die mich belastet haben.

Ihre Eltern ließen sich scheiden, als Sie dreizehn waren.

FISCHER: Ja, das war schwer. Aber darüber spreche ich nicht.

Wollen Sie Kinder haben?

FISCHER: Ja, selbstverständlich. Wozu ist man denn sonst auf der Welt?

Für die Kunst!

FISCHER: Das läßt sich doch gut vereinen, wenn ich es will. Nun werden Sie fragen, ob ich schon den geeigneten Mann dafür habe.

Nein.

FISCHER: Das ist eine von diesen doofen Journalistenfragen. Darauf antworte ich nicht. Ich sage nur, ich will eine Familie gründen, und ich werde trotzdem auf die Musik nicht verzichten müssen. Eine Frau kann das verbinden. Ich bin keine Feministin. Ich glaube nicht an die Gleichheit von Männern und Frauen. Männer streben nach dem ewigen Glück. Mein Lebensziel ist der innere Frieden.

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Erschienen in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am 24. Februar 2008 und in der "Weltwoche" am 30. April 2008